Mittwoch, 15. Mai 2013

Lee Miller - Photographin


LEE MILLER
23. April 1907 – 21. Juli 1977


Andere Leute tendieren dazu, Dich so zu schätzen, wie Du Dich selbst schätzt.
Other people tend to value you the way you value yourself.
Lee Miller

Lee Miller als eine Statue in Jean Cocteaus Film "Das Blut eines Dichters"

Lee Miller arbeitete erfolgreich, als Modell, aber als ihr das 'Herumstehen' langweilig wurde, begann sie eine Ausbildung zur Photographin bei Man Ray in Paris und wurde, natürlich, auch seine Geliebte. Sie verließ Man Ray 1932, eröffnete ein Photo-Studio in New York, heiratete dann einen ägyptischen Geschäftsmann, verließ auch ihn, kehrte aus Kairo nach London zurück und verliebte sich dort in Robert Penrose, einen surrealistischen Maler und Kurator. Für Vogue photographierte sie die Bombardierung Londons durch die deutsche Luftwaffe, den sogenannten "Blitz" und ließ sich 1942 ließ als Kriegsberichtserstatter bei der US-Armee akkreditieren.


SS Wache im Lager Dachau. Er wurde in Zivilklamotten gefunden, von ehemaligen Gefangenen erkannt, zusammengeschlagen und ins Lager zurückgebracht. 
1945

Der stellvertretende Bürgermeister von Leipzig, Doktor Lisso, Mitglied der NSDAP seit 1932, und seine Familie nach ihrem Selbstmord durch Zyanid
Leipzig, Deutschland am 13. April 1945

Ehefrau und Tochter von Dr. Lisso

Baracke im Konzentrationslager Buchenwald 1945

Eine von vielen Zuordnungen:

Rechts stehend: Chaim David Halberstam

Zweite Bettenreihe:
Erster von rechts- Elie Wiesel
Vierter von rechts:
Herman Leefsma oder
Abraham Hipler oder
Berek Rosencajg oder
Zoltan Gergely
Fünfter von rechts:
Lajos Vartenberg (Yehuda Doron) oder
Yaakov Marton

Untere Bettenreihe:
Erster von rechts – Max Hamburger
Dritter von rechts – Issac Reich
Vierter von rechts:
Michael Miklos Nikolas Gruener oder Gershon Blonder oder Yosef Reich

Verhaftete Wachen,
Konzentrationslager Buchenwald, April 1945




Lee Miller in Hitlers Badewanne, Hitlers Wohnung, München, Deutschland, 1945 


Alle Photographien © Lee Miller Archives, Muddles Green, Chiddingly, East Sussex, BN8 6HW, England
Photographiert von David E. Scherman 

Dienstag, 14. Mai 2013

Life After Life - Kate Atkinson - Ein Leben nach dem anderen

    
   After the first death, there is no other.
   Nach dem ersten Tod gibt es keinen anderen.
   Dylan Thomas 

   Die Heldin dieses Buchs stirbt viele Tode.

   Ist es eine fiktive Biographie? Die Lebensgeschichte einer Frau, die bei der   
   Geburt stirbt und als Kleinkind ertrinkt und einen Psychpathen heiratet, der sie
   tot prügelt, und die bei einem Bombenangriff auf ihr Londoner Haus verschüttet
   wird und ein Kind bekommt und kein Kind bekommt und Hitler in München
   erschießt und dafür erschossen wird und gemächlich alt wird, aber ihren
   Lieblingsbruder verliert und...? Ist es ein Buch darüber, wie ein Buch entsteht, 
   wie eine Geschichte sich in eine Richtung entwickelt und dann eine Kurve fährt
   und noch eine und plötzlich wird eine ganz andere Geschichte daraus? Ist es
   also ein Buch über das Schreiben? Ist es ein Kriminalroman? Denn was ist
   wirklich in diesem Leben passiert und was ist Ahnung, Traum, Instinkt, Wunsch,  
   unbewusste Selbstkorrektur? Ein Leben als ständiges Déjà-vu mit der  
   Möglichkeit Ereignisse beim zweiten, dritten, vierten Mal zu korrigieren.  
   Varianten von Lebensläufen zu leben, die "beste" zu suchen und sie nicht zu
   finden. Welche Folgen haben Entscheidungen, die wir treffen? Wo hat etwas 
   begonnen, schief zu laufen? Wäre es anders besser gewesen? Was ist 
   "besser"? 
   Atkinson hat ein großartiges Gefühl für Rhythmus. Und sie hat Humor, einen 
   schwärzlichen und schrammt so immer an der Sentimentalität vorbei, manchmal
   haarscharf, aber doch vorbei. 



    Leider noch nicht ins Deutsche übersetzt, wird aber ganz sicher bald passieren. 




Muttertag - Teil 2


Und die Mutter blicket stumm
Auf dem ganzen Tisch herum. 

Struwelpeter Heinrich Hoffmann

Irgendetwas an diesen unzähligen Muttertagsgruß-Postings auf Facebook und anderswo hat mich ganz wuschig gemacht. Sie reichten von farbigen Blümchenbildern, gestellten Mama-Kind-Portraits bis zu pflichtgemäß von Herzen kommenden Aussagen wie "Hast du gut gemacht!", "Der besten Mama der Welt!" und was es noch an formelhaften, unpersönlichen Liebeserklärungen gibt.

Ich mag meine Mutter, sehr sogar, also warum reagiere ich so genervt? Sicher, der pompöse Ton der meisten Grüße ist lahm. Sicher, ich schätze, außer Weihnachten überhaupt keine organisierten Festtage, sicher, die Wurzeln des Muttertages sind suppig und unfeierlich. * 

Aber dies alles ist es nicht allein. Da klingt so ein komischer Ton mit in den Grüßen, als wäre die Leistung, so etwas Herrliches wie das jeweilige Kind erzeugt und erzogen zu haben, der einzige für dieses Kind greifbare Identifikationspunkt an bzw. in der Mutter. Es klingt also wie verbrämtes Selbstlob. Ich bin toll, also muß Mama ja was richtig gemacht haben.


MEINE MUTTER
Ach weh, meine Mutter reißt mich ein.
Da hab ich Stein auf Stein gelegt
und stand schon wie ein kleines Haus,
um das sich groß der Tag bewegt;
sogar allein.

Nun kommt die Mutter, kommt und reißt mich ein.
Sie reißt mich ein, indem sie kommt und schaut.
Sie sieht nicht, dass da einer baut.
Sie geht mir mitten durch die Wand von Stein.
Ach wehe, meine Mutter reißt mich ein.

Die Vögel fliegen leichter um mich her;
die fremden Hunde wissen: der ist der.
Nur einzig meine Mutter kennt es nicht,
mein langsam mehr gewordenes Gesicht.

Von ihr zu mir war nie ein warmer Wind;
sie lebt nicht dorten, wo die Lüfte sind.
Sie liegt in einem hohen Herzverschlag,
und Christus kommt und wäscht sie jeden Tag

Rainer Maria Rilke



Das liebe Wiki sagt:
* In Deutschland wurde der Muttertag 1922/23 vom Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber mit Plakaten „Ehret die Mutter“ in den Schaufenstern etabliert und – betont unpolitisch – als Tag der Blumenwünsche gefeiert. Mit Plakaten in Schaufenstern, kleineren Werbekampagnen und Veranstaltungen bis hin zu Muttertagspoesie wurde dem ersten deutschen Muttertag am 13. Mai 1923 durch den Vorsitzenden des Verbandes, Rudolf Knauer, der Weg bereitet. Ab 1926 wurde die Propagierung des Muttertages an die Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung übertragen, um „Kirche und Schule zu gewinnen und die Regierung dahin zu bringen, den Muttertag am zweiten Sonntag im Mai als offiziellen Feiertag festzulegen“.

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Feier des Muttertags mit der Idee der „germanischen Herrenrasse“ verknüpft. Besonders kinderreiche Mütter wurden als Heldinnen des Volkes zelebriert, da sie den „arischen Nachwuchs“ fördern sollten. 1933 wurde der Muttertag zum öffentlichen Feiertag erklärt und erstmals am 3. Maisonntag 1934 als „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“ mit der Einführung des Reichsmütterdienstes in der Reichsfrauenführung begangen. 


Montag, 13. Mai 2013

Muttertag - Teil 1


"Die Jungen denken, die Zukunft wäre für sie erfunden worden." Kate Atkinson

Etwa 1940 geschrieben - ein Text von Bertolt Brecht über seine Tochter Barbara, meine Mutter, den ich gestern, am "Tag der Mütter" bei einer Lesung vorgelesen habe, während sie, nunmehr einige Jahre älter, genauso klein und immer noch mit den "lustigen blauen Augen", im Publikum saß.

BARBARA

Barbara - zehn Jahre alt - ist dünn wie ein Spatz im März. Sie hat ein kleines Gesicht mit lustigen blauen Augen. Sie ist ein merkwürdiges Geschöpf, wild wie ein kleiner Hurrikan und zart wie Brüsseler Spitze. Sie quält einen bis aufs Blut mit ihren Fragen und ist äusserst freigiebig mit ihren Meinungen. Sie ist brennend interessiert an allem, was sie etwas angeht und ebenso brennend an allem, was sie nichts angeht. Sie ist kein stilles Kind und hat absolut keine Hemmungen.
Barbara schnappt unentwegt neue Wörter und Sätze auf, die sie dann bei der ersten Gelegenheit an den Mann zu bringen sucht. Sie probiert die neuen Wörter mit grösster Kühnheit aus, wirft sie wie beiläufig in das Gespräch ein und wenn sie Erfolg haben (aber auch, wenn sie gar nicht auffallen, weil sie selbstverständlich sind) werden sie in den Sprachschatz aufgenommen. Lacht man darüber, werden sie einfach fallen gelassen. Barbara hat genug Gelegenheit gehabt, viele Ausdrücke aufzuschnappen, denn sie ist ein Emigrantenkind, und da wohnt man mal da, mal dort, trifft in immer neuen Ländern immer neue Leute, ganz verschiedene. Im allgemeinen sind die Leute freundlich zu ihr. Aber sie hat doch schon eine ganze Menge Widerwärtigkeit gesehen.
Sie meint selber, sie ist nicht klüger als andere Kinder. Sie sei eben viel herumgekommen, erklärt sie entschuldigend, wenn sie mehr weiss als die andern.
Ausserdem ist sie eine Leseratte. Sie liest wahllos, was ihr in die Hände kommt, von Märchen über "Das Wochenblatt der Dame" bis zu Selma Lagerlöf. Die neuen Ideen und Ausdrücke werden zum Glück meistens eben so rasch vergessen wie aufgenommen.
Als wir uns neulich bei Tisch über eine Scheidung unterhielten, warf sie plötzlich mit einem Augenaufschlag, den sie vor nicht langer Zeit im Kino gesehen haben muss, ein: "Hat er wirklich seine Gattin verstossen?". Wir brachen in schallendes Gelächter aus und Barbara? Lachte einfach ungeniert mit. Wann man sie fragt, ob sie noch ein Glas Milch haben will, kann sie antworten: "Darüber muss ich erst mit mir zu Rate gehen, es dürfte aber zweckmässig sein."
Ihre liebsten Puppen sind die ganz kleinen, höchstens 9 Zentimeter langen, denen sie sehr moderne Kleider näht und winzigkleine Tellerchen Gläschen kauft, auch wirkliches Essen vorsetzt.
Jetzt ist sie seit einem halben Jahr in einer neuen Schule. Die Lehrer und Kinder scheinen sie gern zu haben, sie geht gern hin. Viele Sachen aus der Schule berichtet sie zu Hause, aber was ich nun erzählen will, habe ich nicht von ihr selbst gehört.
Ich trank mit einer Bekannten das, was man heutzutage Kaffee nennt, in einem kleinen überfüllten Kaffeehaus. Und während wir von allen Seiten geschubst wurden und diejenigen, die keinen Platz hatten, uns missmutig ansahen, ob wir nicht bald gehen würden, erzählte meine Bekannte, dass sie Barbaras Lehrerin getroffen habe. Und die habe ihr eine so merkwürdige Geschichte erzählt, man könne sie einem zehnjährigen Kind kaum zutrauen. Barbara konnte man es, dessen war ich sicher.
Nach der Stunde hatten die Kinder ihre Zeichnungen abgeliefert, Barbara gab eine Zeichnung ab, worauf halb entlaubte Bäume, einige Sträucher entschieden grüner, aber doch nicht mehr in sommerlicher Pracht, und massenhaft Pilze zu sehen waren. warum es Barbara für notwendig hielt, ihre Zeichnung auch noch vor der ganzen Klasse mit einer lauten Bemerkung zu versehen, ist unklar, aber jedenfalls sagte sie: "Es ist halt Herbst. Da fallen die Blätter von den Bäumen. An die Sträucher kommt der Wind nicht so leicht ran, aber doch. Und Pilze gibt's eben massenhaft im Herbst."
Vielleicht war sie auch dann mit der Aufnahme, die ihre Zeichnung gefunden hatte, nicht völlig zufrieden und wollte den Eindruck etwas verstärken; vielleicht war sie einfach redselig: sie hatte einen Schnupfen und sprach gern, weil es "so schön durch die Nase klingt". Sie vertraute in der Pause der Lehrerin an: " Das war es gar nicht, was ich mit dem Bild meinte. Ich meinte: die Bäume sollen die Erwachsenen sein, die alten Menschen also. Die hat der Wind durchgeweht und da ist nur ein ganz klein bisschen Herz übrig geblieben - das sind die Bätter hier. Und sie haben traurige Farben. So sind sie. Die Sträucher sollen die jungen Menschen sein. Die glauben noch, dass schon alles gut gehen wird, darum habe ich die vielen grünen Blätter gemacht. Und die Pilze, das sind die Kinder, die sind bunt und lustig, weil sie gar nicht wissen, was noch alles kommt."
Die Lehrerin war darüber sehr betroffen und zeigte es wohl auch. Barbara aber meinte, dass auch diese Erklärung der Lehrerin nicht gefallen habe und sprach schnell und heiter über Pilze im allgemeinen weiter und wie man sie kochen und einlegen muss. Sie ist nie um ein Gesprächsthema verlegen.
Ich war nicht ganz so gerührt wie die Lehrerin und meine Bekannte. Aber doch, ich muss sagen: ich spreche gern mit Barbara. Als sie neulich wie durch ein Wunder von einem Freund ein Stückchen Schokolade geschenkt bekam, wollte sie es erst in gleiche Teile für alle teilen. Aber alle bestanden darauf, dass sie als die Kleinste ihr kleines Stückchen allein isst. Da ging sie weg.
Eine Stunde später sagte sie zu mir: "Schokolade ist wunderbar. Findest du nicht, das beste wäre, wenn alle immer Kinder blieben? Dann gäbe es keinen Krieg mehr, denn Kinder können keinen machen."

Vater und Tochter

Donnerstag, 9. Mai 2013

Pablo Casals photographiert von René Burri



Der spanische Cellist Pablo Casals während einer Meisterklasse. 1960
Schweiz. Zermatt.






Pablo Casals spielt Johann Sebastian 
Bach Cello Solo Nr.1, BWV 1007
August 1954, Casals war 77 Jahre alt.

http://www.youtube.com/watch?v=KX1YtvFZOj0



Herr Casals gibt Unterricht.





Eines Tages werde ich ein Buch mit all den Photos veröffentlichen, die ich nicht gemacht habe. Es wird ein großer Erfolg werden.

One of these days, I'm going to publish a book of all the pictures I did not take. It is going to be a huge hit. 

René Burri - New York Times, May 20 2004




Alle Photographien © Magnum René Burri

Vatertag Herrentag Männertag


Historisch könnte die Tradition des Herrentages, unter anderem, auf die traditionellen Flurumgänge am Himmelfahrtstag zurückgehen. Nach germanischem Recht mußte jeder Grundeigentümer einmal im Jahr seinen Besitz umschreiten, um seinen Besitzanspruch zu wahren. Und es wurden auf diese Weise, die noch nicht schriftlich fixierten Flur-und Gemeindegrenzen, erinnert und bestätigt.



Eine Erinnerung
Herrentag in Mecklenburg-Vorpommern: Gegen sieben Uhr morgens werde ich von einer derb fröhlichen Männerstimme geweckt, die ein Lied davon singt, wie man auf mexikanische Art Mittagspause macht. Sie scheint direkt innerhalb meines Kopfes zu singen. Es stellt sich aber Gott sei Dank heraus, dass dieser Eindruck nur durch die Lautstärke entsteht, mit der das Lied aus zwei Lautsprechern erschallt, die in einer Gartenkneipe, nur lächerliche 500 Meter entfernt, angebracht wurden. Und dort sitzen tatsächlich Herren, Männer, möglicherweise Väter, die um diese morgendliche Stunde Bier trinken, um den ihnen gewidmeten Tag einzufeiern.
Die Menge der deutschen Schlager, die das Liebe und Feiern an exotischen Orten besingen, ist erstaunlich, allerdings klingen alle diese Orte dann doch irgendwie wie Hoyrerswerder oder Detmold.
Zeitsprung: gegen 20.00 Uhr auf dem jetzt stillen Platz vor meinem Haus stehen, fein ordentlich verteilt auf die vier Himmelsrichtungen, sozusagen im Rechteck, vier Männer, die das zuvor getrunkene Bier in den mild wehenden Wind verteilen. Ein Flurumgang der ganz eigenen Art. Ein Skinhead mit Kampfhund schwankt vorbei, ich weiche automatisch auf die andere Strassenseite aus, und höre wie er seinen Hund mit den Worten: "Jaqueline, dat reicht jetze!" zurechtweist. Ungelogen.

Unser HERR Jesus Christus ist am MÄNNERTAG zu seinem VATER in den Himmel gefahren.

Seit dem vierten Jahrhundert feiern Christen 40 Tage nach Ostern das Fest Christi Himmelfahrt.
In manchen Kirchen ist es Brauch, an diesem Tag in der Kirche eine Christusstatue zur Decke hinaufzuziehen. Im Umfeld des Himmelfahrtstages finden an vielen Orten Prozessionen durch Felder oder Weinberge statt, in denen die Gläubigen um ein gutes Erntejahr beten.
Eine Erklärung bringt die Tradition des Umzugs mit dem Gang der elf Jünger zu einem Berg in Galiläa in Zusammenhang - "Apostelprozession", wo sie von Jesus den "Missionsbefehl" erhielten (Siehe: Matthäus-Evangelium 28, 16f).

Allerdings sollen die Umzüge bereits im Mittelalter ihren religiösen Sinn oftmals verloren und der Alkohol eine zunehmende Rolle gespielt haben. Aus diesen von der protestantischen wie katholischen Kirche bekämpften alkoholträchtigen Umzügen entwickelten sich im 19. Jahrhundert "Herrenpartien" oder sogenannte Schinkentouren. Diese wurden nach der Einführung des Muttertages Anfang des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Staaten zum Gegenstück, dem "Vatertag".
Aus der Berliner Morgenpost vom 9.5.2013

LUKAS 24

Da sie aber davon redeten, trat er selbst, Jesus, mitten unter sie und sprach: Friede sei mit euch! Sie erschraken aber und fürchteten sich, meinten, sie sähen einen Geist. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? Sehet meine Hände und meine Füße: ich bin's selber. Fühlet mich an und sehet; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe. Und da er das sagte, zeigte er ihnen Hände und Füße. Da sie aber noch nicht glaubten, vor Freuden und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr etwas zu essen? Und sie legten ihm vor ein Stück von gebratenem Fisch und Honigseim. Und er nahm's und aß vor ihnen. ...

Er führte sie aber hinaus bis gen Bethanien und hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, da er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber beteten ihn an und kehrten wieder gen Jerusalem mit großer Freude und waren allewege im Tempel, priesen und lobten Gott. 



 Himmelfahrt Salvador Dali 1958

Wiki sagt:
Aufgrund des erhöhten Alkoholkonsums und den häufig durchgeführten Massenveranstaltungen gibt es, wenn man die Statistik betrachtet, am Vatertag erheblich mehr Schlägereien als an gewöhnlichen anderen Tagen. Laut dem Statistischen Bundesamt steigt die Zahl der durch Alkohol bedingten Verkehrsunfälle an Christi Himmelfahrt auf das Dreifache des Durchschnitts der sonstigen Tage an und erreicht einen Jahreshöhepunkt. 
Da muß man wohl Gute Himmelfahrt wünschen? Wahnsinn!

Dienstag, 7. Mai 2013

Der Hase mit den Bernsteinaugen - eine Zeitreise


DER HASE MIT DEN BERNSTEINAUGEN

Ein ganz langsames melancholisches Buch. Ein Buch über den Tastsinn, über die Notwendigkeit von Vitrinen, über Assimilation und Antisemitismus, über Reichtum und die Liebe zu Gegenständen. Seltsam und hypnotisch.



Wiki sagt:
Netsuke (jap. 根付, dt. „Wurzel[holz]-Anbringung“) sind kleine geschnitzte Figuren aus Japan. Sie dienten als Gegengewicht bei der Befestigung eines Sagemono (‚hängendes Behältnis‘) wie z. B. eines Inrō, einer flachen, kleinen, mehrteiligen Lackholzdose am Obi des taschenlosen Kimono.



1781 Toleranzpatent Josef II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches

Solang sich die irrgläubigen Landesinwohner ruhig und friedlich betragen, ist ihre Bekehrung lediglich der unendlichen Barmherzigkeit Gottes, und der bescheidenen Mitwirkung der Geistlichkeit zu überlassen. Wenn sie sich aber unterstünden, andere von dem katholischen Glauben abwendig zu machen und zu verführen: so sind sie nach der obigen Vorschrift zu bestrafen.

Und wieder Wiki:
1867 wurde durch das Staatsgrundgesetz den Juden erstmals in ihrer Geschichte in ganz Österreich der ungehinderte Aufenthalt und die Religionsausübung gestattet. Die Jüdische Gemeinde wuchs als Folge dieser Entwicklungen sehr rasch: Registrierte die Israelitische Kultusgemeinde Wien 1860 6.200 jüdische Einwohner, so waren es 1870 bereits 40.200 und zur Jahrhundertwende 147.000.


Die Ephrussis, eine sephardische Familie in der Diaspora; über Griechenland kamen sie nach Odessa, gründeten erst einen Getreidehandel und als der erfolgreich wurde, eine Bank. Die Söhne wurden nach Paris und Wien geschickt, um Zweigstellen zu eröffnen. Ephrussi & Cie war, in der zweiten Hälfte des 19. jahrhunderts, nach der der Rothschilds, die zweitgrößte europäische Bank. 

"Eine Geschichte über das Verstecken...Es war ein Ort an dem man versteckte wo man herkam, ein Ort um Dinge zu verstecken."


 Pierre Auguste Renoir 1881 Mittagessen der Bootpartie
Charles Ephrussi ist der Herr mit dem Zylinder, den man nur von hinten sieht. Er ist unpassend, zu fein gekleidet für eine Bootsfahrt, er ist der Mäzen.

Während der Dreyfuß-Affaire zeigte sich Renoir als vehementer Antisemit, er sagte zum Beispiel über die Familie seines jüdischen Kollegen Pissaro, sie sei Teil "der jüdischen Rasse von klebrigen Kosmopoliten und Wehrdienstverweigerern, die nur nach Frankreich kommen, um Geld zu machen."  Und Degas wechselte die Strassenseite, wenn er Pissaro von weitem erblickte. Fakten, die man lieber nicht wüßte, oder?

Sonntag, 5. Mai 2013

Callipygous - einen schönen Hintern haben


Wie nenn ich das gute Teil nur?

Der Allerwerteste klingt behäbig und breit.
Das Gesäß ist schwer, sehr weit unten.  
Der Hintern - sachlich, etwas etwas unzärtlich.
Das Hinterteil ist halt nur eine Ortsangabe.
Die Kehrseite. Von was? Klingt abwertend.
Der Schinken - nö, nö, nö.
Der Po ist gut, aber irgendwie zu kurz.
Der Popo oder, Podex, maximal bis zum 5. Lebensjahr erlaubt.
Die vier Buchstaben - n e i n
Die Glutalregion, nur falls er mal wehtut.
Der verlängerte Rücken, zu verklemmt.
Der Arsch - ja, grob und auch ein Schimpfwort, aber irgendwie...

    Callipygous von altgriechisch kallos, Schönheit + pugē, Pobacken 

    Callipygous = im Besitz eines sehr schönen Hintern seiend.
    Callipygous ist ein englisches Adjektiv, das wir in die deutsche Sprache 
    aufnehmen sollten.


Aphrodite Kallipygos - Aphrodite mit schönem Hintern oder
die Prachthintrige


Nach Buch zwölf der Deipnosophistai von Athenaios geht der Name auf die Geschichte zweier sizilischer Mädchen aus Syrakus zurück. Sie stritten sich, welche von ihnen den schöneren Hintern habe. Ein vorbeigehender junger Mann wurde aufgefordert, als Schiedsrichter darüber zu urteilen. Er entschied für die Ältere und vermählte sich mit 
ihr, sein Bruder heiratete die jüngere der beiden Schwestern. Die Mädchen, die durch 
die Ehen reich geworden waren, errichteten daraufhin einen der Aphrodite geweihten Tempel in Syrakus. Die dort aufgestellte Statue blickte über ihre Schulter und versuchte ihren eigenen Hintern zu sehen.
Quelle: Wiki



Egon Schiele Auf dem Bauch liegender weiblicher Akt, 1917


Der Globus

"Wo sitzt", so frug der Globus leise
und naseweis die weise, weiße
unübersehbar weite Wand,
wo sitzt bei uns wohl der Verstand?
Die Wand besann sich eine Weile,
sprach dann: "Bei dir - im Hinterteile!"
Nun dreht seitdem der Globus leise
sich um und um herum im Kreise -
als wie am Bratenspieß ein Huhn,
und wie auch wir das schließlich tun -
dreht stetig sich und sucht derweil
sein Hinterteil, sein Hinterteil.
Joachim Ringelnatz

Zufallsfund ohne nähere Angaben

 

Franz Kafka - Ein Traum


Ein Traum 

Josef K. träumte:
   Es war ein schöner Tag und K. wollte spazierengehen. Kaum aber hatte er zwei Schritte gemacht, war er schon auf dem Friedhof. Es waren dort sehr künstliche, unpraktisch gewundene Wege, aber er glitt über einen solchen Weg wie auf einem reißenden Wasser in unerschütterlich schwebender Haltung. Schon von der Ferne faßte er einen frisch aufgeworfenen Grabhügel ins Auge, bei dem er haltmachen wollte. Dieser Grabhügel übte fast eine Verlockung auf ihn aus und er glaubte, gar nicht eilig genug hinkommen zu können. Manchmal aber sah er den Grabhügel kaum, er wurde ihm verdeckt durch Fahnen, deren Tücher sich wanden und mit großer Kraft aneinanderschlugen; man sah die Fahnenträger nicht, aber es war, als herrsche dort viel Jubel.
   Während er den Blick noch in die Ferne gerichtet hatte, sah er plötzlich den gleichen Grabhügel neben sich am Weg, ja fast schon hinter sich. Er sprang eilig ins Gras. Da der Weg unter seinem abspringenden Fuß weiter raste, schwankte er und fiel gerade vor dem Grabhügel ins Knie. Zwei Männer standen hinter dem Grab und hielten zwischen sich einen Grabstein in der Luft; kaum war K. erschienen, stießen sie den Stein in die Erde und er stand wie festgemauert. Sofort trat aus einem Gebüsch ein dritter Mann hervor, den K. gleich als einen Künstler erkannte. Er war nur mit Hosen und einem schlecht zugeknöpften Hemd bekleidet; auf dem Kopf hatte er eine Samtkappe; in der Hand hielt er einen gewöhnlichen Bleistift, mit dem er schon beim Näherkommen Figuren in der Luft beschrieb.
   Mit diesem Bleistift setzte er nun oben auf dem Stein an; der Stein war sehr hoch, er mußte sich gar nicht bücken, wohl aber mußte er sich vorbeugen, denn der Grabhügel, auf den er nicht treten wollte, trennte ihn von dem Stein. Er stand also auf den Fußspitzen und stützte sich mit der linken Hand auf die Fläche des Steines. Durch eine besonders geschickte Hantierung gelang es ihm, mit dem gewöhnlichen Bleistift Goldbuchstaben zu erzielen; er schrieb: ‘Hier ruht -’ Jeder Buchstabe erschien rein und schön, tief geritzt und in vollkommenem Gold. Als er die zwei Worte geschrieben hatte, sah er nach K. zurück; K., der sehr begierig auf das Fortschreiten der Inschrift war, kümmerte sich kaum um den Mann, sondern blickte nur auf den Stein. Tatsächlich setzte der Mann wieder zum Weiterschreiben an, aber er konnte nicht, es bestand irgendein Hindernis, er ließ den Bleistift sinken drehte sich wieder nach K. um. Nun sah auch K. den Künstler an und merkte, daß dieser in großer Verlegenheit war, aber die Ursache dessen nicht sagen konnte. Alle seine frühere Lebhaftigkeit war verschwunden. Auch K. geriet dadurch in Verlegenheit; sie wechselten hilflose Blicke; es lag ein häßliches Mißverständnis vor, das keiner auflösen konnte. Zur Unzeit begann nun auch eine kleine Glocke von der Grabkapelle zu läuten, aber der Künstler fuchtelte mit der erhobenen Hand und sie hörte auf. Nach einem Weilchen begann sie wieder; diesmal ganz leise und, ohne besondere Aufforderung, gleich abbrechend; es war, als wolle sie nur ihren Klang prüfen. K. war untröstlich über die Lage des Künstlers, er begann zu weinen und schluchzte lange in die vorgehaltenen Hände. Der Künstler wartete, bis K. sich beruhigt hatte, und entschloß sich dann, da er keinen andern Ausweg fand, dennoch zum Weiterschreiben. Der erste kleine Strich, den er machte, war für K. eine Erlösung, der Künstler brachte ihn aber offenbar nur mit dem äußersten Widerstreben zustande; die Schrift war auch nicht mehr so schön, vor allem schien es an Gold zu fehlen, blaß und unsicher zog sich der Strich hin, nur sehr groß wurde der Buchstabe. Es war ein J, fast war es schon beendet, da stampfte der Künstler wütend mit einem Fuß in den Grabhügel hinein, daß die Erde ringsum in die Höhe flog. Endlich verstand in K., ihn abzubitten war keine Zeit mehr; mit allen Fingern grub er in die Erde, die fast keinen Widerstand leistete; alles schien vorbereitet, nur zum Schein war eine dünne Erdkruste aufgerichtet; gleich hinter ihr öffnete sich mit abschüssigen Wänden ein großes Loch, in das K., von einer sanften Strömung auf den Rücken gedreht, versank. Während er aber unten, den Kopf im Genick noch aufgerichtet, schon von der undurchdringlichen Tiefe aufgenommen wurde, jagte oben sein Name mit mächtigen Zieraten über den Stein.
  Entzückt von diesem Anblick erwachte er.

Franz Kafka


 

Freitag, 3. Mai 2013

Honoré Daumier im Liebermann-Haus


Honoré Daumier

Ratapoil - Die nackte Ratte

         Ich liebe solche Körperhaltungen, verdreht, überspannt, wenn nachgestellt
         meist schmerzhaft. In Museen erwische ich mich oft beim unbewussten
         Nachbauen. Der "David" in Florenz, ganz Renaissance-Kraft und Grazie, nur
         bricht man sich fast den Arm, wenn man den Ellenbogen des Armes, der die
         Schleuder hält, so eng an die Brust drücken will, wie er es tut. Wie sitzt der
         "Denker"? Nein, nicht mit dem rechten Arm auf dem rechten Knie, sondern
         diagonal auf dem linken und sehr weit vorgebeugt. Ungemütlich, aber, oder 
         besser deshalb, ausdrucksstark.


         Und dieser Herr, die "gehäutete Ratte", Ratapoil, selbstbewusst und hinterhältig,
         frech, elegant, aggressiv. Der Bart eine Waffe, der Hut eine Herausforderung und
         im Notfall hat er den dicken, harten Stock. Ja, er wirkt leicht gebeutelt, aber keines-
         wegs geduckt. Angriffsbereit, angriffswillig in Standbein/Spielbein Position. Eine
         Aaskröte. Ein Hallodri. Ein Mistkerl. Energiegeladen und sicher höchst effizient.


        Wenn Schauspieler solche Haltungen finden, und ich meine wirklich in sich finden,
        nicht einfach nur einnehmen oder nachvollziehen, dann kann Großartiges entstehen.
        Verformte, überhöhte Realität, verfremdete Wahrheit.
        Meine Lieblings-Regieassistentin nannte mich wohl nicht umsonst öfter "Pina Bausch
        für Arme".



Zwischen März 1850 und Dezember 1851 veröffentlicht Daumier in Le Charivari rund dreißig Lithografien von einer Figur, die den „zwielichtigen Beamten, den unermüdlichen Gehilfen der napoleonischen Propaganda” verkörpert. Als überzeugter Republikaner greift Daumier die Propaganda an, die einige Wahlvertreter zu Gunsten Louis-Napoleon Bonapartes übermitteln. Der Prinz-Präsident, der 1848 für vier Jahre an die Spitze der Zweiten Republik gewählt worden war, organisiert derzeit eine Kampagne für sich. Die Gefahr einer Wiederherstellung des Kaiserreichs ist groß.
Die Spitzname Haarige Ratte taucht am 12. August in Le Charivari zum ersten Mal auf. Schon 1875 wird er in den Grand Dictionnaire universel du XIXe siècle aufgenommen: „aus Ratte, Mit, Haar. Umgangssprachlich. Anhänger des Militarismus, insbesondere des napoleonischen Caesarismus”.

Daumier modelliert seine Figur vermutlich im März 1851. Die übertriebenen, unausgewogenen Volumina, die zerbrechlich und kraftvoll zugleich sind, verleihen dem Werk eine subversive Gewalt, die den politischen Machenschaften entspricht.
Den Höhepunkt bildet neben der übersteigerten Wölbung des Rückens, den verknitterten Falten der Hose und des Gehrocks der satanische Gesichtsausdruck der Figur. Die Gesichtszüge von Ratapoil sind zwar keine getreue Karikatur des Prinz-Präsidenten, doch der Schnurrbart im Stile des Kaisers, das Emblem des Feindes, fällt sogleich ins Auge.
Ratapoil, der sich durch seine Moderne auszeichnet, bricht mit den Kategorien der Skulptur um 1850 und kündet schon den Expressionismus an.


Website des

Gesetzlich vorgeschriebene Angaben © Musée d'Orsay 2006

Le Docteur Cherchant Querelle à Ratapoil 1851