Sonntag, 26. August 2012

Zeit und Ort


Berlin 13.05 Abflug, die Frisur sitzt. - zwei Stunden Flugzeit - London Ankunft 14.05, eine Stunde Zeitverschiebung - das anschließende Flugzeug hat einige Stunden Verspätung - Abflug nach Toronto um 22.00 Uhr, acht Stunden Flug und Landung in Toronto gegen 1/2 2 am Morgen. In Berlin ist es jetzt bereits 1/2 8. 6 Stunden sind weg oder wohl eher dazugekommen. Ich bin der Sonne entgegen geflogen. Würde ich von nun an für immer in Toronto bleiben, würde ich auf ewig diesen "verlorenen" 6 Stunden hinterhinken. Wie merkwürdig.

Ein Kollege hat vor Jahren darüber gesprochen, wie sich Reisen, sich von einem Ort zu einem anderen begeben, in den letzten Jahrhunderten verändert hat. Zu Fuß, auf einem Pferd, selbst noch in einer Kutsche sind Weg und Veränderung der Umgebung körperlich erfahrbar. Hier wächst Gras, da steht ein Wald, hinter diesem Hügel kann ich die nächste Stadt sehen, dieser Berg ist steil, jenes Feld scheinbar endlos. Meine Füße sind diesen Weg gegangen, mein Hintern hat diesen Huckelweg gespürt, ich habe gefroren, geschwitzt, die Zeit, die ich unterwegs war ist innig mit der Strecke, die ich zurückgelegt habe verbunden. Ich begegne dem Neuen, dem Fremden gemächlich. (Gemächlichkeit, ein altmodisches Wort, von althochdeutsch "gimah" = "passend", "bequem".)

Ich bin gestern von einem Kontinent zum anderen gereist, etwa 6500 Kilometer, aber das was dazwischen liegt, Meer, Inseln, Land habe ich nur überflogen, nicht betreten, nie gesehen. Zwischen A und B liegt nichts, als enge Sitze und schlechtes Essen im Flugzeug. Und plötzlich bin ich hier, in anderem Klima, anderen Sitten, anderer Geschichte und bin 6 Stunden aus "meiner" Zeit gefallen.

So um das Jahr 1991 herum hatte ich ein ähnliches, allerdings surreales Gefühl gelegentlich in Berlin, ich war nicht verreist, aber die Stadt um mich herum war plötzlich eine andere, ich war am selben Ort geblieben, aber der Ort war ein anderer geworden. Derselbe Bäcker verkaufte mir fremde Brötchen, dieselben Ämter vermittelten bis dahin unbekannte Dienstleistungen, ich bezahlte zwar noch in Mark, aber die war nun D und nicht mehr 'der DDR'. Manches war wie ehemals und vieles wie nie. Da war die Zeit eine Zeit lang schneller als ich.


The Apollo 11 Moonwalk Pictures
AS11-40-5878 © 2012 by Joseph O'Dea and Eric Jones. All rights reserved.

Neil Armstrong starb heute im Alter von 82 Jahren.

Armstrong war, abgesehen von wenigen öffentlichen Auftritten, ein stiller und schweigsamer Mensch. Nach seiner Karriere züchtete er auf seiner Farm in Cincinnati Vieh und baute Mais an. Besser als die großen Worte passt zu seinem Tod daher wahrscheinlich der Satz seiner Familie. Sie hat eine bescheidene Bitte: "Das nächste Mal, wenn Sie in einer klaren Nacht draußen sind und sehen, wie der Mond auf sie herab lächelt, denken Sie an Neil und zwinkern Sie ihm zu." Süddeutsche Zeitung vom 25.8.2012

3 Kommentare:

  1. Die Zukunft von Reisen ist ohnehin nicht mehr unsere Bewegung... sondern die Bewegung des Raumes. ;)

    Ehrlich gesagt kann ich mich immer nicht entscheiden. Ich habe mir schon so oft einen Teleporter gewünscht oder dass beamen möglich wäre. Denn manchmal wäre ich furchtbar gern an einem anderen Ort - weil da ein Mensch ist, zu dem ich unbedingt will oder etwas stattfindet, was ich nicht aus der Ferne erleben will oder einfach nur um Orte zu entdecken, die weit entfernt sind.
    Andererseits liebe ich meine Treks auf dem Rad. Man ist so stolz auf jeden Kilometer. Was ich mitnehme muss ich auch befördern, man sieht so viel, man nickt anderen Radcowboys lässig aus dem Sattel zu, als wäre man eine verschworene Gemeinschaft - und wenn man anhält um "Treibstoff" nachzufüllen schmeckt das Essen unglaublich toll... irgendwie nach Lagerfeuerromantik, selbst wenn gar kein Lagerfeuer da ist. Die Strecke Regensburg-Ingolstadt kostete mich einen ganzen Tag... 120km... ein paar Kilometer kamen dazu, weil ich mich vernavigiert hatte. Das ist auch noch so ein Punkt. Einsteigen und wohinbringen lassen ist überlassen. Wenn man die Kilometer selbst zurücklegt, dann hat man plötzlich Karten in der Hand, muss seinen Weg finden... das hat was von Expedition.
    Die Größe der Welt verändert sich seltsam, je nachdem wie man sich fortbewegt.
    Ein schönes Bild übrigens, aktuell sehr passend. Und wenn ich es betrachte - ja, da wünsche ich mir dann schon wieder man könnte doch den Raum krümmen. ;)

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  2. Beamen! O, beam me up Scotty, war lang eine stehende Redewendung für mich, aus den gleichen Gründen, wie du sie beschreibst. Und selbst "Die Fliege" hat es nicht vermocht, mir diese Wunschvorstellung auszutreiben.

    Und radfahren mag ich zwar nicht mehr, aber laufen, gehen, gucken, wenn auch meist lieber in Städten.
    Solange ich langsamer bin, als meine Augen gucken können. Stillsitzen und beobachten kann übrigens auch sehr schön sein, nicht?

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  3. Oh ja, das kann es und macht manchmal das mitgeführte Buch überflüssig. Mal abgesehen von Cafés kann man das ausnehmend gut in Bewegung oder an den Orten, die eigentlich gedacht sind um eine Reise anzutreten. Flughafen, Flugzeug, Bahnhof, Zug...
    Das mit den Städten verstehe ich gut... aber ich neige in dem Punkt dazu mein Hirn dann zu überfüttern. Ich laufe umher und gucke und gucke und gucke... und am Abend fühle ich mich matschig im Gehirn, als hätte ich die CPU-Einheit meines Gehirns überlastet und deswegen die Sanduhrgrafik auf dem Display... "Bitte warten, Daten werden verarbeitet.".
    Irgendein Datenfilter funktioniert da nicht... Impression-Overkill. :)
    Aber wenn man ein bißchen mehr Zeit hat und sich eine Stadt in Tortenstückchen zerlegen kann, dann schmecken neue Städte zumeist köstlich.

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