Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. (Genesis)
Pygmalion schuf sich eine Frau nach seinem Bilde. Eine Frau, wie sich
ein Mann eine Frau vorstellt, wünscht. Was mag das für eine "Frau"
gewesen sein?
Wie sähe sie aus, die PERFEKTE Frau, geboren aus dem Kopf eines Mannes? Die
Mutterhurefreundinkumpelfrau? Die ohne Fragen? Die, die wie ein Mann
denkt, nur ohne Schwanz? Geht das überhaupt? Denn wie meine Großmutter,
die sonst nie ordinäre Wörter benutzte, einmal gesagt hat: "Wenn der
Schwanz steht, ist der Verstand im Arsch."?
Wie sähe ein Mann nach meinem Bilde aus?
"Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es, von Gott. Es dürfte auch in
diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was
nicht erfaßbar ist. Es ist eine Versündigung, die wir, so wie sie an
uns begangen wird, fast ohne Unterlaß wieder begehen – Ausgenommen wenn
wir lieben." und "Die Liebe befreit es aus
jeglichem Bildnis." Max Frisch
Wenn wir uns also unablässig,
lieblos, ein Bild vom anderen machen. Ihn in dieses Bild einschweißen,
dann geschieht uns selbst genau dies auch, ständig. Bild begegnet Bild,
"so lässt Kunst nicht sehen die Kunst", heißt es bei Ovid im Pygmalion - Kapitel.
Ich lese momentan überall von der fortschreitenden Entfremdung der Menschen in der digitalisierte Welt, Facebook, Twitter, was auch immer, als zwar nicht greifbare, aber benennbare Feindbilder. Aber wie nah sind wir uns in der analogen Welt?
Wie anstrengend, beängstigend ist es, einem anderen "bildlos" zu begegnen? Aber was würden wir gewinnen, wenn wir es wagten?
In alten Hollywoodfilmen gibt es manchmal Geburtstagsszenen, in denen eine Frau aus der auf dem riesigen Tisch stehenden Torte springt: Surprise! Überraschung!
Ramon Lago "Pygmalion"
Kleine Horrorgeschichte zum Thema:
Wenn Herr K. einen Menschen liebte
"Was tun Sie", wurde Herr K. gefragt, "wenn Sie einen Menschen lieben?" "Ich mache einen Entwurf von ihm", sagte Herr K., "und sorge, daß er ihm ähnlich wird." "Wer? Der Entwurf?" "Nein", sagte Herr K., "Der Mensch."
Pygmalion
Nun steht vor mir das Werk vollendet,
Dran ich, beseelt von heilger Glut,
Des Busens Götterkraft verschwendet,
Es sinkt die Hand, der Meißel ruht;
Ich schwelg’ in selges Schaun versunken,
Mich faßt der Freude Überschwang,
Und meine Augen hängen trunken
Am Bilde, das mir selbst gelang.
Dran ich, beseelt von heilger Glut,
Des Busens Götterkraft verschwendet,
Es sinkt die Hand, der Meißel ruht;
Ich schwelg’ in selges Schaun versunken,
Mich faßt der Freude Überschwang,
Und meine Augen hängen trunken
Am Bilde, das mir selbst gelang.
Der Leib, der süße, sonder Hülle
Wie ragt er auf in stolzer Pracht!
Der edlen Glieder strenge Fülle
Bannt jedes Herz mit Zaubermacht:
Es träumt ein wundersüßes Sehnen
Im Aug’, das feucht in Liebe thaut,
Und nie im Lande der Hellenen
Ward noch ein Weib wie dies geschaut.
Seit meiner Jugend frühsten Zeiten
Hat heiße Sehnsucht, ungestillt,
Als Muster der Vollkommenheiten
Gesucht ein holdes Frauenbild;
Ich jagt’ ihm nach auf irdschen Fluren,
Ich sucht’ es hier und sucht’ es dort,
Doch immer nur zerstreute Spuren
Fand ich von höchster Schönheit Hort.
Ich sucht’ es hier und sucht’ es dort,
Doch immer nur zerstreute Spuren
Fand ich von höchster Schönheit Hort.
Nie schmückt, drum meine Wünsche warben,
Vollendung, was im Staube weilt,
Der Reiz der Formen ward und Farben
An viele Leiber rings vertheilt;
Von höchster Schönheit heilgem Glanze
Schaun wir nur stets verirrten Strahl,
Doch nie die reine, volle, ganze,
Niemals des Busens Ideal.
Und mahnend fühlt’ ich in mir tönen,
Der mich beseelt, des Geistes Ruf:
»Wohlan, den Inbegriff des Schönen
Schaff selbst, den nie Natur erschuf!«
Ich gieng an’s Werk; was vor der Seele
Mir stand, vermählt hab’ ich’s dem Stein;
Ich formt’ ein Weib mir sonder Fehle,
Umstrahlt von höchster Schönheit Schein.
Und auf zum Zeus nun meine Hände
Erhebend möcht’ ich brünstig fleh’n:
»O in dies Bild herniedersende
Des Lebens Hauch, des Geistes Weh’n!
Den ros’gen Lippen laß entquellen
Liebreicher Worte süße Fluth,
Laß athmend mir entgegenschwellen
Die Brust, daß Herz an Herzen ruht!«
Er thut es nicht; was ich gestaltet,
Stets bleibt es seelenlos und kalt;
Nie wird, ob’s auch das Herz mir spaltet,
Dies Bild von Leben warm durchwallt;
Ich seh’s: was lebt, wird niemals prangen
Von Mängeln frei im Thal der Noth;
Und Bilder, die dem Stein entsprangen,
Sie sind vollendet, aber todt.
Stets bleibt es seelenlos und kalt;
Nie wird, ob’s auch das Herz mir spaltet,
Dies Bild von Leben warm durchwallt;
Ich seh’s: was lebt, wird niemals prangen
Von Mängeln frei im Thal der Noth;
Und Bilder, die dem Stein entsprangen,
Sie sind vollendet, aber todt.
aus: Albert Möser, Schauen und Schaffen, Neue Gedichte, Verlag von Levy & Müller, Stuttgart, 1881
Sich von anderen ein Bild machen, es zu überprüfen und zu korrigieren, geschieht unablässig. Wenn wir es nicht täten, wären wir längst tot.
AntwortenLöschenJemanden nach seinen Wünschen zu formen, ist, selbst unter Zwang, Manipulation oder Drogen, nur eingeschränkt möglich.
Wenn man es können könnte: der Formende wäre nur unzufrieden. Er selbst verändert sich, graduell, immerzu, also verändern sich auch seine Wünsche. Er würde unglücklich oder brutal oder verrückt oder klug.
Klug? In welcher Art? Indem er aufhört, den anderen formen zu wollen?
AntwortenLöschenJa. Er würde erst die Unmöglichkeit begreifen, weil er erfahren hätte, dass Lebendigkeit und Veränderung einander definieren. Dann würde er verstehen können, wie unmenschlich sein Wunsch war.
AntwortenLöschenKlug könnte er auch werden, wenn er von sich selbst begreifen würde, dass er sich all die Zeit nach dem Kern gesehnt hätte, der immer schon in dem anderen gelebt hat, den er nur nicht entdecken konnte, weil er auf die Peripherie konzentriert war.
AntwortenLöschenBarbara Maria Drischler schrieb: "es ist deine pflicht, und wird auch deine freude sein, sie gemäß den eigenschaften zu schätzen die sie hat und nicht nach denen die ihr fehlen" aus dem hörspiel "david copperfield" von charles dickens.
AntwortenLöschenJens Mittelstenscheid
formen? wie das? eingreifen in den Kern des Anderen?
man formt nicht, man versucht ihn zu sehen, indem man lässt. indem man eben nicht verändert. nicht den Anderen, nur - idealerweise - seinen Blick auf Anderes immer wieder ändert. in dieser variation liegt, denke ich, das größtmögliche PÜotential sich anzunähern, den Anderen/ das Andere zu kennen,
irgendwann.
Trotzdem:
AntwortenLöschenEin wilder Kirschbaum ist schön.
Ein beschnittener Kirschbaum kann auch schön sein, wenn er mit Sorgfalt geformt wurde. Und er trägt üppigere Früchte. Ein optimierter Kirschbaum.
Man sollte nur keine grünen Bohnen erwarten.