Sonntag, 1. Mai 2011

Heinrich Heine - Über den Mai

Die Freiheit der Meinung setzt voraus, dass man eine hat. H.H.

Im wunderschönen Monat Mai

Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen
 
Im wunderschönen Monat Mai
Als alle Vögel sangen,
Da hab ich ihr gestanden
Mein Sehnen und Verlangen 
1822/23


Heinrich Heine, Zeichnung von Franz Theodor Kugler (1808-1858)
»So sah ich aus, heute Morgen, den 6ten April 1829. H. Heine«

Im Mai

Die Freunde, die ich geküßt und geliebt,
Die haben das Schlimmste an mir verübt.
Mein Herze bricht; doch droben die Sonne,
Lachend begrüßt sie den Monat der Wonne.


Es blüht der Lenz. Im grünen Wald
Der lustige Vogelgesang erschallt,
Und Mädchen und Blumen, sie lächeln jungfräulich -
O schöne Welt, du bist abscheulich!

Da lob ich mir den Orkus fast;
Dort kränkt uns nirgends ein schnöder Kontrast;
Für leidende Herzen ist es viel besser
Dort unten am stygischen Nachtgewässer.

Sein melancholisches Geräusch,
Der Stymphaliden ödes Gekreisch,
Der Furien Singsang, so schrill und grell,
Dazwischen des Cerberus Gebell -

Das paßt verdrießlich zu Unglück und Qual -
Im Schattenreich, dem traurigen Tal,
In Proserpinens verdammten Domänen,
Ist alles im Einklang mit unseren Tränen.

Hier oben aber, wie grausamlich
Sonne und Rosen stechen sie mich!
Mich höhnt der Himmel, der bläulich und mailich -
O schöne Welt, du bist abscheulich!
1853/54

Heines Totenmaske
 

1 Kommentar:

  1. Ötti schrieb:
    Selbst Heine fallen die guten Verse ein, wenn er sich verletzt fühlte. Hat er jemals ein Lied darüber geschrieben, dass er jemanden verletzt hat ? Gibt es überhaupt gute Gedichte, die von eigenen Gemeinheiten singen ? Mir fallen nur einige der Sesenheimer Zeit ein, in denen Goethe sehr flott über seinen Verrat hinwegrast. Das macht mich misstrauisch den schönen Seelen gegenüber, seit ich Lyrik lese.

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