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Montag, 30. September 2024

Wochenende mit Kunst

Freitagabend Wiederaufnahmeprobe für "Das große Heft" von Agota Kristof in Stendal, meine Truppe ist wirklich stark, trotz oder wegen der Katastrophe bei unserer Premiere. Aber ernste Stücke haben es in nicht so großen Städten gerade sehr schwer, ihr Publkum zu finden. Viele kommen gar nicht erst, die anderen wollen lieber erleichternden Spaß, die Zeiten sind ihnen schon ernst genug. Was heißt das für uns? 

Samstagfrüh die Trauerfeier für Alexander Lang im Deutschen Theater, ein guter Vormittag. 

Er machte viele seiner Arbeiten in Zeiten, wo seine Zuschauer nach Ernsthaftigkeit, Widersprüchlichkeit, Wahrheitssuche lechzten. Diktaturen sind zumindest gut für Kunst. Stimmt das? Es gibt einen Feind und man darf ihn nicht beim Namen nennen, also muss man kunstvoll sagen, was man nicht sagen darf. 

Samstag tagsüber versuche ich aus Satres "Der Aufschub" eine Lesefassung zu destillieren. Das braucht viel Zeit. 

23. – 30. September 1938, die acht Tage vor dem Münchner Abkommen, das den Krieg verhindern sollte und ihn doch nur aufschob. Man hoffte noch. Ein schwieriger Text, Herr Satre ist sehr bemüht, es einem schwer zu machen herauszufinden, wo eine Geschichte aufhört und die nächste beginnt, allerdings entsteht dadurch auch ein akutes Gefühl von Gleichzeitigkeit. Eine Fleißarbeit. Am Sonntag verbringe ich damit auch vier Stunden. Es werden noch viele mehr werden.

Am Samstagabend sehe ich: Ein Volksbürger - Eine politische Farce im Haus der Bundespressekonferenz mit Fabian Hinrichs als Ministerpräsident. Eine wirklich clevere Grundidee, aber es bleibt leider wenig übrig außer der Cleverness. Hinrichs erster Theaterabend nach René Polleschs Tod. Ich vermisse ihn sehr, aber wie sehr wird er ihn vermissen?

Heute, am Sonntagabend, Nick Cave in der Uber-Arena. Mein erstes Mal in einer solchem gigantischen Arena. Ich hasse große Konzerte, ich habe Platzangst, es sind zu viele Menschen und dann die Erinnerung an ein Bob Dylan Konzert  in Treptow kurz nach dem Mauerfall. Ich bin während der Show der Vortruppe gegangen aus den oben genannten Gründen und dann habe ich Dylan-Platten zuhause gehört. Meine ultimate Blamage.

Heute war es gut.

Heute habe ich einem Künstler, der eine Gruppe von Mitgestaltern gefunden hat, Nick Cave AND The Bad Seeds, dabei zuschauen dürfen, wie er sein Leben in Kunst umformt. Der Mann ist nur ein Jahr älter als ich, 67, was für eine Kraft, was für Mitteilungswilen. Ein Gottesdienst ohne Gott.


 Nicht ganz aktuell © Frans Schellekens/Redferns/Getty



Sonntag, 29. September 2024

Alexander Lang ist gestorben

Als ich Alexander Lang 1978 kennenlernte hatte er noch rote Haare und hieß nicht nur so, er war wirklich sehr lang. Mit vorgebeugten Schultern, den Blick nach unten oder innen gerichtet, eine Zigarette im Anschlag schob er sich jeden Morgen mit weiten Schritten die Reinhardtstraße entlang in Richtung DT.

"Philoktet" und "Die Insel" habe ich mindestens zehnmal gesehen. 100 Pfennig oder eine DDR-Mark für die Eintrittskarte, wenn Du am Theater engagiert warst. 

Nach dem ersten Erleben von Grashof & Lang in der "Insel" konnte ich den Rest des Abends nicht sprechen, so sehr ist mir ihr Dialog in die Magengrube gehauen, die Musik, elektronischer Bach, die Intensität, die Zärtlichkeit zwischen den beiden gegen die Härte des Textes. Archaischer, körperlicher Widerstand getragen von der Nähe der beiden Spieler. 

In einem Land ohne öffentlich sichtbarem Widerstand, erfuhr ich etwas über die Kraft des NEIN, mit all den erwartbaren schrecklichen Folgen, die solch ein Nein haben würde. Auch "Philoktets" Thema war das NEIN. In diesem Staat, der DDR, war NEIN ein gefährliches Wort, Zustimmung wurde erwünscht, gefordert, erpresst. 

Das NEIN war sein Grundthema.

Er war mein Mentor. Ich, 20, verklemmt, verkopft und verkantet sprach ihm einen Antigone-Monolog vor und er reagierte mit der Frage: "Aber du weißt schon, dass sie sterben wird?" Wir rauchten gemeinsam eine Zigarette und er hat mich danach mit einem Stock durch die Probebühne gejagt, um mich aus meinem Kopf zu befreien. (Es war wildes Spiel, ohne echte Gewaltandrohung!) Er hat mich auch gefragt, ob ich mir, mit meinem Nachnamen, sicher bin, dass ich Schauspielerin werden will. Ich habe, ohne Kenntnis aller künftigen Kränkungen, aus voller Seele "JA" gesagt. Zu dem "JA" stehe ich heute noch.

"Miss Sara Sampson", "Ein Sommernachtstraum", "Danton's Tod", "Stella", "Karate Billi kehrt zurück" und "Die Dreigroschenoper" - viele, viele Proben, viele Krisen, viele Tränen, viel Gelächter, viel gelernt. 

"Miss Sara Sampson" - Arabella, ein Kind, ich wurde in den Proben wegen meines lauten Hustens Bello genannt. Fred Düren, unvergleichlich, wunderbar, außerhalb der Proben schien es seine Hauptaufgabe zu sein, mich zum Lachen zu bringen. Es ist ihm immer gelungen, was Alex nicht mochte. Die Lachszene von Paryla und Ritter, Lachen geht extrem auf die Stimme, ein Ereignis. Zur Premiere drehte Chris ab, ins Universum. 

"Stella", immer weinte einer. Gudrun Ritter meine persönliche Theatermama, keine konnte zarter wüten und besser rülpsen als sie. Margit Bendokat als Stella in der ersten Szene - "Er ist wieder da", Alex hatte uns nicht verraten, dass wir das Satyrspiel zur "Medea" sein würden. In der Premiere schockierte uns das Gelächter des Publikums, denn in den Proben gab es keine Zuschauer und so auch kein Gelächter.

"Ein Sommernachtstraum" - Hippolyta, ich musste lernen in Stöckelschuhen zu laufen, ein Vierteljahr Qual, aber dann konnte ich es, auch auf Schrägen. Die Aufführung wurde zur Generalprobe von der "Feuerwehr" verboten, wegen "Brandgefahr", denn unser wunderbarer Bühnenbildner Hans Brosch war im Westen geblieben. Dann ein neues Bühnenbild, Gero Troike erfand es, in der zweiten Generalprobe baute die Bühnentechnik, was wir, die Spieler vorher nicht wussten, das Bühnenbild ab, während wir noch spielten. Puck sprach:

Wenn wir Schatten nicht gefielen,
O! so denkt bey unsern Spielen,
Daß ein Schlummer euch befiel,
Daß ihr träumtet unser Spiel.
Eitel Blendwerk, leerer Schaum
War der Inhalt, wie ein Traum.
Und verzeiht ihr, was versehn:
So solls künftig besser gehn.
Ja! So wahr ich ehrlich bin!
Wenn wir bitterm Spott entfliehn,
Und der tadelnden Gewalt,
Wollen wir uns bessern bald.
Puck will sonst ein Lügner seyn.
Gute Nacht nun insgeheim!
Klatscht mir Beyfall! Ihr sollt sehn,
Künftig wirds schon besser gehen.

"Dantons Tod" - mein vibrierendes Grunderlebnis - Dialektik als sinnlich politisches Ereignis, im Osten war Robbespierre üblicherweise der Gute, im Westen war es Danton, und nun? Ein grandioser Schauspieler, Grashof kämpfte mit den so lieblich genannten zwei Seelen in seiner Brust, ganz akut, mit diametral entgegengesetzten Schlußfolgerungen und den daraus folgenden Aktionen. Roman Kaminski, Camille, wunderschön und wunderbar, auch am Klavier - das Kölner Konzert von Keith Jarrett - und Saint Justs mörderische Wut. Vor der Vorstellung hat er mich aber oft mit 'Anneliese' geärgert. 

Zehn Jahre haben wir das Stück gespielt und geliebt. Die letzte Vorstellung, der nicht enden wollende Applaus und alle heulten. 

Ich war Lucille, sie taucht zu Beginn zweimal auf und dann erst wieder am Ende. Zwischendurch saß ich mehr als eine Stunde in der Garderobe und hörte zu. Noch immer kann ich die meisten Texte auswendig. Wenn mein Finale begann, hörte ich jeden Abend wie die bereits "guillotinierten" Kollegen ihre Sehnsucht nach einem kühlen Bier äußerten. Roman Kaminski, mein Camille, hatte über viele Jahre einen Ausreiseantrag laufen, auf Gastspielen hielt man seine Familie als Geiseln, Er bekam die Ausreiseerlaubnis erst am 4. November 1989. 

Dann ging Alex in den Westen, wo er als Thüringer und die Reibung brauchender Ostler, meiner Meinung nach, nie wirklich heimisch wurde, auch wenn er erfolgreich war und ich die trommelnden "Räuber" am Schillertheater sehr mochte.

Dann Alex Rückkehr ans Deutsche Theater 1991 mit dem Stück eines Wessis über den Osten, "Karate Billy kehrt zurück". Alex war verändert, mißtrauischer. Wenn wir lachten, war er nicht sicher, ob über ihn oder mit ihm. Rauchend und Kamillentee trinkend, machte er nie Pause, ich erfand schließlich Blasenentzündungen, um uns Rauchpausen zu erschleichen.

So klug, so belesen, so leidenschaftlich, ein Clown, ein Schauspielzauberer und ein manchmal Mistkerl. 

"Die Dreigroschenoper" - Frage in einer Zuschauerdiskussion: Haben sie absichtlich nur Schauspieler besetzt, die nicht singen können? Uff. 120 ausverkaufte Vorstellungen und er hat mich wirklich gequält, mehr als nötig. Die Premiere am Bodensee, Gudrun Ritter, unsere Mrs. Peachum hatte eine allergische Reaktion auf eine Ischiasspritze und wir, halbgeschminkt und halbverkleidet, haben das Stück erzählt und die Lieder gesungen, so entspannt war wir nie wieder.

Nebenbemerkung. Ich bin keine gute Sängerin, aber sobald ich das besagte Lied erwähnte, das ich einmal "in einer kleine Kneipe in Soho" gehört hatte, war der Saal bereit und willig.

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1182640.nachruf-alexander-lang-gestorben-zwischen-distanz-und-aberwitz.html

Er war Thüringer mit einem sehr speziellen Humor, aber wenn nicht thüringisch, gelegentlich auch gänzlich humorlos. 

In "Solo Sunny" gibt es eine Szene, in der Sunny von sich erzählt und ihr Philosoph sie anschaut, sie sagt: "Du siehst mich an, wie durch ein Fenster".

Heute habe wir uns an ihn erinnert, im Deutschen Theater, seinem Spielplatz, nicht voll, aber auch nicht leer, wir leben in einer geschichtsvergessenen Zeit, oder? Es war ein guter Vornittag, Simone von Zglinicki brachte es, bezogen auf das Theater, auf den Punkt: "Ich wusste nicht, dass ich glücklich war, damals".

Ein normaler, sehr trauriger Vorgang, wir treffen uns zu Beerdigungen und um der Gestorbenen zu gedenken - Wer wird noch kommen? Wer ist inzwischen gesorben? Der Dorotheenstädtische Friedhof ist übersät mit Menschen, die ich bewundert habe, mit denen ich gespielt habe, die ich lieb hatte.

"Dantons Tod": Es ist doch was wie Ernst darin. Ich will einmal nachdenken. Ich fange an, so was zu begreifen. Sterben – Sterben –! – Es darf ja alles leben, alles, die kleine Mücke da, der Vogel. Warum denn er nicht? Der Strom des Lebens müßte stocken, wenn nur der eine Tropfen verschüttet würde. Die Erde müßte eine Wunde bekommen von dem Streich. Es regt sich alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen, die Leute laufen, das Wasser rinnt, und so alles weiter bis da, dahin – nein, es darf nicht geschehen, nein, ich will mich auf den Boden setzen und schreien, dass erschrocken alles stehn bleibt, alles stockt, sich nichts mehr regt. (Sie setzt sich nieder, verhüllt sich die Augen und stößt einen Schrei aus. Nach einer Pause erhebt sie sich:) Das hilft nichts, da ist noch alles wie sonst; die Häuser, die Gasse, der Wind geht, die Wolken ziehen. Wir müssen's wohl leiden.

NEIN!

Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung schreibt in seinem Nachruf:

Seinen schwärzlichen, aber doch herzlichen Humor hat er nie verloren. Auf die Frage, ob er verbittert sei, da in seiner Pankower Bude: „Was? Um Gottes willen! Nein, ich bin äußerst dankbar. Ich hatte eine tolle Zeit. Ich konnte noch richtig leben, mich auseinandersetzen, kämpfen. Ich musste mich nicht nur mit mir selbst beschäftigen, sondern mit den Umständen. Da wuchs man dran, das war toll und spannend und schlichtweg erfüllend.“Wenn man so etwas hört, bleibt man nun nachdenklich in der Gegenwart zurück, fühlt sich alleingelassen mit den irren Kriegen, dem Gesundheitswahn, der politischen Korrektheit, den ganzen selbstgebastelten Scherereien, die einen vom Eigentlichen abhalten. Und mit dem ganzen Theater. Er fehlt schon jetzt, aber sein Gemecker, das immer wieder ins Lachen und das wiederum ins Husten kippte, bleibt im Ohr.

 


Sonntag, 30. Juni 2024

Münster & Leopoldstadt

Münster, Universitätsstadt, hübsch anzusehen, angenehm geschäftig, munter, gutbürgerlich. Die Cafes sind gut gefüllt, die Läden gut besucht, das sehr lebendige Theater übrigens auch.

Ich wohne hier hinterm Bahnhof, wo sich Elende aus aller Herren Länder, im Rollstuhl, ohne Schuhe, ohne Hoffnung, fast ohne Scham, out of their heads, mit denen, die an ihnen verdienen, in einem schick sanierten Park treffen. Tagsüber geht es zu, wie auf einem kleinen runtergekommenen Marktplatz. Nachts wird viel gebrüllt. Viel geweint.

Es gibt auch eine Kneipe für ernsthafte Trinker. Neulich habe ich einen Rollstuhlfahrer sturzbetrunken und sabbernd zu seiner Busstation gefahren. Der Bus bringt ihn ins Altenheim. 

Vor demselben Bahnhof eine pro-palästinensische Demonstration, die die Gewalt in Gaza benennt und alle andere Gewalt ausblendet. Jüdische weiße brutale Kolonisatoren gegen leidende nicht-weiße Opfer. Die kleine Menge ruft: "Es lebe die internationale Solidarität!" Den Spruch habe ich noch aus der DDR im Ohr. Es wurden auch Gebete aus dem Koran verlesen und man sprach sich mit "Genosse" an.

Derweil probieren wir unser Stück über eine Wiener jüdische Familie zwischen 1899 und 1955. 

1899 sagt eine Figur: "Bei den Wassern von Babylon saßen und  weinten wir, aber das ist vorbei, und alles danach, Vertreibungen, Massaker, Scheiterhaufen, Blutfehden, vorbei wie das Mittelalter – Pogrome, Ghettos, gelbe Flicken ... alles zusammengerollt und weggeschmissen wie ein alter Teppich, weil Europa es überwunden hat. Vorurteile sterben etwas schwerer."  Tom Stoppard "Leopoldstadt"

Mir tut das Herz weh.

Apropos: 

Wiki schreibt: Schon im 12. Jahrhundert war in Münster eine Jüdische Gemeinde mit eigenem Bethaus ansässig, die jedoch 1350 durch Pogrome vernichtet wurde. Ab 1536 siedelten sich erneut Juden an, die unter der Protektion des Bischofs standen, aber nach dessen Tod 1553 nicht der Ausweisung entgehen konnten. Bis zum 19. Jahrhundert existierte in Münster keine jüdische Gemeinde. ... Erst 1810 begann die Wiederansiedlung jüdischer Bürger, die während des 19. Jahrhunderts um ihre gesetzliche Emanzipation in Preußen kämpften. 

1553 bis 1810 war Münster bis auf Gastauftritte von nützlichen Hofjuden judenfrei. 


Die ehemalige Synagoge von Münster wurde in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 von SA-Männer angezündet und die jüdische Gemeinde wurde von der Stadt aufgefordert, die Ruine auf eigene Kosten zu beseitigen. Von der Gemeinde, die 1938 430 Mitglieder zählte, blieben nur 20 am Leben. (Quelle: Wiki)

Here comes the sun, Here comes the sun, and I say
It′s alright

Little darlin', it′s been a long, cold, lonely winter
Little darlin', it feels like years since it's been here

Here comes the sun, Here comes the sun, and I say
It′s alright

Little darlin′, the smile's returning to their faces
Little darlin′, it seems like years since it's been here

Here comes the sun
Here comes the sun, and I say
It′s alright

 

 

Dienstag, 23. April 2024

Ich bin Jüdin, tja, was heißt das.

Wenn man, wie ich, in eine atheistische, kommunistische, ostdeutsche Familie geboren wurde, ist die Definition der eigenen Zugehörigkeit zum jüdischen Volk, ein kompliziertes Ding.

Nach jüdischem Recht bin ich Jüdin, weil meine Mutter und Großmutter Jüdinnen waren. Das machte Sinn, in alten Zeiten, denn bevor es DNA-Überprüfung gab, war die Mutter mit großer Sicherheit, der Vater nur bei Unschuldsvermutung festzustellen. 

Meine erste Liebe, Kurt Goldstein, hat mir einen selbstgemachten silbernen Davidstern-Anhänger geschenkt. Den habe ich getragen und in der "judenlosen" DDR viele dumme Fragen beantworten müssen, aber der Stern erlaubte mir auch, mich als anders zu fühlen. Ein gutes Gefühl in der DDR. Ich habe den Anhänger noch immer.

Da ich an keinen Gott glaube, helfen mir religiöse Zuordnungen nicht. 

Wie und warum bin ich, Johanna, dann jüdisch?

Jüdisch bin ich "no matter what", auch ohne Synagoge und Befolgung der Koscher-Regeln. Warum? Weil es bei uns Juden diese eigenartige Vermischung oder Gleichsetzung von Ethnie und Religion gibt. Ich gehöre zum "auserwählten Volk", selbst wenn ich nicht an seinen Gott glaube. Ich könnte einen israelischen Pass beantragen und ihn höchstwahrscheinlich auch bekommen. Wäre aber jetzt wahrscheinlich nicht meine erste Wahl. Netanjahu und seine Leute, Siedler, Ultra-Orthodoxe etc. machen, dass es so ist.

Und dann kommt das, was Shakespeare so unvergleichlich mit "there lies the rub" beschreibt, zu Deutsch "da liegt der Hund begraben" oder "das ist des Pudels Kern", egal ob ich mich jüdisch empfinde, wenn es hart auf hart kommt, werden andere, nicht-jüdische Menschen, mich dazu bringen Jüdin zu sein. Ich bin jüdisch by default. Egal wie ich mich selbst definiere, wenn „man“ Juden noch einmal vernichten wollen würde, wäre auch ich dran.

Und darum kann ich, bei aller Wut auf Israels Vorgehen im Gaza-Krieg, nicht einfach „From the river to the sea“ schreien. Ganz abgesehen davon, dass einige der Schreienden nicht wirklich zu wissen scheinen, was für ein Fluss und welches Meer gemeint sind. 

2000 Jahre sind Leute wie ich durch die Welt gelaufen, haben ihre religiösen Regeln eingehalten und sich so gut angepasst wie möglich. Aber immer wenn es ungemütlich wurde, waren wir dran, wurden aus Städten verwiesen, durch Pogrome dezimiert, verbrannt, gehängt, für jedwedes Unglück, sei es Pest oder Überschwemmung, verantwortlich gemacht. Christliches Kinderblut im Mazze, wie unkoscher, aber als Vorwurf doch immer wieder gern verwendet.

What the fuck is Antisemitismus? Uiguren werden gemordet, kein Aufschrei, Assad killt Hunderttausende, lautes Schweigen, Tutsis, der Sudan, etc. Aber?

Um es klarzustellen, wir, die Juden, sind keinen Deut besser als ihr. Es ist eine wirklich kranke Idee, dass der Holocaust uns zu besseren Menschen gemacht hat. Man muss nicht nur die unvorstellbarste Gewalt überleben, sondern dadurch auch noch besonders empathisch und rücksichtsvoll werden?

Der 7. Oktober war ein Schrecken und eine alle Sinne betreffende Erinnerung an unzählige antisemitische Attacken zuvor. Und er passierte, als Israel die schlechtest mögliche aller Regierungen hatte, zugegebenermaßen selbstgewählt, aber eben und Gott sei Dank, auch heftigst protestiert. 

Netanjahu will nicht abdanken, weil er dann in den Knast muss, seine Rechtsaußen Koalitionspartner machen Druck und die Geiseln, 130, oder seien auch nur noch 100, weil die anderen ermordet wurden, sind immer noch nicht frei und die Hamas orchestriert einen Krieg, der Krankenhäuser und Kinder und Frauen bevorzugt. 

"Israel existiert und wird weiter existieren, bis der Islam es ausgelöscht hat, so wie er schon andere Länder vorher ausgelöscht hat." Präambel der Charta der Hamas.

"Friedensinitiativen und so genannte Friedensideen oder internationale Konferenzen widersprechen dem Grundsatz der Islamischen Widerstandsbewegung. Die Konferenzen sind nichts anderes als ein Mittel, um Ungläubige als Schlichter in den islamischen Ländern zu bestimmen ... Für das Palästina-Problem gibt es keine andere Lösung als den Jihad. Friedensinitiativen sind reine Zeitverschwendung, eine sinnlose Bemühung." Artikel 13

Aber da gibt es eben auch die israelischen Siedler mit ebenfalls äußerst unangenehmen ideologischen An- und Absichten.

Alle Beteiligten bersten vor Hass.

Wohin führt das?

Die Siedler wollen siedeln und Groß-Israel ist ihr Ziel.

Hamas, Hisbolla, Hutis, Iran und andere wollen Israel auslöschen.

Kein Israel mehr? Wohin sollen die 10 Millionen Juden dann gehen? Zwei Milliarden Muslime und gerade mal 10 Millionen Israelische Juden stehen einander in einem über Generationen gehegtem und gepflegtem Hass gegenüber. 

Die Nakba führte zur Vertreibung unzähliger Palästinenser aus ihrer Heimat, aber auch viele Juden, die seit Jahrhunderten in arabischen Ländern lebten, mussten gehen, weil das funktionierende, friedliche Zusammenleben von Muslimen und Juden plötzlich nicht mehr möglich war. 

Gibt es eine friedliche Lösung? Ich befürchte nicht. 

2000 Jahre haben wir " Next year in Jerusalem" gemurmelt und gelten jetzt nach den Regeln des Postkolonialismus als weiße Kolonialherren. 

Jetzt, da Palästina unter britischem Mandat steht und Herr Balfour den Juden ein Heimatland versprochen hat ... na ja, nicht gerade versprochen, er sagte, die Regierung seiner Majestät würde das wohlwollend prüfen, sofern die Palästinenser – bezogen auf das Land ohne Volk für das Volk ohne Land – sofern also die örtlichen Einwohner nichts dagegen hätten – Tom Stoppard Leopoldstadt

Dieses Schwanken zwischen ich und wir, ich bin Jude, aber kein Israeli, ich verachte die jetzige Regierung Israels und lehne das Verhalten der ultra-orthodoxen Siedler in der Westbank heftigst ab, aber, meine Wahrheit liegt unglücklicherweise zwischendrin.

 


Dienstag, 27. Februar 2024

René Pollesch ist tot.

René Pollesch ist tot. Das ist furchtbar traurig. Und ungerecht. Und gäbe es einen Gott, dann sollte er sich schämen.

In dieser Zeit, in der man sich seiner eigenen Meinung nicht mehr sicher sein kann, von den täglichen Nachrichten zu Tod, Gewalt, Dummheit und abgrundtiefer Verlogenheit geschüttelt wird, wie ein Halm im Wind, stirbt, plötzlich und viel zu früh einer von den Guten, einer der versucht hat, diese irrsinnige Welt zu verstehen und sich darüber mit uns auf einer Bühne zu verständigen.

Wir kannten uns nur flüchtig, durch vier oder fünf längere Gespräche, in denen er für mich völlig überraschend, ganz ungewöhnlich zutraulich, offen und herzlich war. Nett ist ein blödes Wort, aber liebenswürdig trifft es.

Ein Abend im Friedrichstadtpalast, er und sein Mitkämpfender Fabian Hinrichs  erzählen die Geschichte einer Kindheit, einer harten Kindheit, Hinrichs im güldenen Ganzkörperanzug agiert meist allein vor und mit 2000 Zuschauern. Meine Freundin hat am Ende glücklich geweint.

Er war Kettenraucher, wie ich. Liebgard Schwarz, die Rauch nicht mochte, hat ihn nach zwei rauchfreien Probentagen gebeten, wieder zu rauchen.

Vor zwei Tagen haben wir noch via Messenger gequatscht, ich habe ihm im Tausch für Theaterkarten Kaffee versprochen und er hat geantwortet: "hihihi es dauert ja noch ein Monat bist du kommst".

Ich bin traurig und zornig. Das macht doch überhaupt keinen Sinn, wie so Vieles in letzter Zeit.

Irgendwo hinter all dem lauert der "gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang".


 

Sonntag, 25. Februar 2024

Die Welt dreht durch und wir machen Komödie

Wir, acht, ganz unterschiedlich wundervolle Schauspieler, eine perfekte Regieassistentin und ich probieren gerade eine Komödie. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Welt um uns herum dreht durch und unsere Figuren tuen es auch. Aber wir wollen mit unserer Arbeit anderen für einen Abend gute Laune machen.

Michael und Ray Cooney, Vater und Sohn, schreiben Komödien. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Sie haben das Genre studiert, es "von der Pieke auf" erlernt. Timing, d.h. wie lang eine Pointe aufgebaut werden muss, wieviel Repetitionen nötig sind, welches Tempo es braucht, wo Pausen erlaubt sind, wo unbedingt nicht und die heilige Regel der Drei, weil bestimmte Dinge müssen genau dreimal wiederholt werden, um komisch zu werden. All das ist in eine Mischung aus Psychologiekenntnis und Musikempfinden und mathematischer Logik. Michael Frayn, auch so ein Komödienspezialist, hatte eine Stoppuhr auf seinem Schreibtisch, um das Timing, wie nennen wir das in Deutsch, die Terminierung, die Dauer, das Maß der Zeit, zu messen. Das Zeittiming.

Tür auf, Tür zu. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Schnelles Sprechen verlangt schnelles Denken und größte Aufmerksamkeit gegenüber den Mitspielern. Nur sehr große Ernsthaftigkeit erzeugt Komik, es geht den Figuren immer ums Ganze, ums Überleben.

Wenn wir lachen, mitlachen, nicht verhöhnen, wenn wir begreifen, mitfühlen und deshalb lachen, dann sind wir unserer Menschlichkeit am nächsten. Lachen ist dann Glück, Einverständnis und auch ein wunderbarer Luxus. 

In unserem Stück geht es nicht um die großen, schrecklichen Probleme unserer Welt, es erzählt nur von der Liebe und die unglaubliche Vitalität, den Erfindungsreichtum und der Kraft, die wir Menschen ihretwegen aufbringen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. 

Wir sollten mehr miteinander lachen. Anstatt übereinander zu urteilen. Hass ist Abgrenzung, Lachen verlangt Empathie, Verständnis. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Wenn Babies lachen, erklären sie ihr Einverständnis mit unserer Einfältigkeit und verführen uns, sie zu beschützen.

In der Bibel kommt das Lachen nur einmal vor, wenn die neunzigjährige Sarah erfährt, dass sie einen Sohn gebären wird. Nur einmal. Schade. Denn Lachen ist gefährlich, das worüber man lachen kann, kann man vielleicht auch verändern.

Juden und Palästinenser scheinen heute Erzfeinde zu sein. Semiten gegen Semiten. Und vielen, meist nicht semitischen, jungen Menschen geht das Wort vom jüdischen Kolonisatoren ganz locker über die Lippen. Sie begreifen vielleicht nicht, das "From the river to the sea", die Auslöschung einer der beiden Parteien einschließt. Netanjahu und seine Regierungskoalition sind nicht Israel, die Hamas ist nicht das palästinensische Volk. Beide werden, aus unterschiedlichsten Interessen,  weltweit auf ihre Opferrolle reduziert und ihre Regierenden mißbrauchen diese Einordnung für ihre Ziele. Die Hamas will die Juden weg haben und Netanjahus Regierung will unbedingt an der Macht bleiben.

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/debatte/barrie-kosky-juedischer-regisseur-interview-ueber-antisemtismus-in-deutschland-li.2190193?fbclid=IwAR0sZZ2h8nVfY2YvgMXKgsGHBPs7zD6g11sVARYPaMI9UmtvMwQ9MqfKC6s 

 

 

 

Dienstag, 26. Dezember 2023

Johanna kauft sich einen WASCHTROCKNER

LUXUSPROBLEM, Mitleid ist also nicht notwendig.

Ich, Johanna, 65 und eigentlich ziemlich entspannt, lasse meine Wohnung renovieren und will diesen Vorgang dafür nutzen, einige Änderungen vorzunehmen. Eine davon war, meine ererbte Waschmaschine (ca. 20 Jahre alt) und den dazugeordneten Trockner (gleichen Alters), gegen eine modernere Maschine, die beides in sich vereint, auszutauschen. Der Beginn eines abenteuerlichen Weges.

SATURN, mein erster Kontakt, bietet professionelle Beratung, aber die empfohlenen Geräte sind leider nicht vorrätig. Mein nächster Anlaufpunkt ist SAMSUNG und die Bestellung gelingt, 5 bis 8 Werktage bis zur Lieferung, das ist großartig, meine in die Jahre gekommene Waschmaschine wird verschenkt. 

SAMSUNG hält sich bezüglich der Lieferung bedeckt. Sie ist noch nicht auf Lager. Sie ist in Zustellung, was aber nicht heißt, dass sie in Zustellung ist. Vier Wochen vergehen. 

Ich trotte mit meiner schmutzigen Wäsche durch Berlin, besuche Freunde und Familie, um Wäsche zu waschen. Feuchte gewaschene Wäsche ist übrigens erheblich schwerer als ungewaschene.

Die Maschine erreicht, nach mehreren Anrufen HERMES, oder HES, deren Zustellservice für Maschinen. Service? Eine Woche Stillstand, dann ein Liefertermin, dann ...

Dann ... wird mir nach zweieinhalbstündiger Wartezeit mitgeteilt, dass ich angeblich die Annahme verweigert habe. Die Frau am Hilfetelefon bescheinigt mir scharf, dass ich lüge und ihre Fahrer zuverlässig und ehrlich sind. Ich schwitze und errege mich, was mir prompt zum Vorwurf gemacht wird. Samsung lehnt jede Verantwortung ab, die läge jetzt bei Hermes, dem Lieferservice, den sie angemietet haben. 

Hallo Johanna Schall, Dein Anliegen ist abgeschlossen. Auf deiner persönlichen Statusseite findest du den Bearbeitungsstand deiner Anfrage und kannst, wenn nötig, noch etwas hinzufügen.

Mein nächste Liefertermin liegt eine Woche später. Die Lieblingsnichte übernimmt. Einen ganzen Stock hoch muss das Ding getragen werden, uff. Der Anschluss ist angeblich nicht bezahlt, die Maschine wird eingepackt abgestellt.

Der Klempner, der den Waschtrockner nun anschließen soll, erkrankt und der beste Hausmeister aller Hausmeister, Herr Herrmann, übernimmt, entsorgt die Verpackung und schließt die Maschine an.

Alles in allem lagen zwischen dem Kauf am 9.11. und dem ersten Waschgang am 23.12. viel, viel mehr Arbeitstage als die angegebenen 5-8.. Beschwerde? Sicher. Aber was wird die bringen? Mehr Ausreden?

Ich wasche. Das Trocknen funktioniert nicht so toll, aber das kriege ich auch noch hin. Ich wasche!

 

Ich weiß, dass es einsehbare Gründe für Lieferverzögerungen gibt, und dass Lieferservices enorm viel zu tun haben. Aber warum diese Unfähigkeit zu kommunizieren? Warum die Unhöflichkeit? Warum die Verachtung gegenüber dem Kunden?

Servicewüste Deutschland? Oder ist es überall so? 

Außer bei dem weithin verhassten Amazon. Mit denen hatte ich noch nie Schwierigkeiten. Tut mir leid, aber die machen ihren Job gut, Retouren ohne Diskussion, fast immer pünktliche Lieferung. Zugegeben, die Orts- und Sprachkenntnisse der Boten sind ein Problem ich hatte öfter einen weinenden Menschen am Telefon, der meinen Hauseingang nicht fand, was aber auch wirklich nicht so leicht ist.



 

 


Mittwoch, 22. November 2023

Nicht schreiben können

Der 7. Oktober war ein Progrom. Wie immer und immer wieder, seit Jahrhunderten, entschied eine Gruppe Menschen, das Juden eben dies, Menschen, nicht sind, sondern nur unwichtige Kolateralschäden. Und sie hatten auch noch Spaß dabei. Hatten Spaß beim Vergewaltigen, Töten und Demütigen. Welche inhumane Ideologie wurde von verhärteten oder korrupten Führern in sie eingepflanzt?

Das kleine Volk (Wir sind weltweit nur 16 Millionen.) dem ich wohl oder übel angehöre, führt jetzt Krieg gegen dieses andere Volk, dass es seinerseits gerne auslöschen würde. "From the river to the sea" heißt nichts anderes, als die Zerstörung Israels. Auf beiden Seiten sind unerträgliche Opfer zu beklagen. Die politische Führung der Palästinenser will, wie die Charta der Hamas ganz klar formuliert, Israel vernichten. Die politische Führung Israels ist ein Haufen korrupter, rechtslastiger Narzisten. ABER. Aber in Israel wurde, bis zum 7. Oktober, heftig gegen die schlechte Regierung protestiert und niemand wurde verhaftet oder Schlimmeres. In Gaza oder im Iran, der die Hamas mitfinanziert, wurde nicht demonstriert, konnte nicht demonstriert werden, weil es weder erlaubt ist und heftig lebensgefährlich ist.

Ich liebe die Demokratie, in all ihrer verwundbaren Unzuverlässigkeit, weil man alle paar Jahre anders entscheiden kann, wenn man nicht zu faul oder zu dumm ist, sich zu informieren. 

Und wenn ich eines sicher weiß, dann ist es, das ich nicht in einem muslimisch regierten Staat leben möchte, und auch meine Lieblingsnichte soll das nicht erleben. Sie hat schönes Haar und lebendige Augen, die sie nie verstecken sollen muß.

Ich wünschte, wir, die Juden, hätten keine Palästinser vertrieben. Aber ich verstehe auch, warum wir, die Juden, dringend einen sicheren Ort brauchten. "Die Wahrheit liegt zwischendrin." Zwischen den arabischen Staaten, die keine palästinensischen Flüchtlinge aufnehmen wollen oder sie in einer Endlosschleife von Arbeitserlaubnislosigkeit hängen läßt und den jüdischen Siedlern, die von einem Groß-Israel träumen und sich dabei auf einen Text berufen, der durch nichts juristisch bewiesen ist, (Das Alte Testament).

Was ein nicht bewiesener Gott gesagt haben mag, interessiert mich übrigens dabei gar nicht. 

 


Die einen benutzen ihre idealisierte Vergangenheit (Das Alte Testament) als ideologische Waffe, weil sie wissen, das sie nirgendwo sicher sind, als in diesem ihnen heiligem, aber von anderen, eben diesen Palästinensern, lang bewohnten Land. Die anderen können ihre schmerzhafte Vergangenheit nicht vergessen und vergraben sich in ihrem Opferstatus, ignorieren die Korruption ihrer Anführer und versteinern ihre Herzen. Hass gegen Hass. 

Der palästinensische Taxifahrer, der Juden akzeptiert, aber Zionisten und Israel auslöschen will. 

Wo sollen wir denn hin?

Ich trage meinen Davidstern und weiß nicht genau warum.




Mittwoch, 1. November 2023

RIECHEN - Ein Wort kann ganz Verschiedenes bedeuten.

Es gibt Wörter, von denen ich gern hätte, dass es sie gibt, aber es gibt sie einfach nicht. 

Ich bin heute regelrecht WIRSCH. Schlechtgelaunt ist einfach, aber offen, fröhlich einem neuen Tag begegnen, das ist etwas so Kostbares.

Ich bin hungrig oder satt, ich bin durstig oder was? Besonders heutzutage, wo selbst in der Großstadt fast jeder eine sorgfältig ausgewählte Wasserflasche mit sich herumträgt, als könnte man jederzeit in der Wüste enden. Hydriert bleiben, drei Liter täglich. Und wenn ich die getrunken habe, bin ich was? 

Werbung für atlantisches Ozeanwasser, 4,76€ pro Flasche: Meerwasser ist eine starke Quelle für Mineralsalze, perfekt zum Kochen oder als direktes Getränk. Es enthält keine Konservierungsstoffe und wird an einem Ort mit Meeresströmungen gewonnen, die es ständig erneuern. Gereinigt durch kalte Mikrofiltration. Gesammelt von Algamar in der Umgebung des Nationalparks der Atlantischen Inseln, vor den Cíes-Inseln, einem privilegierten Ort, an dem die Meeresströmungen ihn ständig erneuern.

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Manche Endsilben schubsen das Wort, das sie beenden in ganz unterschiedliche Richtungen. Wann hat wer entschieden, ob -sam, -lich oder -bar?  Und -ig,  -isch, -haft, -los gibt es auch noch. Sie ist lieblich, aber ist sie liebbar? Wundersam, wunderlich und wunderbar gibt es, aber nicht lächerlich und lächerbar. Lächerbar, jemand der es ermöglicht, zu lachen. Und was könnte lächersam bedeuten? Aber manchmal ändert die Endsilbe den Wortsinn auch nicht. Käuflich und kaufbar und das Grimmsche Wörterbuch sagt, dass schrecksam schrecksam, dasselbe ist wie schrecklich (Steinbach 2, 515.) und schreckbar auch! ... sonst wär' er nicht vermöglich, so schreckbar zu lügen, wie er lügen thut. 

Was ist unsere Sprache für ein schreckbares, wundersames Chaos.

Noch so ein Wort: RIECHEN. Ich rieche schlecht. Was heißt das? Mein Körper strömt unangenehme Dünste aus oder meine Nase funktioniert nicht gut, sie kann unterschiedliche Düfte oder Gestänke nicht gut erkennen. Da sollte es doch mehr als ein Verb geben, oder? Im Englischen gibt es das gleiche Problem mit SMELL. Riechen, wittern, schnüffeln, schnuppern.

Ich kann Dich nicht riechen. Ist das meine Unfähigkeit Deinen Dir eigenen Geruch wahrzunehmen oder ein Ausdruck meiner Abneigung? Grenouille, die Hauptfigur im Roman "Das Parfum", riecht alles, aber er selbst riecht nicht, er hat keinen Eigengeruch, deshalb will er DAS Parfum erschaffen. Er würde einen Duft kreieren können, der nicht nur menschlich, sondern übermenschlich war, einen Engelsduft, so unbeschreiblich gut und lebenskräftig, daß, wer ihn roch, bezaubert war und ihn, Grenouille, den Träger dieses Dufts, von ganzem Herzen lieben musste. Ob Patrick Süskind beim Schreiben an der Doppeldeutigkeit des Wortes gelitten hat?

Die Füße meiner Mama rochen nach Babypuder. 


Bild: Getty

Ich liebe es, wie meine Küche riecht, wenn ich Zwiebeln brate. Nichts in der Welt macht Vergangenes so lebendig wie der Geruch, schrieb Oscar Wilde.

Übrigens GEROCHEN kann heißen, das ich in der Vergangenheit einen Geruch wahrgenommen habe, aber auch, dass etwas gerächt wurde.

Ich rieche es, ich ahne es.

Der Geruchssinn ist der unmittelbarste der menschlichen Sinne. Beim Sehen, Hören oder Fühlen müssen die Signale erst in der Großhirnrinde des Gehirns verarbeitet werden. Düfte dagegen wirken im Gehirn direkt auf das limbische System, wo Emotionen verarbeitet und Triebe gelenkt werden. 

https://www.planet-wissen.de/natur/sinne/riechen/index.html 

 

 

Montag, 16. Oktober 2023

Die AfD eine für mich sehr persönliche Gefährdung

Was, konkret, werden wir tun, wenn die AfD die Regierung stellt? Was werde ich tun? Wie werde ich leben? Wie werde ich es ertragen? Wie halte ich aus, dass eine solche Partei an der Macht ist? Wie wird sie mich behandeln? Werden sie mich in Ruhe lassen und ich akzeptiere das?

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Meine Mama war 12 Jahre auf der Flucht vor den Nazis. Und wenn die AfD auch nicht das Gleiche ist, so ist sie doch nah genug dran. Wieder Nationalismus anstatt überlegter Hilfe, wieder Restauration anstatt neuer Lösungen. Wieder Verachtung, anstatt des verzweifelten Versuchs zu Verstehen. Ich bin nicht blind gegenüber den Problemen, die die Einwanderung von Menschen mit grundverschiedenem sozialen Hintergrund  aufwerfen, aber völlige Empathielosigkeit kann nicht die Lösung sein.  

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Ich habe keine Ahnung. 

Beim Anblick von Alice Weidel wird mir schlecht, mit O-Ton wird mir kotzübel. Das Gesicht hart und verkrampft, der Ton herablassend und verächtlich. Eine ehemalige Investitionsbankerin, die lesbisch, aber nicht queer ist und die ganze Welt hasst, weil sie nicht ihren Vorstellungen von bürgerlicher Eleganz entspricht. Weiße Bluse und schwarzes Kostüm, ihre Uniform. 

„Das Jahr beginnt mit dem Zensurgesetz und der Unterwerfung unserer Behörden vor den importierten, marodierenden, grapschenden, prügelnden, Messer stechenden Migrantenmobs, an die wir uns gefälligst gewöhnen sollen. Die deutsche Polizei kommuniziert mittlerweile auf Arabisch, obwohl die Amtssprache in unserem Land Deutsch ist.“ Alice Weidel, am 1. Januar 2018 auf Facebook

Ganz schlimme Worte kommen da in mein Hirn. Ganz schlimme Worte. Worte, wie das, das mit V beginnt und das ich eigentlich nie, nie für einen Menschen verwende. Und Bernd Höcke, da habe ich sogar sein Buch gelesen, nicht zu fassen. Wenigstens hat er keinen Charme. Es geht mir übrigens genauso bei Donald Trump.

Was, konkret, werden ich tun, wenn die AfD die Regierung stellt? Weitermachen wie bisher? Ginge das überhaupt? Ich gehöre nicht zu denen, die unsere Zeit mit der vor 1933 gleichsetzen und ich erwarte auch nicht, dass die AfD, wenn in der Machtposition, sofort Konzentrationslager bauen läßt. Aber es wird ein anderes Land werden, dieses schwierige Land, in dem ich lebe. Und es wird dann von Leuten regiert werden, deren Absichten mir Abscheu einflößen. Zugegeben, bin ich, als deutsche Jüdin, etwas schreckhaft. Die Verwendung eines Wortes wie Lebendgeburten flößt mir Angst ein. Und deutsche Leitkultur, was ist das? Goethe kontra wen genau? Ich liebe meine Sprache, aber lasse ich mich durch sie leiten? Wohin? Ist die Familie unser traditionelles Leitbild. Wer genau ist das? Die nicht queere Alice? Dagegen ich und meine Ambivalenzen. Viele meiner Mitbürger*innen, die auf der Suche sind, werden unter furchtbaren Druck geraten

Die USA bleiben unser Partner. Russland soll es werden. Die AfD setzt sich deshalb für ein Ende der Sanktionen und eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland ein.

Die AfD tritt dafür ein, für alle männlichen deutschen Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 25 Jahren den Grundwehrdienst wieder einzusetzen.

Entwicklungshilfe sollte stets „Hilfe zur Selbsthilfe“ sein. Die Auswanderung von Menschen in wirtschaftlicher Not nach Deutschland löst die Probleme vor Ort nicht. Fluchtursachen in den Herkunftsländern müssen bekämpft werden.

Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur traditionellen Familie als Leitbild. Ehe und Familie stehen nach dem Grundgesetz zu Recht unter dem besonderen Schutz des Staates.

Den demografischen Fehlentwicklungen in Deutschland muss entgegengewirkt werden. Die volkswirtschaftlich nicht tragfähige und konfliktträchtige Masseneinwanderung ist dafür kein geeignetes Mittel. Vielmehr muss mittels einer aktivierenden Familienpolitik eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung als mittel- und langfristig einzig tragfähige Lösung erreicht werden.

In Deutschland kommen auf rund 700.000 Lebendgeburten pro Jahr ca.100.000 Schwangerschaftsabbrüche. Werdende Eltern und alleinstehenden Frauen in Not müssen finanzielle und andere Hilfen vor und nach der Entbindung angeboten werden, damit sie sich für ihr Kind entscheiden können. Die Alternative für Deutschland wendet sich gegen alle Versuche, Abtreibungen zu bagatellisieren, staatlicherseits zu fördern oder sie zu einem Menschenrecht zu erklären.

Die AfD will den Einfluss der Parteien auf das Kulturleben zurückdrängen, gemeinnützige private Kulturstiftungen und bürgerschaftliche Kulturinitiativen stärken. Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.

Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur deutschen Leitkultur. Die Ideologie des Multikulturalismus betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit. Ihr gegenüber müssen der Staat und die Zivilgesellschaft die deutsche kulturelle Identität selbstbewusst verteidigen.

Die Gender-Forschung erfüllt nicht den Anspruch, der an seriöse Forschung gestellt werden muss. Bestehende Gender-Professuren sollen nicht mehr nachbesetzt, laufende Gender-Forschungsprojekte nicht weiter verlängert werden. 

Traurigster Nachtrag:

Gestern hat Israel der Hamas, nach einem schweren Angriff auf seine Bürger, den Krieg erklärt. Grauenhaft, bedrohlich. Wer ist schuldig? Ich wünschte es gäbe eine einzige richtige Antwort. Das schlechte Gewissen Europas ermöglichte die Gründung des Staates der Juden, die nach der Verwüstung des Holocausts, jedes Recht hatten, einen sicheren Ort zu suchen. Die Palästinenser bezahlten eine Schuld, die sie nicht zu verantworten hatten und einige, nicht wenige wurden durch erfahrenes Leid, aber auch religiösen, nationalistischen rückwärtsgewandten Starrsinn und die Korruptheit ihrer Anführer zu Terroristen. Gibt es eine Lösung? Wenn ja, kenne ich sie nicht. Der Iran jubiliert. Das Regime, das Frauen hasst und Abweichler und wer weiß wen noch. Israel ist ein demokratischer Staat, der von einem korrupten Mann regiert wird und es hat verzweifelt versucht, sich gegen ihn zu wehren. Jetzt müssen alle Israelis notwendigerweise zusammenstehen.Und nun? Ich wünsche die Sicherheit aller Juden überall. Aber ich wünsche auch, dass die Palästinenser würdig leben dürfen. Ich wünsche mir einander ausschließende Dinge.

 

Es ist Krieg und ich gehe ins Kino und in die Oper

Vor wenigen Tagen hat Israel der Hamas, nach einem schweren Angriff auf seine Bürger, den Krieg erklärt. Grauenhaft, bedrohlich. Wer ist schuldig? Ich wünschte es gäbe eine einzige richtige Antwort. Das schlechte Gewissen Europas ermöglichte die Gründung des Staates der Juden, die nach der Verwüstung des Holocausts, jedes Recht hatten, einen sicheren Ort zu suchen. Die Palästinenser bezahlten eine Schuld, die sie nicht zu verantworten hatten und einige, nicht wenige wurden durch erfahrenes Leid, aber auch religiösen, nationalistischen rückwärtsgewandten Starrsinn und die Korruptheit ihrer Anführer zu Terroristen. Gibt es eine Lösung? Wenn ja, kenne ich sie nicht. Der Iran jubiliert. Das Regime, das Frauen hasst und Abweichler und wer weiß wen noch. Israel ist ein demokratischer Staat, der von einem korrupten Mann regiert wird und es hat verzweifelt versucht, sich gegen ihn zu wehren. Jetzt müssen alle Israelis notwendigerweise zusammenstehen. Und nun? Ich wünsche die Sicherheit aller Juden überall. Aber ich wünsche auch, dass die Palästinenser würdig leben dürfen. Ich wünsche mir einander ausschließende Dinge, kann nichts tun und gehe Kunst gucken.

DOGMAN von Luc Besson im Babylon Kreuzberg, dass nicht zu verwechseln ist mit dem anderen Kino Babylon, wie eine unglückliche junge Frau feststellen musste. Luc Besson - Im Rausch der Tiefe, Nikita, Leon der Profi, Das Fünfte Element und dann der gänzlich grässliche Valerian. Ich wusste also nicht, was mich erwartete. Die Freundin, mit der ich im Kino war, hat es auf den Punkt gebracht: krasser Scheiß! Caleb Landry Jones ist ein schauspielerisches Ereignis. Ehrlich gesagt, ist mir auch egal, ob der Film gut oder nur halbgut ist. Da hat einer was gewagt. Einen großer Wurf. Und da ist Geschmack nur eine, nicht die wichtigste Kategorie. Überzeugung, Konsequenz und Mut sind Kategorien, die in der Kunst, gerade jetzt, wichtig, manchmal entscheidend sind. Krasser Scheiß!

Hauptprobe zum Intendanten Vorsprechen Hochschule Ernst-Busch in Berlin. Fünf und eine halbe Stunde lang, aber ein Vergnügen. So viel Energie, Hoffnung und Talent.

Anselm Kiefer beschrieben von Wim Wenders. 20 Prozent des Films besteht aus nachgestellten Szenen aus Kiefers Leben, Kiefer als Kind (Wenders Enkel?). Kiefer als junger Mann (Kiefers Sohn oder Enkel?). Das ist Kitsch, und zu vernachlässigen. Merkwürdig, dass Humorlosigkeit und Kitsch einander so oft anverwandt sind. Aber die anderen 80 Prozent sieht man Anselm Kiefer bei der Arbeit zu und das ist eine große Freude. Ein Besessener muss arbeiten, will arbeiten, will hart arbeiten. Baut eine Stadt aus leeren schiefen Türmen bewohnt von Frauenkleidern belastet von Büchern, Stacheldraht, Gewucher, Globen. Er redet wenig, bedacht, genau. Die westdeutsche Kunstkritik hat es ihm erstmal sehr übel genommen, dass er sie nicht in Ruhe ließ mit dem verdammten Faschismus-Thema, ihn als Neo-Nazi abgestempelt und erst sein Erfolg in der USA hat sie gezwungen doch hinzuschauen. Und er sieht auch noch verflixt gut aus, weil er so viel arbeitet und es liebt. Sexy mit 78, das will ich auch. Ich hoffe, ich bekomme die Chance eine große Kiefer-Retrospektive zu sehen, irgendwo, irgendwann. Erinnerung. Vor Jahren im Hamburger Bahnhof mein erster Kiefer, haptisch, grobe Struktur und ein paar Kinderkleider. Es schlug mir in den Magen. 

Und zum letzten Akt meines überfüllten Kulturwochenendes: Parsival in Hannover. "Immer wenn ich Wagner höre, habe ich das Gefühl, ich muß in Polen einmarschieren." sagt Woody Allen, und ich stimme ihm, nach diesem 5 1/2 stündigem Opernelebnis aus vollem Herzen zu. Nach einem interessanten ersten Aufzug, zusammengeschweißt von einem tollen Bühnenbild, haben die Sänger, den Rest der vielen Stunden nur noch herumgestanden, sich mal hingesetzt, um dann aufzustehen, langsam irgendwo anders hinzugehen, um sich dann wieder hinzusetzen. Ich kann mir nicht erklären, warum man so ein Frauenbild zwischen wildem Weib und inzestiöser Mutterliebe, Hure und Mami und diese bibbernde Verherrlichung von Retterphantasien durch den "Reinen Toren", heute noch so unwidersprochen auf die Bühne bringen kann. Wenn im ersten Aufzug noch Andeutungen von Klimanot und Verfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu erahnen waren, verfällt das Ding danach zusehends in kammerspielartiges Psycho - Geraune. Die Qualität der Musik war sicher hoch, davon verstehe ich nicht genug, komme halt vom Schauspiel. Beim Essen in der Pause, schlug meine Dramaturgen-Freundin vor, man könnte doch wenigstens Striche machen, woraufhin ein sehr liebenswürdiger Herr, der an unserem Tisch saß, sagte: "Sicher könnte man, aber dann werden sie gelyncht." "Erlösung für den Erlöser", was für ein protofaschistisches, frauenverachtendes, pseudochristliches Geschwurbel. Man sollte mal den Text ohne Musik aufführen, so ganz nackt, das wäre mir ein Fest, und bitte mit den Regieanweisungen! Zur gleichen Zeit hat übrigens auch Büchner geschrieben und zwar soetwas: "Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte."

PARSIVAL:
Erlöser! Heiland! Herr der Huld!
Wie büss ich Sünder meine Schuld?

KUNDRY:
(deren Erstaunen in leidenschaftliche
Bewunderung übergeht, sucht
schüchtern sich Parsifal zu nähern)

Gelobter Held! Entflieh dem Wahn!
Blick' auf, sei hold der Huldin Nahn!

PARSIFAL:
(immer in gebeugter Stellung, starr
zu Kundry aufblickend, während diese
sich zu ihm neigt und die liebkosenden
Bewegungen ausführt, die er mit dem
Folgenden bezeichnet)

Ja, diese Stimme! So rief sie ihm;
und diesen Blick, - deutlich erkenn' ich ihn,
auch diesen, der ihm so friedlos lachte;
die Lippe, ja... So zuckte sie ihm;
so neigte sich der Nacken,
so hob sich kühn das Haupt;
so flatterten lachend die Locken,
so schlang um den Hals sich der Arm;
so schmeichelte weich die Wange;
mit aller Schmerzen Qual im Bunde,
das Heil der Seele
entküsste ihm der Mund!
Ha! Dieser Kuss!
  

Montag, 18. September 2023

Baustellenabsperrungen und andere provisorische Zäune.

Ich habe eine Verschwörungstheorie, oder vielleicht sogar zwei. Wie peinlich ist das denn.

Irgendwo in einem Berliner Bauamt arbeitet ein unauffälliger Mann. Er ist klein, hager, mit der typischen Halbglatze deutscher Männern über 50. Er kleidet sich uninteressant. Möglicherweise pachtet er einen Kleingarten, den er, allen Regeln des Bundeskleingartengesetzes folgend, liebevoll umhegt. Er raucht nicht, trinkt ein, zu besonderen Anlässen, zwei Bier am Abend. Er ist, was man einen guten deutschen Beamten nennt. Pünktlich, sauber und vergessbar.

Aber er besitzt eine zweite Identität. Seine wahre. Er erfindet Baustellen und verteilt sie in der Stadt Berlin. Sie entstehen plötzlich, ohne jeden erkennbaren Zweck, über das Stadtgebiet verteilt und es darf nur eine Person dort vorgeben zu arbeiten. Manchmal sind andere Menschen anwesend, aber die stehen nur herum und reden und rauchen. Diese Baustellen bestehen lang, sehr lang, unerklärlich lang. Sie stören den den alltäglichen Tagesablauf der Berliner, verärgern sie und bleiben ihnen doch ein Mysterium.

Dieser Mann hat einen Sohn, den er liebt, der Bauzäune verleiht, die aus Gitterdraht und auch die rot-weißen. Bauzäune mit Sicherheits-Verbindungsschellen, Bauzäune mit engem Maschennetz, Bauzäune mit Übersteigschutz, Bauzauntür zum Mieten, Toranlage zum Mieten, Bauzaunschlösser zum Mieten, Aushebesicherungen zum Mieten, Sichtschutzplanen zum Mieten. 

Der Sohn ist reich, sehr reich und will reicher werden. Es kümmert ihn nicht, das ganz Berlin wie eine unfertige, zugemüllte, verwundete Baustelle aussieht. Er verdient daran. 

Es ist ein Komplott. Der liebende Vater und der unheilige Sohn. Der Vater in einer Wohnung im Wedding und der Sohn mit der Villa am Wannsee. Ein zerstörerisches Liebes-Bündnis.

Der Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte wird saniert, Kabelkanäle und so allerlei, dauert drei Jahre mindestens. Umzingelt von einem Bauzaun. Häßlicher geht nicht. Ein zweiter Zaun, rot-weiß- gestreift, ohne jeden erkennbaren Zweck, steht davor. Ein Aussichtstürmchen und viel häßlicher Zaun.

Paris. Notre Dame brennt und auf dem Bauzaun der Wiederaufbaubaustelle lese ich die Geschichte der Kirche und die speziellen Kenntnisse der Menschen, die sie wieder jetzt aufbauen. Ich leide mit. und interessiere mich.

Berlin. Jede Baustelle verkündet Unansehlichkeit, Unverläßlichkeit der Fertigstellung und Desinteresse des Bauherren gegenüber seinen Bürgern.

Montag, 4. September 2023

Ich liebe meine Sprache.

 

NEU - EnRoute Daypack.

einfach, elegant, sportlich

Die neuen, praktischen Citybags in verschiedenenen Farben aus Air-Mesh-Gewebe

Mit heat-molded, crush-proof SafeZone für empfindliche Gegenstände

Hauptfach mit gepolsterter Top-Load-Hülle für Notebook und Pad/tablet

Seitenfach für Wasserflasche

What the fuck! 

Und das alles von einer schwedischen Firma, die sich THULE nennt.

Freitag, 1. September 2023

Rechte, Faschisten, Nazis - lauter Kosenamen für Leute, die Demokratie nicht mögen.

Herr Aiwanger von den bayrischen Freien Wählern hat mal früher, oder war es sein Bruder, ekelige Witze über Konzentrationslager gemacht.

Ich kenne da auch einen: "Mein Vater ist im KZ umgekommen, er ist besoffen vom Wachturm gefallen."

Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass wir uns, um nur nicht unfair, oder Gott verhüte es, intolerant zu scheinen, einen Knoten in unser untrügliches Bauchgefühl winden.

Wer Menschen wegen ihrer Hautfarbe, geschlechtlichen Orientierung, religiösen Affinität a priori ausgrenzt, wer meint, dass "Deutsch" zu sein eine Leistung ist, wer Nationalismus höher stellt als Humanismus - ist ein Arschloch. Punkt.

Ich bin nicht "Deutschland". Ich bin eine Mischung aus Völkerwanderung, zufälligen sexuellen Begegnungen und meine DNA ist so vermanscht, wie die der meisten Leute.

Zufällig ergab sich daraus eine weiße, deutsch-jüdische Cis-Frau. Der Kommentar meiner Tante beim meinem Anblick, weiß, blauäugig, blond, war: "Jetzt sind wir endgültig in der arischen Rasse untergetaucht.

Ich habe eine Menge toter Verwandte, die ich nicht kennenlernen konnte, weil sie wegen ihrer Rassenzugehörigkeit von Nazis gemordet worden sind. 

Ich weiß nicht, wie wir die vielen muslimisch erzogenen jungen Männer integrieren können. Ich weiß es nicht.

Ich weiß nicht, wie wir die Kette von Opferempfindlichkeit und Schuldzuweisung in den östlichen Bundesländern unterbrechen können. Ich weiß es nicht.

Hitler war schuld, die Stasi war schuld, der Kapitalismus ist schuld -  und Du und ich hatten wir nie gar keinen Anteil. Sind wir für gar nichts verantwortlich? Was haben wir geduldet, nicht verhindert, wo waren wir feiger, als überlebensnotwendig? Wann ging es uns besser als den Opfern und wir blieben still?

Und jetzt soll ich mich daran gewöhnen, dass die AfD demnächst mitregiert?

Heute abend gab es Unter den Linden eine kleine Demonstration gegen unsere Unterstützung des Krieges in der Ukraine. Ja. Krieg ist furchtbar. 

Aber diesen nicht unterstützen? Russland ist der Aggressor. Ist die Nato in Russland einmarschiert? Ist Putin ein Menschenfreund? Ist Prigoschins Flugzeug zufällig abgestürzt? Sich aus allem raushalten, kann auch heißen, dass man schlimmes Unrecht duldet.

Aber enige meiner digitalen Freunde scheinen in einer Zeitschleife zu leben. Die "kommunistische" Sowjetunion = das bedrohte Russland = der Kapitalismus ist immer böse.

Mein Lieblingsrabbi hat einmal in etwa einen tollen Satz gesagt: Demokratie ist furchtbar, aber man kann alle 4 oder 5 Jahre seine Fehler wieder gut machen.

Ich will nicht von rechten Politikern regiert werden. Nicht von Nazis, nicht von Faschisten und auch nicht von Leuten, die sich anders nennen, aber das gleiche meinen.


Mittwoch, 12. Juli 2023

Wie würde ich mich entscheiden?

ARRIVAL, ein Film von Denis Villeneuve, den ich gerade zum dritten Mal gesehen habe, stellt eine mich tief erschütternde einfache Frage: Wenn ich wüßte, wie mein Leben verlaufen wird, wen ich wann und wie verlieren werde, um meine Mißerfolge und Niederlagen schon im Voraus wüßte, um jeden kommenden Liebeskummer wüßte, jeden Schmerz, jede Krankheit und schließlich auch wüßte, wann ich und wie sterben werde - was würde ich tun, wie mich entscheiden? Würde ich das Leid mit dem Glück annehmen? Würde ich das Wagnis der Liebe eingehen, wissend, das sie endlich ist?

In GOTT LEBT IN BRÜSSEL, auch einem Film, dieser von Jaco Van Dormael, veröffentlicht Gottes zornige Tochter, weltweit die Sterbedaten der Menschen. Was würde dieses Wissen an meinem, an unserem Leben ändern?

Vor vielen Jahren habe ich eine kleine Geschichte gelesen, die mir nicht aus dem Kopf geht, obwohl ich nicht einmal mehr weiß, wer sie geschrieben hat: Die Menschheit bemerkt, dass es wirklich UFOs gibt und das sehr viele und sehr unterschiedliche, die Erde umkreisen. Irgendwann gelingt es uns, mit ihnen Kontakt aufzunehmen und wir stellen eine Frage, die uns umtreibt: Warum gerade wir, warum beobachtet ihr uns, obwohl wir euch technologisch nicht einmal ansatzweise ebenbürtig sind? Die Antwort ist schwierig zu übersetzen, aber letztendlich lautet sie: Von allen Lebewesen im Universum seid ihr, die einzigen die sterben. Und. Und ihr seid die einzigen, die Kunst haben.

Wir nennen es Schicksal, weil wir nicht wissen, was uns passieren wird. Wüßten wir es, wie würden wir es dann nennen? 

Es sagt sich leicht, dass es ohne Tiefen, keine Höhen gäbe, ohne Leid kein Glück, aber würde ich, wissend, trotzdem den notwendigen Preis bezahlen? Oder keine Entscheidungen mehr treffen, oder aus zu viel Vorauswissen heraus erstarren? Würde ich lieben, ohne das Versprechen der Erfüllung? Würde ich Theater machen, ohne die Hoffnung auf Karriere, auf Erfolg?

Wenn ich nie mehr den augenblicklichen, beglückenden Moment erleben könnte, ohne um sein Endergebnis zu wissen, was würde das mit mir machen?

Montag, 29. Mai 2023

Margit Bendokat ist jetzt Ehrenmitglied des Deutschen Theaters

Margit. 

So viele Momente, so viele gute Erinnerungen. 

Als blutjunge Anfängerin habe ich das Glück gehabt, eine Garderobe mit ihr zu teilen, mit ihr zu reden, von ihr zu lernen.

Sommernachtstraum von Alexander Lang, Margit als Helena im blauen Einteiler, murmelt ihren Text, und zwischendurch erklärt sie mir im wunderschönsten Berlinerisch: "Mein Untertext? Alles Scheiße!" Auf der Bühne sprach sie perfektes Hochdeutsch, aber die Melodie ...

Danton, wieder Alex, Margit spielt Marion, "alle Männer wurden zu einem Mann." Eine zarte Hure unschuldigster Art, ihre Worte eine sehnsuchtsvolle Suche nach Verstehen, sich selbst und auch die vielen Männer. "Deine Lippen sind kalt geworden." So unendlich traurig. Dieser Mann macht eine Verständigung unmöglich.

Stella, wieder Alex, "Er ist wieder da!". Zur Premiere waren wir alle im Schockzustand, weil Alex in den hermetisch abgeriegelten Proben, vermieden hatte, uns mitzuteilen, dass wir das Satyrstück zur vorher laufenden Medea waren. Jeder Lacher eine Verwirrung. Margits Stella, voll tragischer Würde in ihrer unerwarteten Komik.

Dreigroschenoper, derselbe Regisseur, die Inszenierung ein nicht wirklich gelungener Versuch und keiner von uns konnte wirklich gut singen. Margit als Mrs. Peachum hinter der Bühne immer mit Macholdts Inhalator, einem gläsernen Foltergerät im Mund. Das Geräusch der blubbernden Inhalationsflüssigkeit habe ich noch im Ohr. Meine Stimmbänder spielten auch verrückt und so waren wir vereint in unserer Stimmpanik. Zur Premiere sang sie ein Lied genau einen Halbton zu tief, drei Strophen lang. Respekt.

Lohndrücker, diesmal ist Heiner Müller der Regisseur, Margit im Rang singt das Lied vom Konsum. Klar, kalt, unversöhnlich. Große Clowns sind unerbittlich.

Die Perser von Jürgen Gosch, Margit spricht einen ellenlangen Monolog gegen den Gipshorizont, jedes Wort haarscharf, unbeurteilt, aber ohne jedwede Sentimentalität. Klar. 

Klarheit ist vielleicht das richtige Wort ihren Umgang mit Sprache zu beschreiben. Ja, ihre Stimme war gelegentlich schrill, aber eben auch direkt, wahrhaftig, ohne bequeme Filter.

Margit geriet ins Theater ohne Vorwarnung und sie hat ihr Wissen über unsere Welt in dieses Theater hineingetragen.

Ich danke Dir.

Samstag, 13. Mai 2023

Gestorbene

Wenn ich ein Grammatikproblem nicht lösen konnte oder ein Zitat aus einem deutschen Gedicht suchte oder ein Detail deutscher Geschichte erfragen wollte, habe ich meinen Vater angerufen. Und, darauf bin ich stolz, er mich auch, vice versa. Er war ein strenger Kritiker, aber ein liebevoller.

Wenn ich ein Detail der englischen Geschichte überprüfen wollte, etwas über einen obskuren englischen Dichter oder den Namen eines Schauspielers, wie klein die Rolle auch war, eines Hollywoodfilms der 30er oder 40er Jahre wissen wollte, oder über die Schwierigkeiten meines Lebens überhaupt abjammern wollte, war mein Gesprächspartner meine Mutter. Sie war ein Sonderfall, weil ihre Liebe ohne Bedingung war. Was immer ich auch angestellt hätte, sie war immer auf meiner Seite.

Meine Oma, Helli, war die coolste Person, die ich je gekannt habe. Ich liebte sie und sie mich.

Mein Opa Walter war schwerhörig und sehr liebenswert.

Meine Oma Margarete war eine garstige Frau.

Tante Gerda kannte alle Details der Trotzköpfchen- und Nesthäkchenromane und die besten, köstlichsten Rezepte für jederlei Resteverwertung. Und sie war außergewöhnlich und bezaubernd.

Tante Schusti konnte besser backen als irgendwer und überließ ihre Rezepte immer nur mit Auslassungen. 

Mein Onkel Stefan hat sein halbes Leben mit der Dokumentation der New Yorker Theaterszene der 70er Jahre verbracht und sein wahres Talent vergeudet.

Meine Tante Hanne liebte Therese Ghiese, war gegen den Krieg und vermied jedwede Genüsse.

Meine Freundin Annette liebte das Leben und das Theater, ihren Sohn, Alex und die Marx Brothers und konnte sogar noch mehr und schneller sprechen als ich.

Horst, mein lieber Bühnenbildner über fast 30 Jahre, war neugierig, höflich, wunderbar, Sachse und nie wirklich glücklich.

Mein Freund Volkmar war aufmerksam und genau und ließ mir nichts durchgehen.

Meine Kollegen Tommy, Tobias, Robert, Heimar, Dieter, Dietrich, Kurt, Fred, Katja, Gerhard, Johanna und Inge haben mich Vieles und Wichtiges gelehrt.

Sie alle sind tot.

GROWING OLD IS NOT FOR SISSIES. Bette Davis

ALT WERDEN, IST NICHTS FÜR SCHWÄCHLINGE. Bette Davis


Freitag, 12. Mai 2023

Selbständig oder vereinfachend - freischaffend

Selbst-ständig, unverständlicherweise selbständig geschrieben, Frei-schaffend, selbst eine bestimmte Tätigkeit dauernd ausüben, ständig - was für eine schöne, doch halbwahre Beschreibungen einer lebenslang unsicheren Beschäftigungslage. 

Das Internet erklärt: Das spätmittelhochdeutsche Wort „selbstēnde“ hieß „für sich bestehend“. Ab 1996 hieß es der neuen Rechtschreibung nach dann selbstständig – neben der Schreibweise selbständig. Bei Google liefert selbstständig 71,9 Mio. Ergebnisse, während selbständig nur rund 34,5 Mio. Treffer ergibt (Stand Dezember 2022). https://languagetool.org/insights/de/beitrag/selbststandig-selbstandig/

Selbstständig oder selbständig, oh, es gibt Pluspunkte: Einige der Unannehmlichkeiten des deutschen Stadttheatersystems bleiben mir erspart, ich kann mich aus den notwendigen und komplizierten, politischen und finanziellen Schwierigkeiten heraushalten. Außer, wenn sie die Gage beeinträchtigen. Doch ich kann "Nein" sagen, wenn es mir finanziell möglich ist. Und wenn ich "Ja" sage, bin ich nur zu Besuch, im besten Fall eine gern gesehene Tante, die gelegentlich vorbeischaut und die "Mühen der Ebenen" nicht mitbearbeiten muss.

Aber. Aber, nie ist irgendetwas sicher. Ist das Telefon kaputt? Oder bin es ich. Damit und davon lebe ich, leben die Selb(st)ständigen, Jahr über Jahr. Mal besser, mal schlechter. Das Alter spielt eine Rolle, die Nähe zu gerade virulenten Trends wohl auch. Aber da weiß ich zu wenig, spüre es nur. Und das Feuilleton, ein besser bezahltes Fass ohne Boden, manchesmal übersättigt und naseweiß. Aber wenigstens gibt es überhaupt noch gelegentlich Theaterkritiker, in manchen kleineren Städten schreibt Theaterkritiken, der, der auch die Geflügelzüchter und Sportvereine abdeckt. Ahnungslos, aber bemüht.

Unter Feuilleton versteht man den literarisch-unterhaltenden Teil einer Zeitung. In diesem Teil stehen Rezensionen, Kritiken, Buchbesprechungen usw. Ein literarischer Beitrag im Feuilletonteil der Zeitung wird ebenfalls Feuilleton genannt, sagt Wiki.
 
Letzten Endes, liebe ich es, freischaffend zu sein. Ich treffe seit Jahren drei, vier Mal pro Jahr auf eine Gruppe von Spielern, manchmal kenne ich einige schon, aber es ist eine gute Weile her, manchmal sind mir alle neu und unbekannt. Konzeptionsproben sind wie erste Schultage, alles ist möglich und darum spannend. Meistens treffe ich auf gute Leute, selbst im heftigst überarbeiteten Zustand noch neugierig, willig und interessiert. Ich liebe Proben. Abenteuerland. Proben sind meine Droge, wie gern ich auch faule Freizeit liebe, irgendwann muss ich wieder probieren, sonst werde ich unfroh und unleidlich.  

 
Aber, ich bin in vielem auf mich allein gestellt. Der Verwaltungsdirektor ist im verständlichen, aber künstlerisch nur mäßig interessierten Sparwahn, ich muss damit umgehen. Die Schauspieler haben seit Monaten viele Vorstellungen und noch mehr Proben, Kinder vermissen ihre Eltern, Schlaf ist rar. Die Vorteile einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit einem Ensemble sind ein eigenes Thema. Auch kenne ich die Städte, in denen ich arbeite meist nur oberflächlich, ganz anders als in Rostock, wo ich fünf Jahre gelebt, geliebt und gearbeitet habe.

Wir reden nicht gern über unsere Ängste und schlechte Zeiten, weil sie uns schwach und nicht genügend erfolgreich erscheinen lassen könnten, denn wir sind dem Markt ganz direkt ausgeliefert und müssen uns gut verkaufen. 

Der Begriff "Markt" bezeichnet allgemeinsprachlich einen Ort an dem Waren regelmäßig meist an einem zentralen Ort gehandelt werden.

Unser "zentraler Ort" ist das Stadttheater, dass von interner Stagnation, Corona und Energiekrise heftig geschüttelt wird und da werden wir halt mitgeschüttelt. Bis jetzt geht es mir gut, wer weiß, was die Zukunft bringt. Aber solang man mich läßt, ...