Baladine Klossowska oder eigentlich Elisabeth Dorothea Spiro, griechisch/polnischer Abstammung, war die "letzte" Geliebte Rilkes. Ihr Sohn, von ihrem Ehemann Erich Klossowski, war Maler, er nannte sich Balthus.
I refuse to confide and don't like it when people write about art.
Ich verweigere mich der Beichte und mag es nicht, wenn Leute über Kunst schreiben.
Die Katze am Mittelmeer 1949
Anläßlich einer Ausstellung seiner Werke in der Tate Gallerie in London, schickte Balthus folgendes Telegramm: NO BIOGRAPHICAL DETAILS. BEGIN: BALTHUS IS A PAINTER OF WHOM NOTHING IS KNOWN. NOW LET US LOOK AT THE PICTURES. REGARDS. B.
Keine biographischen Details. Beginn: Balthus ist ein Maler über den nichts bekannt ist. Jetzt laßt uns die Bilder anschauen. Grüße. B.
Keine biographischen Details. Beginn: Balthus ist ein Maler über den nichts bekannt ist. Jetzt laßt uns die Bilder anschauen. Grüße. B.
Artikel aus der Neuen Zürcher Zeitung, 30. 4. 2011
Es
ist Anfang Dezember 1983. Ein Mann, so scharf im Profil wie ein alter
Habicht, wird von Jack Lang und Madame Mitterrand durch das Centre
Pompidou geführt. Aussen an der Fassade hängt übergross der Ausschnitt
eines seiner Bilder, «Le Passage du Commerce-Saint-André», eine
poetische Strassenszene, die den modernen Röhrenbau Pompidou, der sie
trägt, seiner geheimnislosen Funktionalität entkleidet.
Der Habichtmann
wird während seines Rundgangs immer wieder von Menschen bedrängt, die
ihn unter Küssen fragen, ob er sie auf den hervorgekramten Jugendfotos
erkenne. Ein japanisches Mädchen weicht nicht von seiner Seite und
fasst immer wieder seine Hand. Zu dem Kind gehört eine Mutter, und die
Mutter gehört offensichtlich zu dem Habichtmann. Sie muss seine zweite
Frau sein, die er 1962 auf einer Reise nach Japan, die er im Auftrag
von André Malraux unternahm, kennengelernt hat. Madame Setsuko Ideta
heisst die Frau, das Mädchen heisst Harumi, der Habichtmann ist Graf
Balthasar Klossowski de Rola, der Maler Balthus, dessen Bildern das
Centre Pompidou in jenem Dezember damals eine erste grosse Schau
widmete. Im Jahr darauf wird diese Schau im Metropolitan Museum in New
York zu sehen gewesen sein. Aber wer sind all diese vielen betagten,
auffällig gepflegten Männer um Balthus herum? Wer sind die angestrengt
lächelnden, verwelkten Damen, die nach Puder, Chanel Nr. 5 und ganz
leicht nach dunklem, geöltem Parkett riechen und die an ihren Ketten
spielen, als seien diese aus Elfenbein und als hätten ihre Familien
früher einmal Sklaven und halb Afrika dazu besessen?
Balthus!
Sogar ein Krawattenknoten ist nach ihm benannt, vielleicht weil er von
Haus aus ein Adeliger sein soll. Graf Balthasar Klossowski de Rola ist
polnischer Herkunft. Den Künstlernamen Balthus hat ihm sein Patenonkel
Rilke verpasst, der ein Verhältnis mit der Mutter des kleinen
Balthasar hatte. Als Balthus noch keine zwanzig ist, rät der Maler
Bonnard dem ziemlich müssig vor sich hin lebenden jungen Mann, die
Gemälde von Poussin im Louvre zu kopieren, was er denn auch tut. Bald
darauf - Balthus scheint noch immer keinen ordentlichen Beruf zu haben -
kopiert er weiter in Italien die Fresken und Tafelbilder von Piero
della Francesca, um endlich, ein Jahr später, in Paris, damit
anzufangen, eigene Bilder zu malen. Aber erst viele Jahrzehnte später
wird unter der sozialistischen Kulturpolitik von Jack Lang diese erste
Balthus-Werkschau im Centre Pompidou möglich sein. In Frankreich ist
man verzweifelt auf der Suche nach dem Maler des 20. Jahrhunderts.
Am
Tag der Vernissage war ich noch jung, und von Balthus hatte ich noch
nie etwas gehört. Ein Herr um die vierzig nahm mich zur
Ausstellungseröffnung mit. Im Gedränge, in dem alle Anwesenden so gut
rochen, blieb ich im Jahr 1983 vor einem Bild stehen, das im Jahr 1954
gemalt worden war. Ein Mädchen namens Thérèse räkelte sich in Öl auf
ihrer Leinwand, ein Bein angezogen, das andere berührte seitlich den
Boden. Sie ist bei der Sitzung vielleicht dreizehn gewesen, der, der
sie malte, aber sechsundvierzig.
Balthus eben. Thérèse hält das Gesicht
mit geschlossenen Augen seitlich zur Sonne. Zu ihren Füssen frisst
eine Katze, die zu grinsen scheint. Die Sonne auf Thérèses erhitztem
Gesicht und der Wechsel von Licht und Schatten zwischen ihren Beinen
lassen ahnen, dass nicht eigentlich dieses Mädchen träumt, sondern der
Maler. Wahrscheinlich von Dingen, die nur ihn etwas angehen. Unheimlich
ist mir das nicht, dafür ist es zu deutlich. Es ist vielleicht obszön,
vielleicht auch nur obszön kitschig. Auf jeden Fall mag ich auf den
ersten Blick diese Thérèse auf dem Bild lieber als den Maler Balthus.
Während
bei jener Vernissage im Centre Pompidou einige der gepflegten älteren
Herren hinter einem Vorhang verschwinden, um als Auserkorene aus dem
Tross Balthus' einen Blick auf sein skandalösestes Bild, «Die
Gitarrenstunde», zu werfen, auf dem eine Frau ein Mädchen verführt oder
ihm Gewalt antut - (Küsse, Bisse, wer mag das schon immer gut
unterscheiden?) -, finde ich meinen Weg in die «Passage du
Commerce-Saint-André».
Eine
Strassenansicht, die Provinzluft atmet - jetzt sehe ich das ganze Bild
von der «Passage du Commerce-Saint-André», von dem ein Auszug an der
Aussenfassade des Centre Pompidou hängt. Diese Strasse in ihrer sanften
Breite und abgeschnittenen Tiefe verspricht ein Abenteuer im Alltag
gleich um die Ecke. Obwohl man ahnt, hier wird nichts Spektakuläres
geschehen, geschieht doch ein Wunder. Die Hauptperson in der
Strassenszene ist das Licht, und das Licht ist hier die Zeit, die sich
denkt. Am deutlichsten denkt sich die Zeit am Ende der Strasse, wo eine
Frau mit Stock und hellstem Rückenwind quer zu den anderen Passanten
getrieben wird. Acht Menschen halten auf der «Passage du
Commerce-Saint-André» inne, und ihre letzte Bewegung ist noch da in der
Spanne zwischen ihrem eingefrorenen Moment und dem Berührungsblick des
Malers. Sie sind erwischt worden, als sie nichts Besonderes taten.
Oder doch? Sie verweigern sich in ihren kleinen Gesten der Zeit, die
sie alle mitnehmen will, denn trotz ablesbarer Betriebsamkeit bleibt
die Zeit im Licht stehen. Das ist fast unheimlich. Für mich werden in
dem Moment die Gedanken der abgebildeten Personen laut, werden zu einer
gemeinsamen Erzählung, die vom Leben und Sterben in der «Passage du
Commerce-Saint-André» handelt.
Ich
spekuliere einfach: Links vorn, der Mensch ohne Haare, im Hauseingang
und mit der Decke vor dem Leib, denkt: Weit näher vorbei, während das
kokette Mädchen, das eben noch ein Kind war, zu dem anderen Kind im
Fenster sagt: Denk dran. Mondfinsternis heute, einmalig, in hundert
Jahren lebe ich nämlich nicht mehr. Das dritte Kind, das auf dem
Bordstein sitzend an die rechte Wade des Mädchens gelehnt zu sein
scheint, bringt seiner Puppe eine Lebensregel bei: Bleib einfach ruhig
sitzen, dann werfen die Vögel einen Schatten auf dein Gesicht. Der Alte
genau gegenüber, der knapp über der Gosse hockt, grübelt über seine
Wohnverhältnisse nach. Alleinsein schadet der Gesundheit, sagt er sich,
während jenes Mädchen, das mit niedergeschlagenen Lidern ganz vorn im
Bild den Betrachter blind beschaut, ziemlich laut sinniert: Nachdenken
mit Sonne ist besser als Nachdenken ohne Sonne. Der Rücken des Mannes,
der sein Baguette davonträgt, sagt: Ah, all diese Flirterei, manchmal
bleibt einem das Herz stehen, dann geht man weiter, und die alte Frau,
die in nahender Unendlichkeit seinen Weg kreuzen wird, spürt es bereits
in den Knochen: Jetzt werden die Tage wieder kürzer. Aber der kleine
weisse Hund? Wem gehört eigentlich der? Der alten Frau, weil er in ihre
Richtung läuft? Oder allen, weil er keine Leine trägt?
Das
Personal in der «Passage du Commerce-Saint-André», festgehalten in
irgendeinem Moment des Jahres 1952, erzählt, solange die Strasse dauert
und Licht in sie fällt. Ich kann nicht hören, ob irgendwer etwas sagt
über die geschlossenen Läden. Ob man sich Sorgen machen muss, dass
diese Strasse verschwindet?
Was
mir am besten gefällt an dem Bild? Die Räume zwischen den Figuren
bleiben, wenn auch beseelt, durchlässig für einen weiteren Gast, der
noch draussen vor dem Bild steht, so wie ich damals bei der Vernissage
im Jahr 1983, und der ab jetzt sich entscheiden kann. Er kann schön
gehen oder schön dableiben.
Ich möchte Therese die Gitarre in die Arme legen und sie dann in eine Decke wickeln.
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