Sonntag, 29. November 2020

DAS C-WORT XXX - Patience is the art of finding something else to do. - Geduld ist die Kunst etwas anderes zu finden, das man tun kann.

Der heutige Titel habe ich von Groucho Marx gestohlen, einem meiner Helden, dem Großmeister der One-liner - die Wahrheit im bunten Kostüm des Absurden. 

Heute sind wir einmal um den Schlachtensee gelaufen. Acht Kilometer, sagt die Health-App auf meinem iPhone.

Wieder ein neues Stück Berlin für mich gefunden. Man, war ich Mitte zentriert. Wenn ich in einem Stadtteil keinen kannte, da kein Theater war oder ein besonderes Kino, dann bin ich da eben nicht hin. Berlin-Mitte ist ein eitles Dorf, wir reisen in alle Welt, aber nach Zehlendorf oder Schöneberg fahren wir nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Was ist unvermeidbar? Kostbare Termine in Bürgerämtern, die freie Termine haben, für mich bisher in der Heerstrasse und irgendwo an der Außenkante von Spandau und gerade jetzt, Spaziergänge um Seen, durch Parks und Wohnviertel.

Corona macht's möglich, Britz, Marzahn, Neu-Kölln, und, und jetzt Schlachtensee, die blinden Flecken meines Berlinerseins, bekommen reale Gestalt. 

Diese harschen brandenburgischen Seen, drumherum am Rand Mischwald und dann als Mittelpracht die preussische Kiefer, Enten aller Art, Haubentaucher, Reiher und Schwäne. Kleine Konditoreien und große Ausflugslokale, die mit Glühwein ums Überleben kämpfen.

Piperkarcka: Nu ja. Ick will nu also Schlachtenseeoder Halensee. Muss jehn un muss nachsehn, ob ick ihm treffe! Denn soll meine Wirtin heute soll warten umsonst verjeblich auf mir. Ick spring im Land-wehrkanal und versaufe.

Gerhard Hauptmann Die Ratten

Heute waren alle da, ganz Berlin und der Onkel war auch da. Kinder, Hunde und Großeltern. Essen gehen geht nicht, Sport auch nicht, ebenso Museen, Kinos, Theater. Also gehen alle, weil nix geht, spazieren. Das Gedränge fühlte sich an wie der Ku-Damm zur Vorweihnachtszeit. Gesprächsfetzen vorn und hinten sind unüberhörbar und nerven. Warum läuft der vor Dir immer ein bisschen zu langsam?

Und da, wo es Kaffee und Würstchen gab, standen alle demaskiert nah beieinander und schwatzten. Das war mir unheimlich. Ich, der begeisterte Großstädter, der ich Lärm, Dreck und Menschenmassen liebe, bin nunmehr verwandelt, verunstaltet, Distanz und Maskenschutz, nicht zu viele Leute auf einem Haufen, alles, was ich liebe, ist momentan gefährlich.

Walter Leistikow - Abendstimmung am Schlachtensee (1895)

Samstag, 28. November 2020

DAS C-WORT XXIX - Die Abende

Ich bin alleinlebend und keine große Ausgeherin, meist ist eh Abendprobe und wenn mal nicht, finde ich es herrlich entspannend, auf dem Sofa zu sitzen und zu verblöden.

2020. 

Am 1. September diesen Jahres hatte ich meine letzte Premiere, am Abend davor die letzte Abendprobe, seitdem sind meine Abende unverplant und seit dem neuen Lockdown light, sind mir auch die außerhäusigen Unterhaltungsmöglichkeiten verloren gegangen.

Ich bin auf mich selbst (zurück)geworfen. 

Tagsüber, ist das kein Problem, ich habe ein spannendes Projekt in der Recherche, gehe mit Freundinnen spazieren, verbessere meine Kochfertigkeiten, lese, telefoniere, dekoriere, flaniere, natürlich mit Maske, und weiß, dass es mir vergleichsweise ungewöhnlich gut geht.

Am Abend wird es verzwickter. Mein augenblicklich durch die Weltereignisse überfordertes Hirn, weigert sich beharrlich nach 20.00 Uhr, geistig herausfordernde Lektüre aufzunehmen, geschweige denn sie zu verarbeiten. Mein Fernseher und ich sind so notgedrungen Freunde geworden. Ja, es gibt 100 Sender und Netflix, Amazon Prime und Sky, aber auch ebenso viel üblen Schrott.

Der schnelle Tag ist hin / die Nacht schwingt jhre fahn/
Vnd führt die Sternen auff. Der Menschen müde scharen
Verlassen feld vnd werck / Wo Thier vnd Vögel waren
Trawrt jtzt die Einsamkeit. Wie ist die zeit verthan!
 

Andreas Gryphius

Wenn diese Scheißzeit vorüber ist, werde ich unentwegt Leute innig umarmen, ins Theater/Museum/Schwimmbad gehen, Partys veranstalten, in Restaurants schlemmen, in Bars hocken und Jazz live erleben. 

Oder? Corona erwischt mich. Oder? Ich werde depressiv. Oder? Keine Ahnung.
"Life is what happens to you while you're busy making other plans”. John Lennon

"Leben ist, was Dir passiert, während Du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu machen."












Sonntag, 22. November 2020

DAs C-WORT XXVIII - Dummbatzen, Egoisten und welche, die nicht zu Ende denken, auch wenn sie es gut meinen.

Anne Frank & Sophie Scholl - kein Vergleich scheint nunmehr zu hanebüchen, keiner zu schamlos. 

In Halle setzt ein Nazi den Lockdown mit dem, was Anne Frank durchleben und letztendlich durchsterben mußte, gleich. Auf einer anderen Demo vergleicht ein von den Eltern geschultes Kind, seine durch Corona eingeschränkte Geburtstagsfeier mit Anne Franks Schicksal. Auf noch einer anderen Demo erklärt sich eine junge Frau zur Leidensgenossin von Sophie Scholl, da auch sie unter großer Gefahr für die Freiheit kämpfe. Ein entnervter Ordner benennt die Unverschämtheit ihres Vergleiches und sie verläßt, vermutlich gekränkt weinend, die Rednertribüne. 

"Wir sind das Volk", das stimmt und stimmt keineswegs. Da reissen sich, tief in ihrer kleinbürgerlichen Ehre gekränkt, verängstigte, feige Mitbürger die aufregenden, ambivalenten Ereignisse von 1989 unter den Nagel und machen sie zu Dreck.

Seit der Noch-Präsident der USA den bisher für uns, die gesegnete "Erste" Welt, geltenden demokratischen Gesellschaftsvertrag aufgekündigt hat, breitet sich eine Infektion, die nicht von biologischen Viren verbreitet wird, pandemisch aus.  

Mein Lieblings-Rabbiner, Jeschajahu Leibowitz, hat einmal gesagt, dass das einzig Gute an der Demokratie sei, dass man nach Ablauf der Wahlperiode jemand anderen wählen kann. 

"I won the vote." Und wenn er es nur oft genug wiederholt, wird es zur Wahrheit, zu dem was 70 000 000 - in Worten 70 Millionen - amerikanische Bürger als wahr ansehen könnten. Ubu Roi wird übertroffen.

"Wir sind das Volk." Sind sie es? Wer bin ich? 

Anti-Rassisten verweigern die Solidarität mit Bekämpfern des Antisemitismus, Juden lieben Trump, weil er Friedensverträge mit arabischen Staaten ermöglicht hat (Hat er?), LGBTQ gegen Cis-Weisse, Genderbewegte gegen Sprach-Traditionalisten, jeder gegen jeden, zu einem Zeitpunkt wo nichts wichtiger wäre als Solidarität.

Ich bin ratlos und trage meine Maske und halte Abstand und kotze in meine Ellenbogenbeuge.