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Freitag, 6. April 2018

Der Raub der Prosperina - Marmornes Fleisch

Eine männliche Hand greift um die Taille und in den Schenkel einer Frau. Scheinbar nur ein Detail. 

 
Bedenken wir, das ist Stein, Marmor, von einem Zwanzigjährigen behauen, bearbeitet oder befreite er das, was der steinerne Block bis dahin verbarg? 
Hartes und Weichestes in einem unauflösbaren Widerspruch. Der metamorphe Stein, beziehungsweise die Haut und das Fleisch der überwältigten Frau empfinden den Druck der zupackenden, großen, doch wohlgepflegten Hand, sie weichen zurück, seitwärts.
Wiki sagt: Die Haut (gr. derma; lat. cutis) ist funktionell das vielseitigste Organ des menschlichen oder tierischen Organismus. Die Haut dient der Abgrenzung von Innen und Außen (Hüllorgan), dem Schutz vor Umwelteinflüssen, der Repräsentation, Kommunikation und Wahrung des inneren Gleichgewichts. Außerdem übernimmt die Haut wichtige Funktionen im Bereich des Stoffwechsels und der Immunologie und verfügt über vielfältige Anpassungsmechanismen.
Aber auch wenn der Titel der Skulptur: "Der Raub oder die Vergewaltigung der Prosperina", eindeutig Gewalt suggeriert, ist auch Zärtlichkeit und Sehnsucht sichtbar und zu spüren. Die Hände sind nicht in den Körper gekrampft, scheinen nicht, unnötigen Schmerz zufügen zu wollen. Er trägt sie von dannen. 
Ganz unten spiegelt Cerberus, der Höllenhund, den Gewaltakt und seine Ambivalenz sogar dreifach.
Im Mythos hören wir mehr über die Trauer ihrer Mutter Ceres, als über ihre eigene Not. Demeter & Persephone wären die griechischen Entsprechungen dieser Geschichte. 
Später wird diese Prosperina, durch den Einsatz ihrer Mutter, der Göttin der Fruchtbarkeit, ein halbes Jahr in der versteckten Unterwelt und das andere auf der Erde zubringen. Eine große Weile ist die Welt kalt, grau, unfruchtbar, aber dann ...
In der Gesamtansicht wirkt ihre Abwehr merkwürdig theatralisch. Hat sie sich nur für die Mutter gewehrt? Persephone wird im alten Griechenland sowohl als Frühlings- und Fruchtbarkeitsgöttin wie auch als Göttin der Unterwelt verehrt.
Will sie etwas, das sie nicht will? Mit Pluto sein und die Liebe der Mutter nicht verlieren? Luft, laue Winde und sprießende Pflanzen UND die harsche Kargheit der blütenlosen Kälte?  
Und so hängen wir wohl alle zwischen einander ausschließenden Wünschen, begehren das Eine und auch das ihm Widersprechende.

 
Persephone

Die Abgründige kam,
stieg aus der Erde,
aufgleißend im Mondlicht.
Sie trug die alte Scherbe im Haar,
die Hüfte an die Nacht gelehnt.

Kein Opferrauch, das Universum
zog in den Duft der Rose ein.
 
Peter Huchel

Ein tiefflutender See ist Hennas Mauren benachbart,
Pergus mit Namen genannt. Nicht häufiger höret Kaystros
Schwanengesäng', als dieser, in sanft hingleitenden Wassern.
Ringsher kränzen die Flut Umwaldungen, welche beständig,
Wie mit laubigem Teppich, die Glut abwehren des Phöbus.
Kühlung streut das Gezweig', und die Au' hellschimmernde Blumen.
Frühling ist ewig im Hain. Als hier Proserpina weiland
Spielete, sanfte Violen und silberne Lilien brechend;
Als sie mit kindlicher aLust sich die Körb' und den Schoß des Gewandes
Anfüllt', und zu besiegen die Freundinnen eifert' im Sammeln,
Wurde zugleich sie gesehn und geliebt und geraubet von Pluto.
Also durchstürmt ihn die Flamme! Sie rief, die erschrockene Göttin,
Mutter und Freundinnen an, doch häufiger rief sie die Mutter,
Bang'; und indem das Gewand sie zerriß am obersten Rande,
Sanken aus gleitenden Rocke hinab die gesammelten Blumen:
Und, so lauter noch war die jugendlich heitere Unschuld!
Auch der Blumen Verlust erregete Kummer dem Mägdlein.
Pluto beflügelt die Fahrt, und jeglichen rufend mit Namen,
Treibt er die Rosse zum Lauf, und über die mähnigen Hälse
Schüttelt er dunkele Zügel, mit Eisenschwärze gefärbet.
Über des Sees Abgrund' enteilet er, ...


Ovid "Metamorphosen"


http://syndrome-de-stendhal.blogspot.de/2016/05/gottliche-gewalt-gianlorenzos-berninis.html

Dienstag, 30. Juni 2015

Zweiter Teil: Mount Olympos - Chrysippos - Vergessenwerden


CHRYSIPPOS - Vergessenes Opfer

Ein schöner junger Mann wird von seinem Lehrer vergewaltigt und tötet sich daraufhin.

Der schöne Chrysippos, Sohn des Pelops, wird vom thebanischen König Laios, der ihn im Wagenlenken unterrichtet, und der sich in den Jüngling verliebt hat, vergewaltigt. Aus Scham tötet sich Chrysippos. Laios wird für seine Tat von Pelops verflucht. Was folgt ist die Tragödie der Labdakiden.


 Tragödie Paul Philippe Cret

Langsam, grau, nurmehr Asche oder Staub, an der Rampe entlang, ein Mann:
Ich bin Chrysippos, glaube ich, ich bin mir nicht mehr sicher. es gab eine Tragödie über mich, glaube ich, ich bin mir nicht mehr sicher. Ich bin vergessen, glaube ich.
Im Hintergrund eine lange Reihe Menschen, die sich ihre blutigen Herzen an den Leib schlagen. Wehklagen.

Eine grobe Schätzung nimmt an, dass vom ersten Erscheinen der menschlichen Rasse bis heute circa 108 Billionen Menschen geboren wurden und alle, außer den jetzt Lebenden, demnach auch gestorben sind. 108 Billionen Biographien, eine unvorstellbare Zahl von Tragödien, viele, die meisten ungehört, unerinnert, vergessen.

http://www.livescience.com/18336-human-population-dead-living-infographic.html

Chrysippos ist in der griechischen Mythologie der Sohn von Pelops und Axioche und Halbbruder der Zwillinge Thyestes und Atreus... Laios (Vater des Ödipus), der aus Theben floh, unterrichtet ihn im Wagenlenken und verliebt sich in den Jungen. Laios kehrt nach Theben zurück, um den Thron zu besteigen. Pelops und sein Sohn Chrysippos besuchen ihn in Theben und Laios schändet den Chrysippos. Daraufhin verflucht Pelops Laios, er solle niemals einen Sohn haben oder falls doch, solle dieser ihn umbringen. Chrysippos wurde schließlich von seinen beiden Halbbrüdern Thyestes und Atreus auf Drängen der Hippodameia, die fürchtete, dass er und nicht ihre Söhne Theben erben würden, umgebracht. WIKI

In der verlorenen Tragödie "Chrysippos" des Euripides verübt der von Laios entehrte junge Mann Selbstmord; sein Vater verflucht daraufhin den Schuldigen, er solle durch seinen eigenen Sohn den Tod finden. antiken_myth_de.deacademic.com

Als junger Mann ist Laios Gast des Königs Pelops. Er entführt dessen Sohn Chrysippos und "behandelte" ihn "auf so entwürdigende Weise, dass sich der Knabe, der vor Scham nicht aus noch ein wusste, das Leben nahm." Man kann davon ausgehen, dass sich Laios des Kindes sexuell bediente. Hier führt der Mythos zu allererst ein Verbrechen ein, weil dieses Kind zu Tode kommt. Das ist durchaus bemerkenswert, denn Pädophilie und Päderastie waren im antiken Griechenland ein alltäglicher Vorgang. Ältere Männer befriedigten ihre sexuellen Bedürfnisse in der Regel bei Jungen. (Es ist nahezu ausgeschlossen, dass Freud dieser Hintergrund unbekannt war.)
Pelops verflucht den Laios: Sollte er jemals einen Sohn haben, möge er von diesem getötet werden. Laios wird König von Theben und heiratet Iokaste. Da die Verbindung kinderlos bleibt, befragt Laios das Orakel von Delphi, das dem Gott der Wahrheit und der Reinheit, Apollon, geweiht ist. Die Weissagung des Orakels ist eindeutig: Laios wird Vater werden, aber von der Hand des eigenen Sohnes sterben, weil Zeus ihn für den Tod des Chrysippos strafen will. Hier ist vom Inzest gar keine Rede, sondern das Schicksal des Laios wird als Folge seiner konkreten Schuld verstanden.
 

Alice Miller Die Blendung des Ödipus - oder Der blinde Fleck unserer Kultur

In einer anderen Version ist Chrysippos der Grund des Streits zwischen Laios und seinem Sohn Ödipus, da sie sich beide in den schönen Jüngling verliebt hätten. 

http://www.itgetsbetter.org/ 


Samstag, 27. Juni 2015

Mount Olympos - Jan Fabre - to glorify the cult of tragedy

THEATER IST EINE VORBEREITUNG AUF DEN TOD?

Troubleyn / Jan Fabre
Mount Olympus
to glorify the cult of tragedy
(a 24h performance)
Uraufführung
Jan Fabre die Flucht des Künstlers

Es ist zu lang, nicht lang genug, es ist antikisierender Kitsch, es ist rabiater Exzess, es ist perfekt gearbeitet und choreographiert, es ist hohl, es ist tief. Es ist dilettantisch und perfekt durchorganisiert. Es ist bedeutungsschwanger, es ist bedeutend. Es ist kultisch, es ist Kult. Es ist frei und totalitär.
Es irritiert meine Ossi-Sensibilitäten durch die paramilitärische Disziplin und gefühlte totale Auslieferung der Spieler an den Erschaffer. Es ist ... ???
Warum ist das gesamte Ensemble weiß?

Für „Mount Olympus“ probte er (Jan Fabre) mit einem streng ausgewählten Team in den vergangenen zwölf Monaten täglich von 11 Uhr bis Mitternacht. „Im Laboratorium ist alles möglich, Tag und Nacht.“ Ein Handy braucht Fabre für seinen Kunstalltag nicht. Mit der Außenwelt verständigt er sich mithilfe seiner Assistentin. „Ich mag es, nicht erreichbar zu sein.
BZ

Eine von vielen Szenenfolgen: 
Ein Mann in deutlich theatererdachter Rüstung, silbern glänzender Bein- & Armschiene, Brustpanzer und geschlossener Helm, schwingt eine Kette, sie ist lang, vielleicht 4 Meter, er schleudert sie, er läßt sie schlängeln, schlagen, schleifen. Sie rutscht ihm aus den Händen, es sieht gefährlich aus, auch für das Publikum und die elegante stöckelbeschuhte Dame, die links von ihm auf einem Tisch ungerührt Posen tanzt. Er hört nicht auf, dreht sich wild mit der Kette, die fliegt, hart aufschlägt, weiterfliegt, sich einige Male um seinen Hals legt, ihm an die Beine drischt. Er fällt, ächzt, steht wieder auf. Weiter. Vor der schönen Frau kann er nicht einfach aufgeben. Er schnauft, stürzt, schlägt immer wieder lang hin, rappelt sich auf, schwingt die schwere Kette, 10 Minuten, 15.
Hinter ihm ein Videostandbild eines Mannes in ebensolcher Rüstung mit an die bepanzerten Wangen gelegten Händen.
Der Krieger kann nicht mehr. Er faltet die Kette zusammen und wirft sie weg. Enthelmt sich, atmet schwer, kniet an der Rampe, keuchend.
Eine Reihe Menschen mit Wassergefäßen kommt langsam von hinten. Alle sind in Varianten von gefaltetem und gegürtetem weißen Lakenstoff gekleidet - Griechenklischee und praktisch, weil leicht waschbar. Sie setzen die Gefäße an der Rampe ab, treten zurück und beginnen, der Krieger gemeindet sich ein, einen Chor.
No - no - no - fuck - fuck - fuck - take me - take me - Kopf senkt sich - hinknien - Kopf hebt sich - Atemseufzer - aufstehen und ...
Wieder und wieder. Langsam, für mich nicht langsam genug, löst sich die Einheitlichkeit auf, Individualität bricht ein. Die Worte bleiben die gleichen: No - no - no - fuck - fuck - fuck - take me - take me...
Und was jetzt passiert, über eine sehr lange Zeit, ist grandios und Hochleistungstheater und verstörend schön. Wir blicken hinter den hehren Ton des Chores, hinter die hohe Form, hinter die genehme Veredelung und - Chaos wird sichtbar.
Wieviele Arten des Nein gibt es? Es wird verhandelt, getändelt, gekrächzt, gebibbert, geliebäugelt, gebrüllt, gehaucht. Eine ältere Diva will ihren Stolz nicht verlieren und reizt alle Varianten des verzeifelten Tändelns aus, ein harscher Mann verliert die erwartete Fassung, ein dickes Mädchen gackert hysterisch No in den Himmel, wo vielleicht Götter seien könnten.
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Der Tanz der schwingenden Schwänze war hinreißend! Und dann reihen sie den blinden klagenden Ödipus zur Zorbasfilmmelodie in die Tanzreihe ein. Besser geht es nicht. "Every man needs a little bit of madness!"

Selbst für den großen Grenzüberschreiter Jan Fabre ist das ein Ausnahmeprojekt: 24 Stunden lang tanzen, spielen, schwitzen, lieben, leiden, schlafen, träumen sich 27 Performer*innen durch die Mythen der griechischen Antike. Ganz wie damals in Athen wird Theater zum Ausnahmezustand, zum politischen Raum, zu einer beinahe spirituellen Zeit-Reise für Darsteller und Publikum gleichermaßen. Fabre trägt das Publikum in einem Bilderstrom durch eine Performance zwischen Wachen und Schlafen, Traum und Realität. Dabei begegnen einem Medea, Antigone, Dionysos und andere Heroen in all ihrer Triebhaftigkeit und Archaik.
Aus dem Werbetext der Berliner Festspiele

© Troubleyn / Jan Fabre

Ein großes, respektvolles, verneigendes Danke an die Darsteller:
ore Borremans, Katrien Bruyneel, Annabelle Chambon, Cédric Charron, Renée Copraij, Anny Czupper, Els Deceukelier, Barbara De Coninck, Piet Defrancq, Mélissa Guérin, Stella Höttler, Sven Jakir, Ivana Jozic, Marina Kaptijn, Gustav Koenigs, Sarah Lutz, Moreno Perna, Gilles Polet, Pietro Quadrino, Antony Rizzi, Matteo Sedda, Merel Severs, Kasper Vandenberghe, Lies Vandewege, Andrew Van Ostade, Marc Moon Van Overmeir, Fabienne Vegt.

Donnerstag, 13. November 2014

Antigone 6 - Antigone & Interstellar


Vorgestern war ich im Kino und habe mir "Interstellar" angesehen, den neuen Film von Christopher Nolan. Ein langer Film, aber nicht langweilig. Äußerst verwickelt, nur manchmal spürt man die Anstrengung der Konstruktion und man erkennt die Quellen. "2001" und "Gravity", "Contact" lassen grüßen. Alles nicht schlimm, nur bemerkbar. 
Und dann, in der großen Wiederbegegnung von Vater und Tochter am Ende des Films, stammelt die im Sterben liegende, durch die Verzerrungen der Raumzeitlinie nun älter als der Vater seiende Tochter, den ultimaten, sentimentalen, alle bisher behauptete Psychologie wegwischenden Satz: (nicht wörtlich) "Ich habe gegen alle Widerstände an Dich geglaubt und alles Schwere ertragen, weil Du, mein lieber Papa, versprochen hast, zurückzukommen." Zum einen reduziert sich damit die Aussage des ganzen Films auf die simple Botschaft "Love is all you need", zum anderen habe ich genau in diesem Moment gewußt, warum ich mit dem Stückschluß von "Antigone" so uneins war. Dank dafür an Christopher Nolan!


KREON:
 Das wollt ich nicht. Ich wollt es nicht.
Ich wollt es nicht! Ach,
Alles gleitet aus der Hand mir,
Und ich bin nichts mehr, nichts als nichts.

In der letzten Szene von "Antigone" stottert Kreon, der Tyrann, diese berührenden letzte Worte. Er hat, ohne wirklich zu verstehen warum, alle verloren, die er liebte. Grauenhaft. Wir können uns der Rührung nicht erwehren. Auch Diktatoren sind Menschen und verdienen unser Mitgefühl. Mensch ist Mensch. What the fuck! Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber seine Opfer bleiben tot. Sein Leid erleichtert ihr Leiden nicht und gleicht es auch nicht aus. Zorn ohne Rachedurst, das wäre ideal, ist aber nicht immer möglich.


http://www.willisms.com/archives/saddamhussein.jpg


KREON:

Doch kein Erbarmen lass ich walten bei dem Neffen,
Polyneikes! , der mit fremder Heeresmacht,
Mit Schwert und Feuer vernichten wollte unsere Stadt!
Zur Äsung für die Geier und die Hunde hingeworfen,
soll sein Leichnam faulen in der Sonne!
Denn rücksichtslos straft König Kreon jeden,
Der Schaden zufügt dieser Stadt, und sei’s
Ein Blutsverwandter, sei’s mein eigner Sohn.
Vor dem Gesetz sind alle gleich.

http://www.romania-insider.com/wp-content/uploads/2013/09/executie-ceausescu-evz.jpgCeaucescu und seine Ehefrau bei ihrer Exekution


Dienstag, 14. Oktober 2014

Antigone 3 - Zwei Brüder



ZWEI BRÜDER


So begann es ...



Picasso (vermutlich) Zwei Brüder 1905/06


Picasso (vermutlich) Zwei Brüder 1905/06


Und so endet es ...



TRAUER AN DES BRUDERS GRAB


Weithin über die Lande und über die Meere gezogen,
Kehre endlich ich heim, Bruder, zu traurigem Dienst,
Dass ich als letztes Geschenk dir weihe die Gabe der Toten
Und deine Asche umsonst rufe, die stumme, umsonst,
Da dich selbst nun einmal ein bittres Geschick mir entrissen.
Bruder, mein Bruder, warum wurdest du mir geraubt!
Nimm es denn hin, was unsere Väter nach altem Brauche
Für die Toten bestimmt als ein Ehrengeschenk,
Nimm es hin, was reichliche Brudertränen benetzten:
Sei auf ewige Zeit, Bruder gegrüßt und leb wohl!

Catull


Oder es endet so ...

ETEOKLES: 
Verdammt sei Polyneikes! „Streit“ verheißt
Sein Name. Doch dass er’s wagt, gegen die Heimat
Krieg zu führen mit Barbaren-Übermacht –
Ich hätte ihn erwürgen sollen, als wir noch spielten.
Jetzt erfüllt sich unsres Vaters Fluch.

POLYNEIKES: 
Vorsorge traf ich für des Vaters Erbe,
Mich und ihn, damit der Fluch sich nicht erfüllt,
Den Ödipus uns hinterließ, und Bruderzwist
Um Macht und Reichtum uns vernichtet.
Freiwillig trat ich zurück, zog in die Fremde
Und überließ Eteokles für ein Jahr die Krone,
Um Thebens Herrscher dann zu sein im nächsten Jahr.
Er aber, der einen Eid geschworen hat auf diesen Pakt,
Bricht sein Wort und will den Thron
Und meinen Erbteil mir nicht zugestehen.
Noch jetzt bin ich bereit, wenn er mir gibt,
Was mein, des Heeres Abzug zu befehlen,
Mein Amt als König auszuüben, für ein Jahr,
Um es ihm herzuleihen für die gleiche Zeit.
In diesem Fall belagere ich Theben nicht
Und zieh die Sturmleitern zurück von seinen Mauern.
Doch wird mein Anteil mir versagt, wage ich alles!
Die Götter rufe ich als Zeugen,
Dass ich nur kämpfe für mein Recht,
Weil mich der Bruder rechtlos aus der Heimat drängt!

ETEOKLES: 
Wär unser Handeln nur auf eine Art zu deuten,
Es gäb auf dieser Erde keinen Streit.
In Wahrheit ist den Menschen nichts gemeinsam,
Worte nur. Ich, Mutter, sprech es offen aus:
Vor nichts mache ich halt, ich gehe jeden Weg,
Und sei's bis in den dunklen Schoß der Erde,
Wenn ich von dort mir Herrschaft holen könnte.
Als Ältester bin ich zum Königsein geboren
Und kann unmöglich abtreten die Macht an einen,
Der nicht dazu taugt. Ich wär kein Mann!
Und schwach und schmachvoll stünde Theben da,
Wenn ich, durch fremde Waffen eingeschüchtert,
Mein Zepter einem Nebenkönig überließ.
Nein! Will Polyneikes ungekrönt in unsern Mauern wohnen,
Meinetwegen. Doch was den Thron betrifft,
Geb ich nicht nach und zerreiße unsern Pakt,
Der Stadt zum Heil, die es verdient,
Dass nur der Beste sie regiert.

POLYNEIKES: 
Mutter –

ETEOKLES: 
Du bist ihr Sohn nicht mehr!

IOKASTE: 
Nie zeigtet ihr euch mehr als Söhne eures Vaters.

POLYNEIKES: 
Er verhöhnt mich!

ETEOKLES: 
Und du, hast du mich nicht verhöhnt?

POLYNEIKES: 
Bruder, wo stehst du in der Schlacht?

ETEOKLES: 
Warum fragst du?

POLYNEIKES:
 Wenn ich dich finde, töt' ich dich.

ETEOKLES:
Ich komme dir zuvor.


Goya - Kampf mit Keulen 1820/23

      Das Bild bezieht sich auf die Sage von Kadmos & den Drachenzähnen. Nachdem er 
      einen Drachen getötet hatte, erschien Kadmos, dem Sohn eines phönizischen Königs, 
      die Pallas Athene und befahl ihm, die Zähne des Drachen in aufgelockertes Erdreich 
      zu säen. Er öffnete mit dem Pflug eine breite Furche im Boden und fing an, die 
      Drachenzähne auszustreuen. Bald darauf begann die Scholle sich zu rühren, und aus 
      den Furchen hervor blickten zuerst die Spitzen von Lanzen, dann Helme hervor, bald 
      ragten Schultern und bewaffnete Arme aus dem Boden, und endlich standen hunderte 
      gerüstete Krieger, vom Kopf bis zum Fuße der Erde entwachsen, vor ihm. Einer des 
      erdentsprossenen Volke rief Kadmos zu: "Nimm deine Waffen nicht, Menge dich nicht 
      in unsere inneren Kriege!" und er holte mit einem Schwertstreich gegen einen der 
      ihm zunächst aus der Furche hervorgekommenen Brüder aus; ihn selbst streckte zu 
      gleicher Zeit eine geworfene Lanze nieder, der von einem anderen geflogen kam. 
      Auch der, welcher ihm den Tod gegeben, verhauchte unter einer Wunde den gerade 
      empfangenen Atem wieder. Der ganze Männerhaufen tobte in fürchterlichem Kampf, 
      nur fünf überlebten. Mit diesen fünf Kriegern baute Kadmos eine neue Stadt und 
      taufte sie Kadmeia, die später Theben genannt wurde. (nach www.sagen.at)



Samstag, 31. März 2012

BUNT


EIN BUNTES TREIBEN

Bunt, bunt, bunt sind alle meine Kleider,
Bunt, bunt, bunt ist alles, was ich hab.
Darum lieb ich alles, was so bunt ist,
Weil mein Schatz ein Maler, Maler ist.

Indische Pigmente © Dan Brady

Wiki sagt:
BUNT: bezeugt im Mittelhochdeutschen bunt „(vom Pelzwerk) schwarz-weiß (gefleckt)“, welches ab dem 13. Jahrhundert das ältere mittelhochdeutsche Wort vēh „vielfarbig“ ablöst, und zunächst ein reines Klosterwort war, welches eine schwarze Stickerei auf weißem Grund bezeichnete. Die weitere Herkunft des Wortes bleibt unklar.


Entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch werden in der Farblehre Weiß und Schwarz zu den „Farben“ gezählt. Für die Unterscheidung zwischen Weiß/Grau/Schwarz einerseits und den restliche Farben andererseits gibt es in der Fachsprache das Wort „bunt“. Es bezeichnet das, was die Alltagssprache „farbig“ nennt. „Bunt“ oder „Buntheit“ ist in der Farbtheorie die Reinheit, die bei Spektralfarben maximal ist, die also einen maximalen Farbsättigungsgrad haben. Mit dem Wort „unbunt“ werden dagegen Farben bezeichnet die keinerlei „Farb“eindruck hinterlassen.

Das Auge eines Studenten während Holi, in Chandigarh, in Indien 10.März 2009 © Reuters/Ajay Verma

Holi, das Fest der Farben, ist ein indisches Frühlingsfest am Vollmondtag des Monats Phalguna (Februar/März). Dieses „Fest der Farben“ dauert mindestens zwei, in einigen Gegenden Indiens auch bis zu zehn Tagen. Es wird der Frühling begrüßt und der Sieg des Guten über das Böse gefeiert.  

Der kindliche Prinz Prahlada sollte von seinem Vater überredet werden, ihm alle göttliche Ehre zu erweisen, der Junge jedoch verehrte weiterhin nur Vishnu. Mit verschiedenen Mitteln versuchte nun der König seinen Sohn zu töten, jedes mal jedoch griff Vishnu selbst ein und rettete das Kind. Schließlich griff der König zu einer List: Seine Schwester Holika, eine Dämonin, die durch besondere Kräfte vor dem Feuer geschützt war, sollte mit Prahlada auf dem Schoß ins Feuer springen und ihn so verbrennen. Aber die Flammen verschonten das Kind und von Holika blieb nur ein Häufchen Asche. Danach feiern die Menschen als Erinnerung an die Vernichtung der Dämonin das Fest Holi.

Für die Dauer der Feierlichkeiten, so sagt man, sind die strengen Kasten-, Klassen- und Geschlechterschranken aufgehoben. Die Menschen bewerfen einander mit duftendem Farbpuder und Parfumen, dann wird mit riesigen Feuern, die Verbrennung der Holika zelebriert. 

Die traditionellen natürlichen Farbpigmente waren gleichzeitig medizinische Kräuter, die ayurvedische Heiler zur Behandlung der üblichen Frühlingskrankheiten, wie Heuschnupfen und Erkältungen, verwendeten.



DAS WIRD MIR ZU BUNT!

Mittwoch, 25. Januar 2012

Pygmalion - Die ideale Frau selbstgemacht, oder der ideale Mann


Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. (Genesis)

Pygmalion schuf sich eine Frau nach seinem Bilde. Eine Frau, wie sich ein Mann eine Frau vorstellt, wünscht. Was mag das für eine "Frau" gewesen sein?
Wie sähe sie aus, die PERFEKTE Frau, geboren aus dem Kopf eines Mannes? Die Mutterhurefreundinkumpelfrau? Die ohne Fragen? Die, die wie ein Mann denkt, nur ohne Schwanz? Geht das überhaupt? Denn wie meine Großmutter, die sonst nie ordinäre Wörter benutzte, einmal gesagt hat: "Wenn der Schwanz steht, ist der Verstand im Arsch."? 

Wie sähe ein Mann nach meinem Bilde aus?

"Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es, von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfaßbar ist. Es ist eine Versündigung, die wir, so wie sie an uns begangen wird, fast ohne Unterlaß wieder begehen – Ausgenommen wenn wir lieben." und "Die Liebe befreit es aus jeglichem Bildnis." Max Frisch

Wenn wir uns also unablässig, lieblos, ein Bild vom anderen machen. Ihn in dieses Bild  einschweißen, dann geschieht uns selbst genau dies auch, ständig. Bild begegnet Bild, "so lässt Kunst nicht sehen die Kunst", heißt es bei Ovid im Pygmalion - Kapitel. 

Ich lese momentan überall von der fortschreitenden Entfremdung der Menschen in der digitalisierte Welt, Facebook, Twitter, was auch immer, als zwar nicht greifbare, aber benennbare Feindbilder. Aber wie nah sind wir uns in der analogen Welt? 
Wie anstrengend, beängstigend ist es, einem anderen "bildlos" zu begegnen? Aber was würden wir gewinnen, wenn wir es wagten?
In alten Hollywoodfilmen gibt es manchmal Geburtstagsszenen, in denen eine Frau aus der auf dem riesigen Tisch stehenden Torte springt: Surprise! Überraschung!


Ramon Lago "Pygmalion"
 
Kleine Horrorgeschichte zum Thema:

Wenn Herr K. einen Menschen liebte
"Was tun Sie", wurde Herr K. gefragt, "wenn Sie einen Menschen lieben?" "Ich mache einen Entwurf von ihm", sagte Herr K., "und sorge, daß er ihm ähnlich wird." "Wer? Der Entwurf?" "Nein", sagte Herr K., "Der Mensch."


Pygmalion
Nun steht vor mir das Werk vollendet,
Dran ich, beseelt von heilger Glut,
Des Busens Götterkraft verschwendet,
Es sinkt die Hand, der Meißel ruht;
Ich schwelg’ in selges Schaun versunken,
Mich faßt der Freude Überschwang,
Und meine Augen hängen trunken
Am Bilde, das mir selbst gelang.

Der Leib, der süße, sonder Hülle
Wie ragt er auf in stolzer Pracht!
Der edlen Glieder strenge Fülle
Bannt jedes Herz mit Zaubermacht:
Es träumt ein wundersüßes Sehnen
Im Aug’, das feucht in Liebe thaut,
Und nie im Lande der Hellenen
Ward noch ein Weib wie dies geschaut.

Seit meiner Jugend frühsten Zeiten
Hat heiße Sehnsucht, ungestillt,
Als Muster der Vollkommenheiten
Gesucht ein holdes Frauenbild;
Ich jagt’ ihm nach auf irdschen Fluren,
Ich sucht’ es hier und sucht’ es dort,
Doch immer nur zerstreute Spuren
Fand ich von höchster Schönheit Hort.

Nie schmückt, drum meine Wünsche warben,
Vollendung, was im Staube weilt,
Der Reiz der Formen ward und Farben
An viele Leiber rings vertheilt;
Von höchster Schönheit heilgem Glanze
Schaun wir nur stets verirrten Strahl,
Doch nie die reine, volle, ganze,
Niemals des Busens Ideal.

Und mahnend fühlt’ ich in mir tönen,
Der mich beseelt, des Geistes Ruf:
»Wohlan, den Inbegriff des Schönen
Schaff selbst, den nie Natur erschuf!«
Ich gieng an’s Werk; was vor der Seele
Mir stand, vermählt hab’ ich’s dem Stein;
Ich formt’ ein Weib mir sonder Fehle,
Umstrahlt von höchster Schönheit Schein.

Und auf zum Zeus nun meine Hände
Erhebend möcht’ ich brünstig fleh’n:
»O in dies Bild herniedersende
Des Lebens Hauch, des Geistes Weh’n!
Den ros’gen Lippen laß entquellen
Liebreicher Worte süße Fluth,
Laß athmend mir entgegenschwellen
Die Brust, daß Herz an Herzen ruht!«

Er thut es nicht; was ich gestaltet,
Stets bleibt es seelenlos und kalt;
Nie wird, ob’s auch das Herz mir spaltet,
Dies Bild von Leben warm durchwallt;
Ich seh’s: was lebt, wird niemals prangen
Von Mängeln frei im Thal der Noth;
Und Bilder, die dem Stein entsprangen,
Sie sind vollendet, aber todt.

aus: Albert Möser, Schauen und Schaffen, Neue Gedichte, Verlag von Levy & Müller, Stuttgart, 1881