Mittwoch, 18. Januar 2012

Der Sohn von Baladine Klossowska - Balthus - Judith Kuckart


Baladine Klossowska oder eigentlich Elisabeth Dorothea Spiro, griechisch/polnischer Abstammung, war die "letzte" Geliebte Rilkes.  Ihr Sohn, von ihrem Ehemann Erich Klossowski, war Maler, er nannte sich Balthus.


I refuse to confide and don't like it when people write about art. 
Ich verweigere mich der Beichte und mag es nicht, wenn Leute über Kunst schreiben.

                                                     Die Katze am Mittelmeer 1949

Anläßlich einer Ausstellung seiner Werke in der Tate Gallerie in London, schickte Balthus folgendes Telegramm: NO BIOGRAPHICAL DETAILS. BEGIN: BALTHUS IS A PAINTER OF WHOM NOTHING IS KNOWN. NOW LET US LOOK AT THE PICTURES. REGARDS. B. 
Keine biographischen Details. Beginn: Balthus ist ein Maler über den nichts bekannt ist. Jetzt laßt uns die Bilder anschauen. Grüße. B.

Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung, 30. 4. 2011 




Der Habichtmann
 
Von Judith Kuckart


Es ist Anfang Dezember 1983. Ein Mann, so scharf im Profil wie ein alter Habicht, wird von Jack Lang und Madame Mitterrand durch das Centre Pompidou geführt. Aussen an der Fassade hängt übergross der Ausschnitt eines seiner Bilder, «Le Passage du Commerce-Saint-André», eine poetische Strassenszene, die den modernen Röhrenbau Pompidou, der sie trägt, seiner geheimnislosen Funktionalität entkleidet. 
Der Habichtmann wird während seines Rundgangs immer wieder von Menschen bedrängt, die ihn unter Küssen fragen, ob er sie auf den hervorgekramten Jugendfotos erkenne. Ein japanisches Mädchen weicht nicht von seiner Seite und fasst immer wieder seine Hand. Zu dem Kind gehört eine Mutter, und die Mutter gehört offensichtlich zu dem Habichtmann. Sie muss seine zweite Frau sein, die er 1962 auf einer Reise nach Japan, die er im Auftrag von André Malraux unternahm, kennengelernt hat. Madame Setsuko Ideta heisst die Frau, das Mädchen heisst Harumi, der Habichtmann ist Graf Balthasar Klossowski de Rola, der Maler Balthus, dessen Bildern das Centre Pompidou in jenem Dezember damals eine erste grosse Schau widmete. Im Jahr darauf wird diese Schau im Metropolitan Museum in New York zu sehen gewesen sein. Aber wer sind all diese vielen betagten, auffällig gepflegten Männer um Balthus herum? Wer sind die angestrengt lächelnden, verwelkten Damen, die nach Puder, Chanel Nr. 5 und ganz leicht nach dunklem, geöltem Parkett riechen und die an ihren Ketten spielen, als seien diese aus Elfenbein und als hätten ihre Familien früher einmal Sklaven und halb Afrika dazu besessen?
Balthus! Sogar ein Krawattenknoten ist nach ihm benannt, vielleicht weil er von Haus aus ein Adeliger sein soll. Graf Balthasar Klossowski de Rola ist polnischer Herkunft. Den Künstlernamen Balthus hat ihm sein Patenonkel Rilke verpasst, der ein Verhältnis mit der Mutter des kleinen Balthasar hatte. Als Balthus noch keine zwanzig ist, rät der Maler Bonnard dem ziemlich müssig vor sich hin lebenden jungen Mann, die Gemälde von Poussin im Louvre zu kopieren, was er denn auch tut. Bald darauf - Balthus scheint noch immer keinen ordentlichen Beruf zu haben - kopiert er weiter in Italien die Fresken und Tafelbilder von Piero della Francesca, um endlich, ein Jahr später, in Paris, damit anzufangen, eigene Bilder zu malen. Aber erst viele Jahrzehnte später wird unter der sozialistischen Kulturpolitik von Jack Lang diese erste Balthus-Werkschau im Centre Pompidou möglich sein. In Frankreich ist man verzweifelt auf der Suche nach dem Maler des 20. Jahrhunderts.
Am Tag der Vernissage war ich noch jung, und von Balthus hatte ich noch nie etwas gehört. Ein Herr um die vierzig nahm mich zur Ausstellungseröffnung mit. Im Gedränge, in dem alle Anwesenden so gut rochen, blieb ich im Jahr 1983 vor einem Bild stehen, das im Jahr 1954 gemalt worden war. Ein Mädchen namens Thérèse räkelte sich in Öl auf ihrer Leinwand, ein Bein angezogen, das andere berührte seitlich den Boden. Sie ist bei der Sitzung vielleicht dreizehn gewesen, der, der sie malte, aber sechsundvierzig. 
Balthus eben. Thérèse hält das Gesicht mit geschlossenen Augen seitlich zur Sonne. Zu ihren Füssen frisst eine Katze, die zu grinsen scheint. Die Sonne auf Thérèses erhitztem Gesicht und der Wechsel von Licht und Schatten zwischen ihren Beinen lassen ahnen, dass nicht eigentlich dieses Mädchen träumt, sondern der Maler. Wahrscheinlich von Dingen, die nur ihn etwas angehen. Unheimlich ist mir das nicht, dafür ist es zu deutlich. Es ist vielleicht obszön, vielleicht auch nur obszön kitschig. Auf jeden Fall mag ich auf den ersten Blick diese Thérèse auf dem Bild lieber als den Maler Balthus.
Während bei jener Vernissage im Centre Pompidou einige der gepflegten älteren Herren hinter einem Vorhang verschwinden, um als Auserkorene aus dem Tross Balthus' einen Blick auf sein skandalösestes Bild, «Die Gitarrenstunde», zu werfen, auf dem eine Frau ein Mädchen verführt oder ihm Gewalt antut - (Küsse, Bisse, wer mag das schon immer gut unterscheiden?) -, finde ich meinen Weg in die «Passage du Commerce-Saint-André».
Eine Strassenansicht, die Provinzluft atmet - jetzt sehe ich das ganze Bild von der «Passage du Commerce-Saint-André», von dem ein Auszug an der Aussenfassade des Centre Pompidou hängt. Diese Strasse in ihrer sanften Breite und abgeschnittenen Tiefe verspricht ein Abenteuer im Alltag gleich um die Ecke. Obwohl man ahnt, hier wird nichts Spektakuläres geschehen, geschieht doch ein Wunder. Die Hauptperson in der Strassenszene ist das Licht, und das Licht ist hier die Zeit, die sich denkt. Am deutlichsten denkt sich die Zeit am Ende der Strasse, wo eine Frau mit Stock und hellstem Rückenwind quer zu den anderen Passanten getrieben wird. Acht Menschen halten auf der «Passage du Commerce-Saint-André» inne, und ihre letzte Bewegung ist noch da in der Spanne zwischen ihrem eingefrorenen Moment und dem Berührungsblick des Malers. Sie sind erwischt worden, als sie nichts Besonderes taten. Oder doch? Sie verweigern sich in ihren kleinen Gesten der Zeit, die sie alle mitnehmen will, denn trotz ablesbarer Betriebsamkeit bleibt die Zeit im Licht stehen. Das ist fast unheimlich. Für mich werden in dem Moment die Gedanken der abgebildeten Personen laut, werden zu einer gemeinsamen Erzählung, die vom Leben und Sterben in der «Passage du Commerce-Saint-André» handelt.
Ich spekuliere einfach: Links vorn, der Mensch ohne Haare, im Hauseingang und mit der Decke vor dem Leib, denkt: Weit näher vorbei, während das kokette Mädchen, das eben noch ein Kind war, zu dem anderen Kind im Fenster sagt: Denk dran. Mondfinsternis heute, einmalig, in hundert Jahren lebe ich nämlich nicht mehr. Das dritte Kind, das auf dem Bordstein sitzend an die rechte Wade des Mädchens gelehnt zu sein scheint, bringt seiner Puppe eine Lebensregel bei: Bleib einfach ruhig sitzen, dann werfen die Vögel einen Schatten auf dein Gesicht. Der Alte genau gegenüber, der knapp über der Gosse hockt, grübelt über seine Wohnverhältnisse nach. Alleinsein schadet der Gesundheit, sagt er sich, während jenes Mädchen, das mit niedergeschlagenen Lidern ganz vorn im Bild den Betrachter blind beschaut, ziemlich laut sinniert: Nachdenken mit Sonne ist besser als Nachdenken ohne Sonne. Der Rücken des Mannes, der sein Baguette davonträgt, sagt: Ah, all diese Flirterei, manchmal bleibt einem das Herz stehen, dann geht man weiter, und die alte Frau, die in nahender Unendlichkeit seinen Weg kreuzen wird, spürt es bereits in den Knochen: Jetzt werden die Tage wieder kürzer. Aber der kleine weisse Hund? Wem gehört eigentlich der? Der alten Frau, weil er in ihre Richtung läuft? Oder allen, weil er keine Leine trägt?
Das Personal in der «Passage du Commerce-Saint-André», festgehalten in irgendeinem Moment des Jahres 1952, erzählt, solange die Strasse dauert und Licht in sie fällt. Ich kann nicht hören, ob irgendwer etwas sagt über die geschlossenen Läden. Ob man sich Sorgen machen muss, dass diese Strasse verschwindet?
Was mir am besten gefällt an dem Bild? Die Räume zwischen den Figuren bleiben, wenn auch beseelt, durchlässig für einen weiteren Gast, der noch draussen vor dem Bild steht, so wie ich damals bei der Vernissage im Jahr 1983, und der ab jetzt sich entscheiden kann. Er kann schön gehen oder schön dableiben.

Judith Kuckart ist eine deutsche Tänzerin, Choreographin, Regisseurin und Schriftstellerin.
 

1 Kommentar:

  1. Ich möchte Therese die Gitarre in die Arme legen und sie dann in eine Decke wickeln.

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