Der Text einer Vorlesung für Kinder, die Michael Faraday, der bedeutende englische Experimentalphysiker, eben der mit dem Käfig, an der Königlichen Institution London gehalten hat. Er gründete diese Veranstaltungen für Kinder 1826, eine Tradition, die noch heute weitergeführt wird.
Die Kerze
Ihre Flamme. Schmelzen des Brennstoffs. Kapillarität des Dochtes. Die Flamme ein brennender Dampf. Gestalt und Theile der Flamme. Deraufsteigende Luftstrom. Andere Flammen
Schon bei einer früheren Gelegenheit wählte ich die Naturgeschichte einer Kerze zum Thema meines Vortrags, und stände die Wahl nur in meinem Belieben, so möchte ich dieses Thema wohl jedes Jahr zum Ausgang meiner Vorlesungen nehmen, so viel Interessantes, so mannigfache Wege zur Naturbetrachtung im Allgemeinen bietet dasselbe dar. Alle im Weltall wirkenden Gesetze treten darin zu Tage, und schwerlich möchte sich ein bequemeres Thor zum Eingang in das Studium der Natur finden lassen.
Vorweg möchte ich mir die Bitte an meine Zuhörer erlauben, bei aller Bedeutung unseres Gegenstandes und allem Ernst der wissenschaftlichen Behandlung desselben doch von den Älteren unter uns absehen zu dürfen und das Vorrecht zu beanspruchen, als junger Mann zu jungen Leuten zu sprechen, wie ich es früher bei ähnlicher Veranlassung gethan, und wenn ich mir auch bewußt bin, daß meine hier gesprochenen Worte in weitere Kreise hinausdringen, so soll mich dies doch nicht abhalten, den früher gewohnten Familienton gegen die mir Nächststehenden auch in den gegenwärtigen Vorlesungen anzuschlagen.
Zuerst muß ich Euch, meine lieben Knaben und Mädchen, wohl erzählen, woraus Kerzen verfertigt werden. Da lernen wir denn ganz sonderbare Dinge kennen.
Hier habe ich etwas Holz, Baumzweige, deren leichte Brennbarkeit Euch ja bekannt ist - und hier seht Ihr ein Stückchen von einem sehr merkwürdigen Stoffe, der in einigen Moor-Sümpfen Irlands gefunden wird, sogenanntes "Kerzenholz" es ist dies ein vorzüglich hartes, festes Holz, als Nutzholz vortrefflich verwendbar, da es sich sehr dauerhaft zeigt, bei alledem aber so leicht brennend, daß man an seinen Fundorten Späne und Fackeln daraus schneidet, die wie Kerzen brennen und wirklich ausgezeichnetes Licht geben, so daß wir hierin die natürlichste Kerze, eigentlich eine Naturkerze vor uns sehen.
Wir haben hier indeß besonders von Kerzen zu sprechen, wie sie im Handel vorkommen. Hier sind zunächst etliche sogenannte gezogene Lichte. Dieselben werden auf folgende Weise verfertigt: Baumwollene Schnüre werden mit einer Schlinge an einem Stab aufgehängt, in geschmolzenen Talg eingetaucht, herausgezogen und abgekühlt dann wieder eingetaucht, und dieses Verfahren so lange fortgesetzt, bis eine genügende Menge Talg rings um den baumwollenen Docht hängen geblieben ist, und so die Kerze die gewünschte Dicke erhalten hat.
Die große Verschiedenartigkeit der Kerzen könnt Ihr recht deutlich an denen sehen, welche ich hier in der Hand halte, diese sind auffällig dünn, sie wurden ehedem von den Bergleuten in den Kohlenbergwerken gebraucht. In früheren Zeiten mußte sich der Bergmann seine Kerzen selbst verfertigen aus Sparsamkeit nun, besonders aber wohl, weil man der Meinung war, die Grubengase würden von einer kleinen Flamme nicht so rasch entzündet wie von einer großen, machte man die Kerzen so dünn, daß 20, 30, 40, ja 60 auf das Pfund gingen. Statt ihrer kamen die Davy'sche und verschiedene andere Sicherheitslampen in Gebrauch.
Hier seht Ihr dagegen eine Kerze, welche Oberst Pasley aus dem untergegangenen Schiff Royal George entnommen hat. Viele Jahre lang auf dem Meeresgrund der Einwirkung des Seewassers ausgesetzt, überdies geschunden und zerknickt, zeigt sie uns, wie gut sich eine Kerze conserviren kann: denn angezündet brennt sie ganz gleichmäßig fort, und der schmelzende Talg bewährt sich völlig in seinen ursprünglichen Eigenschaften.
Herr Field in Lambeth hat mir viele sehr gute Zeichnungen und Materialien aus der Kerzenfabrikation zugestellt, mit denen ich Euch bekannt machen werde.
Hier zunächst ist Nierenfett, Rindertalg, ich glaube russischer Talg, aus dem die gezogenen Lichte gemacht werden. Der Talg wird zuerst mit gelöschtem Kalk gekocht, wodurch eine Art Seife gebildet wird diese Seife wird dann durch Schwefelsäure zersetzt, welche den Kalk fortnimmt und das veränderte Fett als Stearinsäure zurückläßt. Zugleich wird etwas Glycerin, eine syrupartige Flüssigkeit, gebildet.
Durch Auspressen wird sodann alles Oelige entfernt, und Ihr seht hier einige Preßkuchen, an denen sich zeigt, daß die Unreinigkeiten je nach der Stärke des Druckes allmählich mehr und mehr entfernt werden, die zurückgebliebene Masse wird nun geschmolzen und zu Kerzen gegossen, wie sie hier vor uns liegen. Die Kerze, welche ich hier in der Hand habe, ist eine auf dem beschriebenen Wege hergestellte Stearinkerze.
Daneben habe ich eine Wallrathkerze, aus dem gereinigten Fett des Pottfisches verfertigt ferner seht Ihr hier gelbes und weißes Wachs, woraus Kerzen gemacht werden hier eine merkwürdige Substanz, das aus irischen Sümpfen gewonnene Paraffin, so wie einige Paraffinkerzen.
Seht, wie wunderschön diese Kerzen hier gefärbt sind! Malvenblau, Magenta und alle die neu erfundenen prächtigen Farben sind zur Verschönerung verwendet.
In dieser Kerze hier zeigt sich in wundervoller Form eine gekehlte Säule, und hier habe ich mit bunten Blumen schön bemalte Kerzen, die angezündet eine strahlende Sonne und darunter einen blühenden Garten darstellen. Indeß, nicht alles Schöne ist nützlich, und diese gekehlten Kerzen sind bei ihrem schönen Ansehen doch schlechte Kerzen, und zwar gerade infolge ihrer Form durch dergleichen Verfeinerungen wird meistens die Brauchbarkeit beeinträchtigt.
Ich wende mich nunmehr zu unserem eigentlichen Thema, zunächst zur Flamme der Kerze. Wir wollen eine oder zwei anzünden und so in Ausübung ihrer eigenthümlichen Functionen setzen. Ihr bemerkt, wie ganz verschieden eine Kerze von einer Lampe ist. Bei einer Lampe hat man den mit Oel gefüllten Behälter, in welchen der aus Moos oder Baumwolle bereitete Docht gebracht wird das Dochtende zündet man an, und wenn die Flamme bis zum Oel hinabgekommen, verlöscht sie dort, brennt aber in dem höher gelegenen Theile des Dochtes fort.
Nun werdet Ihr unzweifelhaft fragen, wie es kommt, daß das Oel, welches für sich nicht brennen will, zur Spitze des Dochtes gelangt, wo es brennt, wir werden das sogleich untersuchen. Aber bei dem Brennen einer Kerze geschieht noch etwas weit Merkwürdigeres. Hier haben wir eine feste Masse, die keinen Behälter braucht - wie kann wohl diese Masse da hinaufgelangen, wo wir die Flamme sehen, da sie doch nicht flüssig ist? Oder, wenn sie in eine Flüssigkeit verwandelt ist, wie kann sie dabei doch in festem Zusammenhalt bleiben?
Wahrlich ein merkwürdig Ding, so eine Kerze!
Da bemerken wir denn zunächst, wie die oberste Schicht der Kerze gleich unter der Flamme sich einsenkt zu einer hübschen Schale. Die zur Kerze gelangende Luft nämlich steigt infolge der Strömung, welche die Flammenhitze bewirkt, nach oben und kühlt dadurch den Mantel der Kerze ab, also daß der Rand des Schälchens kühler bleibt und weniger einschmilzt als die Mitte, während auf diese die Flamme am meisten einwirkt, da sie so weit als möglich am Docht herabzulaufen strebt.
So lange die Luft von allen Seiten gleichmäßig zuströmt, bleibt unser Schälchen vollkommen wagrecht, sodaß die darin schwimmende geschmolzene Kerzenmasse ebenfalls wagrecht darin stehen bleiben muß stelle ich aber einen seitlichen Luftstrom her, so wird alsbald das Schälchen schief und läuft die flüssige Masse an der Seite herab - jenes wie dieses nach demselben Gesetz der Schwere, welches die Welten treibt und zusammenhält. Ihr seht also, daß die Schale durch den gleichmäßig aufsteigenden Luftstrom gebildet wird, welcher das Aeußere der Kerze von allen Seiten umspielt und es dadurch kalt hält. Nur solche Stoffe können zu Kerzen verwendet werden, welche die Eigenschaft besitzen, beim Brennen ein derartiges Schälchen zu bilden.
Wie gelangt der Brennstoff der Kerze aus dem Schälchen den Docht hinauf an den Verbrennungsort? Ihr wißt, daß bei Wachs-, Stearin-, Wallrathkerzen die Flamme am brennenden Docht nicht herunterläuft zum Brennstoff und diesen ganz fortschmilzt, sondern daß sie an ihrem Platze oben bleibt, getrennt von dem Flüssigen darunter und ohne sich an dem Rand der Schale zu vergreifen. Ich kann mir kein schöneres Beispiel von Anpassung denken: Um die beste Wirkung hervorzubringen, ist in der Kerze jeder Theil dem andern dienstbar. Es ist mir ein wundervoller Anblick, diesen brennbaren Stoff so allmählich abbrennen zu sehen, ohne je von der Flamme ergriffen zu werden, zumal wenn man dabei erwägt, welche Kraft der Flamme innewohnt, das Wachs zu zerstören, wenn sie ihm zu nahe kommt.
Wie aber erfaßt nun die Flamme den Brennstoff? Durch kapillare Anziehung!
"Kapillare Anziehung?" fragt Ihr. "Haarröhrchen-Anziehung?" Nun, der Name thut nichts zur Sache - man hat ihn zu Zeiten gegeben, wo man noch gar kein rechtes Verständniß von der Kraft hatte, die er bezeichnen sollte. Die Wirkung dieser sogenannten Kapillaranziehung ist, daß der Brennstoff an den Verbrennungsort hingeleitet und abgesetzt wird, und zwar nicht von ungefähr, sondern hübsch ordentlich grade in die Mitte des Herdes, auf dem der Prozeß vor sich geht.
Vermöge dieser Kraft können zwei Körper, die nicht in einander übergehen, doch an einander haften. Wie Ihr nach dem Händewaschen ein Handtuch nehmt, das die Nässe von den Händen aufsaugt, so saugt der Docht infolge derselben Attraction das Wachs, Stearin etc. in sich hinein und bis zur Flamme hinauf.
Ich kannte einige unordentliche Kinder, die nach dem Abtrocknen der Hände das Handtuch nachlässig über den Waschbeckenrand hinwarfen nach kurzer Zeit hatte das Tuch alles Wasser aus dem Becken auf die Dielen geleitet, weil es zufällig so auf den Rand zu liegen gekommen war, daß es als Heber wirken konnte. In gleicher Weise nun steigen beim Brennen die geschmolzenen Wachstheilchen im Docht empor und gelangen in die Spitze andere Theilchen wandern infolge ihrer gegenseitigen Anziehung ihnen nach, und die einen nach den andern werden, wie sie nach und nach in die Flamme eintreten, so von dieser verzehrt.
Der einzige Grund nun, weshalb eine Kerze nicht ohne Weiteres längs des Dochtes herabbrennt, liegt darin, daß geschmolzener Talg die Flamme auslöscht. Ihr wißt, daß eine Kerze sofort ausgeht, wenn man sie umdreht, so daß der geschmolzene Brennstoff im Docht zur Spitze fließen kann. Es kommt dies daher, daß die Flamme nicht Zeit genug hat, den jetzt in größerer Menge schmelzenden Brennstoff gehörig zu erhitzen, wie sie es von oben thut, wo nur kleinere Quantitäten nach und nach schmelzen, im Docht aufsteigen und die Hitze ihre volle Wirkung auf dieselben ausüben kann.
Wir gelangen jetzt zu einem sehr wichtigen Punkt in unserer Betrachtung, ohne dessen eingehende Erörterung Ihr nicht im Stande wäret, den Vorgang in der Kerzenflamme vollkommen zu verstehen ich meine den gasförmigen Zustand des Brennstoffs. Damit Ihr mich recht versteht, will ich Euch ein ebenso niedliches wie einfaches Experiment zeigen. Wenn Ihr eine Kerzenflamme vorsichtig ausblast, seht Ihr Dämpfe davon emporsteigen Ihr habt sicherlich schon oft den Dampf einer ausgeblasenen Kerze gerochen - es ist ein sehr unangenehmer Geruch. Geschieht aber, wie ich sagte, das Ausblasen recht vorsichtig, so kann man ganz deutlich den Dampf sehen, in welchen sich die feste Masse der Kerze verwandelt hat.
Ich werde jetzt eine dieser Kerzen so ausblasen, daß die Luft ringsherum dabei nicht bewegt wird, nämlich mit Hilfe beständig anhaltender Einwirkung meines Athems und wenn ich nun einen brennenden Span dem Docht auf 2 bis 3 Zoll nähere, so bemerkt Ihr einen Feuerschein, der durch den Dampf hindurchzuckt, bis er zur Kerze gelangt. Mit all dem muß ich sehr rasch fertig werden, weil sich der Dampf, wenn ich ihm Zeit zum Abkühlen lasse, in flüssiger oder fester Form verdichtet, oder der Strom entzündbarer Substanz sich zerstreut.
Wir kommen jetzt zu Umriß und Gestalt der Flamme. Ihr kennt die glänzende Schönheit des Goldes und des Silbers, das noch hellere Schimmern und Glitzern der Edelsteine, wie Rubin und Diamant - aber nichts kommt dem Glanz und der Schönheit einer Flamme gleich. Sie bildet einen unten abgerundeten Kegel, oben heller als unten, den Docht in der Mitte. Unten, in der Nähe des Dochtes, unterscheidet man deutlich einen dunkleren Theil, in welchem die Verbrennung noch nicht so vollständig ist als in den höheren Partien.
Jetzt werde ich das Sonnenlicht nachahmen, indem ich diese Volta'sche Säule mit einer electrischen Lampe in Verbindung setze. Hier steht unsere selbstgeschaffene Sonne und ihre große Lichtfülle! Wenn ich nun zwischen sie und diesen Schirm eine Kerze stelle, so erhalten wir hier den Schatten der Flamme. Ihr unterscheidet deutlich den Schatten der Kerze und des Dochtes dann hier den dunklen Theil, dann eine hellere Partie. Es ist merkwürdig, daß wir den Theil der Flamme im Schatten als den dunkelsten sehen, der in Wirklichkeit der Hellste ist. Hier endlich zeigt sich der aufsteigende Luftstrom, der die Flamme nährt, sie mit sich emporzieht und den Rand des Brennschälchens abkühlt.
Nun muß ich Eure Aufmerksamkeit auf einige andere Punkte lenken. Viele der hier brennenden Flammen weichen in ihrer Form bedeutend von einander ab, und zwar wiederum infolge der Luftströme, die sie in verschiedenen Richtungen umwehen. Andererseits aber können wir auch Flammen herstellen, die wie feste Körper stehen bleiben, sodaß wir sie bequem photographiren können - und letzteres müssen wir auch wirklich thun, um noch mancherlei daran zu untersuchen. Nehme ich eine hinlänglich große Flamme, so behält sie nicht die gleichmäßige bestimmte Gestalt, sondern sie verzweigt sich mit einer ganz wunderbaren Kraft.
Gewiß haben Viele von Euch sich schon am Snapdragon ergötzt, welches Spiel im Wesentlichen darin besteht, im Dunkeln Branntwein über Rosinen oder Pflaumen in einer Tasse abbrennen zu lassen. Ich kenne keine schönere Erläuterung zu diesem Theil unseres Gegenstandes, als jenes Spiel. Hier habe ich zunächst eine Schale und bemerke dabei, daß man, um ein recht schönes Snapdragon zu bekommen, eine vorher gut erwärmte Schale nehmen muß auch sollte man die Pflaumen und den Branntwein vorher erwärmen.
Wie wir bei einer Kerze oben das Schälchen und darin den geschmolzenen Brennstoff haben, so hier die Schale mit dem Spiritus darin, während der Docht hier von den Rosinen vertreten wird. Ich zünde jetzt den Spiritus an, und Ihr seht nun die wundervollen Flammenzungen emporschlagen Ihr seht, wie die Luft über den Schalenrand hineinsteigt und diese Zungen emportreibt. Wie so? Nun, bei der Heftigkeit der Luftströmung und der Unregelmäßigkeit des Vorganges kann die Flamme nicht in einem Zuge gleichmäßig emporsteigen. Die Luft fließt so unregelmäßig in die Schale hinein, daß Ihr das, was sich sonst als einheitliches Bild darstellen würde, in eine Menge verschiedener Gestaltungen zerrissen seht, von denen jede ihre eigene unabhängige Existenz besitzt. Ich möchte fast sagen, wir sähen hier eine Anzahl einzeln für sich bestehender Kerzen vor uns. Aber Ihr müßt Euch nicht vorstellen, daß, weil man alle diese Zungen auf einmal sieht, ihr Gesammtbild die eigenthümliche Gestalt der Flamme darstelle. Es ist eine Menge von Formen, die so rasch auf einander folgen, daß das Auge sie nicht einzeln zu fassen im Stande ist, sondern den Eindruck von allen gleichzeitig empfängt.
Es thut mir leid, daß wir heute nicht weiter als zu meinem Snapdragon-Spiel gekommen sind. Es soll mir aber für die Zukunft eine Mahnung sein, mich strenger an die Sache zu halten, und Eure Zeit nicht so sehr mit dergleichen Ausschmückungen in Anspruch zu nehmen.