Montag, 16. Mai 2011

Erich Kästner - Traurigkeit die jeder kennt

Man weiß von vornherein, wie es verläuft.

Vor morgen früh wird man bestimmt nicht munter.

Und wenn man sich auch noch so sehr besäuft:

die Bitterkeit, die spült man nicht hinunter.

Die Trauer kommt und geht ganz ohne Grund.

Und angefüllt ist man mit nichts als Leere.

Man ist nicht krank. Und ist auch nicht gesund.

Es ist, als ob die Seele unwohl wäre.

Man will allein sein. Und auch wieder nicht.

Man hebt die Hand und möchte sich verprügeln.

Vorm Spiegel denkt man: "Das ist dein Gesicht?"

Ach, solche Falten kann kein Schneider bügeln.

Vielleicht hat man sich das Gemüt verrenkt?

Die Sterne ähneln plötzlich Sommersprossen.

Man ist nicht krank. Man fühlt sich nur gekränkt.

Und hält, was es auch sei, für ausgeschlossen.

Man möchte fort und findet kein Versteck.

Es wäre denn, man ließe sich begraben.

Wohin man blickt, entsteht ein dunkler Fleck.

Man möchte tot sein. Oder Gründe haben.

Man weiß, die Trauer ist sehr bald behoben.

Sie schwand noch jedes Mal, so oft sie kam.

Mal ist man unten, und mal ist man oben.

Die Seelen werden immer wieder zahm.

Der Eine nickt und sagt: "So ist das Leben."

Der andre schüttelt seinen Kopf und weint.

Wer traurig ist, sei´s ohne Widerstreben!

Soll das ein Trost sein? So war´s nicht gemeint.

Erich Kaestner  (1899-1974)

 

3 Kommentare:

  1. nicht nur schafft er es, den bekannten Zustand unjammerlich zu beschreiben. Die letzten Zeilen gehen so weit, darin bösen Witz zu finden.

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  2. Kleines Grinsen auf einer Seite. Kleines Seufzen. Kleines Ach ja, kenn ich irgendwie. Hinten raus ein bisschen kurz, sagt man wohl beim Wein.

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  3. Ein bisschen kurz stimmt, aber auch weil es ihm so peinlich ist und das wiederum verstehe ich.

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