Dienstag, 11. März 2014

Die unsichtbaren Städte - Italo Calvino



Marco Polo ließ, wenn wir ihm glauben dürfen, 1298/99 die Erinnerungen an seine Reisen, zu denen auch sein Zusammentreffen mit Kublai Khan, dem mongolischen Herrscher Chinas gehörte, von einem Mitgefangenen in Genueser Kriegsgefangenschaft namens Rustichello da Pisa niederschreiben. "Il Milione" oder "Das Buch des Marco Polo, Bürger der Stadt Venedig, genannt Milione, worin von den Wundern der Welt berichtet wird" nannte er es und keiner seiner Zeitgenossen glaubte ihm ein Wort davon. 

Um 1970 schreibt Italo Calvino diesen Bericht weiter. Das riesige Reich des Kublai Khan ist in keinem guten Zustand. Marco Polo und der Khan disputieren über Städte, wobei der Herrscher auf der Suche nach der perfekten Stadt ist und der Reisende ihm erträumte, unmögliche, erhoffte Städte anbietet. 

"Während auf deinen Wink hin, Sire, die eine und letzte Stadt ihre makellosen Mauern erhebt, sammle ich die Asche der anderen möglichen Städte, die verschwinden, um ihr Platz zu machen, und nie wieder aufgebaut werden noch in Erinnerung bleiben können. Nur wenn du den unaustilgbaren Rest von Unglück kennst, den kein Edelstein aufwiegen kann, wirst du die genaue Karatzahl berechnen können, die der letzte Diamant anstreben muß, und wirst dein Projekt nicht von Anfang an falsch berechnen." I.C.

55 Miniaturen verbunden durch knappe, präzise Gespräche der beiden Protagonisten.
Ein Buch aus Seide, ganz leicht, wehend und rissfest.

Die, für meine Ohren oder Augen, feine Übersetzung ist von Burkhart Kroeber, das Nachwort von Calvinos Freundfeind Paolo Pasolini.
Pasolini schreibt: "Und so wie jede Erzählung aus Tausendundeiner Nacht von einer Abnormität des Schicksals berichtet, so schildert jede Beschreibung Calvinos eine Abnormität im Verhältnis zwischen dem Reich der Ideen und der Wirklichkeit."


Illustration aus Il Milione
Er [Kublai] sagt: »Es ist alles vergebens, wenn der letzte Anlegeplatz nur die Höllenstadt sein kann und die Strömung uns in einer immer engeren Spirale dort hinunterzieht.«
Darauf Polo: »Die Hölle der Lebenden ist nicht etwas, das erst noch kommen wird. Wenn es eine gibt, ist es die, die schon da ist, die Hölle, in der wir jeden Tag leben, die wir durch unser Zusammensein bilden. Es gibt zwei Arten, nicht unter ihr zu leiden. Die erste fällt vielen leicht: die Hölle zu akzeptieren und so sehr Teil von ihr zu werden, daß man sie nicht mehr sieht. Die zweite ist riskant und verlangt ständige Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft: zu suchen und erkennen zu lernen, wer und was inmitten der Hölle nicht Hölle ist, und ihm Dauer und Raum zu geben.« I.C.


Was für schöne Kapitelüberschriften:

Die Städte und die Erinnerung
Die Städte und der Wunsch
Die Städte und die Zeichen
Die fragilen Städte
Die Städte und der Tausch

Die Städte und die Augen
Die Städte und der Name
Die Städte und die Toten
Die fortdauernden Städte
Die Städte und der Himmel
Die verborgenen Städte

Das Museum Jumex des Archtekten David Chipperfield in Mexiko City:




Montag, 10. März 2014

Theater und das nervende ABER


Emil Nolde 1921
Nach dem Sündenfall

Eine Theaterliebhaberin in penetranter Sinnkrise, aber voller liebhaberischer Hoffnung beschreibt ein Theater- und Kino-gefülltes Wochenende: unfair, ja, ungerecht, geschmäcklerisch, persönlich, all das in offenster Weise, jetzt und hier!

Am Freitag in der Komischen Oper "Die Zauberflöte": die Karten zu bekommen, war ein privilegiertes Glück, wir haben uns mächtig aufgebrezelt und wurden wunderbar behandelt.
19.30 Uhr: Videocartoons als Bühnenbild, viktorianische Kinderbücher, Disneys frühe Filme und Monty Python geben sich die Ehre. Die Regie führte Barrie Kosky und für die Animation war die Gruppe "1927" verantwortlich. Die Vorstellung ist ausverkauft bis zum Sanktnimmerleinstag, das Publikum eine glückliche Mischung aus illustren Opernliebhabern, Kindergruppen und beseelten Touristen. Ich erlebte Begeisterungsstürme. Hinreißend, unterhaltsam, lustig, niedlich, endlich kann man seine Kinder in die Oper mitnehmen!
aber,
es war zuviel des Guten. Nur wenige Sänger waren in der Lage, gleichzeitig zu singen und die  Interaktion mit den bewegten Bildern und die Stummfilmspielweise zu erfüllen, und, alles in allem, bleiben, wenn man die Illustration der alten Bühnenbildanweisungen und die unzähligen spaßigen kleinen Einfälle subtrahiert, nur wenige Szenen länger im Gedächtnis. Und, welch konservativer Gedankengang, lenkt so viel Film nicht die Aufmerksamkeit  mit unbarmherziger Verführung fort von der Musik? Ein MTV-Video der Magic Flute?
Es bleibt mir eine von Beate Ritter wundervoll gesungene Königin der Nacht, der flirrende Papageno des Dominik Köninger und ein paar tolle Szenen, wo Spieler und Video zusammen agierten und etwas Neues entstand.


Samstag im Maxim Gorki Theater "Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen",
vier Spielerinnen, stark, locker, anwesend, frech. Die vier sprechen vorangig chorisch, und das sehr gut. Der Text vibriert zwischen Kabarett und dem Ton, der von mir oft geliebten Kolumnen Sybille Bergs. Das Tempo ist hoch, es wird viel und wild getanzt. Der Saal fühlt sich angesprochen.
aber,
ich nicht. Bin ich zu alt oder ist niemand jemals wirklich derart jung, wie hier behauptet wird?

Einige Zeit habe ich düster darüber sinniert, dass ich vor ... Jahren den sportlichen Herausforderungen eines solchen Abends noch locker gewachsen gewesen wäre. Ach.


Am Sonntag dann "August Osange County" im Kino. Große Schauspielkunst! Meryl Streep & Julia Roberts & Chris Cooper & die mir bisher unbekannte Margo Martindale & der ganze Rest, sind wunderbar. Überhaupt, sollte sich Frau Streep je dazu entschließen, das Telephonbuch von Los Angeles zu verlesen, ich werde dabei sein und ihr atemlos zuhören und staunen.

aber, 
die Geschichte ist dünn, die Autorin Tracy Letts Tennessee Williams armer Cousin in dritter Generation, der durch jahrelange Behandlung mit Nachmittagsserien die Schärfe verloren gegangen ist. Und in der zweiten Hälfte wird so viel geweint, dass man, schon aus Höflichkeit, nicht selber zum Weinen kommt, wobei der behäbige Symbolismus, für den die indianische, First Nation Haushälterin herhalten muß, meine Distanziertheit noch verschärft hat.


Ach, Mensch, ich bin eine alte Meckertante!
 

Sonntag, 9. März 2014

Piero della Francesca - Jesus schläft



  JESUS SCHLÄFT, 
WAS SOLL ICH HOFFEN?

Detail
Pala Montefeltro, auch genannt Pala di Brera oder 
Madonna mit Kind und Heiligen und dem Stifter Federico da Montefeltro

Geht leise
Geht leise
Es ist müd von der Reise!
Es kommt weit her:
Vom Himmel übers Meer,
Vom Meer den dunklen Weg ins Land,
Bis es die kleine Wiege fand –
Geht leise!
Paula Dehmel
Jesu schläft, was soll ich hoffen? Johann Sebastian Bach

Die Pala Montefeltro ist ein Altarbild des italienischen Malers Piero della Francesca. 
Das Bild zeigt eine sogenannte Sacra Conversazione: die Madonna mit dem schlafenden Kind, umgeben von sechs Heiligen und vier Engeln zusammen mit dem Stifter des Bildes, Federico da Montefeltro.
Wiki 

Das ganze Bild. Eine starre, fast erfroren wirkende Gruppevon Anbetenden, 
nur das Kind, wenn auch prekär auf den Kniender säulenartigen Mutter liegend, 
schläft. Ganz weich, ganz tief.

Über allem hängt ein Ei an einer güldenen Kette.

Ein weiteres Symbol für Maria ist das, an einer Goldkette aufgehängte Straußenei. 
Das Ei ist in ein in vielen Religionen übliches Symbol mit einer Vielzahl
von Bedeutungen. Im alten Ägypten war das Ei Symbol für das Leben nach dem Tod,
der Kirchenvater Augustinus deutet es als Symbol der Hoffnung. Für den Theologen
Hugo von Sankt Viktor ist das Straußenei Symbol für Christi Tod und Auferstehung. 
Manche Interpreten deuten das Straußenei in Pieros Bild als Zeichen für die
Unbefleckte Empfängnis Mariens.
Wiki

 Horst Antes 1974
Das Ei des Piero della Francesca


Samstag, 8. März 2014

Eine Tirade - Die Addams Familie


EINE ERSCHROCKENE TIRADE

Mein neuestes Steckenpferd möchte ich: "folkloristisches Politizieren" nennen, etwas, dass nicht wirklich neu ist, sich aber momentan zu einer Art Volksportbewegung auszuwachsen scheint.

Da wird, im Namen der Meinungsfreiheit, Andersmeinenden, grundherztief empört, das eigene betonierte Demokratieverständnis um die Ohren und vors Maul gehauen. Übrigens in beide Richtungen. 
Über Wörter, Witze, Wandbilder werden Todesurteile gesprochen, um Gehirne vor der Gefährdung durch eigene durchdachte Entscheidungen zu schützen. 
Wir lassen denken! Wir lassen sprechen! Ein massgeschneidertes Vokabular für den verunsicherten Bürger wird verordnet und dankbar entgegengenommen. Abweichungen vom wohlsituierten Konsens werden an die nächste buntbemalte Wand gestellt und mit Hilfe von selbstgerechtem, aus der Angst falsch zu liegen, geborenem Verbalkot beschossen. 
Und dabei ist jede häßliche Verbalinjurie erlaubt. Humanistisches Liebgehabe solange es den eigenen, eng gefassten, weil nicht selbst überprüften Vorstellungen entspricht, aber wenn nicht, dann WEHE! 

Sind wir alle blöd geworden oder waren wir es immer schon und haben uns nur nicht getraut, unseren Denkmüll bei jeder Gelegenheit über die Leute zu schippen?

Stellt man Fragen zur Zusammensetzung der Protestierenden auf dem Maidan, läßt die Unterstellung man wäre ein Liebhaber Putinscher Großrusslandpolitik nicht lange auf sich warten. 
Niemand hindert uns, Herrn Sarrazin einen bigotten Statistikenverdreher und hysterischen  Überfremdungpaniker zu nennen, aber wenn er dies bei einem öffentlichen Auftritt unter Beweis stellen will, schreit man so lange dazwischen, bis er sich mit selbstgerechtem "Seht ihr, ich sag's ja"-Lächeln zurücklehnen kann.
Die alte Mohrenstrasse bereitet einigen Mitbürgern seelische Pein, also weg damit, der hochvereherte Nelson Mandela soll nun als Ersatzname herhalten.
Frau  Lewitscharoff mißbraucht in Dresden eine harmlose Theaterveranstaltung, um ihre bedauerlichen alttestamentarischen, ganz offensichtlich aus tiefen inneren Nöten konstruierten und von jedem wissenschaftlichem Unterbau freien Thesen in die Ohren der Zuhörer zu blasen. Bedauerlich. Traurig für sie. Aber muß sie deshalb aus der menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen werden? Insbesondere, wenn gleichzeitig der Oberhirte der weltgrößten reaktionären Vereinigung, nur durch seine Vorliebe für das einfache Leben, urplötzlich die Aura des fortschrittlichen Hoffnungsträgers um die alten Schultern gelegt bekommt?

Was ist mit uns los? Wir fordern Multikulturalismus, Toleranz und Offenheit, aber sobald sie uns in der Auseinandersetzung mit unangenehmen Zeitgenossen abgefordert wird, knicken wir ein und schreien nach nach der Meinungspolizei.
 
Demokratie und wirkliche Akzeptanz sind anstrengend, ungemütlich und fordern unablässige Selbstbefragung, sprich eine Streitkultur, uns hier in Deutschland, geht es relativ gut, wir könnten uns das leisten, wenn wir willens wären, uns der Mühe zu unterziehen. 

Was ist mit uns los?

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CHARLES ADDAMS
1912 - 1988

"Normal ist eine Illusion. Was für die Spinne normal ist, ist Chaos für die Fliege."

“Normal is an illusion. What is normal for the spider is chaos for the fly.”


"Plötzlich habe ich das grässliche Bedürfnis fröhlich zu sein."
"Nun, einfach aufprobieren und gucken wie sie passt."

Warum es keine mehr gibt.
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Mohr: Das Wort ist bereits im Althochdeutschen des 8. Jahrhunderts in der Form mōr belegt. Ursprünglich bezeichnete es, gleich wie später im Mittelhochdeutschen (in der Form mōr oder mōre) einen Mauren. Der Begriff Maure selbst stammt vom Griechischen μαῦρος, was so viel wie „schwarz, dunkel, dunkelhäutig, dunkelhaarig“ bedeutet.

Die Mohrenstraße wurde nach Afrikanern benannt, die im 18. Jahrhundert im preußischen Heer als Musiker dienten und deren Kaserne hier stand. Es wird vermutet, dass der Schokoladenhersteller Sarotti zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Mohren als Markenzeichen zu verwenden begann, weil der Stammsitz der Firma in der Mohrenstraße lag. (Beide Zitate: Wiki)


Mittwoch, 5. März 2014

Eiscrème oder der Frühling kommt


Frühling in Berlin-Mitte. Eine Freundin sieht überall, 
wie sich Schneeglöckchen aus Asphaltritzen hervorkämpfen, 
die Filmfestspiele sind vorbei, brave Freischaffende wühlen sich 
durch den Steuerkram des letzten Jahres, meine Mitmenschen 
bekommen wieder Körper mit Umrissen, die nicht von Steppmänteln 
und anderen Unformen verdeckt werden, Cafes stellen Stühle 
und Tische auf die Bürgersteige und meist rote Decken dazu. 

Als ich sehr jung war, begann ungefähr um diese Jahreszeit, 
der heroische Kampf um die Kniestrümpfe und noch heute  
werde ich sentimental, wenn ich Kinder mit blaugefrorenen Knien 
und stolzen Frostgesichtern sehe, weil ich dann weiss, heute hat eines 
diesen Kampf für sich entschieden. Das ist wie mit den blauen 
Lippen bein Schwimmen, bis zum ungefähren Alter von zwölf, 
hat das nichts mit Kälte zu tun, nein, so wenig, 
wie die klappernden Zähne!

In der Reinhardtstrasse gab es nun an der Ecke zum 
alten Friedrichstadtpalast, der 1985 abgerissen worden ist, 
eine kleine Eisdiele. Vier Sorten Eis und Halbgefrorenes, 
handgemacht, ohne Zusatzstoffe (oder vielleicht auch mit welchen?) 
und im Sommer als Spezialität Johannisbeereis mit 
ganzen Johannisbeeren. 
Die Johannisbeeren waren aus dem Obst-und Gemüseladen 
in der Albrechtstrasse, direkt neben meinem Kindergarten. 
Dieser Laden war, wie alle "Obst-und Gemüseläden" der DDR 
eine traurige Angelegenheit, halbleer, nicht gut riechend. 
Kohl, Kartoffeln, Zwiebeln, Suppengrün, Äpfel immer, 
der Rest war Glückssache. Aber er hatte auch zwei dicke 
nette Verkäuferinnen, die sich für das miese Angebot 
zu schämen schienen, und eben im Sommer, 
manchmal Johannisbeeren.

Wunderbares Eis, pro Kugel, soweit ich mich erinnere, 
30 Pfennig der DDR.Die andere Möglichkeit war Moskauer Eis, 
sahnige Vanille zwischen zwei rechteckigen pappigen Waffeln 
und in so komisches Papier gepackt. Gab es im Konsum 
für eine Mark und wenn ich wiedermal die Polypen 
rausgeschnitten bekommen hatte, durfte ich, als Trost 
und zur besseren Heilung durch Kühlung, sechs solche Eiswaffeln 
mit Sirup obendrauf essen!

Eine Waffel mit drei Kugeln, Schoko, Erdbeer und Schoko, 
war mein Frühlingsanfang! Und ist es eigentlich noch immer. 
Die Eisdiele ist eine andere, die Eissorten sind eleganter geworden, 
und die Sorge um das Gewicht ist dazugekommen, 
aber sonst bin ich die Gleiche geblieben. Hihihi!


Der alte Friedrichstadtpalast von hinten, am Bühneneingang 
standen oft Gruppen rauchender Frauen mit unfaßbar langen Beinen, 
besonders wenn man selber insgesamt nicht länger war als diese Beine - 
Emöke Pöstenyi & Susan Baker, Tänzerinnen des Friedrichstadtpalast-Balletts waren die allerschönsten.

Es ist März, Kniestrümpfe trage ich nicht mehr, aber ich habe jetzt wieder 
einen feinen Eisladen gefunden, denkbar unromantisch in den 
Potsdamer Platz Arkaden gelegen, aber das Eis ist klasse.

Caffè e Gelato 
GmbH & Co. KG
Potsdamer Platz – Arkaden Center
Alte Potsdamer Str. 7
10785 Berlin
Tel: +49/30/2529 7832
Fax: +49/30/25297833
E-Mail: info@caffe-e-gelato.de
Öffnungszeiten

Sommer:
Mo. bis Do. 10:00 - 22:30
Fr. 10:00 - 23:00
Sa. 10:00 - 24:00
So. 10:30 - 22:00

Winter:
Mo. bis Do. 10:00 - 21:30
Fr. 10:00 - 23:00
Sa. 10:00 - 24:00
So. 10:30 - 22:00

Montag, 3. März 2014

David & Michelangelo & Da Vinci


Leonardo Da Vinci 1452 - 1519 
& Michelangelo Buenarotti 1475 - 1567

Florenz zwischen 1490 und 1504


Der David des Michelangelo
Florenz 1501-04
&

Kritische Zeichnung von Leonardo zum David
Florenz circa 1452

Die Schlinge ist in der herunterhängenden Hand und die wunderbar angespannte 
Haltung des angewinkelten Arms ist aufgelöst.
 
Es wird glaubwürdig behauptet, die beiden hätten sich nicht gemocht, nichtsdestotrotz,
 oder gerade deshalb, vergab die Republik Florenz in Person des Gonfaloniere 
Piero Soderini an beide den Auftrag für Schlachtgemälde (Frescen) für den Saal 
der Fünfhundert im Palazzo Vecchio.

Die Regierung von Florenz gab im Jahr 1503 Leonardo da Vinci den Auftrag ein Wandgemälde der siegreichen Schlacht von Anghiar zu malen. 
Als Leonardo im Mai 1506 nach Mailand ging, ließ er sein Werk unvollendet zurück. 
(Wiki verändert)
 
Peter Paul Rubens 
Kopie des verlorenen oder übermalten Frescos Die Schlacht von Anghiar
Da Vinci

Ein geplanter Überraschungsangriff des mailändischen Heeres wird von den Florentinern durch die von deren Pferden aufgewirbelte Staubwolke frühzeitig bemerkt und vereitelt.

&

Die Schlacht v. Cascina sollte das Thema des Freskos von Michelangelo werden. 
Es wurde jedoch von Michelangelo 1500/1505 nur eine verlorengegangene 
Vorlage geschaffen bevor er dem Ruf des Papstes Julius II. nach Rom folgte.  
(Wiki verändert)

Aristotele da Sangallo, Schüler des Michelangelo
Kopie der Vorzeichnung für das Fresco Die Schlacht von Cascina
Michelangelo
Die florentinische Armee badet und wird dabei von den Feinden aus Pisa überrascht. 

http://www.cicero.de/salon/michelangelo-vs-leonardo/48639



Jean-Luc Godard - Lear


Tolle Geschichte über einen Film den es gibt, obwohl er nicht gedreht wurde.

Menahem Golan, Produzent von solch unsterblichen Filmen wie Delta Force mit Chuck Norris oder Missing in Action mit Chuck Norris, etc. schloß, während der Filmfestspiele in Cannes 1985, mit dem französischen Regisseur Jean-Luc Godard einen Vertrag ab, auf einer Papierserviette. Sie wollten gemeinsam einen Film drehen, dessen Drehbuch Norman Mailer schreiben würde, eine moderne Fassung des König Lear von Shakespeare. 

Mailer schrieb ein Drehbuch über einen Mafia-Boss names Don Learo, Le-aro gesprochen, seine Töchter und Kapos, Don Gloster und Don Kent, aber stellte die Bedingung, dass er die Hauptrolle spielen müsse und seine Tochter die Cordelia. Oder, so behaupten andere, Godard bestand darauf, dass Mailer spielen sollte. Nach dem ersten Drehtag jedenfalls reisten Mailer und seine Tochter ab. Über die Gründe dafür gibt es sehr widersprüchliche Aussagen.

Und doch gibt es einen Film - Drei Reisen zu Lear von Godard - ganz offensichtlich mit minimalem Budget gedreht, auch wenn zu Beginn und am Ende der MGM Löwe brüllt.
Die erste Szene noch mit Mailer und Tochter, sie trinken Orangensaft und diskutieren kurz über das Drehbuch.
Dann folgen, Bilder, Sätze, Worte geschrieben, gesprochen, assoziiert, verzerrt; Spielszenen, Shakespearetexte, Godardtexte, alberne Witze, Anspielungen, Toncollagen, immer wieder Möwenschreie. 
Bei der Katastrophe von Tschernobyl sind alle Bücher vernichtet worden und nun versucht ein Urururururenkel Shakespeares den Lear zu rekonstruieren. Das könnte die Geschichte sein, muß es aber nicht. 
Eine Geschichte, oder doch keine. 

Und immer wieder die Antwort Cordelias auf die unerhörte Frage ihres Vaters: 

Lear: 
Von welcher solln Wir sagen, sie liebt uns am meisten?
... was sagst du, ... Sprich."

Cordelia:  
Nichts.
Oder im Original: Nothing. No thing.

Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung warum, aber auf mysteriöse Weise hat dieser Bild-Ton-Wort Misch-Masch hat bei mir tiefen Eindruck hinterlassen.

Quentin Tarantino hat zu Beginn seiner Laufbahn in seinen Lebenslauf geschrieben, dass er in diesem Film mitgespielt hätte. Hat er nicht. Aber Woody Allen und Peter Sellars und Burgess Meredith und Julie Delpy haben.

Samstag, 1. März 2014

Political Correctness bei der Arbeit!


 Omnia vincit amor et nos cedamus amori
Vergil aus der Ekloge Nº 10

Gemalt 1602 für Marchese Vincenzo Giustiniani

 
BERLINER ZEITUNG 28.02.2014

Kunst unter Pädophilieverdacht

Caravaggios anstößiger Amor


Von INGEBORG RUTHE

Kunst unter Verdacht! Besorgte Sittenwächter verlangen, dass die Berliner Gemäldegalerie Alte Meister ihren weltberühmten „Amor als Sieger“ 1602 von Caravaggio gemalt, ins Depot verbannt - wegen der aktuellen Pädophilie-Debatte um den Fall Edathy.
Stopp dem Irrsinn! Soeben wird in der aktuellen, durch den Fall des Ex-Bundestagspolitikers Edathy ausgelösten – und gesellschaftlich auch dringend notwendigen! – Debatte über Kinderpornografie sozusagen das nackte Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Die Affäre des Politikers um verdächtige (Nackt-)Kinderfotos in seinem Besitz verlässt nämlich den gesellschaftspolitisch-moralischen, möglicherweise auch juristischen Raum, in den sie zweifellos gehört. Denn nun blasen Sittenwächter zum Gefecht wider die Kunst. Eine jahrhundertealte wohlgemerkt. Und sei es, als von der Kunstgeschichte längst als Weltkunsterbe geadelte Allegorie, als Gestalt unserer abendländischen Mythologie. Es geht um Amor, der in ungenierter Pose sagt: Ich bin der kleine Gott der großen Liebe. Meinem Pfeil kann keiner entkommen.

Offener Brief an die Galerie

Ein offener Brief an die Berliner Gemäldegalerie Alter Meister richtet allergrößte Bedenken gegen Caravaggios Meisterwerk „Amor als Sieger“, gemalt 1602 und schon seit der Erwerbung aus der Sammlung Giustiani 1815 ein weltberühmtes und vielbeneidetes Juwel der preußischen Museen. Das Bild soll nun, ginge es nach den Briefschreibern, wegen seiner „unnatürlichen und aufreizenden Position“ schleunigst von der Wand. Die „ausdrücklich obszöne Szene“ diene „zweifellos der Erregung des Betrachters“. Auch unter Rücksicht auf das Alter des „Modells“ sei dieses „künstlerische Produkt“ höchst verwerflich. Es könnten Pädophile ihre perversen Neigungen darauf projizieren.
Auf solch eine Idee kam nicht mal der prüde Kaiser Wilhelm, derweil er Realisten und Impressionisten „Rinnsteinkünstler“ schimpfte. Und nahm etwa die Barock-Epoche all ihre Putten-Bildnisse (auch in Kirchen) mit obszönen Hintergedanken auf? Kunst gerät unter Verdacht. So müssten nun gar alle Museen – von Dresden über Prag, Paris bis London – ihre Bildwerke mit nackten Kindern verbannen.

Kommentar:


PHILOMENA ODER JUDY DENCH IST WUNDERSCHÖN


Stephen Frears hat einige Filme gemacht, die ich sehr gern habe. 

Mein wunderbarer Waschsalon - My beautiful Laundrette 1985, Gefährliche Liebschaften - Dangerous Liaisons 1988, High Fidelity 2000, The Queen 2006.

Keiner dieser Filme hat bemerkenswerte Spezialeffekte. Leute, gespielt von großartigen Schauspielern, sitzen, stehen, gehen und reden miteinander, gegeneinander und manchmal aneinander vorbei, Gesichter, Hände, ungelenke Berührungen, gewöhnliche Umgebungen. 
In The Queen gibt es eine Liebesszene zwischen einem Rotwild und der englischen Königin (Helen Mirren), in Mein wunderbarer Waschsalon versuchen sich ein pakistanischer Waschsalonbesitzer und ein Punk, gespielt von Daniel Day Lewis bevor er an seine eigene schauspielerische Großartigkeit glaubte, an der Liebe, in den Gefährlichen Liebschaften guckt John Malkovich in einer Einstellung so, dass ich an die Tödlichkeit der Liebe glaubte, der Held von High Fidelity (John Cusack) macht verzweifelte Top-Five-Listen für jegliche Gelegenheiten. 
Niemand stirbt, oder wenn, dann nur an dem, woran wir alle sterben, am Leben.
Und jetzt, ein Film, der von der Gefährdung des Kitsches nahezu verunmöglicht werden müsste: Eine ältere irische Frau sucht ihr uneheliches Kind, dass sie vor vielen Jahren in einem Kloster zur Welt brachte und das, ohne ihre Einwilligung, adoptiert wurde. Ein Journalist in eigener Lebenskrise bietet ihr an, bei der Suche zu helfen. 
Jede mögliche Vorlage für gefühlsseligen Quark ist gegeben, Sentimentalität droht aus allen Richtungen, aber Judy Dench, Steve Coogan (Darsteller & Drehbuchschreiber) und Frears schaffen es, um all diese unumschiffbaren Klippen mit ernsthafter Leichthaftigkeit herum zu manövrieren. Ja, auch eine humorlose, ungebildete Frau um die 70 hat das Recht auf Tragik. Ihre Frisur allein verdient schon den Frisuren-Oscar! Meine polnische Tante hat sich zu wichtigen Anlässen die Haare auf genau diese Weise in geometrisch geordnete Locken legen lassen. 
In einer Szene beschreibt die Liebhaberin von Liebesschmonzetten den Inhalt einer derselben dem intellektuell über- oder unterforderten Journalisten, da gab es nichts als die Stimme und das begeisterte Gesicht von Dame Judy und die fassungslose Hilflosigkeit des Zuhörers - kennt ihr dieses innerliche Intensiv-Kichern? Passiert mir selten und ist mir deshalb umso kostbarer.
Judy Dench ist ein seltenes Schauspielwunder! Ob in ihren 5 oder 8 Minuten in Shakespeare in Love (Das brachte ihr einen Oscar!), oder als "M" in James Bond, oder gänzlich uneitel in Tagebuch eines Skandals (Notes on a Scandal), immer läßt sie mich teilhaben, verstehen, einverstanden sein oder, was noch besser ist, sie fordert meine Ablehnung heraus. 
Sie ist ein Mensch.

Der Mensch denkt und Gott lacht.
hebräisch: .דער מענטש טראַכט און גאָט לאַכט
jiddisch: Der mentsh trakht un got lakht.


Kein großer Film, ein großer kleiner Film. Eine besonders kostbare Kleinigkeit.