Freitag, 22. Juli 2022

Patientenimpressionen 2

Drei Wochen zuhause bis zur Reha meine zwei roten Krücken und ich. Neue Bewegungsabläufe, neue Langsamkeit, neue Bedachtsamkeit, immer eins nach dem anderen, alles durchgeplant und in realisierbare Einzelaktionen aufgeteilt. Dazu die ständige Innenbeobachtung, wo tut was weh und warum, ist es die Hüfte, bitte nur die nicht, nein, es ist nur die Narbe oder einer der vielen Muskeln, die Neues lernen müssen. 

Bisher hatte ich keine Ahnung was meine Lymphen überhaupt so machen, jetzt lerne ich sie kennen, Knie dick, Wade dick, Fuß dick und alle 15 Minuten pullern, Brennnesseltee (Drei "n"!), Lymphdrainage, Kneippgüsse - ich werde zu einer Ansammlung von Heilbehandlungen. 

Da laufe ich 63 Jahre durch die Gegend und mein freundlicher Körper macht was ich will, macht mit, was ich ihm auferlege, antue und plötzlich sagt eben dieser Körper, jetzt bin ich dran, kümmere dich um mich. Er hat jedes Recht dazu, trotzdem hat er mich mit seinen Forderungen überrascht. 

Die Regeln, nicht die Beine übereinanderschlagen, nicht das operierte Bein nach außen drehen, zwischen Oberkörper und Bein muß stets ein Winkel von mindestens 90 Grad bleiben, das ist wie Tanzen mit strengen Vorgaben. Ich stelle fest, dass ich versuche innerhalb dieser Einschränkungen eine gewisse Eleganz zu erreichen, die sich sofort in Luft auflöst, wenn mir was runterfällt. Dann hilft nur noch meine schicke Greifzange oder, wenn die es nicht schafft, warte ich auf den nächsten Besuch, der aufhebt, was ich fallen gelassen habe. Was habe ich für liebenswürdige Freunde! 

Oder, der Weg von mir zur Physio ist kurz, vielleicht normalerweise 1500 Schritte, in etwa 10 Minuten, bestückt mit Krücken zu Beginn 30, jetzt 20 Minuten und ich bin stolz wie ein Marathonläufer, wenn ich wieder daheim bin -und - ich schaue viel mehr als sonst auf den Boden, damit die Krücken nicht in Löcher stockern. 

Soviel Selbstbetrachtung, -beschäftigung, obwohl unbedingt nötig, wirkt trotzdem irgendwie egozentrisch auf mich, arbeiten geht nicht, Intelligentes lesen auch nicht, nur gesund werden ist die Aufgabe.

Dienstag, 19. Juli 2022

Patientenimpressionen 1

Ich humple schon seit langem und als jetzt das andere, das gesunde linke Bein, angefangen hat, sich wegen Überlastung zu beschweren, mußte ich, wohl oder übel, ins Krankenhaus. Meine erste Operation!

"Ein Streifen verrutscht. Halb so schlimm", sagt Dr. Walterfrosch. "kleine Operation, Tiger geheilt." Eine Operation ist, wenn der kleine Tiger eine wohltuende Spritze bekommt, dann schläft und einen schönen blauen Traum hat. Wacht auf, Operation vorbei, Tiger geheilt. Wohltuende kleine Spritze, blauer Traum, Operation vorbei, nix gemerkt, total komplett gesund geheilt. (Janosch)

Die Präparation: Verrückt, Menschen schneiden in Dein Fleisch, sägen ein Stück Knochen ab, stecken eine Konstruktion aus Titan und Kunststoff in dich und nähen dann das Ganze wieder zu. Vorher wurdest du geröntgt, kernspintomographiert, elektrokardiogrammt und sonst noch so Einiges. Du humpelst von Labor zu Labor, sitzt, wartest, siehst andere Kranke und viel Kränkere (Den Anblick von sehr alten Menschen, die in Krankenhausgängen auf Tragen liegen, finde ich entsetzlich traurig.) und du phantasierst dir mögliche imaginäre Schrecklichkeiten zusammen. Natürlich hast du dich vorher informiert, gegoogelt, (Sollte man nur in Maßen tun!) Freunde und Bekannte befragt, aber ... mein Hirn hat einen perversen Spaß daran, sich auszumalen, was alles schief gehen könnte.

Damit sie nicht das falsche Bein aufschneiden!  
 

Die Operation: Nüchtern bleiben (in neuer Bedeutung), "rückenfreies" Nachthemd anziehen, auf einer Trage herumgeschoben werden durch lange, leicht abgeschrammte Gänge vollgestellt mit hochmoderner Technik, der Anästhesist sagt Hallo, der Lagerungsassistent wechselt Nettigkeiten, der Operateur wischt vorbei, Spritze, schlafen, kein Traum.

Die Nachsorge: Wach werden, Aua, Schmerzmittel, schlafen, dämmern, pullern auf einem Schieber (unbequemer, demütigender Horror), Pappstulle mit Pappkäse und Pappbierschinken. Schlafen. Tag 2 aufstehen, selbstständig pinkeln, die Hüfte hält, das Pappessen wiederholt sich. Tag 3 den Flur runter und rauf an Krücken (Meine sind rot, habe ich mir zur Stimmungsaufhellung gekauft.)  schreiten, die Hüfte hält und die Schwestern sind zum überwiegenden Teil sehr lieb, auch unter Stress, die Pappe bleibt Pappe, sogar Schafskäse kann wie Pappe schmecken. Am Tag 4 ich darf runter in den Hof rauchen. Vor einem übergroßen Rauchverbotsschild versammeln sich Kranke und Pfleger und paffen um die Wette. Einer hat zwei gebrochene Arme, ein anderer trägt drei Fläschchen mit verschieden farbigen Flüssigkeiten, die aus ihm herauslaufen, mit sich herum, Rollstühle, Gehhilfen, Krücken, alles vertreten. Wie vorm Späti, nur ohne Bier. Man kommt schnell ins Gespräch, ich sehe ein Video, auf dem Leute mit Baseballschlägern auf einen Mann einprügeln, es ist der mit den eingegipsten Armen. Keiner hat ihm geholfen, als er blutend auf dem Bürgersteig lag, bis auf eine ältere türkische Frau, die ihr Kopftuch abnahm und damit seine Vene abgebunden hat. Er nennt sie jetzt "Mama". Was mag die Vorgeschichte sein.

Wie unterstützend, schützend und tröstend Freundschaften sind, wird einem wohl nie deutlicher, als zu solcher Zeit, wenn man eingeschränkt und rekonvaleszent auf Zuspruch und Hilfe angewiesen ist, ein Kokon von Wärme, Snacks, Aufmunterung und blöden Witzen.

Bis heute tut immer mal was anderes mehr oder weniger weh, aber nicht die neue Hüfte. Wünscht mir Glück!