Paris, 1982 © Sibylle Bergemann
Clärchens Ballhaus, Berlin, 2008 © Sibylle Bergemann
Mauerpark, Prenzlauer Berg, Berlin 1996 © Sibylle Bergemann
Das Denkmal, Ost Berlin 1986 © Sibylle Bergemann
Es gibt einen sehr schönen Film über Sibylle, wiederum von itworksmedien. Die Photographin Sibylle Bergemann.
Ich glaube, sie war die leiseste Person, die ich je kennengelernt habe. Nicht, dass sie nicht geredet hätte, das hat sie, besonders, wenn sie dich photographiert hat, aber halt ganz zart, gerade noch hörbar, und nicht aus einer Manier heraus, sondern weil es laut genug schien.
Alles Laute ist Lüge von Jutta Voigt
(Auszug aus einem Artikel in der Berliner Zeitung vom 11.11.2006)
Jede Frau hat ein Geheimnis, in jedem Bergemann-Bild steckt eine Ungewissheit. Eine zweite Dimension, was Unerklärbares. Die Fotografin bevorzugt Tarnfarben. Pullover, Hose, Jacke, Ohrringe, Auto, alles olivgrün oder erdbraun - man muss untertauchen können. Unsichtbar sein, um besser sehen zu können. Mag die Wirklichkeit ihre Wunder noch so sehr verbergen, Sibylle Bergemann entdeckt sie, aber sie preist sie nicht an. Das Geheimnis als Zuflucht, so bleibt Hoffnung, die Poesie ist keine Verräterin. Die Fotografin hütet das Geheimnis, das der Dinge, das der Menschen und das eigene; es schützt vor Entblößung und bewahrt die Intuition vor Irrtümern. Manche ihrer Bilder sind bereits Ikonen. Die missmutigen Mädchen am Strandkorb, der wütende Hund von Kasan, die schwarz umtoste Seebrücke in Sellin. Sie hat die am Lastkran schwebenden Marx-Engels-Statuen über dem Berliner Zentrum fotografiert, halbiert und gefesselt, entmystifiziert schon bei ihrer Inauguration in der zerfallenden DDR der 80er. Die behinderten Schauspieler des Theaters Ramba Zamba - so hat sie noch keiner angeschaut. Die Nescafé-Bude in einem verlorenen Vorort von Dakar, Afrika. Das Bild ist gerade für dreitausend Euro im Auktionshaus Grisebach verkauft worden. Sibylle Bergemann hat sich einen der vorderen Plätze in der internationalen Fotografie-Geschichte gesichert - Triumph einer Autodidaktin. Die Fotografin ist von zierlicher Gestalt, ihre Haut von milchigem Weiß mit gelegentlichen Sommersprossen, das dunkelblonde Haar ist dünn. Ihr schmales Gesicht wird beherrscht von auffallend hellen Augen und einem elegischen Jeanne-Moreau-Mund. Sie ist schüchtern, still und bestimmt, ein eigensinniger Pakt von Empfindsamkeit und Energie wurde da geschlossen. Dass sie über einen robusten Humor verfügt und albern sein kann, wissen nur Eingeweihte. Ich habe sie nie lauthals lachen sehen, vermutlich empfindet sie das als Stilbruch. Lächeln, das schon, ein Auflachen im Verborgenen, ein kurzes Kichern über eine absurde Situation, lautes Lachen aber - nein. Möglicherweise hat sie die Abneigung gegen die Bitte-recht-freundlich-Fotografie verinnerlicht oder die gegen den angeordneten Optimismus der DDR-Presse, wo Lachen Einverständnis mit den Verhältnissen vortäuschen sollte. So wie heute die aufgerissenen Münder der Werbebranche die Angst vorm Konsumieren weglachen sollen. Es gibt kaum ein Bergemann-Foto, auf dem gelacht wird, alles Laute ist Lüge. Ich habe sie niemals eine intime Geschichte über sich erzählen hören, und wir kennen uns lange. Ich habe sie überhaupt selten als Erzählerin erlebt. Schreiben kann ich nicht, reden kann ich nicht, aber vielleicht sehen, hat sie mal gesagt. Sie sieht mit allen Sinnen, sie fotografiert mit allen Sinnen. Und weil sie der Intuition vertrauen möchte, beherrscht sie das Handwerk so perfekt, dass sie es vergessen kann. Angefangen hat es mit einer Doppelliebe. Sibylle Bergemann saß als Sekretärin im Büro vom "Magazin" und wusste: Sekretärin kann ich nicht bleiben, ich muss was Eigenes machen. Ihr erstes Foto entstand mit einer einäugigen 6x6-Spiegelreflex-Kamera, da war sie vierundzwanzig. Eines Tages betrat ein Mann in einem olivgrünen Parka die Redaktion, ein Erzähler von Format, einer mit Witz und dem unbedingten Willen, der vorherrschenden Schnappschuss-Knipserei das Bewusste, das Direkte entgegenzusetzen. Er war fünfzehn Jahre älter als sie, als Fotograf ein Geheimtipp, als Lehrer ein Unikat. Arno Fischer lehrte an der Kunsthochschule Weißensee. Der musste es sein, der oder keiner: Ich wollte Arno, und ich wollte fotografieren. Was die Bergemann will, kriegt sie. Sie wurde seine Schülerin, seine Geliebte, seine Konkurrentin. Liebe und Fotografie Seit an Seit, und das brennende Interesse für Fotografen wie Dorothea Lang, Robert Frank, Henri Cartier-Bresson und die anderen Großen. Er sammelte alte Kameras und Daguerreotypien, sie Modepuppenköpfe und antike Blechbüchsen. Beide sammelten sie Hunde aus Seife und solche aus Fleisch und Blut. Und Papageien, die die amerikanische Nationalhymne pfeifen konnten. Vor allem aber verband sie eins: die Obsession, die DDR-Fotografie rauszuholen aus dem Tal des Kunstgewerbes und der dekorativen Oberflächlichkeit. Ihre Modefotos, die in der "Sibylle" veröffentlicht wurden, waren keine Püppchenbilder, sondern Porträts selbstbewusster Frauen in realer Umgebung, der Glamour bestand in einem Signal, das verstanden wurde: Individualität. Die Berlin-Bilder atmen Echtheit. Weitab vom Offiziösen, am Rand, nicht in der Mitte, entdeckten die Fotografen die Lebenszeichen. Sibylle Bergemann hatte schnell gelernt. Ebenso schnell fotografierte sie anders und anderes als ihr Lehrer. Sie sah die Schönheit, und sie sah den Zweifel, sie suchte den Traum hinter der Realität, Wirklichkeit ohne Traum wäre Weltende. Die Fotografin trug die Kamera immer bei sich, es konnte ihr was begegnen, das fotografiert werden musste, gefallene Engel aus Stein zum Beispiel, die sie eines Morgens beim Brötchenholen am Boden liegen sah. Die weitläufige, mit Phantasie vollgestopfte Wohnung von Fischer/Bergemann am Schiffbauerdamm wurde zum magischen Ort, zum aufbruchtrunkenen Salon einer mit Westbesuch garnierten Ostberliner Boheme, für die die Fotografie das Medium war, in dem sich Hoffnung und Elend der Gesellschaft spiegelten. Die Fotografie stand für das Ganze. Nächtelang wurden bei Nordhäuser Doppelkorn und mit Käse überbackenen Hackepeter-Brötchen Fotos angesehen, rumgereicht und bewertet. Es ging um die Vision von den Bildern des Landes, in dem wir lebten. Es ging um alles. Immer dabei war Rosa, die geliebte französische Bulldogge. Rabenschwarz räkelte sie sich auf dem weißen Sofa Ramosa. Sie ließ sich von einem Dackel verführen, brachte vier Welpen zur Welt und starb früh. Sibylle Bergemann taufte die Kleinen nach dem Ort, wo sie geworfen worden waren: Treppe, Parketti, Betti und Kiste. Wir hatten einen gemeinsamen Start. Ich war Redakteurin beim "Sonntag" und konnte dort ihre ersten Fotos drucken. Die allerersten waren Bilder von Fenstern, hinter denen sich sehr verschiedenes Leben vermuten ließ, einzigartiges, unverwechselbares; es waren die Details, die das Wesentliche ausdrückten. Die Fotos lagen bei mir in der Schublade, nicht in der Bildredaktion, ohne Ankaufhonorar. Geld war nicht wichtig, wichtig war, eine Sicht durchzusetzen, eine Ästhetik. Wir machten zusammen Reportagen über Näherinnen in einem volkseigenen Textilbetrieb, über eine Dorfhochzeit auf flachem Land, über chilenische Emigranten, die mit uns Lieder über die Revolution singen wollten. Einmal fuhren wir nach Grevesmühlen zu einem alten Mann, der Depeschenreiter bei der Roten Armee gewesen war. Aus Gründen der Vertrauensbildung übernachteten wir auf dem Wohnzimmersofa, beide. Am Abend vorher waren wir der Einladung des Depeschenreiters zum Abendbrot gefolgt. Es gab Brühwürste, die in einer grauen Terrine voller Fettaugen schwammen. Wir mussten essen, wir mussten, sonst wäre das Vertrauen in Gefahr gewesen. Ich konnte nicht, Sibylle Bergemann schluckte tapfer die fetten Würste. Es hatte sich gelohnt, am nächsten Morgen entstand das Bild: der Depeschenreiter mit allen seinen Orden in seinem herbstkahlen Kleingarten, unheldisch, berührend. Wir stiegen in Bergemanns Wartburg-Kombi. Vorn rot, hinten grün, die Türklinken fehlten, die Scheibenwischer lahmten, die Rücksitze waren mit Bergen von Fotokisten, Hundefutter und Kram belegt. Der Depeschenreiter ging interessiert um das Fahrzeug herum, fühlte sich wohl an alte Zeiten erinnert und fragte grinsend: Habt ihr da Handgranaten drinne? Ob sie sich nach der Wende in ihrer Haltung zur Fotografie verändert habe? Überhaupt nicht, sagt Sibylle Bergemann, sie habe die Mode in Afrika fotografiert wie damals in Berlin, sie habe die Stadt einbezogen, das Leben, den Traum. Der belletristische Blick ist geblieben, die Suche nach dem Poetischen am Rand, nicht in der Mitte. Eines ist anders geworden. Sie hat von Schwarzweiß zu Farbe gewechselt. Das wurde gefordert von den Magazinen, für die sie nun arbeitet. Farbe ist unrealistisch, grell und gewöhnlich, Farbe ist Operette - davon war die Fotografin ein halbes Leben lang überzeugt. Sie reagierte auf ihre Weise, sie machte die Farbe zur Komplizin ihrer Sicht. Trieb ihr das Grelle, Laute, Strahlende aus, machte sie weich, fließend, "grau". Auf den Afrika-Bildern scheint ein Schleier aus Staub die Szenerien zu verhüllen und gleichzeitig zu entdecken. Nichts Buntes und doch ein Farbenrausch. Seit einiger Zeit fliegt sie hauptsächlich für GEO durch die Welt. Indien Thailand, Afrika, Arabien, Portugal. Die Redakteurin Johanna Wieland hat ihre Zusammenarbeit mit Sibylle Bergemann im Senegal so beschrieben: "Sibylle verabschiedete sich morgens mit dem Satz: Ich geh dann mal, und verschwand, keiner wusste wohin; ich vermute, nicht mal sie selbst. Dakar ist keine ungefährliche Stadt. Koyo, unsere Dolmetscherin, sorgte sich: Madame, wo bist du gewesen?, schnarrte sie, wenn Sibylle abends wieder auftauchte, dreckig, verschwitzt. Ich derweil hatte das Nachfragen aufgegeben. Diese Fotografin war nicht gewillt, das, was sie sah, in Worte zu fassen. Vielleicht, weil sie Angst hat, die Bilder, die sie erahnt, aber noch nicht hat, zu vertreiben, wenn sie sie mit Worten festsetzt. Meine Versuche, mit Sibylle ins Gespräch über ihre Arbeit zu kommen, endeten meist wie folgt: Was war denn am Strand, frage ich. Ein Kiosk, sagt sie. Stand Nescafé dran. Interessant, irgendwie. Sibylle Bergemann, wie gesagt, macht Bilder statt Worte. Neulich erzählte sie doch was, mit so einem Ton in der Stimme, der Verletzlichkeit hinter Witz verbirgt: Da treffe ich einen Kollegen vom Spiegel, und der fragt mich: Fotografierst du noch? Der hätte auch fragen können: Atmest du noch?
Holly wrote: "Zu Sibylle Bergemanns 1. Todestag zeigen wir im Kino babylon "take a Picture", 1.11.2011, 20.00"
AntwortenLöschenDie Frau in Paris.
AntwortenLöschenWie die Stimmung Picassos Bildern mit den Absithtrinkerinnen ähnelt. Die Frau ist älter geworden hinter den Gläsern. Und kleiner. Sie hat sich einmal umgesetzt in hundert Jahren. Nun schaut sie in die andere Richtung. Der Blick hat sich kaum verändert.