Dienstag, 2. Oktober 2012

Reparaturen - ICH


Ich werde, ganz langsam, zu einem Ersatzteillager.

Zwar noch keine künstliche Hüfte, kein Botox, meine Gesichtshaut muß noch selbst den nichtgewinnbaren Kampf mit der Gravitation führen, aber mein Mund, ein doch recht intimes Organ, ist gefüllt mit künstlichen Teilen. Lange Vorgeschichte kurz zusammengefasst - Mutter hatte Kalziummangel und durfte nicht stillen, also fallen meine wunderbaren Zähne, gesund und lochlos, gelegentlich einfach aus. Ach ja, rauchen tue ich auch, gar nicht gut!

Und da liege ich nun, mit einem grünen Papiertuch überm Oberkörper zuzüglich Augenloch, auf dem gefürchteten Zahnarztstuhl und bibbere, denn vor circa zweihundert Jahren hatte mir ein blöder DDR-Zahnarzt im zarten Alter von sechs ohne Vorankündigung einen Milchzahn gezogen - und seitdem bin ich ein Zahnarzt-Hysteriker. Ein Dentalphobiker! Klingt interessant, bedeutet aber nur, dass ich vor Zahnarztbesuchen hyperventiliere und zu viel rede, um nicht in Weinkrämpfe auszubrechen.

Der jetzige Zahnarzt, ein toller Typ, ohne Sentimentalität, aber mit jeder Menge Kompetenz, bohrt ein Loch in meinen Kiefer und dank einiger Spritzen spüre ich nix, aber die Geräusche der Maschinen und das angestrengte Gesicht des Zahnarztes führen zu einem unpassenden Lachanfall. Ich kann das Bild der Autoreparatur, die in meinem Mund stattfindet, einfach nicht unterdrücken! Ich, ein Oldtimer, liebevoll repariert und weiter einsetzbar. Ein Horch, ein Rolls Royce? Jedefalls nahe dem Verfallsdatum, aber doch noch strassentauglich.
Da wühlt jemand in meinem Körper, ohne jede sexuelle Konnotation, und ich spüre es nicht wirklich, aber es verändert mich. Es macht mich wieder vollständig. Zahnlücken gelten in unserer Gesellschaft als Zeichen der Asozialität, vielleicht mit Ausnahme von Jürgen Vogel, und ich kann am Ende dieser Prozedur wieder beidseitig kauen, klingt banal, ist aber erstrebenswert, glaubt es mir. 
Mein Unterbewußtsein hat mich, nach der ersten dieser Operationen, drei Monate, bis die Ersatzzähne drinnen waren, in ein scheues, mit der Hand vor dem Mund kicherndes Wesen, verwandelt - und das mir, der breit grinsenden Lachmaus.




Ein Ohr, es wächst aus dem Rücken einer Maus. Eklig. Ok. Aber was wäre, wenn es die Niere wäre, die ich/du brauchst, oder das Bein? Nähmen wir die Stammzellendiskussion so persönlich, gäbe es sie vielleicht gar nicht. Ich oder die Maus. Es mag brual klingen, aber die Maus verliert. Und das sage ich, die ich Mäuse schätze.

2 Kommentare:

  1. Hab mal von nachwachsenden Zähnen gelesen, die japanische Wissenschaftler aus "Zellknospen" züchten. Auch bei Mäusen. Denen lassen sie dann Zähne aus dem Rücken wachsen, oder sonstwo, vielleicht sogar dort, wo sie hingehören.
    Aber richtig beeinduckend sind die Viecher, denen Körperteile von selbst nachwachsen, die ihnen abhanden gekommen sind.

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  2. Ich würde jetzt gerne "Drei blinde Ratten" singen. Das gehört zum musikalischen Versuchsprogramm, mit dem man bestimmte Ratten berieselt, um sie gefügiger und freundlicher zu stimmen. Mehrere von ihnen beginnen denn auch tatsächlich, sich gegenseitig zu beschnüffeln, eine vollführt sogar ein leicht-phantastisches Tänzchen mit dem Schwanz, genau im Takt. Im Nachbarkäfig haben wir tatsächlich drei blinde Ratten. Eigentlich haben wir hier dreiundzwanzig blinde Ratten, sie gehören zu einem großartigen Experiment, das von einem sehr ehrgeizigen Studenten begonnen wurde, den ich im Mitteilungsblatt dieses Monats vorstellen werde. Er ist ein sensibler Junge, und eben diese hochgradige Sensibilität war es, die ihn hat ersinnen lassen, was jetzt hier im Labor der letzte Schrei ist: die sagenhafte Entfernung der Eier aus dem Körper einer weiblichen Ratte und ihre Verpflanzung auf verschiedene Körperteile einer männlichen Ratte - auf den Schwanz, auf das Ohr, auf den Bauch. Und die letzten dreiundzwanzig Tage hat er sie ihnen auf die Augen verpflanzt! Es ist also an der Zeit, daß wir diesem hoffnungsvollen jungen Wissenschaftler ein Lied singen. (William Kotzwinkle, Doctor Rat)

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