Dienstag, 11. März 2014

Die unsichtbaren Städte - Italo Calvino



Marco Polo ließ, wenn wir ihm glauben dürfen, 1298/99 die Erinnerungen an seine Reisen, zu denen auch sein Zusammentreffen mit Kublai Khan, dem mongolischen Herrscher Chinas gehörte, von einem Mitgefangenen in Genueser Kriegsgefangenschaft namens Rustichello da Pisa niederschreiben. "Il Milione" oder "Das Buch des Marco Polo, Bürger der Stadt Venedig, genannt Milione, worin von den Wundern der Welt berichtet wird" nannte er es und keiner seiner Zeitgenossen glaubte ihm ein Wort davon. 

Um 1970 schreibt Italo Calvino diesen Bericht weiter. Das riesige Reich des Kublai Khan ist in keinem guten Zustand. Marco Polo und der Khan disputieren über Städte, wobei der Herrscher auf der Suche nach der perfekten Stadt ist und der Reisende ihm erträumte, unmögliche, erhoffte Städte anbietet. 

"Während auf deinen Wink hin, Sire, die eine und letzte Stadt ihre makellosen Mauern erhebt, sammle ich die Asche der anderen möglichen Städte, die verschwinden, um ihr Platz zu machen, und nie wieder aufgebaut werden noch in Erinnerung bleiben können. Nur wenn du den unaustilgbaren Rest von Unglück kennst, den kein Edelstein aufwiegen kann, wirst du die genaue Karatzahl berechnen können, die der letzte Diamant anstreben muß, und wirst dein Projekt nicht von Anfang an falsch berechnen." I.C.

55 Miniaturen verbunden durch knappe, präzise Gespräche der beiden Protagonisten.
Ein Buch aus Seide, ganz leicht, wehend und rissfest.

Die, für meine Ohren oder Augen, feine Übersetzung ist von Burkhart Kroeber, das Nachwort von Calvinos Freundfeind Paolo Pasolini.
Pasolini schreibt: "Und so wie jede Erzählung aus Tausendundeiner Nacht von einer Abnormität des Schicksals berichtet, so schildert jede Beschreibung Calvinos eine Abnormität im Verhältnis zwischen dem Reich der Ideen und der Wirklichkeit."


Illustration aus Il Milione
Er [Kublai] sagt: »Es ist alles vergebens, wenn der letzte Anlegeplatz nur die Höllenstadt sein kann und die Strömung uns in einer immer engeren Spirale dort hinunterzieht.«
Darauf Polo: »Die Hölle der Lebenden ist nicht etwas, das erst noch kommen wird. Wenn es eine gibt, ist es die, die schon da ist, die Hölle, in der wir jeden Tag leben, die wir durch unser Zusammensein bilden. Es gibt zwei Arten, nicht unter ihr zu leiden. Die erste fällt vielen leicht: die Hölle zu akzeptieren und so sehr Teil von ihr zu werden, daß man sie nicht mehr sieht. Die zweite ist riskant und verlangt ständige Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft: zu suchen und erkennen zu lernen, wer und was inmitten der Hölle nicht Hölle ist, und ihm Dauer und Raum zu geben.« I.C.


Was für schöne Kapitelüberschriften:

Die Städte und die Erinnerung
Die Städte und der Wunsch
Die Städte und die Zeichen
Die fragilen Städte
Die Städte und der Tausch

Die Städte und die Augen
Die Städte und der Name
Die Städte und die Toten
Die fortdauernden Städte
Die Städte und der Himmel
Die verborgenen Städte

Das Museum Jumex des Archtekten David Chipperfield in Mexiko City:




1 Kommentar:

  1. Der letzte zitierte Satz von Kublai Khan - wessen Satz das auch sein mag - formuliert einen sehr klugen und warmherzigen Gedanken. Gegen den Zynismus, der über alles gekippt wird und ignorant macht und bequem..

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