Sonntag, 14. August 2011

Tell Halaf - Die zauberische Macht der Leidenschaft

Eine so herrliche Ausstellung habe ich lange nicht mehr gesehen. 
Sicher ist die Gestaltung, der Aufbau des Ganzen wunderbar und die Ausstellungsstücke hochinteressant und manche hinreissend schön, aber was mich zu Tränen gerührt hat, ist das Bild, das in meinem Kopf entstand, von unzähligen Menschen, die Genauigkeit und Geduld und Interesse investiert haben, um diese Figuren und Köpfe und Reliefs auszugraben, zu transportieren, zu sortieren, zu rekonstruieren. 300 große Paletten mit Scherben und Steinsplittern wurden nummeriert, verglichen, in Handarbeit zusammengepuzzelt. Alter Kram, gefertigt von Menschen, die schon zu Staub zerfallen waren, als Romulus und Remus ihre Stadt gründeten.

Doppelsitzbild

"Für Archäologen gehört die menschliche Geschichte niemandem. Sie repräsentiert die kulturelle Hinterlassenschaft eines jeden, der  je auf der Erde gelebt hat oder in der Zukunft dort leben wird. Archäologie stellt alle menschlichen Gesellschaften auf eine gleichberechtigte Stufe."
"To archaeologists, the human past is owned by no one. It represents the cultural heritage of everyone who has ever lived on Earth or will live on it in the future. Archaeology puts all human societies on an equal footing."  
Brian Fagan. 1996. Introduction to the Oxford Companion to Archaeology




Und was diesen Steinen alles zugestossen ist: Erst war da die Zeit, die das ihre getan hatte (manche Geschirrteile sind 5000 Jahre alt, vieles andere "nur" 3000), dann musste die erste Ausgrabung unterbrochen werden und ein kleiner lokaler Konflikt zerstörte noch mehr und dann, im Tell-Halaf-Museum in Berlin in der Franklinstrasse, im Winter 1943 eine Phosphorbombe, Brand, Löscharbeiten, das Wasser traf die noch heissen Steine,  gefror, viele Werke zerbarsten infolge der "thermischen Spannungen", und dann lagen sie noch den Winter lang in der Ruine. 
In einem Video, sagte eine ältere Dame, offensichtlich eine Archäologin oder Restauratorin: "Jede Scherbe ist in unserer Verantwortung, jede Scherbe." 
Wissend, dass unsere Welt so voll Schrecklichem und scheinbar Unlösbarem ist, hat es mich berührt, dass so viel Mühe und Kraft verwendet wird, auf dass wir nicht vergessen, wer wir sind, Menschen, die einzige Rasse auf diesem Planeten, die sich bewusst ist, dass sie eine Vergangenheit hat.



3 Kommentare:

  1. Pascal von Wroblewsky
    was du da schreibst, berührt mich sehr. wir lesen immer die namen von königen und anderen herrschern, die mächtige bauwerke errichten ließen. wir sagen z.b. cheops ließ seine pyramide erbauen, aber die wahren meister sind längst unbenannt im staub verloren gegangen und daran muss ich oft denken.

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  2. Petra Keil
    ...Vergangenheit hat. Unglaublich, wie wir diese mit Füßen treten. Und Schwester Zukunft ebenso.Wurde mir gerade beim Lesen abermals bewußt.Ich vergesse es zu oft!

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  3. Die englische Sprache hat ein Wort... für das es, meiner Meinung nach, keine gute Übersetzung ins Deutsche gibt: retreat. Wir würden Zufluchtsort sagen, aber darin steckt "Flucht", das klingt so unangenehm. Ich würde es mit Rückzugsverkrabbelungsgeborgenheitsort übersetzen... und ein Museum ist für mich sehr oft genau das. Man verläßt eine Welt, betritt eine kleine, die aber Spiegel der viel größeren durch alle Zeit ist. Museumsbesuche sind Zeitreisen, sie decken einen zu mit Kunst, mit Wissen, mit anderen Kulturen, fremden Orten und Epochen... während man diese gleichzeitig entdeckt... eine ganz friedliche Aufnahme, ein "ganz viel bekommen". Ein Museum schafft Raum für Gedanken, die man sonst nicht hätte, befreit einen vom eigenen Alltag, erzählt erahnbare Geschichte und Geschichten und kitzelt die Fantasie, ein Museum ist eine Einladung an die Seele, genau wie den Kopf... ein Ort, an dem ich ins staunen und zur Ruhe komme. Beides sind Geschenke, die ich sehr dankbar schätze.
    Leider gehören Museen, wie seltsamer- und blöderweise alles, was ich kostbar finde, zu einer bedrohten Spezies.

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