Samstag, 13. August 2011

13. August 1961 - 13. August 2011

Die Mauer
Zum 3. Oktober 1990

Rainer Kunze
 
Als wir sie schleiften, ahnten wir nicht,
wie hoch sie ist
in uns
Wir hatten uns gewöhnt
an ihren horizont
Und an die windstille
In ihrem schatten warfen
alle keinen schatten
Nun stehen wir entblößt
jeder entschuldigung 





 
Ein Mensch steht an der Mauer

Inge Müller 1962

Ein Mensch steht an der Mauer
Siebenköpfig ist sein Tod:
In vierzehn Menschenaugen
Schneller als das Eisen
Ist der Schrei aus dem zerschlagenen Mund:
Brüder, ihr erschießt euch selber!

Ein Mensch fällt an der Mauer.
Ein Gewehrlauf weist zitternd
In den weiten Himmel
Gelenkt von zwei Händen.
Die die blieben sauber
Und legten sie in Fesseln.

Morgen steht wieder ein Mensch
An der Mauer. 
 


Internationalen Pressekonferenz in Ost-Berlin am 15. Juni 1961, die Journalistin Annamarie Doherr von der Frankfurter Rundschau hatte damals die Frage gestellt:
„Ich möchte eine Zusatzfrage stellen. Doherr, Frankfurter Rundschau. Herr Vorsitzender, bedeutet die Bildung einer freien Stadt Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?“
Walter Ulbricht antwortete:
„Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten, ja? Ääh, mir ist nicht bekannt, dass [eine] solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft voll ausgenutzt, ääh, eingesetzt wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“

DIE MAUER

Volker Braun 1966

Zwischen den seltsamen Städten, die den gleichen
Namen haben, zwischen vielem Beton
Eisen Draht Rauch, den Schüssen
Der Motore: in des seltsamen Lands
Wundermal steht aus all dem
Ein Bau, zwischen den Wundern
Auffallend, im erstaunlichen Land
Ausland. Gewöhnt
An hängende Brücken und Stahltürme
Und was noch an die Grenze geht
Von Material und Maschinen, faßt
Der Blick doch nicht
Das hier.
Zwischen all den Rätseln: das ist
Fast ihre Lösung. Schrecklich
Hält sie, steinerne Grenze
Auf was keine Grenze
Kennt: den Krieg. Und sie hält
Im friedlichen Land, denn es muß stark sein
Nicht arm, die abhaun zu den Wölfen
Die Lämmer. Vor den Kopf
Stößt sie, das gehn soll, wohin es will, nicht
In die Mässengräber, das
Volk der Denker.
Aber das mich so hält, das halbe
Land, das sich geändert hat mit mir, jetzt
Ist es sichrer, aber
Ändre ichs noch? Von dem Panzer
Gedeckt, freut sichs
Seiner Ruhe, fast ruhig? Schwer
Aus den Gewehren fallen die Schüsse:
Auf die, die es anders besser
Halten könnte. Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

2
Die hinter den Zeitungen
Anbelln den Beton und, besengt
Von den Sendern, sich aus dem Staub machen
Der Baustellen oder am Stacheldraht
Unter Brüdern harfen und
Unter Kirchen scharrn Tunnel: die
Blinden Hühner finden sich
Vor Kimme und Korn. Unerfindlich
Aber ist ihnen, was diese Städte
Trennt. Weil das nicht
Aus Beton vor der Stirn pappt.
Uns trennt keine Mauer.
Das ist Dreck aus Beton, schafft
Das dann weg, mit Schneidbrennern
Reißt das klein, mit Brecheisen
Legts ins Gras: wenn sie nicht mehr
Abhaun mit ihrer Haut zum Markt
Zerhaut den Verhau. Wenn machtlos sind
Die noch Grenzen ändern wollen
Zerbrecht die Grenze. Der letzte Panzer
Zerdrück sie und sie ihn.
Daß sie weg ist.
Jetzt laßt das da.
Aber
Ich sag: es steht durch die Stadt
Unstattlich, der Baukunst langer Unbau
Streicht das schwarz
Die Brandmauer (scheißt drauf).
Denn es ist nicht
Unsre Schande: zeigt sie
Macht nicht in einem August
Einen Garten daraus, wälzt den Dreck nicht
Zu Beeten breit, mit Lilien über den Minen
Pflanzt Nesseln, nicht Nelken
Vermehrt nicht, zwischen den seltsamen
Städten, die Rätsel, krachend
Schmückt das Land nicht
Mit seiner Not. Und
Laßt nicht das Gras wachsen
Über der offenen Schande: es ist
Nicht unsre, zeigt sie.

1 Kommentar:

  1. Rätsel, Ostberlin, von der Straße:

    Vierzig Meter im Quadrat
    Ringsherum is Stacheldraht
    Rat ma, wo ick wohne:
    Na, na, na ?
    Ick wohne inne Zone.


    Lebenslänglich.
    Die Beschädigungen wirken weiter. Für die Insassen wie für die Aufpasser.

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