Donnerstag, 11. September 2014

Ekkehard Schall - Wenn Theater nicht irgend einen Anlass zum Denken bietet, dann interessiert es mich nicht.



Hans-Dieter Schütt

Ekkehard Schall:

„Ich hab's erlebt, was will man mehr“



Letzte Gespräche
Verlag Das Neue Berlin
Ausschnitte

(Und, nein, ich bekomme keine Tantiemen, aber ich finde die Texte interessant und nicht nur aus verwandtschaftlichen Gründen.)


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Aber Sie gingen nicht schnurstracks von Frankfurt nach Berlin?

Wo denken Sie hin! An großen Theatern vorzusprechen, das wagte ich nicht. Gera war so etwa die Grenze meines Mutes. Den schönsten Satz hörte ich vom Intendanten des Stadttheaters Zeitz. Ich bewarb mich, er wollte wissen, woher ich komme, ich sagte: Frankfurt an der Oder – da setzte er sein ungläubigstes Staunen auf und fragte doch allen Ernstes: Und von da wollen Sie gleich nach Zeitz? Ich ging in mein Hotelzimmer und weinte.


 Autogrammpostkarte



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Vor allen Überlegungen über eine Rolle und allen Einfällen dazu liegt schwer wie ein Bleigürtel eine Grundangst, die gleichzeitig eine Grundhoffnung ist, die es absolut in Frage stellt, aufzutreten und vor Menschen einen intimen oder einen öffentlichen Vorgang – den man selber nie so erlebte – auszubreiten, exakt und unbeholfen, detailgenau und chaotisch. Diese Angst speist, wenn er draußen steht, allen Ausdruck des Schauspielers - der sich zutiefst lächerlich machen kann (auch vor sich selbst), wenn er seine Unglaubwürdigkeit (von der er weiß) nicht vergessen machen kann im Spiel, mit Chuzpe und schamlos. Der Schauspieler Wolf von Beneckendorff sagte mir mal früh um sieben in der Garderobe in Babelsberg, wir saßen uns gegenüber und wurden geschminkt: Um diese Zeit merkt man deutlich, dass das kein Beruf für Erwachsene ist. Recht hatte er. Aber was vor dem Schritt auf die Bühne liegt, muss jeder mit sich selbst ausmachen.

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Mich als Schauspieler interessiert die ganze Figur nicht. Ich spiele Haltungen, ich halte mich an Nahtstellen oder Bruchstellen auf und wechsle zu neuen Nahtstellen oder neuen Bruchstellen. Jede Haltung ist eine Möglichkeit, aber es ist in jeder Situation immer auch eine andere Haltung möglich. Der Mensch stellt sich auf Situationen ein und übt sich so zwangsläufig in Irrationalität – die seiner Vernunft eine harte Schule bleibt. Quantität schlägt an Überraschungspunkten in eine neue Qualität um, nicht nach den Maßgaben eines Lehrbuches. Nicht so spielen, als ergäbe sich alles, nein, spielen, dass etwas eintrifft. Nichts nacheinander spielen, was man auch übereinander geht. Man kann spielend jede Haltung einnehmen, aber man sollte davon ausgehen, dass man sich von ihr auch wieder verabschieden kann - wie von einer Freundin.
Mut und Feigheit, Sehkraft und Blindheit, Güte und Gewalttätigkeit, Liebe und Hass, Kraft und Ohnmacht – das bildet Klumpen, die von Situation zu Situation in anderer Rezeptur geknetet sein können. Nein, ich gestalte nicht Menschen. Ich summiere Möglichkeiten, wie man sich in ausgedachten Lagen verhält. Mich bewegt die Wahrhaftigkeit von Teilen, die zusammenzusetzen sind. Mich interessieren am Theater nicht Menschen, mich interessieren Probleme. Das, was ich sehe, soll etwas sein, über das ich nach der Vorstellung unbedingt noch nachdenken und sprechen will. Und wenn ich ein neues Stück probe, dann ist das Wichtigste: das Vergessen. Ja, das Vergessen der Erfahrungen, die bei der letzten Arbeit zum Erfolg führten. Einerseits sind die Erfahrungen der goldene Fundus, andererseits darf Erfahrung nicht zum Rezept werden, das man sich selber ausschreibt. Die Droge Wiederholung ist eine sehr gefährliche Droge. In Proben bin ich immer hineingegangen mit dem Vorsatz, mir nichts klar, sondern mir zuerst einmal alles unklar zu machen. Brücken nicht hinter sich abbrechen, sondern vor sich. Die Rätsel durch Spielpraxis beruhigen: Nein, sie müssen nicht zu früh ihre Lösung gestehen.


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Brecht ging es immer darum Gefühle als Bestandteil einer Haltung kenntlich zu machen. Es galt, Emotionen einzubinden in geistige Prozesse, in Interessensphären der jeweiligen Gestalt. Gefühle als unerwartete Geschäftsstörungen, als Ausdruck für Kontrollverluste.
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Ernst Busch war ein grandioser Schauspieler, grandios auch, weil er seine Kunst mit seiner Existenz beglaubigte. Wie Erwin Geschonneck. Ihm ist das zwanzigste Jahrhundert nicht schlechthin auf den Leib geschrieben gewesen, es ist ihm unter die Haut gegangen, es ist ihm als Nummer in diese Haut eingraviert worden, und was ihm da alles unter die Haut gegangen war, das leuchtete ein Künstlerleben lang nachdrücklicher als alle Orden, die er ja ebenfalls bekam. Er kam politisch dort an, wofür er sein Leben lang gekämpft hatte, und er kam bei den Menschen an. Und der Mann hat seine Haut nie zu Markte getragen. Geschonneck bekam am BE jede Rolle, auch jede, mit der er überfordert war – Brecht liebte ihn, aus politischen Gründen.

Geschonneck spielte am frühen BE, Bernhard Minetti am späten BE. Extremer können sich Lebenswege nicht voneinander unterscheiden. Zum 90. Geburtstag von Bernhard Minetti 1995 fand eine Festveranstaltung just im Berliner Ensemble statt. Ich habe diese schwammige Ausrede von Heiner Müller gehasst, er stelle solche Leute wie Bernhard Minetti bloß, indem er sie am Berliner Ensemble für einen Geist benutze, der ihnen wie eine Strafe vorkommen müsse. Ich habe Müller gesagt, ich als ehemaliger Genosse möchte nicht an einem Theater sein, das sich mit ehemaligen Nazis hervortut. Da wurde ein Minetti zum hohen runden Geburtstag auf der Bühne Brechts auf einen Ehrensessel gesetzt und gefeiert – und ein Mann wie Erwin Geschonneck, Kommunist, KZ-Häftling, Überlebender des Flüchtlingsschiffs „Arcona”, Brecht-Protagonist erster Ordnung, muss seinen hohen Geburtstag am Hackeschen Markt in einer Nische feiern. Ihm wurde das BE nicht huldvoll geöffnet. Das war eine Schande.


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Ich will sterben, und ich hoffe
daß ich sterbe wie erhofft
nicht verwirrt und nicht besoffen
sterben mehrmals, oft und oft.

Meinetwegen auch mit Schmerzen
meinetwegen auch mit Wut
sterben nicht nur mit dem Herzen
sterben so, als sei es gut
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Die Fragen stellte Hans-Dieter Schütt
Die Antworten und das Gedicht sind von Ekkehard Schall
 

1 Kommentar:

  1. Lust und Wehmut beim Lesen von Schalls Texten. Freude an seinen punktgenauen Formulierungen.
    Da reflektiert einer nicht von außen und nicht von oben nach unten. Alles Nachdenken ist verwoben mit sinnlicher Erfahrung.
    Was er da schreibt über Antrieb, Haltung, Sprache, Körper, den Weg von Talent und Handwerk zu Kunst - wie anregend könnte das gerade jetzt sein, da mir scheint, dass oft Befindlichkeit, Zustand, das Ganz-bei-sich-Sein mit professionellen Kategorien verwechselt werden.
    Wünschte sehr, die Jungen würden Schalls Texte wahrnehmen.

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