Samstag, 20. Oktober 2012

Günter Kunert - Kleistgedichte




Kleist zufolge

Der Höhepunkt des Traums: man stirbt.
gemeinsam und nach Tisch am besten.
Weil Weiterleben solchen Traum verdirbt
nebst allen großen Worten, großen Gesten.
Furioses Ende: Statt gemächlich zu erkalten
und sich einander zu vergessen, doch
wer kann sich heute schon an Träume halten?
Fazit: Wir leben beide weiter. Noch

 
Bruder Kleist

Legendenlast: du trägst sie schwer.
Du ahnst zuviel. Und wagst nichts mehr.
Die Welt verläuft. Du bist allein.
Und bist zugleich der Widerschein
von einem längst verwehten Geist
von dem du nur den Namen weißt.
Ein deutsches Schicksal: Was da tönt
ist stets ein Schuss. Bleib unversöhnt.
 
Aus: Günter Kunert: So und nicht anders. Gedichte. Carl Hanser Verlag München Wien, 2002

 Franz Ludwig Close, Heinrich von Kleist mit seiner Mutter

Berlin, den 10. Nov. 1811
Deine Briefe haben mir das Herz zerspalten, meine teuerste Marie, und wenn es in meiner Macht gewesen wäre, so versichre ich Dich, ich würde den Entschluß zu sterben, den ich gefaßt habe, wieder aufgegeben haben. Aber ich schwöre Dir, es ist mir ganz unmöglich länger zu leben; meine Seele ist so wund, daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf schimmert.

H.v.K. an Marie von Kleist


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