Donnerstag, 16. August 2012

Weg! Aus dem Weg!


Im Wald, vor Jahren war man schon einmal hier, aber der Weg ist weg!

Und nun erkläre man einem, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, warum er einmal Weg mit langem e und weg mit kurzem e sagen soll. Unmöglich? Wunderbar.

Letztendlich unerklärbar, unerklärlich, aber da fängt eine Sprache an, Lust zu machen. Gibt's in anderen Sprachen auch: im Englischen ist der gefährliche Irre ein maniac, den spricht man ungefähr wie mäniak aus, das was er ist, nämlich maniacal, klingt aber wie mäneiikäl. Warum? Keine Ahnung. 
Warum sagen wir lieblich und nicht liebsam oder liebbar? Wunderlich ist nicht gleich wunderbar und auch nicht wie wundersam.
Sprache wächst, schrumpft, geht Umwege, lässt weg und fügt zu, sie lebt und kehrt sich einen Dreck um Logik und Regeln, sie wird nicht schlechter oder besser, nur neu und anders.
Für Sprache gilt: der Weg ist alles, das Ziel ist nix und weg ist weg, aber deswegen muß man sich keine Sorgen machen.

 

Entfremdung

 In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.
Die Äste haben nicht die Blätter, die sie in den Wind halten.
Die Früchte sind süß, aber ohne Liebe.
Sie sättigen nicht einmal.
Was soll nur werden?
Vor meinen Augen flieht der Wald,
vor meinem Ohr schließen die Vögel den Mund,
für mich wird keine Wiese zum Bett.
Ich bin satt vor der Zeit
und hungre nach ihr.
Was soll nur werden?

Auf den Bergen werden nachts die Feuer brennen.
Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?

Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.  

Ingeborg Bachmann

Georges-Pierre Seurat Weg bei der Birke

Gesellschaft für deutsche Sprache - Sprachberatung

Warum dehnt man eigentlich das e im Substantiv Weg, während man es im Adverb weg kurz ausspricht? Die Wörter haben doch im Grunde dieselbe Form.
 
Dies ist eine interessante, wenngleich verzwickte Frage, denn die beiden Wörter haben nicht nur dieselbe Form, sieht man einmal von der Großschreibung des Substantivs ab, sondern auch dieselbe Wurzel. Sie gehen also auf das gleiche althochdeutsche Wort weg zurück, wenn auch zwischen ihrem erstmaligen Gebrauch in unterschiedlicher Bedeutung mehrere Jahrhunderte liegen.
Im Sinne von ›Geleise, Spur‹ war das althochdeutsche weg, später auch in der Form wec, bereits im 8. Jahrhundert gebräuchlich und geht auf dieselbe indogermanische Wurzel wie das Verb bewegen zurück. Doch erst im 12. Jahrhundert, also während der mittelhochdeutschen Sprachepoche, trat den Brüdern Grimm zufolge (Deutsches Wörterbuch, 13. Band, Leipzig 1922) das Adverb enwec als »abzweigung von dem vorhergehenden subst[antiv]« in Erscheinung, das im Althochdeutschen als Präpositionalgruppe in der Form in weg existiert hatte und die Bedeutung ›auf dem Weg, auf den Weg‹ trug. Hieraus ergibt sich die heutige Bedeutung ›(sich) entfernen‹ oder auch dessen Ergebnis. Obwohl enweg bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts vorkam, hatte sich aufgrund lautlicher Vereinfachung seit dem 14. Jahrhundert parallel auch die einsilbige Form weg herausgebildet, die sich schließlich durchsetzte.

Doch wie nun hat sich die unterschiedliche Aussprache der beiden Wörter entwickelt, wenn hier die gleiche Wortwurzel zugrunde liegt? Waren sie in ihrem Ursprung noch verschieden (weg vs. in weg bzw. wec vs. enwec), so haben sich die Wörter im Zuge des Sprachwandels in ihrer Form einander angepasst, sind dabei jedoch bedeutungsdifferent geblieben. Es ist also anzunehmen, dass der Unterschied in der Bedeutung und der Wortart eine Rolle für die ungleiche lautliche Entwicklung von Weg und weg spielt. Um diese historisch nachvollziehen zu können, greifen die Brüder Grimm vielfach auf zeitgenössische Dichtung zurück und schließen anhand von Reimen (etwa weg – Zweck, Weg – Steg etc.) auf die in der Sprachgeschichte jeweils gebräuchliche Aussprache von Substantiv und Adverb.
So war beim Substantiv Weg schon im 15. Jahrhundert ein Rückgang der Auslautverhärtung erkennbar, was sich auch in der Schrift niederschlug: Aus der Schreibung wec, wek oder weck entwickelte sich wegk, schließlich setzte sich überwiegend die Form Weg durch, was die Aussprache mit langem Vokal begünstigte. Obwohl das Substantiv vereinzelt auch mit einem kurzen Vokal vorkam (Reim: Weg – Zweck), war ein solcher weitaus häufiger beim Adverb weg. Besonders in süddeutschen Quellen (z. B. bei Grimmelshausen) wurde die Länge des Vokals oft und bis in die neuhochdeutsche Zeit durch ee angegeben; so findet sich das Substantiv in der Schreibung Weeg etwa in Schillers Die Räuber und in den Briefen und Tagebüchern Goethes. 

Im Gegensatz zu dieser Entwicklung blieben beim Adverb weg die Kürze des Vokals und die Auslautverhärtung erhalten. Der kurze Vokal ist durch zahlreiche Reime zu belegen (vor allem aus dem 16. und 17. Jh.), in denen weg zumeist in der Schreibung weck, auch wegk, vorkommt: Speck, keck – hinweg, schleck – wegck, wegk – Dreck etc (vgl. Deutsches Wörterbuch der Brüder Grimm). In einem Gedicht von Brentano finden sich folgende Zeilen: »Französische Nägel sind weich wie a Dreck – Kaum trifft sie der Schlegel, so ist der Kopf wegk« (Tiroler Wetter und Barometter beim Aufstand gegen die Franzosen, 1813). Obgleich die Schreibungen weck und wegk deutlicher auf die sich durchsetzende Aussprache mit kurzem Vokal schließen lassen, wurde auch für das Adverb schließlich weg die gewöhnliche Form. Hierzu mag beigetragen haben, dass Luther in seiner Bibelübersetzung durchgehend diese Form wählte. Zwar kamen weck und wegk noch bis ins 17. Jahrhundert vor, verschwanden dann jedoch allmählich. 

Die Aussprache von Weg mit langem Vokal und weg mit kurzem Vokal hat sich also bereits relativ früh entwickelt, und trotz einiger Umwege haben sie – plausibel oder nicht – schließlich auch im Schriftbild die gleiche Form erhalten. Diese lässt zwar auf ihren gemeinsamen Ursprung schließen, doch obwohl die Unterscheidung durch die Großschreibung des Substantivs und die Kleinschreibung des Adverbs erleichtert wird, können sich hier immer wieder Schwierigkeiten ergeben, etwa wenn Substantive mit dem Adverb weg zusammengesetzt sind: Weggang, Wegfall, Wegfahrsperre, Wegnahme, oder wenn Adjektive vom Substantiv Weg abzuleiten sind: weglos, wegkundig, wegsam, wegweisen. Derartige Stolpersteine und Verwirrungen fallen durch die verschiedene Aussprache von Substantiv und Adverb im lautlichen Bereich freilich »weg«.



Der Überzieher


Kennen Sie denn die Geschichte 
von dem Überzieher schon, 
den sich kaufte der Herr Fichte 
bei der Firma Stern und Sohn? 
Dieser Paletot war`n Prachtstück, 
und der Preis war garnicht stark: 
Neunundvierzig Mark und achtzig - 
nicht mal ganze fünfzig Mark. 
Der Herr Stern sprach:
"Sei`n Se froh! 
`s ist mein schönster Paletot. 
Geb`n Sie acht - auf die Pracht; 
`s wird gestohln - bei Tag und Nacht. 
Sind Se mal - im Lokal, 
häng`n Se`n vor sich auf im Saal. 
Schau`n Se `n dann - immer an, 
bleibt der Überzieher dran. 
Seh`n Se weg - von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg!"
 
Fichte ging ins Wirtshaus leider. 
Dort war`n Zettel angebracht: 
"`s gibt kein Raum für Überkleider, 
jeder Gast geb selber acht!" - 
Einen Haken fand Herr Fichte 
hinten nur - `s war ärgerlich. 
Darum dreht er sein Gesichte, 
hängt den Mantel hinter sich - 
Und nun saß er wie gebannt, 
schaute immer nach der Wand. 
"Ist er weg - ist er hier? 
Ja, da hängt der Überzieh`r. 
Ist er hier? Ist er weg? 
Nein, er hängt noch auf dem Fleck. 
Schau` ich stier - hinter mir, 
hab` ich meinen Überzieh`r. 
Seh ich weg von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg."
 
Fichte rief nun: "Kellner! Essen!" 
Der bracht`s Essen ihm und ging. 
Nun hat Fichte nicht vergessen, 
dass der Mantel hinten hing. 
Denn ihm schien - das war gefährlich - 
als ob alle Gäste hier 
schauten gierig und begehrlich 
nur nach seinem Überzieh`r. 
Darum kam es, als er aß, 
er den Mantel nicht vergaß. 
Essen hier - da das Bier 
und da hängt der Überzieh`r. 
Oben kaun - hier verdaun - 
und dabei nach hinten schaun. 
Schau ich stier - hinter mir, 
schmeckt kein Essen und kein Bier. 
Seh ich weg - von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg.
 
Nun mag sein, durch die Bewegung, 
durch das Drehen beim Souper 
kam sein Korpus in Erregung, 
und er kriegte Magenweh. 
"Gut" sagt er, "das geht vorüber," 
Wollt` zu der bewussten Tür, 
die ihm grade gegenüber - 
"Halt!" denkt er: "der Überzieh`r!" 
Setzt sich wieder hin ganz sacht 
Und hat kummervoll gedacht: 
"Wenn zur Tür - ich marschier, 
nimmt man mir den Überzieh`r. 
In der Eck - im Versteck - 
gehn die Magenschmerzen weg. 
Bleib ich hier - im Revier, 
bleib`n de Magenschmerzen mir. 
Geh ich weg von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg."
 
Ja, was gibt es da zu lachen, 
gab es sowas wohl schon früher? 
Musst man sich da Sorgen machen 
wegen einem Überziehr? 
Stundenlang konnt` man da sitzen 
hinter der bewussten Tür 
und braucht` keine Angst zu schwitzen 
wegen seinem Überziehr. 
Man ging raus, das ist doch klar, 
wenn Gefahr im Anzug war. 
Man saß froh - anderswo 
und da hing der Paletot. 
Kam zur Tür - man herfür, 
sah man seinen Überziehr. 
Spürt man heut innres Leid, 
denkt man erst ans Überkleid. 
Geht man weg - von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg.
 
So dacht Fichte - und blieb sitzen. 
Aber schließlich musst er raus. 
Plötzlich sprach er: Das wird nützen - 
trittst jetzt mit dem Mantel aus! 
Brauchst ihn ja nicht anzuziehen, 
das erschüttert dich zu sehr. 
Nimmst ihn übern Arm beim Fliehen 
und kommst nachher wieder her." 
Er stand auf und - setzt sich hin; 
Alles fuhr ihm durch den Sinn: 
"Essen, Bier - kriegt ich hier, 
hab noch nicht bezahlt dafür. 
Magenschmerz drückt mein Herz 
und der Kellner anderwärts. 
Wart ich prompt - bis er kommt, 
Weiß ich nicht ob mir`s bekommt. 
Geh ich weg von dem Fleck, 
ist der Überzieher weg. 

Nehm ich mir - `n Überziehr 
übern Arm, schaut man nach mir. 
Denn der Raum, der mein Traum, 
ist zwei Schritt vom Ausgang kaum. 
Steh ich auf - und ich lauf 
mit dem Rock - hält man mich auf! 
"Nicht vom Fleck! - Der will keck 
mit `nem Überzieher weg." 
Alles schwirrt und kracht und klirrt, 
bis der Wirt gerufen wird. 
Schließlich irrt - auch der Wirt, 
Schimpft mit mir und wird verwirrt. 
`s kommt ein Gast - und der fasst 
meinen Mantel voller Hast. 
Mit Gespür hin zur Tür 
rennt durch den Gang herfür 
und ruft keck: Dieser Geck 
nahm mir `n Überzieher weg!
 
Will ich dann - zu dem ran, 
kommt der Kellner hinten an: 
"Bleibn Se hier! - Nicht zur Tür! 
Zahln Se erst die Zeche mir!" 
Bis ich zahl - voller Qual, 
ist der raus aus dem Lokal. 
Ich am Fleck - ohne Zweck 
und der Überzieher weg. 
Was ich tu: es ist verkehrt, 
alles bleibt mir so verwehrt! 
Bis ich näher - das erklär, 
dazu drängt die Zeit zu sehr. 
Das Malheur - kommt vorher: 
Hab` den Gang nicht nötig mehr. 
Wie ich`s mach - `s gibt `n Krach, 
ja da hilft kein Weh und Ach! 
Hab` den Schreck - und den Dreck 
und den Überzieher weg!

Otto Reuter 

3 Kommentare:

  1. Burkhard Ritter
    Teekesselchen.


    Mireille Adieu
    mir gefällt, dass man in deutschland überall auf rücksichtnahme auf gebrochene herzen hingewiesen wird! http://t2.ftcdn.net/jpg/00/39/75/71/400_F_39757117_ORsZiQVZrZK4fXH9W8VrAHh8TNHIedds.jpg

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  2. Bachmann.
    "Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen".
    Die Zeile ist so traurig, weil da noch Aktivität sein möchte und nicht möglich ist. Ausweglosigkeit.

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  3. "Am besten, man sieht hinsichtlich weg!" A. Gröpler

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