Sonntag, 28. September 2014

Neue Bühne Senftenberg - Das Jahr100 Spektakel



1978 - eine Freundin spielte Minna von Barnhelm am Theater der Bergarbeiter Senftenberg. Den Regisseur, eigentlich Dramaturg, ihren Lebensgefährten, kannte ich von Besuchen bei ihr, wo er nah an der Heizung saß, über verschiedene körperliche Leiden klagte und höchst spannend über Theater sprach. Dies war seine erste Inszenierung, noch fast traditionell, aber ganz leicht, ganz hurtig und klar. Kurze Zeit danach wurde er nach Anklam "verbannt", dass heißt die Anfahrt als Mitfahrer in verschiedenen Trabbis wurde länger, und der Rest ist Theatergeschichte. *

Später war ich fast drei Jahre in Frankfurt an der Oder engagiert, mit Abstechern nach Schwedt, Eisenhüttenstadt und sämtlichen NVA-Stützpunkten der Umgebung, aber nach Senftenberg bin ich nicht wieder gekommen.

Bis gestern. Und was sehe ich - kurz hintereinander zwei Trabbis, einer davon zum Cabrio umgebaut und davon hat die Stadt auch was. Ganz sorgsam und liebevoll neu verputzt und hell gestrichen, steht da eine DDR-Kleinstadt mitten im Brandenburgischen.
Mit dieser Spielzeit beginnt hier eine neue Mannschaft, der langjährige Intendant Sewan Latchinian ist nach Rostock weitergezogen und Manuel Souberand dafür aus Esslingen hergewandert. 
Der Eröffnungsabend heißt: Das Jahr100 Spektakel - http://www.theater-senftenberg.de/de/spielplan/premieren/das-jahr100spektakel.html

Zuerst:
GERMANIA 3 - Gespenster am toten Mann

3

NÄCHTLICHE HEERSCHAU

Nacht Berliner Mauer Thälmann und Ulbricht auf Posten.


Thälmann

Das Mausoleum des deutschen Sozialismus. Hier liegt er

begraben. Die Kränze sind aus Stacheldraht, der Salut wird

auf die Hinterbliebenen abgefeuert. Mit Hunden gegen die

eigene Bevölkerung. Das ist die rote Jagd. So haben wir uns

das vorgestellt in Buchenwald und Spanien.
Ulbricht

Weißt du was Bessres.

Thälmann

Nein.

Ulbricht

Wenn du das Ohr an den Boden legst. kannst du sie schnar-

chen hören, unsre Menschen, Fickzellen mit Fernheizung

von Rostock bis Johanngeorgenstadt, den Bildschirm vorm

Schädel, den Kleinwagen vor der Tür.

(Schüsse. Leuchtspur.)

Wieder einer. Hoffentlich ist es nicht mein Abschnitt

Meine Tochter (35) hatte das Stück sehr aufgewühlt und dann sagte sie: nur ein paar Jahre jünger und man versteht nix mehr. Geschichte verschwindet nie, aber das Wissen um sie schon, und schnell und gründlich. Meine hinreißende Studententruppe vom letzten Jahr, alle in den Neunzigern geboren, hatten, nachdem wir eine Woche mit Geschichtserforschung des 20. Jahrhunderts zugebracht hatten, beim Lesen von Müllers "Mauser" den Schrecken und die Fassungslosigkeit der Unschuldigen in den Augen.


Die kleine Reise hat sich sehr gelohnt. Ich hatte ganz stark das Gefühl, dass die Senftenberger ihr Theater mögen und es behalten wollen, ein sehr wichtiger Punkt, bedenkt man dass es im Land Brandenburg nur noch wenige Stadttheater mit Ensemble gibt. Frankfurt/Oder und Brandenburg sind schon weg. Schwedt, Potsdam, Cottbus und Senftenberg leben noch. Möge ihnen ein langes, nicht zu unterfinanziertes und lebendiges Leben beschert sein.

* Frank Castorf


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen