Wollte aus gegebenem Anlaß wissen, woher das Wort "Nieselregen" stammt und habe dabei dies gefunden:
der ost ist scharf und herbe,
er stöszt die falben blätter,
sie nieseln auf den frost.
er stöszt die falben blätter,
sie nieseln auf den frost.
jüngl. (1780) 105 steht drunter in Grimms Wörterbuch. Die drei Zeilen sind schön. Und bald treffen sie auch auf unser wieder Wetter zu!
Gestern, am wahrscheinlich letzten lauen Abend dieses Herbstes*, ein Gespräch über Lyrik. (Klingt so hingeschrieben, kulturvoller, als es gewesen ist.) Wie schon manchesmal meckere ich unzufrieden über den von mir empfundenen oder auch nur behaupteten Mangel an starker neuer deutscher Lyrik.
Meine Mißverhältnis zur Poesie meiner Lieblingssprache ist schon eigenartig. Vielleicht ist meine Mutter schuld, die mir Verse der englischen Romantik untergejubelt hat, oder es war die lieblose Auswahl und der Zwang zur Interpretation im ddrischen Deutschunterricht.
Wie kann es dem Vergnügen an Lyrik dienlich sein, dass wir sie erklären müssen? Da sitzt so ein Dichter und kämpft gegen jedes überflüssige Wort, hungert die Worte aufs Idealmaß, und dann sollen wir seitenlang dahinschwätzen, was er "uns damit sagen wollte".
Wie "ich liebe Dich, weil..." Warum? Darum!
*Dieses Herbstes, ein Genitiv! Und jenes Herbstes wäre auch einer.
ABER, habe ich jetzt gelernt:
Zwar heißt es "im Sommer nächsten Jahres", "im Herbst vergangenen
Jahres" und "zu Beginn letzten Jahres", doch im Unterschied zu "dieses"
und "jenes" handelt es sich hierbei um Adjektive, denen ein Artikel
vorangestellt werden kann. Man kann sich jedesmal ein "des" dazudenken:
"im Herbst des vergangenen Jahres", "zu Beginn des letzten Jahres".
Spiegel online Zwiebelfisch ABC
Ich liebe die deutsche Sprache! Warum? Darum!
Pablo Picasso Portrait eines Poeten 1902
Also das Mißverhältnis, wie ganz oben erwähnt, mit Ausnahmen. Da wirft mir mein Gegenüber einen Namen zu. Noch nie gehört. Kurt Drawert geboren 1956 im Brandenburgischen, vom elften Jahr an lebt er in Dresden. Berufsausbildung, Abitur an der Abendschule, Hilfsarbeiterjobs, Literaturstudium in Leipzig am Deutschen Literaturinstitut. Da wo auch Heinz Czechowski, Adolf Endler, Ralph Giordano, Kerstin
Hensel, Sarah Kirsch, Rainer Kirsch, Erich Loest und Fred Wander studiert haben.
Er schreibt Gedichte, Essays und auch Prosa. Er ist Herausgeber, Übersetzer und Rezipient vieler Preise.
Aber ich hatte halt noch nie von ihm gehört.
Aber jetzt und hier:
… zum deutschen Liedgut
Ich bin ganz von selber gegangen,
und fühlte mich doch wie vertrieben.
Ich bin sehr entschieden gegangen,
und wäre doch gern auch geblieben.
Ich wußte, ich müsse jetzt gehen,
kein Weg war ein Heimweg mir mehr.
Und doch blieb ich noch einmal stehen,
und Schnee lag schon hoch um mich her.
Was hatte ich hier noch zu suchen,
was hielt mich am lichtlosen Ort.
Die Liebe ging fort unter Buchen,
ich wollte ihr gültiges Wort.
Ich habe es nicht mehr gefunden
und habe auch nichts in der Hand.
Im Nebel ist alles verschwunden.
Wir hatten kein brauchbares Land.
Wo es war Gedichte Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996
Egon Schiele Poet (Selbstportrait) 1911
Mit Heine
Das Land, von dem die Rede geht,
es war einst nur in Mauern groß,
dies Land, von Lüge zugeweht,
ich glaubte schon, ich wär es los.
Ich glaubte schon, es wär entschieden,
daß wer nur geht, auch gut vergißt.
Doch war nun auch ein Ort gemieden,
der tief ins Fleisch gedrungen ist.
Als fremder Brief mit sieben Siegeln
ist mir im Herzen fern das Land.
Doch hinter allen starken Riegeln
ist mir sein Name eingebrannt.
Geld & Gedichte
1.) Darf sich das Geld dem Gedicht
zum Geschenk anbieten, andererseits,
darf das Gedicht Geld als Geschenk
überhaupt nehmen? 2.) Geld stinkt nicht,
richtig, aber, nicht mit allem, was nicht
stinkt, geht Fräulein Müller ins Bett.
3.) und andererseits wütet unter der Haut
der Gedichte ein barbarischer Früh-
kapitalismus. Die schwächeren Worte,
etwas verwachsen im Rhythmus,
verschwinden von der Schreiboberfläche
wie die Arbeiterschaft in ihre eigene
Masse verschwindet, wenn sich das Tor
zur Fabrik und die klirrende Nacht
über Manchester schließen. 4.)
und eigentliches Problem: der Mehrwert,
hier wie da, unermeßlich. Die Reichen
werden immer reicher, und die,
die sich die Sprache auf die Geschlechts-
teile legen und für eine einzige Perle
ganze Berge von Muscheln zerschlagen,
transzendieren mit nur wenigen Sätzen
zur unendlichen Geschichte des Glücks.
Andere schwitzen, sitzen unter Tage
und schreiben und schreiben für fast
nichts. Das Gedicht aber, indem es s. o.
gnadenlos kurz ist und rausschmeißt,
was über die Ränder der Brauch-
barkeit fällt, nein, mit Gerechtigkeit
und Sozialbaracke hat das gar nichts
am Stecken, wiederum andererseits
ist es die Verwandlung des Häßlichen
in einen besonderen Fall. Ich würde raten
darum 5.) darf das Gedicht auch
die Schamlosigkeit seiner Umwelt
kopieren und Geld, wenn es schon da ist,
um verbrannt zu werden, nehmen, wiederum
andererseits 6.) aber nur als Geschenk.
Das Land, von dem die Rede geht,
es war einst nur in Mauern groß,
dies Land, von Lüge zugeweht,
ich glaubte schon, ich wär es los.
Ich glaubte schon, es wär entschieden,
daß wer nur geht, auch gut vergißt.
Doch war nun auch ein Ort gemieden,
der tief ins Fleisch gedrungen ist.
Als fremder Brief mit sieben Siegeln
ist mir im Herzen fern das Land.
Doch hinter allen starken Riegeln
ist mir sein Name eingebrannt.
Geld & Gedichte
1.) Darf sich das Geld dem Gedicht
zum Geschenk anbieten, andererseits,
darf das Gedicht Geld als Geschenk
überhaupt nehmen? 2.) Geld stinkt nicht,
richtig, aber, nicht mit allem, was nicht
stinkt, geht Fräulein Müller ins Bett.
3.) und andererseits wütet unter der Haut
der Gedichte ein barbarischer Früh-
kapitalismus. Die schwächeren Worte,
etwas verwachsen im Rhythmus,
verschwinden von der Schreiboberfläche
wie die Arbeiterschaft in ihre eigene
Masse verschwindet, wenn sich das Tor
zur Fabrik und die klirrende Nacht
über Manchester schließen. 4.)
und eigentliches Problem: der Mehrwert,
hier wie da, unermeßlich. Die Reichen
werden immer reicher, und die,
die sich die Sprache auf die Geschlechts-
teile legen und für eine einzige Perle
ganze Berge von Muscheln zerschlagen,
transzendieren mit nur wenigen Sätzen
zur unendlichen Geschichte des Glücks.
Andere schwitzen, sitzen unter Tage
und schreiben und schreiben für fast
nichts. Das Gedicht aber, indem es s. o.
gnadenlos kurz ist und rausschmeißt,
was über die Ränder der Brauch-
barkeit fällt, nein, mit Gerechtigkeit
und Sozialbaracke hat das gar nichts
am Stecken, wiederum andererseits
ist es die Verwandlung des Häßlichen
in einen besonderen Fall. Ich würde raten
darum 5.) darf das Gedicht auch
die Schamlosigkeit seiner Umwelt
kopieren und Geld, wenn es schon da ist,
um verbrannt zu werden, nehmen, wiederum
andererseits 6.) aber nur als Geschenk.
Frühjahrskollektion. Gedichte. Suhrkamp 2002
Carl Spitzweg Der arme Poet 1839
Der Kanon Die deutsche Literatur. Gedichte. 7 Bände und 1 Begleitband herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki
Noch ein interessantes Link für Gedichte:
Was er sagt, mag ich vielleicht. Wahrscheinlich.
AntwortenLöschenWie er es sagt, ist mir so reimgefällig, dass ich schlechte Laune kriege. Ich mag nicht hineinhorchen. Nicht zwischen die Wörter denken. Es steht alles schon da. Ein Liedtext, scheint mir. Singen am Lagerfeuer.