Sonntag, 16. Oktober 2011

Vaterlandsverräter

Gratzik, Paul * 30.11.1935

Biographie Angaben aus „Wer war wer in der DDR?“ (Christoph Links Verlag):

Geboren in Lindenhof (Krs. Lötzen, Ostpr./Lipowy Dwor, Polen); Vater Landarbeiter; Volksschule; 1952 – 54 Ausbildung zum Tischler; arbeitete als Bauarbeiter im Ruhrgebiet, in Berlin u. Weimar; danach im Braunkohletagebau in Schlabendorf; 1962 Funktionär der FDJ-Kreisleitung Weimar, Sektorenleiter im Jugenklubhaus »Walter Ulbricht«; 1962 – 81 als IM »Peter« für das MfS erfaßt, 82 Beendigung der IM-Tätigkeit durch Verweigerung weiterer Zusammenarbeit; 1963 – 68 Studium am IfL in Weimar; 1968 Aufnahme zum Studium am Literatur-Institut »Johannes R. Becher« in Leipzig, wurde jedoch nach kurzer Zeit relegiert; Arbeit als Erzieher; ab 1971 freischaffend; Mitglied des Schriftsteller Verbandes; seit 1974 neben schriftsteller. Arbeit auch Teilzeitarbeit im VEB Transformatoren- u. Röntgenwerk in Dresden; seit 1977 in Berlin; Autor am Berliner Ensemble; 1980 Heinrich-Heine-Preis; 1984 – 89 in der OPK (Operative Personenkontrolle) »Kutte« vom MfS erfaßt
Debütierte als Dramatiker (»Umwege. Bilder aus dem Leben des jungen Motorenschlossers Michael Runna« UA 1970); Grundlage seiner literarischen Arbeiten ist eigenes Erleben der realsozialistischen Arbeitswelt; kam mit seinem ungeschminkten Realismus – auch mit Berichten aus gesellschaftlihen Tabuzonen (Jugendwerkhof) – in Konflikte mit der Zensur.
1997 Uraufführung von G.s Bühnenbearbeitung der »Litauschen Claviere« (Johannes Bobrowski) in Berlin.




itworksmedien ("Flake", "Die Fotografin Sybille Bergemann") hatte heute offizielle Berlin-Premiere, mit ihrem schon bei den Berliner Filmfestspielen gezeigten Dokumentar-Film "Landesverräter", in Anwesenheit des Teams und des Mannes, um den es sich handelt, Paul Gratzik.
Harter Tobak. Ich habe vor Unwohlsein geschwitzt, nicht wegen des Filmes, aber ob der abrupt wechselnden Selbstsicht und Selbstdarstellung des Titel-"Helden". Dieses körperliche Gefühl, schwankend zwischen Fassungslosigkeit, Abwehr, Zorn und Trauer wurde dann ganz und gar beherrschend, als Gratzik anschließend zu dem Film sprach und scheinbar alle empfundenen Zweifel und alle Selbstverdammung bei Seite schob, einen gedanklichen Salto vollzog und, wie er sagte, "angesichts der uns bevorstehenden viel schlimmeren Katastrophen", die Notwendigkeit der Stasi-Arbeit lobpreiste. Grauenhaft. Da wurde Unrecht gegeneinander aufgewogen und das eigene plötzlich als leicht empfunden. Da wurde der gute alte Imperialismus zur Selbstentschuldigung benutzt. Und sogar der eigentlich erstaunliche Punkt, dass er nämlich 1982 bei der Stasi "gekündigt" und sich den bespitzelten Freunden offenbart hatte, um dann selbst zum observierten Objekt zu werden, wieder in Frage gestellt.
Ein nötiger Film über das Land in dem ich aufgewachsen bin, und das sich im medialen Durcheinander und der revisionistischen Sentimentalität vieler seiner ehemaligen Bewohner immer mehr zu verharmlosen scheint.

Es wäre noch viel zu sagen, aber dazu brauche ich Denkzeit.
Der Film läuft jetzt in mehreren Berliner Kinos an.



http://itworksmedien.com/films/vaterlandsverrater/

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