Mittwoch, 31. Oktober 2012

Drehpause


Oh, wie Shakespeare das Kino geliebt hätte!"
“Oh how Shakespeare would have loved cinema!”
Derek Jarman

Je perfekter ich verführt, betrogen, übertölpelt werde, desto besser.
Mein mißtrauisches Sezieren, das ich den meisten Theaterabenden angedeihen lasse, läßt sich im Kino nur ganz selten blicken.
Ich liebe Filme. Unterhaltet mich! Nehmt mich auf eine Reise irgendwohin, wo ich noch nicht war! 
Ich weine auch öfter im Kino als im Theater.


 Jaws - Der Weisse Hai

 Planet der Affen

Der Pate - James Caan, oder Sonny Corleone wird gleich erschossen, die Fäden führen zu den explodierenden Blutkapseln.

Herr der Ringe - Peter Jackson und mein Idol, Sir Ian McKellen alias Gandalf.

https://www.youtube.com/watch?v=6ZOrUgt4nys 

Titanic - nass.

Übernommen von vintage everyday
 
Das Schweigen der Lämmer


Alien - ein müdes Monster


2001


Frankenstein 

Montag, 29. Oktober 2012

Der Tod und das Mädchen



DER TOD UND DAS MÄDCHEN


Für immer! Nimmer! Pierre-Eugène-Emile Hébert 1828–1893


Von des Teuffels vergifften Zung,
Hat der Tod sein Ursprung,
Herrschet über die Menschen gantz:
Wir müssen all an seinen Tantz.

Eva ist vast schuldig dran,
Sie gab den Tod auch ihrem Mann,
Deß müssen wir groß leyden Noht,
Dann daher kommt der bitter Tod.

Der Todten-Tantz, wie derselbe in der weitberühmten Stadt Basel, als ein Spiegel Menschlicher Beschaffenheit, gantz künstlich mit lebendigen Farben gemahlet, nicht ohne nutzliche Verwunderung zu sehen ist. 1786

Matthias Claudius lassen wir diesmal aus, den hatten wir schon. Aber Schiele muß sein.


Egon Schiele Der Tod und das Mädchen 1915
Wer hält da wen?

Das Mädchen und der Tod

Dies flüssig grüne Gold heißt Gift und tötet.
Wie gut es riecht: wie wenn der wilde Wind
In den Akazienbäumen irr sich fängt,
Dann geht man still im Mond auf weichen Blüten ...
Vielleicht ist Totsein solch ein lautlos Wandern
Durch fremde leere Länder ohne Schlaf,
Auf stillen Brücken über grüne Wasser
Durch lange schwarze, schweigende Alleen,
Durch Gärten, die verwildern ...
Und endlich komm ich an das Haus des Todes:
Im großen Saale ist ein großer Tisch
Aus grünem Malachit; den tragen Greifen.
Da sitzt der Tod zu Tisch und läd mich ein
Und Pagen viel mit feinen schmalen Händen
Und Schuh'n aus schwarzem Samt, die lautlos gleiten.
Die tragen wunderbare Schüsseln auf:
Ja, ganze Pfauen, Fische silberschuppig
Mit Purpurflossen, in den feinen Zähnchen
(Die sind vergoldet) stecken Lorbeerreiser
Und Trauben mit goldrotem Rost und offen
Granatäpfel, die auf weichen Kissen
Von frischen Veilchen leuchten, und der Tod
Hat einen Mantel an aus weißem Samt
Und setzt mich neben sich
Und ist sehr höflich ...

Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979, S. 161-162.

Hans Baldburg Grien Der Tod und das Mädchen 1517

Mädchen-Klage

Diese Neigung, in den Jahren,
da wir alle Kinder waren,
viel allein zu sein, war mild;
andern ging die Zeit im Streite,
und man hatte seine Seite,
seine Nähe, seine Weite,
einen Weg, ein Tier, ein Bild.

Und ich dachte noch, das Leben
hörte niemals auf zu geben,
daß man sich in sich besinnt.
Bin ich in mir nicht im Größten?
Will mich Meines nicht mehr trösten
und verstehen wie als Kind?

Plötzlich bin ich wie verstoßen,
und zu einem Übergroßen
wird mir diese Einsamkeit,
wenn, auf meiner Brüste Hügeln
stehend, mein Gefühl nach Flügeln
oder einem Ende schreit.

Rainer Maria Rilke Neue Gedichte 1907


Hier doch noch der Claudius, vertont von Schubert, gesungen von Jessye Norman

Sonntag, 28. Oktober 2012

Bald bin ich alt, aber jetzt noch nicht.



Ich werde nie ein alter Mann sein. Alt zu sein, heißt für mich immer 15 Jahre älter zu sein, als ich es bin."

“I will never be an old man. To me, old age is always 15 years older than I am.”
Bernard Baruch 

Gilt für mich, Frau, ebenso. 


Als ich 8 war, dachte ich, dass 14-jährige eine ganz andere Art Menschen wären. Wissend, unnahbar, gemein. Wirklich alte Leute, wie etwa meine Eltern und andere an meiner Erziehung Beteiligte, waren die, die tollen Sachen machten, wenn ich ins Bett mußte. Nächte gefüllt mit aufregenden, beneidenswerten, dekadenten Vergnügungen, die ich, bis aufs Fernsehgucken, zwar nur ungenau definieren konnte, um die ich sie aber glühend beneidete. 
Nur meine Großmutter war eine Ausnahme. Allwissend, alles verstehend, jung und geheimnisvoll uralt.

Mit 16 fand ich jeden über 20, außer dem Mann in den ich verliebt war, blöd und bedauernswert. Ich wußte ja schon alles, und das meiste auch besser. Nur, dass es diese alten Leute es halt schon wieder vergessen oder nie gewußt hatten. Unbegreiflich, warum die alle nicht begriffen, was doch so sonnenklar war. Wenn man uns nur gelassen hätte, die Welt wäre eine ganz andere, bessere gewesen.

Bis 20 war ich unsterblich. 

Dann starb der erste Gleichaltrige.

Danach war ich viele Jahre ausschließlich mit mir und anderen ungefähr Gleichaltrigen beschäftigt. Der dreissigste Geburtstag war schön, aber nicht welterschütternd, trotz der warnenden Unkenrufe meiner Umgebung. 
40 ebenso - dachte ich, dann krachte es. Man hat es gekracht.

50 und folgende ist ganz in Ordnung bisher. Keine größeren Gesundheitskrisen, weniger Schlaf ist nötig, die Fähigkeit zum Spaß haben, ist noch ungemindert. Aber dieses Altern beschäftigt mich. 

Als ich jung war, war Jugend noch keine Zielgruppe. Man war halt jung. Jetzt, heute, spüre ich eine absichtsvoll künstlich erzeugte, strenge Teilung der Gesellschaft, zumindest in unserem europäisch/nordamerikanisch Luxusteil der Welt. Marketing, Werbung und Interessengruppen der Politik/Wirtschaft behaupten Unverträglichkeit beider Seiten miteinander, als würde an einem magischen Punkt der Lebenszeit eine Grenze verlaufen, die uns in zwei Lager teilt. Über den Grenzzaun schauen wir uns feindselig in die jungen/alten Augen. Die Familie, ob verwandschaftlich oder durch glücklichen Zufall zusamengesammelt, war einst melting pot (Schmelztiegel) der Generationen, sie gibt es fast nur noch in Bruchstücken. Ein neues Interesse aneinander haben wir noch nicht entwickelt. "Ihr stehlt uns das Geld für unsere Renten" - "Wir haben ein Leben lang für eure Zukunft gearbeitet."

Meine Mutter ist heute 82 Jahre alt geworden. Eine Freundin wird demnächst 90. Und überraschenderweise, denken diese Alten merkwürdige, freche Gedanken, sie machen böse, wahre Witze, sie wissen Dinge. Nicht weil sie alt, weise und ach so erfahren sind, sondern weil sie in der Welt leben, sie erleben, ertragen, über sie nachdenken. Sie lieben, sie trauern, sie benehmen sich schlecht und gut, sie haben Hoffnungen. Sie hatten mehr Zeit. Sie werden weniger Zeit haben.

Happy birthday!
 

Freitag, 26. Oktober 2012

Äpfel - Die Fortsetzung



Sollten Sie vorhaben, einen Apfelkuchen von Grund auf selber zu machen, müssen Sie erst das Universum erfinden.

Carl Sagan


"Der Baum des Lebens" Hannah Cohoon. 
"City of Peace Monday July 3rd 1854" from The Andrews Collection at Hancock Shaker Village

Du kannst zehnmal tausend Früchte greifen,
in der Hand liebkosen,
sanft pflücken,
und darfst sie nicht fallenlassen...

Robert Frost: Nach dem Apfelpflücken

Juan de Zurbarán Stilleben mit Äpfeln und Orangenblüte ca. 1840

  APFELBEIGNETS WIE MEINE MUTTER SIE MACHT
  
  Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und
  erkennt Gut und Böse. (Genesis)

  2-3      Äpfel
  schälen, entkernen,
  in Scheiben schneiden
  
  Backteig:
  1        Tasse Milch
  1      Tassen Mehl
  2        Eier
  1 TL    Zucker
  1 TL    Rum
            Prise Salz

  rühren, bis er glatt ist,
  die Apfelscheiben eintauchen und
  in heißes, schwimmendes Fett geben,
  servieren mit der Sabayon Sauce

  Sabayon Sauce (Zabaglione)

  4         Eigelb
  ¾        Tasse Zucker
  ¾        Tasse Apfelschnaps und Apfelsaft mischen

  in einem Topf über heißem Wasser
  schlagen, bis es dick wird
  vom Herd nehmen,
  weiterschlagen, bis es abgekühlt ist.

  Man kann anstatt der Sauce auch nur Zimt und Zucker über die Beignets
  streuen.
  Die Sauce wiederum ist auch wunderbar für andere Süßspeisen geeignet.
  Einfach die Alkoholsorte wechseln.


Andy Warhols Kinderbuch


Donnerstag, 25. Oktober 2012

Äpfel


  ÄPFEL

Heute abend eine kleine Ausstellung in der Linienstrasse : Zimmerherbst.
Herbst im Zimmer, Blätter, Äpfel, solch ein Duft! Dinge zum Anfassen, zum Riechen, Schauen! Schön.
Äpfel riechen süß und warm, finde ich. 
Eine Berliner Altbauwohnung, auch die durchgetretenen Dielen waren mal Teil eines Baumes. Draussen der erste wirklich kühle Abend - feuchtig, windig - naßkalt. Eine Freundin sagte, die Blätter klatschen von den Bäumen. 
Vor Jahren hätte ich heute den Ofen geheizt und, vielleicht Bratapfel gemacht. Das war auch so ein Duft. 
Und macht noch jemand selbst Apfelmus für Apfelreis? Solches, wo noch Stücke drin sind, drüber kommt Zucker und Zimt und viel gebräunte Butter.

     MILCHREIS
     
     300 g Milchreis
     1–1,5 l Vollmilch
     wenig Zitronenabrieb
     2 Pck Vanillezucker oder eine Vanillestange
     3 EL Zucker
     1 EL Butter
     1 Prise Salz

Am besten sind Boskopäpfel fürs Mus! Oder wie meine Deutschlehrerin sagte: Boskoäpfel, mit stummem p. Sie nannte Geschirr auch gerne Servi, mit langem i und stummem s.


DER ÜBER UNS

Hans Steffen stieg bei Dämmerung (und kaum
konnt er vor Näschigkeit die Dämmerung erwarten)
in seines Edelmannes Garten
und plünderte den besten Apfelbaum.

Johann und Hanne konnten kaum
vor Liebesglut die Dämmerung erwarten
und schlichen sich in ebendiesen Garten
von ungefähr an ebendiesen Apfelbaum.
Hans Steffen, der im Winkel oben saß
und fleißig brach und aß,
ward mäuschenstill vor Wartung böser Dinge,
daß seine Näscherei ihm diesmal schlecht gelinge.

Doch bald vernahm er unten Dinge,
worüber er der Furcht vergaß
und immer sachter weiteraß.
Johann warf Hannen in das Gras.
"O pfui!" rief Hanne, "welcher Spaß!
Nicht doch, Johann! - Ei was?
O schäme dich! - Ein andermal - o laß -
O schäme dich! Hier ist es naß."

Naß oder nicht; was schadet das?
Es ist ja reines Gras.
Wie dies Gespräche weiterlief,
das weiß ich nicht. Wer braucht's zu wissen?

Sie stunden wieder auf, und Hanne seufzte tief:
"So, schöner Herr, heißt das bloß küssen?
Das Männerherz! Kein einzger hat Gewissen.
Sie könnten es uns so versüßen.
Wie grausam aber müssen
wir armen Mädchen öfters dafür büßen!
Wenn nun auch mir ein Unglück widerfährt! -
Ein Kind - ich zittre. - Wer ernährt
mir denn das Kind? Kannst Du es mir ernähren?"
"Ich?, sprach Johann, "die Zeit mag's lehren.
Doch wird's auch nicht von mir ernährt:
Der über uns wird schon ernähren;
dem über uns vertrau."

'Dem über uns.' Dies hörte Steffen.
'Was', dachte er, 'will das Pack mich äffen?
Der über Ihnen? Ei, wie schlau!'
"Nein, schrie er, "laßt euch andere Hoffnung laben!
Der über euch ist nicht so toll.
Wenn ich ein Bankbein nähren soll,
so will ich es auch selbst gedrechselt haben."

Wer hier erschrak und aus dem Garten rann,
das waren Hanne und Johann.
Doch gaben bei dem Edelmann
sie auch den Apfeldieb wohl an?
Ich glaube nicht, daß sie's getan. 


Gotthold Ephraim Lessing


...Darauf ging sie in eine ganz verborgene einsame Kammer, wo niemand hinkam, und   machte da einen giftigen giftigen Apfel. Äußerlich sah er schön aus, weiß mit roten Backen, dass jeder, der ihn erblickte, Lust danach bekam, aber wer ein Stückchen davon aß, der musste sterben. Als der Apfel fertig war, färbte sie sich das Gesicht und verkleidete sich in eine Bauersfrau, und so ging sie über die sieben Berge zu den sieben Zwergen.
Sie klopfte an, Schneewittchen streckte den Kopf zum Fenster heraus und sprach "ich darf keinen Menschen einlassen, die sieben Zwerge haben mirs verboten." "Mir auch recht", antwortete die Bäuerin, "meine Äpfel will ich schon los werden. Da, einen will ich dir schenken." "Nein", sprach Schneewittchen, "ich darf nichts annehmen." "Fürchtest du dich vor Gift?" sprach die Alte. Siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten iss du, den weißen will ich essen." Der Apfel war aber so künstlich gemacht, dass der rote Backen allein vergiftet war. Schneewittchen lusterte den schönen Apfel an, und als es sah, dass die Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder...

"SCHNEEWITTCHEN" * Märchen der Gebrüder Grimm

* Wiki sagt:
In der ersten Ausgabe von 1812 erwacht Schneewittchen, als ihr ein Diener des Prinzen einen Schlag in den Rücken versetzt, aus Ärger, dass er das tote Mädchen den ganzen Tag herumtragen muss.

Das gefällt mir.


Mittwoch, 24. Oktober 2012

Le Corbusier


Le Corbusier 
Sessel LC2
1929 


Le Corbusier eigentlich Charles-Édouard Jeanneret-Gris, 
geboren am 6. Oktober 1887 in La Chaux-de-Fonds in der Schweiz. 
Architekt, Möbelgestalter, Karrierist, Nazisympathisant. 

"Wenn es ihm mit seinen Ankündigungen ernst ist, kann Hitler sein Leben mit einem grossartigen Werk krönen: der Neugestaltung Europas..." Le Corbusier

Der Sessel ist wunderbar, ich besitze ihn in grün.


10 Franken-Schein mit dem Bild Le Corbusiers

General Idi Amin Dada - Ein Selbstportrait


General Idi Amin Dada - Ein Selbstportrait  
Dokumentarfilm von Barbet Schroeder - 1974


"Nach einem Jahrhundert der Kolonialherrschaft, laßt uns nicht vergessen, dass es ein teilweise deformiertes Bild unserer selbst ist, dass Idi Amin Dada uns zurückwirft."
Barbet Schroeder

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Seine Exzellenz Präsident auf Lebenszeit, Feldmarschall Al Hadji Dr. Idi Amin, Siegreiches Herz, Distinguished Service Order, Military Cross, König von Schottland, Herr aller Tiere der Erde und Fische der See, und Eroberer des Britischen Empires in Afrika im Allgemeinen und in Uganda im Besonderen

His Excellency President for Life, Field Marshal Al Hadji Dr. Idi Amin, VC, DSO, MC, King of Scotland, Lord of All the Beasts of the Earth and Fishes of the Sea, and Conqueror of the British Empire in Africa in General and Uganda in Particular

GENERAL IDI AMIN DADA
Geboren um 1920. Im Krankenbett gestorben 2003.
Dritter Präsident von Uganda 1971-1979 

Idi Amin mit einigen Orden


Die Zahl seiner Opfer kann nur geschätzt werden, die Zahl der Toten schwankt zwischen 100 000 und 500 000.  
Wenn das Graben der Gräber ihm zu lange dauerte, warf man, auf seinen Befehl, die Leichen schon mal Krokodilen vor. In einer Szene des Filmes fährt der von der Schönheit der afrikanischen Tierwelt begeisterte General auf dem Nil und versucht mit lautem Klatschen in die Hände, Krokodile dazu zu bringen, sich zu bewegen. Als eins der Krokodile nicht reagiert, kann man spüren, wie er wütend wird, seine Augen erkalten.

Idi Amin war der Meinung, dass der Film eine Eloge an ihn werden würde und gab dem Team seine volle Unterstützung.

Barbet Schroeder und sein Team halten die Kamera "drauf", der General inszeniert "Ereignisse" - Militärparaden, enthusiastische Begrüßungsszenen, der Mann im Kreise seiner Kinder, ein Manöver, bei dem die Golan Höhen erobert werden - ein einzelner Hubschrauber und zwei Düsenjäger stellen dabei die ugandische Luftwaffe dar. 
Und er redet, monologisiert. Barbet Schroeder läßt ihn, fragt selten, läßt Pausen stehen, bis der Mann weiterredet.

Als Amin den fertigen Film vor der Veröffentlichung ansah, verlangte er, dass dreieinhalb Minuten geschnitten werden müssten. Schroeder weigerte sich. Amin nahm 150 Franzosen, die in Uganda lebten, in "Schutzhaft". Schroeder entfernte das Gewünschte. 1979, nach dem Sturz des Generals, wurde der Film wieder auf volle Länge gebracht.
 
  Ich muß gestehen, dass ich während des Filmes oft gelacht habe. So ein Lachen, bei dem der Atem nach innen geht, wie verschluckt. 
Der Film hat mich aufgewühlt.

 
Der Film ist in mehreren Teilen auf youtube zu finden und auch als Stream im Netz. Leider scheint es keine deutsch untertitelte Fassung zu geben, also nur in englisch. Wobei das radebrechende Englisch des Generals, voller Wiederholungen und der irrsten grammatikalischen Konstruktionen, einen wichtigen Teil der Wirkung ausmacht. 

Aus dem Tagesspiegel - interessanter Artikel zum Tode von Idi Amin - vom 18.08.2003
http://www.tagesspiegel.de/zeitung/wie-wurde-idi-amin-zum-schlaechter/440018.html 

Montag, 22. Oktober 2012

Kurt Drawert


Wollte aus gegebenem Anlaß wissen, woher das Wort "Nieselregen" stammt und habe dabei dies gefunden:
 der ost ist scharf und herbe,
er stöszt die falben blätter,
sie nieseln auf den frost.
Stilling jüngl. (1780) 105 steht drunter in Grimms Wörterbuch. Die drei Zeilen sind schön. Und bald treffen sie auch auf unser wieder Wetter zu! 

Gestern, am wahrscheinlich letzten lauen Abend dieses Herbstes*, ein Gespräch über Lyrik. (Klingt so hingeschrieben, kulturvoller, als es gewesen ist.) Wie schon manchesmal meckere ich unzufrieden über den von mir empfundenen oder auch nur behaupteten Mangel an starker neuer deutscher Lyrik. 
Meine Mißverhältnis zur Poesie meiner Lieblingssprache ist schon eigenartig. Vielleicht ist meine Mutter schuld, die mir Verse der englischen Romantik untergejubelt hat, oder es war die lieblose Auswahl und der Zwang zur Interpretation im ddrischen Deutschunterricht. 
Wie kann es dem Vergnügen an Lyrik dienlich sein, dass wir sie erklären müssen? Da sitzt so ein Dichter und kämpft gegen jedes überflüssige Wort, hungert die Worte aufs Idealmaß, und dann sollen wir seitenlang dahinschwätzen, was er "uns damit sagen wollte". 
Wie "ich liebe Dich, weil..." Warum? Darum!
*Dieses Herbstes, ein Genitiv! Und jenes Herbstes wäre auch einer
ABER, habe ich jetzt gelernt: 
Zwar heißt es "im Sommer nächsten Jahres", "im Herbst vergangenen Jahres" und "zu Beginn letzten Jahres", doch im Unterschied zu "dieses" und "jenes" handelt es sich hierbei um Adjektive, denen ein Artikel vorangestellt werden kann. Man kann sich jedesmal ein "des" dazudenken: "im Herbst des vergangenen Jahres", "zu Beginn des letzten Jahres".
Spiegel online Zwiebelfisch ABC 
Ich liebe die deutsche Sprache! Warum? Darum! 
  
 Pablo Picasso Portrait eines Poeten 1902
Also das Mißverhältnis, wie ganz oben erwähnt, mit Ausnahmen. Da wirft mir mein Gegenüber einen Namen zu. Noch nie gehört. Kurt Drawert geboren 1956 im Brandenburgischen, vom elften Jahr an lebt er in Dresden. Berufsausbildung, Abitur an der Abendschule, Hilfsarbeiterjobs, Literaturstudium in Leipzig am Deutschen Literaturinstitut. Da wo auch Heinz Czechowski, Adolf Endler, Ralph Giordano, Kerstin Hensel, Sarah Kirsch, Rainer Kirsch, Erich Loest und Fred Wander studiert haben. 
Er schreibt Gedichte, Essays und auch Prosa. Er ist Herausgeber, Übersetzer und Rezipient vieler Preise
Aber ich hatte halt noch nie von ihm gehört. 
Aber jetzt und hier:
… zum deutschen Liedgut

Ich bin ganz von selber gegangen,
und fühlte mich doch wie vertrieben.
Ich bin sehr entschieden gegangen,
und wäre doch gern auch geblieben.

Ich wußte, ich müsse jetzt gehen,
kein Weg war ein Heimweg mir mehr.
Und doch blieb ich noch einmal stehen,
und Schnee lag schon hoch um mich her.

Was hatte ich hier noch zu suchen,
was hielt mich am lichtlosen Ort.
Die Liebe ging fort unter Buchen,
ich wollte ihr gültiges Wort.

Ich habe es nicht mehr gefunden
und habe auch nichts in der Hand.
Im Nebel ist alles verschwunden.
Wir hatten kein brauchbares Land.
 
Wo es war Gedichte Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996
 
Egon Schiele Poet (Selbstportrait) 1911
Mit Heine

Das Land, von dem die Rede geht,
es war einst nur in Mauern groß,
dies Land, von Lüge zugeweht,
ich glaubte schon, ich wär es los.

Ich glaubte schon, es wär entschieden,
daß wer nur geht, auch gut vergißt.
Doch war nun auch ein Ort gemieden,
der tief ins Fleisch gedrungen ist.

Als fremder Brief mit sieben Siegeln
ist mir im Herzen fern das Land.
Doch hinter allen starken Riegeln
ist mir sein Name eingebrannt.


Geld & Gedichte

1.) Darf sich das Geld dem Gedicht
zum Geschenk anbieten, andererseits,
darf das Gedicht Geld als Geschenk
überhaupt nehmen? 2.) Geld stinkt nicht,
richtig, aber, nicht mit allem, was nicht
stinkt, geht Fräulein Müller ins Bett.
3.) und andererseits wütet unter der Haut
der Gedichte ein barbarischer Früh-
kapitalismus. Die schwächeren Worte,
etwas verwachsen im Rhythmus,
verschwinden von der Schreiboberfläche
wie die Arbeiterschaft in ihre eigene
Masse verschwindet, wenn sich das Tor
zur Fabrik und die klirrende Nacht
über Manchester schließen. 4.)
und eigentliches Problem: der Mehrwert,
hier wie da, unermeßlich. Die Reichen
werden immer reicher, und die,
die sich die Sprache auf die Geschlechts-
teile legen und für eine einzige Perle
ganze Berge von Muscheln zerschlagen,
transzendieren mit nur wenigen Sätzen
zur unendlichen Geschichte des Glücks.
Andere schwitzen, sitzen unter Tage
und schreiben und schreiben für fast
nichts. Das Gedicht aber, indem es s. o.
gnadenlos kurz ist und rausschmeißt,
was über die Ränder der Brauch-
barkeit fällt, nein, mit Gerechtigkeit
und Sozialbaracke hat das gar nichts
am Stecken, wiederum andererseits
ist es die Verwandlung des Häßlichen
in einen besonderen Fall. Ich würde raten
darum 5.) darf das Gedicht auch
die Schamlosigkeit seiner Umwelt
kopieren und Geld, wenn es schon da ist,
um verbrannt zu werden, nehmen, wiederum
andererseits 6.) aber nur als Geschenk.

Frühjahrskollektion. Gedichte. Suhrkamp 2002 
Carl Spitzweg Der arme Poet 1839
 
Der Kanon Die deutsche Literatur. Gedichte. 7 Bände und 1 Begleitband herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki
Noch ein interessantes Link für Gedichte:

Franquin - Weil ich momentan ein bisschen garstig bin.




Das Gesetz ist eindeutig:
Jeder Person, die vorsätzlich eine andere tötet, wird der
Kopf abgeschlagen. Der Henker walte seines Amtes!




© 

Sonntag, 21. Oktober 2012

Theater hat auch eine Moral - Geschichten aus dem deutschen Theaterwald


Geschichten aus dem Wienerwald oder Der Mensch ist schlecht

Ich war heute im Theater. Im Berliner Ensemble. O weh. Moralinsauer, ein altmodisches Wort, so alt-backen, wie das was ich heute gesehen habe.

Die Vorgeschichte: 1979, ich hatte heftige Zahnschmerzen, ein Weisheitszahn meckerte mächtig, aber ich saß im Kino. Maximilian Schell hatte "Geschichten aus dem Wienerwald" von Ödön von Horváth inszeniert. Nachts um 12 war ich dann beim Notzahnarzt, der böse Zahn wurde gezogen. Den Film hatte ich vorher noch zu Ende sehen müssen. Früher zu gehen, stand außer Frage. Zu fesselnd war das Geschehen auf der Leinwand.
Birgit Doll und Helmut Qualtinger bleiben, unter anderem, als Bilder menschlicher Verzerrung im Gedächtnis.
Eine unfaßbare Geschichte der Zerstörung von Unschuld und jeder der Mitwirkenden war verzweifelt im Recht. Die Verletzungen, die einander angetan wurden, waren ungeheuerlich, die Selbstgewissheit des eigenen "Nichtanderskönnens" ebenso. Not macht unmenschlich. Not ist unmenschlich. Moral ist der Luxus der "Anderskönnenden". Für mich, einen Zögling der DDR mitsamt des dazugehörigen selbstgerechten Moralurteils, war dies eine nahezu unerträgliche Provokation.
Heute, 2012, im BE, die Verurteilung war vorgefertigt, die Not maniriert, soziale Unterschiede nicht von Interesse. Wir sind alle "cool". Wie ich dieses Wort hasse!
Der Abend beginnt - die Bühne, eine metallene Hügellandschaft. Wird hier "Wolokolamsker Chaussee" gezeigt? Nein, nach 5 Minuten weiß ich, es ist die Donau, eine bleierne Welle. Und bleiern auch, was die Figuren verhandeln.
Mitleid ist herablassend, Mitgefühl ist vonnöten. Aber der emotionale Aufwand wäre zu groß. Also einigt man sich hier auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, Hochmut.
Jeder zelebriert die eigenen Beschränktheit. Soziale Komponenten werden vernachlässigt zu Gunsten einer vagen "Wir sollten doch netter zueinander sein" Vision. Schultheater und Oktoberclub winken aus der Ferne. Angela Winkler ist hinreißend, Gudrun Ritter ebenso, aber jeder Spieler unter dreissig steht nackt und hilflos auf der metallenen Welle. Der Regisseur hilft nicht. Hilfe ist das, wofür er bezahlt wird. Er sollte sich schämen.