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Montag, 30. September 2024

Wochenende mit Kunst

Freitagabend Wiederaufnahmeprobe für "Das große Heft" von Agota Kristof in Stendal, meine Truppe ist wirklich stark, trotz oder wegen der Katastrophe bei unserer Premiere. Aber ernste Stücke haben es in nicht so großen Städten gerade sehr schwer, ihr Publkum zu finden. Viele kommen gar nicht erst, die anderen wollen lieber erleichternden Spaß, die Zeiten sind ihnen schon ernst genug. Was heißt das für uns? 

Samstagfrüh die Trauerfeier für Alexander Lang im Deutschen Theater, ein guter Vormittag. 

Er machte viele seiner Arbeiten in Zeiten, wo seine Zuschauer nach Ernsthaftigkeit, Widersprüchlichkeit, Wahrheitssuche lechzten. Diktaturen sind zumindest gut für Kunst. Stimmt das? Es gibt einen Feind und man darf ihn nicht beim Namen nennen, also muss man kunstvoll sagen, was man nicht sagen darf. 

Samstag tagsüber versuche ich aus Satres "Der Aufschub" eine Lesefassung zu destillieren. Das braucht viel Zeit. 

23. – 30. September 1938, die acht Tage vor dem Münchner Abkommen, das den Krieg verhindern sollte und ihn doch nur aufschob. Man hoffte noch. Ein schwieriger Text, Herr Satre ist sehr bemüht, es einem schwer zu machen herauszufinden, wo eine Geschichte aufhört und die nächste beginnt, allerdings entsteht dadurch auch ein akutes Gefühl von Gleichzeitigkeit. Eine Fleißarbeit. Am Sonntag verbringe ich damit auch vier Stunden. Es werden noch viele mehr werden.

Am Samstagabend sehe ich: Ein Volksbürger - Eine politische Farce im Haus der Bundespressekonferenz mit Fabian Hinrichs als Ministerpräsident. Eine wirklich clevere Grundidee, aber es bleibt leider wenig übrig außer der Cleverness. Hinrichs erster Theaterabend nach René Polleschs Tod. Ich vermisse ihn sehr, aber wie sehr wird er ihn vermissen?

Heute, am Sonntagabend, Nick Cave in der Uber-Arena. Mein erstes Mal in einer solchem gigantischen Arena. Ich hasse große Konzerte, ich habe Platzangst, es sind zu viele Menschen und dann die Erinnerung an ein Bob Dylan Konzert  in Treptow kurz nach dem Mauerfall. Ich bin während der Show der Vortruppe gegangen aus den oben genannten Gründen und dann habe ich Dylan-Platten zuhause gehört. Meine ultimate Blamage.

Heute war es gut.

Heute habe ich einem Künstler, der eine Gruppe von Mitgestaltern gefunden hat, Nick Cave AND The Bad Seeds, dabei zuschauen dürfen, wie er sein Leben in Kunst umformt. Der Mann ist nur ein Jahr älter als ich, 67, was für eine Kraft, was für Mitteilungswilen. Ein Gottesdienst ohne Gott.


 Nicht ganz aktuell © Frans Schellekens/Redferns/Getty



Donnerstag, 21. November 2019

DRACHENHERZ IN DER NEUKOELLNER OPER

Gut gemachtes Musical ist toll. 
Und Peter Lund mit seinen Kollaborateuren ist ziemlich einzig und allein auf weiter Flur im Kampf für einen intelligenten, modernen, sozial interessierten Umgang mit diesem Genre. Er macht deutschsprachiges gesungenes und getanztes Theater.
Seit uns 33 so viele begabte Librettisten und Komponisten gen USA verlassen mussten, hat es die "leichte" Muse, die Unterhaltungskunst auf deutschen Bühnen schwer. Wir sehen die Kopien von großen Shows aus anderen Ländern und hin und wieder einen Versuch, selber sowas zu stemmen, aber irgendwie hängt da immer so ein Duft von Harmlosigkeit und Verachtung in der Luft.
Lund bleibt ein kostbares Unikum.
Diesesmal hat er sich zusätzlich zu Wolfgang Böhmer, dem Komponisten, noch Neva Howard als Choreographin und Mathias Noack als Schauspielregisseur dazugeholt. Und, verflixt, die 9 Spieler spielen gut, frech und wild und emotional wagemutig. Klar, dass sie auch singen und tanzen können.
Ulrike Reinhard hat eine karge, nützliche Bühne und coole Kostüme erfunden.
Sehr lose auf der Siegfriedgeschichte des Nibelungenliedes basierend, wird eine rührende und böse Alltagskonfrontation zwischen Jugendlichen in einer Hagenstadt genannten deutschen Klitsche erzählt. Das örtliche Werk ist geschlossen, jetzt steht auf dem Gelände ein Flüchtlingsheim.
Eine Clique von 4 Jungs - Hagen, Gunni, Baktus und Tropi (Trotz Pille), ein tunesisch-deutscher Mitschüler, der Anschluß sucht, zwei Mädchen Brüni und Jenny, Krimi hätte wohl zu blöd geklungen, zwei Neuankömmlinge, Fred (Siegfried), Sohn des Heimleiters und Voda, ein Asylbewerber aus Kamerun mit tiefer Liebe zum deutschen Liedgut.
Die Texte sind knapp und arbeiten schlau mit Klischees und deren Unterlaufung, die Tänze arbeiten klug mit kurzen Zitaten und der enormen Energie der jungen Truppe, die Lieder geben allen Figuren Raum für Vertiefung und Überraschung .
Das Ende ist nicht happy.
Besonders wenn ihr Verwandte zwischen 14 und 20 habt solltet ihr unbedingt hingehen. Die Lieblingsnichte und ihre Freundin waren hellauf begeistert, was bei zwei so coolen Schnecken, nicht so oft vorkommt.

©Nasser Hashemi

Sonntag, 5. August 2018

Stimmen

Der Klang der Stimme eines Menschen, wenn er spricht, wenn er singt, lacht, seufzt, hustet, murmelt, ist für mich eines seiner persönlichsten Eigenschaften. Sie bestimmt ganz stark meine erste Reaktion auf ihn. 

Könnt ihr euch an die Quietschstimmen von Ulbricht & Honecker erinnern? Gräßlich. Trump klingt als hätte er Essensreste auf den Stimmbändern, irgenwas Brösliges und Schleimiges. Und er presst die Luft weg, als würde sie extra kosten. Der Klang kommt nur aus dem oberen Teil seines Körpers. Immer zu viel Druck, viele Sätze die nach oben kippen. Es kostet mich geradezu körperliche Anstrengung ihm zuzuhören.

Till Schweiger könnte noch hübscher sein, als er vielleicht mal war, aber seine hohe, in der Kehle eingeklemmte Stimme, schließt für mich jede erotische Wirkung aus. Wenn Alan Rickman mit seinem hinreißenden, asymmetrischem Gesicht ein Sonnett spricht, stellen sich meine Unterarmhaare steil auf vor Vergnügen.
https://www.youtube.com/watch?v=p2Ja0Paz04s  

Auf arte lief heute eine Doku über Freddie Mercury, was für ein Organ! Einer seiner Bekannten erzählte, wie er ihn in der Metropolitan Opera beobachtet hätte, als er zum ersten Mal Montserrat Caballé singen hörte - mit dem Gesichtsausdruck eines glücklichen Kindes.
https://www.youtube.com/watch?v=Y1fiOJDXA-E 

Dann der Mitschnitt eines Clubauftrittes von Joni Mitchell aus den Siebzigern, lange vor dem fiesen Kehlkopfkrebs, mit den mühelosen Höhen eines Singvogels, leicht und klar. 
https://www.youtube.com/watch?v=GFB-d-8_bvY 

Meine Stimme ist rau und dunkel seit meiner Geburt, die Folge einer Fehlkonstruktion meines Kehlkopfes. Meine Mutter erzählte, wie sie mit mir, drei Jahre alt, in einen Laden ging, in dem eine Freudin names Sloma als Verkäuferin arbeitete. Auf den lauten, tiefen, sonoren Ruf "Loma!" hin, schauten sich die Kunden nach dem Verursacher um und wollten nicht glauben, dass ich es war, winzig, mitsamt goldenen Locken und babyblauen Augen. Ich kann nicht zählen, wie oft ich in der Pubertät für einen Jungen gehalten wurde, unter anderem auch im Wartezimmer eines Gynäkologen!
In den ersten Jahren am Theater als blonde jugendliche Naive bin ich oft dazu verdonnert worden, eine Oktave höher zu sprechen. Kleines Mädchen, hohe, zarte Stimme - keine Bedrohung - Mumpitz. Ich hab mich mit den Jahren an meine Stimme gewöhnt, mittlerweile mag ich sie.

Die Stimme von Dagmar Manzel, ein Zauberwerkzeug, scheinbar mühelos wechselnd von Sprache zu Gesang, von Grobheit zur Zartheit. Sie hat jahrelang hart daran gearbeitet, und jetzt wirkt es, als wäre keine Anstrengung nötig. Kunst. Intelligenz, so glaube ich, hilft übrigens auch bei der Wirkung des Stimmklanges.
https://www.youtube.com/watch?v=A5f52ZwDM-4 

Rod Stewart klingt als hätte er wochenlang übelst gesumpft und doch streichelsanft und sehr sexy. 
https://www.youtube.com/watch?v=95zxtaKQBBc 

Ganz selten gibt es Klänge, die mir, ohne Mitwirkung meiner Ratio, die Tränen in die Augen treiben. Ein seltsames Erlebnis. Ohrenerotik, Klanggefühl, was trifft da was in meinem Gehörgang?
Billy Joel, wenn er die letzte Strophe von "Leningrad" singt. Hab es gerade nochmal probiert, Wörter und Klang wirken gemeinsam, und ich weine, wie ein Pavlowscher Hund beim Klang der Essensglocke speichelt. Bei Faith No More in "Easy", gibt es so einen Stöhner, Ian Mackellen mehrmals in "Richard III", und wenn die Lieblingsnichte ein Essen besonders genießt, gibt sie ein guturalen Laut von sich, und meine Mutter, wenn sie mir zum Einschlafen "Von der Freundlichkeit der Welt" vorsang. Sie konnte nicht wirklich singen, aber es war wunderschön und ich schlief friedlich ein.

Auf die Erde voller kaltem Wind
Kamt ihr alle als ein nacktes Kind.
Frierend lagt ihr ohne alle Hab
Als ein Weib euch eine Windel gab.
 
Keiner schrie euch, ihr wart nicht begehrt
Und man holte euch nicht im Gefährt.
Hier auf Erden wart ihr unbekannt
Als ein Mann euch einst nahm an der Hand.
 
Von der Erde voller kaltem Wind
Geht ihr all bedeckt mit Schorf und Grind.
Fast ein jeder hat die Welt geliebt,
Wenn man ihm zwei Hände Erde gibt.

https://www.youtube.com/watch?v=LgD_-dRZPgs

Sonntag, 3. Juni 2018

Ich wollte nicht ich wär ein Huhn

Ich wollt ich wär ein Huhn
oder wie es irgendein anderer Mann möglicherweise in Bezug auf das Dritten Reich formulierte: "Warum können wir nicht alle blond, blauäugig und blöd sein?"

Ich wollt, ich wär' ein Huhn
Ich hätt' nicht viel zu tun
Ich legte vormittags ein Ei
Und abends wär' ich frei

Mich lockte auf der Welt
Kein Ruhm mehr und kein Geld
Und fände ich das große Los
Dann fräße ich es bloß
Ich brauchte nie mehr ins Büro
Ich wäre dämlich, aber froh

Ich wollt, ich wär' ein Huhn
Ich hätt' nicht viel zu tun
Ich legte täglich nur ein Ei
Und sonntags auch mal zwei

Der Mann hats auf der Welt nicht leicht
Das Kämpfen ist sein Zweck
Und hat er endlich was erreicht
Nimmt's eine Frau ihm weg
Er lebt, wenn's hoch kommt, hundert Jahr
Und bringt's bei gutem Start
Und nur, wenn er sehr fleißig war
Zu einem Rauschebart
Musik: Peter Kreuder 
Text: Hans Fritz Beckmann

Ein schrecklicher Text zu einer ebenso schrecklichen Melodie. Der innige Wunsch nach Aufgabe jeder Verantwortung in harmloser Liedform.  
Dämlich aber froh.  
Ich kenne solche Leute, sie tun mir leid oder sie machen mir Angst, je nach Situation. Aber schlimmer sind die dämlichen, aber schlechtgelaunten, die die Ursache ihrer miesen unbedachten, unüberprüften Laune vor jedwede Türschwelle legen. Die Schuld an der eigenen Unzufriedenheit wird aggressiv weggestossen, blond, blauäugig und dumm schieben sie die Schuld an ihrem Unglück auf jeden, der nicht ihresgleichen ist.
"Da sehen sie es", sagt Heinrich bitter zu Riesenfeld. "Dadurch haben wir den Krieg verloren: Durch die Schlamperei der Intellektuellen und durch die Juden." "Und die Radfahrer." ergänzt Riesenfeld. "Wieso die Radfahrer?" fragt Heinrich erstaunt. "Wieso die Juden?" fragt Riesenfeld zurück.
Das Zitat ist übrigens nicht von Tucholsky, sondern aus Erich Maria Remarques Roman "Der Schwarze Obelisk".
Lied aus dem Film "Glückskinder" von 1936 gesungen von Willy Fritsch mit Lilian Harvey, Paul Kemp und Oskar Sima. Später haben die Comedian Harmonists es berühmt macht.

Freitag, 22. Dezember 2017

ANATEVKA oder DER FIEDLER AUF DEM DACH

Ich bin überraschter Abkömmling einer der einstmals (vor 33) üblichen jüdischen Familien. Unsereins lebte sehr lange in Deutschland, Österreich und Rumänien. Wo wir davor wohnten, weiß ich nicht. Wir waren und sind zerstreut, verstreut worden. Der schickere Begriff ist DIASPORA.
Zwei kleine unscharfe Photos zeigen mir die Familie meiner Großmutter lose vereint um einen Chanukkaleuchter. Ihre Mutter, Leopoldine Pollak, gestorben am 4. März, 1927 in Wien, Österreich durch eine Hirnembolie nach Magenkrebs, ihr Vater, Siegfried Weigl ermordet am 20 Januar 1942 im Ghetto Lodz, ihre Schwester, Stella gestorben 1934 an einem Fieber. Glück gehabt? Sie, Helene Weigl, war auf der Flucht, und konnte ihre in Österreich etablierte
Familie nicht zum Mitkommen überreden. Deren Tod wurde ihr nur im Nachhinein bekannt. Ich habe keinen von ihnen kennengelernt. Meine Familie mütterlicherseits ist hitlerbedingt sehr klein.
Heute "Anatevka - Der Fiedler auf dem Dach" in der Komischen Oper.
Barrie Kosky bemüht sich ernsthaft und kunstvoll das Andenken an seine eigene Familie zu ehren und was kommt dabei heraus? Jiddischer Kitsch.
"Viele meiner besten Freunde sind Juden", "Sie haben Humor und Mutterwitz", ach, es ist schade. 
Eine nicht mehr existierende Welt wird zelebriert und im Ergebnis entsteht banale Folklore. Blackfacing auf jüdische Art. Angeklebte Schläfenlocken schaukeln, gute Laune wird zum Lebensprinzip, wenn Konflikte entstehen, werden sie weggelacht oder weggeweint.
Da lebten einst Menschen unter, meinen Ansichten nach, zutiefst reaktionären Parametern in feindlicher Umwelt und in Reaktion auf diese mörderische Bedrohung zogen sie sich in noch realitätsfernere Wirklichkeiten zurück. "Unorthodox" von Deborah Feldman ist ein verstörendes Buch über die Lebensqual einer jungen Frau, die in eine orthodoxe jüdische Gemeinschaft der heutigen Stadt New York geboren wird und ihr um einen hohen Preis entkommt. 
Die Choreographie ist atemberaubend gut. Dagmar Manzel auch. Eine Stunde weniger täte dem Abend gut, auch wenn ich die Überlänge verstehe.Und das berühmte Lied, natürlich. Übrigens das einzige, das hängenbleibt.


 Marc Chagall

Wäre ich kein Jude (mit allem, was dieses Wort für mich beinhaltet), ich wäre überhaupt kein Künstler oder aber ein ganz anderer Mensch. Das ist keineswegs etwas Neues. Was mich betrifft, so weiß ich ziemlich gut, zu welchen Leistungen dieses kleine Volk fähig ist. Leider bin ich bescheiden und kann nicht aufzählen, was es alles zu leisten vermag. Etwas Beschwörendes – das ist es, was dieses kleine Volk vollbracht hat! Als es wollte, hat es Christus und das Christentum hervorgebracht. Als es sich anstrengte, gebar es Marx und den Sozialismus. Ist es nicht denkbar, dass es der Welt auch eine Kunst, irgendeine Kunst gegeben hat? Schlagt mich tot, wenn das nicht stimmt."  Marc Chagall

Samstag, 9. Dezember 2017

Kinky Boots

Nach dem auf einer wahren Begebenheit beruhenden Film "Kinky Boots" von Geoff Deane and Tim Firth über einen Schuhfabrikanten aus Northhampton, der seine vor dem Bankrott stehende Fabrik, durch Spezialisation auf hochhackige Stiefel für Transvestiten zu retten versuchte, haben Harvey Fierstein und Cyndi Lauper ein Musical geschrieben. 
Mann erbt hochverschuldete Schufabrik vom Vater. Er lernt eines Nachts durch Zufall eine Dragqueen kennen. Die beiden beginnen, Freunde zu werden. Dragqueen entwirft Schuhe, Mann produziert sie. Beide haben Vaterprobleme. Konflikt, noch mehr Konflikt und ... Happy End, bei dem alle Mitglieder des Ensembles in geilen Stiefeln tanzen. 
https://de.wikipedia.org/wiki/Kinky_Boots_(Musical) 

Die Besetzung ist ungewöhnlich durchmischt für ein Musical. Dünne, dicke, junge, alte, schwarze und weiße Menschen beiderlei Geschlechts spielen sich die Seele aus dem Leib, und das sieben Mal die Woche! Warum klingen die eigentlich nicht so gekünstelt wie viele deutsche Musicaldarsteller, sondern wie richtig gute Sänger? 
https://www.youtube.com/watch?v=aV-PlANg7Xs

Ein Spaß, ein Gaudi - toll gesungen, gespielt und getanzt, von allen. Aber getoppt von einer supercoolen Sechsmann-Gang von langbeinigen, charmant-aggressiven Drag-Prinzessinnen mit rauen Gesichtern. Die Drag-Kostüme sind fabelhaft und die anderen stimmen genau. Und die Stiefel!!!
Klar ist es auch kitschig, aber wenn man der harschen Realität einen Traum abgewinnen kann, ist das, wenn es so gut gemacht ist, höchst ehrenwert. Ich denke Harvey Fierstein hat mit Torchsong-Trilogy (Das Kuckucksei),
La Cage aux Folles und Kinky Boots vielleicht mehr für die LGBTQ... Gemeinschaft erreicht, als mancher Verfasser, manche Verfasserin von Genderstudien. Heute Abend hat der Saal gestanden!


What does "lgbtqia+" stand for exactly?

If you're just learning about sexuality, gender, and all these other things, they can be a little hard to remember. This acronym not only serves as a symbol of our movement for rights, but even as a memory tool for those who need a little help.
L - Lesbian. Lesbian is a term used to refer to homosexual females.
G - Gay. Gay is a term used to refer to homosexuality, a homosexual person, or a homosexual male.
B - Bisexual. Bisexual is when a person is attracted to two sexes/genders.
T - Trans. Trans is an umbrella term for transgender and transsexual people.
Q - Queer/Questioning. Queer is an umbrella term for all of those who are not heterosexual and/or cisgender. Questioning is when a person isn't 100% sure of their sexual orientation and/or gender, and are trying to find their true identity.
I - Intersex. Intersex is when a person has an indeterminate mix of primary and secondary sex characteristics.
A - Asexuality. Asexuality is when a person experiences no (or little, if referring to demisexuality or grey-asexuality) sexual attraction to people.
+ - The "+" symbol simply stands for all of the other sexualities, sexes, and genders that aren't included in these few letters.


https://lgbtqiainfo.weebly.com/acronym-letters-explained.html


Montag, 23. Oktober 2017

Eine Band - Prada Meinhoff

Christin Nichols singt, René Riewer spielt den elektrischen Bass.
Sie nennen sich Prada Meinhoff, ein Schelm wer ....
Post-Zweitausender Punk-Rock.
Ein erfreulicher Widerspruch in sich.
Die spinnen, drehen ab. 
Sie kreischt, säuselt, schreit und singt.
Er unterstützt, konzentriert und versunken. 

Leider nur ein Musik-Beispiel, sie starten gerade erst durch und die anderen Videos sind ungelenke Live-Mitschnitte.

Maske
https://www.youtube.com/watch?v=a4-HEEY7aXo 




© radioeins/Schuster

Donnerstag, 17. August 2017

EIN TAG

EIN TAG

Auf einer Pressekonferenz faselt und fuchtelt der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika über die Vorkommnisse in Charlottesville, als gäbe es keinen Unterschied zwischen Rassismus und dem Protest gegen ihn. 

In der Berlinischen Gallerie kann man John Bocks Film Hells Bells ganzkörperlich erleben. 
 © Martin Sommer

Berlins allerbester HNO-Arzt gibt meinen Stimmbändern ein freundliches OK.

Der Tod der Schauspielerin Miriam Goldschmidt wird gemeldet.

Auf Barcelonas Boulevard Las Ramlas rast ein Mann mit einem Kleinlaster mitten in die flanierenden Menschen, tötet viele, verletzt noch mehr.


EIN TAG.

Weiße, bigotte  Männer mit pseudoarchaischen Partyfackeln skandieren marschierend irrwitzige Chöre, "You/Jews will not replace us!, "Ihr werdet uns nicht verdrängen! Juden werden uns nicht verdrängen!" Hitlergrüße werden ausgetauscht, das gute alte Hakenkreuz auf wehenden Flaggen, KKK prangt auf durchgeschwitzten T-Shirts. Diese Leute sind nicht plötzlich da, es gibt sie schon lang, sie hielten sich nur bedeckt, jetzt wittern sie Morgenluft. Ein guter Tag für ihren Hass, ihre Minderwertigkeitskomplexe, ihre Angst, ihr Ignoranz ist gekommen. Einer dreht derart durch, dass er sich der neuesten Terrormethode bedient und sein Auto in die Gegendemonstration fährt. Eine junge Frau wird von ihm getötet.  Originaltext Donald Trump: "Fine people on both sides." David Duke, Chef des Ku-Klux-Klans, bedankt sich für diese Worte herzlich bei ihm, Trumps jüdischer Schwiegersohn meldet sich nicht zu Wort, die anwesenden Medienvertreter, von Donald durchweg als Lügenpresse betitelt, protestieren nicht laut genug, entgeistert. 

Höllenglocken von John Bock, der Name haut hin. Was unter dem vibriert was Hieronymus Bosch malte. Barocker Überfluß an dinglichen Erfindungen, mehr irritierende Details, als ich erfassen konnte, Lichtstimmungen in graublau. Ein surrealer Spaghettiwestern durchmischt mit Horrorfilm-Elementen und eingem an Tarkowski von einem hochprofessionellen Kind in Szene gesetzt, dessen Hirn eine Überfülle von Ideen, Assoziationen, Bebilderungen zur Verfügung stellt. Eidinger, Beglau, Seppeler sind großartig, die Geschichte glasklar, die Dialoge mir meist unverständlich. War aber gut so. Verstörend.

Barcelona. Was kann ich sagen? 

Queen & Montserrat Caballe - Barcelona 

Samstag, 1. Juli 2017

ALS ADAM HAT GESÜNDIGT

Das mir höchst dubiose, feuchte Toilettenpapier von Hakle behauptet, es sei perfekt für unsere deutschen Ärsche, Deutschländer-Würstchen empfehlen sich als besonders national verdaulich, Blen-Da-Med läßt Deutschlands Zähne wieder richtig zubeißen und die Deutsche Bank führt einen "Zinsdialog" mit uns.
(Wir nehmen euch gnadenlos aus, aber reden vorher noch nett darüber.)

Werbung allüberall.

Dreist und dumm oder kalt und gewieft. Werbung greift uns an, greift in uns ein, auch wenn wir es nicht wollen.
Überteuerte Autos fahren durch grandiose Landschaften, übelst glückliche Familien essen am Wochenende gemeinsam irgendeinen links- oder rechtsdrehenen Jogurth (Mit der Ehe für Alle, werden das gerechterweise nun auch homosexuelle Pärchen erleben dürfen.) Zauberhafte Kinder flippen beglückt aus, wenn sie mäßig schmeckende Schokoladeneier, die mieses Plastespielzeug enthalten, geschenkt bekommen. Vorgeschnitzelte Kräuter aus Tüten ersetzen echte Frische, Miracolipampe gewöhnliche Tomatensauce, Gemüse flutscht ausgelaugt aus Blechdosen. Der nächste Film ist toller als der letzte. Butter ist keine Butter, aber genausogut, Wurst ist fleischfrei, schmeckt aber nicht so. Wäsche & Zähne werden weißer, Haut jünger & glatter. Duft macht sexy. Febreze tötet Geruch.
Manchmal sind wir glücklich, manchmal verzweifelt, die beworbenenen Dinge werden daran nichts ändern. Aber die Gaukelei ist sprägend und manchmal stärker als wir.

Baby Boomer, Generation X, Generationen Y & Z, Millenials und all wir anderen, wer weiß schon noch, wer er ist, hecheln eifrig, künstlich erzeugten Bedürfnissen hinterher, das Portomonnaie im Anschlag, das Hirn betäubt.

Werbetexter verdienen Geld, Dichter oft nicht, also haben einige Dichter für Geld Werbetexte geschrieben.

Zum Beispiel Joachim Ringelnatz

Hast du einmal viel Leid und Kreuz
Dann trinke Geldermann und Deutz
Und ist dir wieder besser dann
Dann trinke Deutz und Geldermann


oder Frank Wedekind

Vater, mein Vater! Ich werde nicht Soldat
dieweil man bei der Infantrie nicht Maggi-Suppen hat!
Söhnchen, mein Söhnchen! Kommst du erst zu den Truppen
so isst man dort auch längst nur Maggi's Fleischkonservensuppen.


oder Bertolt Brecht für Speyr, eine Autofirma

Ein Auto, in dem man überlebt.

Kathreiner Malzkaffee hat es sogar in ein Volkslied geschafft:


ALS ADAM HAT GESÜNDIGT

Als Adam hat gesündigt
da sprach der Liebe Gott,
am ersten wird gekündigt
am zweiten seid ihr fort.

Ja, uns geht´s gut, wir haben keine Sorgen
uns geht´s gut, wir denken nicht an morgen
uns geht´s gut, wir trinken Abends Tee
und wenn wir morgens früh aufstehen,
Kathreiner Malzkaffee.

Adam schiebt den großen Möbelwagen
Eva muß das Nachtkonsölchen tragen
Kain der trägt die alte Gipsfigur
und das kleine Abelchen die Nachttopfgarnitur

Ja, uns geht´s gut, wir haben keine Sorgen...

Töff töff töff, da kommen sie gefahren
die einst Gottes Untermieter waren
töff töff töff, wo wollen sie denn hin?
sie wollen nach Jerusalem, in 'ne Mietskaserne ziehn

Ja, uns geht´s gut, wir haben keine Sorgen...

Adam ging zum Arbeitsamt zum Stempeln
Eva wird Verkäuferin im Tempel
Kain der geht ins Priesterseminar
und das kleine Abelchen wird Studienreferendar

Ja, uns geht´s gut, wir haben keine Sorgen...

Kain der nahm das klitzekleine Keulchen
damit schlug er Abel eins auf`s Mäulchen
da sprach Gott der hoch am Himmel stand
ja, wenn ihr jetzt nicht artig seid, bewerf ich euch mit Sand

Ja, uns geht´s gut, wir haben keine Sorgen...


Werbung Für Kathreiner Malzkaffee - "Uns geht's gut"




Oder ein Variant aus dem Liederbuch Ruhr

Adam schiebt den großen Möbelwagen
Eva muß das Nachtkonsölchen tragen
Kain der trug die grosse Nippfigur
und das kleine Abelchen die Lokusgarnitur

Ja, uns geht´s gut, wir haben keine Sorgen
uns geht´s gut, wir brauchen nichts zu borgen
uns geht´s gut, wir trinken Abends Tee
und wenn wir morgens früh aufstehen,
dann tut uns gar nichts weh

Töff töff töff, da kommen sie gefahren
Töff töff töff, im Untermieterwagen
töff töff töff, wo wollen die denn hin?
sie wollen nach Jerusalem zur Mietskaserne rin

Adam geht ins Arbeitsamt zum Stempeln
Eva wird Verkäuferin bei Hämpeln
Kain der muß nun bald zum Militär
und das kleine Abelchen rennt immer hinterher

Da nahm Kain sein klitzekleines Keulchen
schlug dem Abel eins damit auf`s Mäulchen
sprach der liebe Gott vom Himmelsrand
wenn ihr jetzt nicht artig seid, dann werf ich euch mit Sand


Noten zum Lied

Samstag, 6. Mai 2017

Ach, manchmal werde ich so gern unterhalten!

Dank an Dirk Audehm, Fräulein Schneider (aka Alex Semann) und Engelbert Herzog.
Gelegentlich vergesse ich zwischen nachtkritiks Streitereien, Stegemann Verrissen, Verdi kontra Neuorientierung der Ensembles, Dercon versus Castorf,  postdramatischen Diskursen, eigener lebenslänglicher  Verunsicherung und nun auch noch Ostermeier am Broadway, dass ich gern unterhalte, mich auch gern vergnüge, beziehungsweise vergnügen lasse. 
Gestern ein kleiner Liederabend, "Sch...Liebe". 
Drei Menschen auf der Bühne, einer nahezu stumm, die beiden anderen singen, was sie lieben. Gar nicht die Art Lieder, die ich sonst anhöre, ganz und gar nicht. Aber sie singen und spielen mit Inbrunst und Können.
Inbrunst, „innere Leidenschaft", ist eine Zusammensetzung aus → in „innen“ und Brunst als Ableitung von → brennen in der Bedeutung „Brennendes, Loderndes“. (wissen.de)  
Ich verlasse den Saal nach zwei Stunden mit einem entspannten Lächeln um den Mund und guter Laune. Bin ich nun übel ausgetrickst worden oder haben die Herren mir nur erlaubt, mein Leben vergnügter zu betrachen?
Heute Abend wurde für mich geschwitzt. Die Darsteller begehrten, mich zu unterhalten, ohne Arg, ohne ironische Selbstabsicherung, mit Chuzpe. Ein kleiner Saal, 50 oder 60 Zuschauer, wir haben alle am Ende mitgesungen und versprochen, nach der dritten Zugabe, zwar weiter zu summen aber nicht mehr zu klatschen.

Die meisten von uns reisen so durchs Land und verkaufen unsere Fähigkeiten für Miete, Zigaretten, Marmeladenbrötchen, dass heisst aber nicht, dass wir nicht brennen, für das, was wir tun. 

Ein kurzer Moment von Pathos und schnell weiter zu den "Guardians of the Galaxy".

Ein Amerikaner mit Vaterproblem, ein Grünhäutige Schwertkämpferin mit Schwesterproblem, ein tätowierter Gigant mit Trauerproblem, ein Waschbär mit Bindungsproblem und ein Baumstämmchen mit Verständigungsproblem retten das Universum aus den Klauen von Kurt Russell, einem exzellenten Bösewicht mit zu perfekt gegelter Frisur. Der Siebziger Jahre Soundtrack untermalt irrwitzige Effekt-Schlachten und schnell abgefeuerte Dialoge.
Warum amüsiere ich mich? Warum? 
All die Superheldenfilme, die ich mit meiner Mutter über die Jahre geschaut habe, Thor und Iron Man und Captain America, um nur Marvels Paket zu nennen, werden hier verstückwerkt, ums dreifache verdreht und in den Irrsinn geschickt. Wie der hochgeschätzte Kollege Shakespeare sagte: "Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode." 


Im zarten Alter von 11 Jahren sah ich eine Dokumentation "Erinnerungen an die Zukunft" über Erich von Dänikens Buch gleichen Namens und war tief beeindruckt. Wie gerade dieser Film den Weg in die Kinos der DDR fand, wird wohl ewig ein Rätsel bleiben. Aliens hätten die Erde besucht unsere Entwicklung beeinflußt und wären wieder weggeflogen. Robert Charrouxs Bücher verstärkten meine Obsession.
Bis zum heutigen Tag glaube ich, die ich nicht an Gott glaube, dass unser Universum noch unzählige andere Zivilisationen beherbergt. Ich glaube daran, nicht weil ich hoffe, dass höherentwickelte Rassen uns retten werden, sondern weil ich mir sicher bin, dass eine der vielen möglichen Varianten von Erfolg gekrönt sein wird. Weil ich hoffen möchte, dass auch Methan-atmende Wesen und andere, die auf Silicium basieren, wasseratmende und solche wie wir, die Sauerstoff benötigen einen Weg zur Koexistenz finden. Wie lächerlich werden uns dann unsere dämlichen Vorurteile gegenüber bloß andersfarbigen Sauerstoffatmern erscheinen.

https://www.youtube.com/watch?v=BEPbXYzE5_Y

Aischylos wollte im Athener Dramenwettbewerb gewinnen, Shakespeare brauchte zum Überleben ein volles Globe Theater, Moliere litt Hunger, wenn seine Stücke nicht ankamen. Gibt es eine Verbindung zwischen unbedingtem Erfolgswillen und Kunst? Ich weiß es nicht. Aber von einer Gesellschaft zu erwarten, dass sie ihre Verächtlichmachung finanziert, scheint mir kindlich.

http://www.tagesspiegel.de/kultur/berliner-theaterregisseur-ersan-mondtag-ich-wuerde-gern-die-schaubuehne-uebernehmen/19757608.html 

Mittwoch, 8. März 2017

Für S. - Barockmusik ist nicht blöd

Liebe Silvia, lass mich mit der Barockmusik beginnen. Hochartifiziell, riesige, überwältigende Gefühl strengst in komplizierte Kompositionen gefasst, die Sänger müssen all ihr Können einsetzen, um nicht aus der Form zu fallen. Und diese Anstrengung, der Kampf zwischen Emotion und Form, kann mich sehr tief berühren. Hier ist nichts pur, echt oder realistisch. Die echte Welt ist zu klein, um all das Leiden, Lieben fassen zu können.

Die Periode der Barockmusik in der abendländischen Kunstmusik, auch bezeichnet als Generalbasszeitalter, schließt sich an die Renaissance an und erstreckt sich vom Beginn des 17. bis etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie zählt heute zur sogenannten Alten Musik. So beschreibt es Wiki.


Meine Eltern hatten eine Menge Schallplatten, Freddie Quinn, Schlagermedleys, The Best of the Seventies, Ernst Busch, Originalaufnahmen von Hitlerreden für den "Arturo Ui" meines Vaters, Blues der frühen Zwanziger und eben Barockmusik. Klassische Musik kam sonst nicht vor. Ich kämpfe darum bis heute. Ein spannender Kampf. Aber Barockmusik, Bach, Purcell, Vivaldi und Händel haben mich überraschend erwischt. Heute denke ich, es war die Anspannung, der hörbare Prozess, wie Leidenschaft in Kunst umgeformt wurde. 

Ein paar meiner persönlichen Leckerbissen:

"The Cold Song" von Henry Purcell

Für den Tod im Eis gibt es einen Soundtrack, den wird man nicht mehr los, ist man ihm einmal begegnet, den hört man, wenn man in Radevormwald oder sonst wo des Nachts auf dem Bahnsteig steht, einsam und verlassen von Bahn-Mitarbeitern und im Schneegestöber dem Absterben seiner Füße nachspürt. Und der geht so: Arktische Akkorde marschieren unbarmherzig und bibbernd heran. Kommen immer näher, holen aus, weichen zurück. Eine vor Unterkühlung zitternde, bebende Stimme fängt an zu flehen, verliert sich, bricht, stottert, stirbt. Eine Stimme, so alt wie der Permafrost, die sich aufgegeben hat und fleht - obwohl sie eigentlich gerade von der Liebe erlöst werden soll - darum, in den frostigen Frieden des Todes entlassen zu werden. Weswegen der "Cold Song" aus der Frostszene von Henry Purcells Semi-Oper "King Arthur" eigentlich auch eine Bassarie ist. Nur kann man sich die Stimme, die den Eistod stirbt, seit gut dreißig Jahren nicht mehr recht als Bass und mit langem, weißem Bart vorstellen. Sondern nur als Altus, weiß geschminktes Gesicht, blutrote, fast dreieckige Lippen, nach hinten gegelte Haare, futuristisches Dreiecksgewand, riesige Fliege. Einem Eishauch gleich glitterte Anfang der Achtziger der deutsche New-Wave-Star Klaus Nomi mit eckigen Bewegungen durch die Clubkeller von New York bis Paris. "Cold Song" war seine Trapeznummer. Ein Countertenor, bevor noch jemand in Deutschland das Wort ernsthaft buchstabieren konnte. Die große Zeit der hohen Herrenstimmen hat Klaus Nomi nicht mehr erlebt. Er starb 1983, kaum älter geworden als Purcell - einer der ersten Aidstoten.
Aus einem Artikel in der WELT 

Klaus Nomi
https://www.youtube.com/watch?v=wQrqgSK8-XU

Andreas Scholl
https://www.youtube.com/watch?v=O5lRq0IcDzw

Und so singen, wenn es denn welche gäbe, glaube ich, die Engel.

Philippe Jaroussky "Ombra ma fui" von Georg Friedrich Händelhttps://www.youtube.com/watch?v=q5v1PuhZ2zY 

Vivaldis Vier Jahreszeiten in zwei von vielen, ungeheuer vielen Versionen, zuerst der von Antonio Vivaldi und Max Richter.

https://www.youtube.com/watch?v=zy-B9MNtkyg

https://www.youtube.com/watch?v=EcsM4HUEwVw

Und jetzt Nigel Kennedy, der Punk der Barockszene

https://www.youtube.com/watch?v=DYvkVqpLX_E

 

Dienstag, 28. Februar 2017

BALL IM SAVOY - Eine Jazzoper

Der Ball im Savoy eine Operette in zwei Akten von Paul Abraham habe ich heute Abend in der Komischen Oper gesehen, drei und eine halbe Stunde, von denen ich vielleicht eine halbe Stunde hätte missen können. Der Regisseur liebt seine Tänzer, was ihn ehrt, aber das harte "kill your darlings" gilt auch für sie.

Drei Frauen, wilde Weiber, tragen den Abend auf ihren schönen Schultern, Dagmar Manzel, die Grand Dame wider Willen, ganz leicht, ganz klug, ganz Frau, wunderbar. Katharine Mehrling, klein und zart mit Riesenstimme und scharfem Witz, und Agnes Zwierko eine polnische Spiel-Bombe. Und ein Mann, Helmut Baumann, Jahrgang 39, man fasst es nicht, leichtfüssig und charmant und auf den Punkt. Einmal dreht er unzählige Pirouetten und nur wenn er später seine Jacke ein wenig mühsam aufhebt, bemerkt man überrascht, dies ist ein älterer Mann.



Fritzy Massary, Oscar Strauss, Ernst Busch, Paul Dessau, Hanns Eisler, Paul Hindemith, Friedrich Hollaender, Otto Klemperer, Georg Kreissler, Joseph Schmidt, Arnold Schönberg, Kurt Stolz, Kurt Weill, eine völlig unvollständige Liste von Musikern, die unser Land wider Willen verlassen mußten, um der sicheren Vernichtung zu entgehen.


Paul Abraham, auch Ábrahám Pál geboren am 2. November 1892 in Sombor, Königreich Ungarn, Österreich-Ungarn; gestorben am 6. Mai 1960 in Hamburg, war ein ungarisch-deutscher Komponist jüdischer Abstammung. Er schrieb vornehmlich Operetten.  
So beginnt sein Wiki-Eintrag, knapp und kurz.

Vor der Machtübernahme der NSDAP hieß das Haus in dem sich heute die Komische Oper befindet "Metropol-Theater", es gehörte den Brüdern Rotter, die eigentlich Schaie hießen und Juden waren. Ihr Chefdirigent war Paul Abraham, die Uraufführung seines "Ball im Savoy" fand am 23. Dezember 1932 im gemieteten Großen Schauspielhaus statt, weil im Mutterhaus eine Spoliansky-Revue lief.
1933 war Schluß, Aus, Ende für ihn und viele, sehr viele andere, Abraham floh erst zurück nach Ungarn, dann nach Paris, später über Kuba in die USA. Dort verlor er durch eine zu spät erkannte Syphillis-Erkrankung den Verstand und starb, verarmt und fast vergessen, nach jahrzehntelanger Unterbringung in psychiatrischen Kliniken, erst in New York, dann durch die Bemühung von Freunden mit gutem Gedächtnis, in Hamburg, im Jahr 1960. Er wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. 
1946 wurde Abraham auf dem Broadway aufgegriffen, als er ein unsichtbares Orchester, das kaiserlich ungarische Sinfonie Orchester, dirigierte.
Barry Koski nannte den fliehenden, kranken Mann einen Dibbuk, einen Untoten. 
"Die Annahme, das ein Verbleiben in Deutschland den Antragsteller früher der ärztlichen Begutachtung zugeführt hätte, ist nach Ausführungen in dem fachärztlichen Gutachten nicht wahrscheinlich."
37.000 Mark Entschädigung durch die BRD wurden Abraham nach einigem Rechtsstreit zugesprochen. 

Montag, 6. Februar 2017

Danke, für meine Arbeitsstelle ...

 
Danke, ach Herr, ich will dir danken,
Dass ich danken kann.
Martin Gotthard Schneider hat christliche Musik komponiert und auch Liedtexte geschrieben, sein "Danke für diesen Guten Morgen" war 1963 sogar in den Charts, heute ist er in Konstanz gestorben.


Danke für diesen guten Morgen

Danke, für diesen guten Morgen,
Danke, für jeden neuen Tag,
Danke, dass ich all' meine Sorgen
Auf dich werfen mag.

Danke, für alle guten Freunde,
Danke, o Herr, für jedermann,
Danke, wenn auch dem grössten Feinde
Ich verzeihen kann.

Danke, für meine Arbeitsstelle,
Danke, für jedes kleine Glück
Danke, für alles Frohe, Helle
Und für die Musik.

Danke, für manche Traurigkeiten,
Danke, für jedes gute Wort,
Danke, dass deine Hand mich leiten
Will an jedem Ort.

Danke, dass ich dein Wort verstehe,
Danke, dass deinen Geist du gibst,
Danke, dass in der Fern' und Nähe
Du die Menschen liebst.

Danke, dein Heil kennt keine Schranken,
Danke, ich halt' mich fest daran,
Danke, ach Herr, ich will dir danken,
Dass ich danken kann.

Text: Martin Gotthard Schneider 1930, deutscher Kirchenmusiker;
© Gustav Bosse Verlag, Kassel

Sonntag, 22. Januar 2017

Dass ich eine Schneeflocke wär


Weil es zur Jahreszeit passt, wir heute viel über DDR-Musik geschwätzt haben und es immer noch ein süßes Lied ist, obwohl ich "Auf der Wiese" noch mehr mag:

Dass ich eine Schneeflocke wär

Dass ich eine Schneeflocke wär,
irgendwo da rings um dich her.
Tanzte ich so wunderschön
bis Du bliebst stehn.
Und Dein Weib will dich weiterziehn.
'Lass sie tanzen, lass sie verblühn!'
Aber dir fällt etwas ein.
'Geh Weib, lass sein!
Will sie fangen mit der Stirn.
Sie erinnert mich an irgendwas.
Will nicht mehr als Herz und Hirn
soll'n mir sagen wie, wann, wo war das.'

Aber er erinnert sich nicht mehr -
Kinderzeit ist lange her.
Und das Schneehaus, das wir uns gebaut -
seit zehn Jahren fortgetaut.

Dass ich eine Schneeflocke wär,
käm ich auf die Stirn dir so schwer.
Dass die Wärme deiner Haut,
mich aufgetaut.
Und ich fließ' durch dein Gesicht
tränengleich und wie ein Spiegel klar.
Weißt Du denn noch immer nicht,
immer noch nicht, was ich dir mal war?

Aber er erinnert sich nicht mehr -
Kinderzeit ist lange her.
Und das Schneehaus, das wir uns gebaut -
seit zehn Jahren fortgetaut.

Aber er erinnert sich nicht mehr.
Kinderzeit ist lange her.
Und das Schneehaus, das wir uns gebaut -
seit zehn Jahren fortgetaut.
Kinderzeit ist lange her.

Franz Bartsch/Kurt Demmler 


Das Lied gewann 1975 „Erster Preis national“ beim Internationalen Schlagerfestival in Dresden, dann 1976 den Platz zehn in der DDR-Jahreshitparade .


Sonntag, 18. Dezember 2016

"Affe" in der Neuköllner Oper

Heute abend in der Neuköllner Oper habe ich, wieder einmal, eine für mich exotische Welt erlebt. Parties, Hip-Hop, Sex, Drogen & Alk, verlorene Nächte und verlorene Freunde. Gut, bis auf die Drogen kenne ich diese Dinge schon, aber "*das war in einem anderen Land" und ist also schlecht zu vergleichen.
 

John von Düffel und Fabian Gerhardt haben das Buch geschrieben, Fabian Gerhardt auch die Regie geführt, Peter Fox "Stadtaffe" lieferte die Lieder, umarrangiert, einstudiert und gespielt wurden sie von Fred Sauer (beim Spielen hat er Beistand von fünf anderen Musikern) und Stella Caric choreographierte.

6 Spieler und 6 Musiker schmeißen sich in die Geschichte wie Schweine in den Mist, und ich möchte das als hohes Kompliment verstanden wissen. 

Wie verliert sich ein Mensch im schwarzen Loch des immer gerade nicht greifbaren ultimaten Vergnügens, verzweifelt auf der Suche nach der letzten Ekstase, darüber die Mühen von Freundschaft und Mitgefühl vergessend?
Toll gespielt, toll getanzt und gesungen (auch wenn ich einiges akustisch verpaßt habe) und immer, bei aller extremen emotionalen Intensität doch intelligent und verspielt. 
Und ein verflixt gut nutzbares Bühnenbild hatten sie (Michael Graessner), bei dem technisch sichere, aber optisch gefährliche zweigleisige Balancierseile, eine zweite Etage boten. Das, Gott sei Dank, unaufdringliche Dauerbegleitvideo hätte ich nicht gebraucht, aber das mag wohl meinem Alter geschuldet sein. 

 
Die Spieler in meiner subjektiven Beliebtheits-Reihenfolge:
Anton Weil
Sergeij Lubic
Sohel Altan Gol
Rubini Zöllner
Achan Molanda
Amy Benkenstein

Der Abend ist sehr sehr ausverkauft. Traurige Menschen, die sogar von der Warteliste ausgeschlossen waren, wanderten vor dem Eingang hin und her. Am 5. Januar soll die Derniere sein, aber wenn es noch eine Restintelligenz in der Berliner Theaterszene gibt, ist das eine dumme Ente. In London würde der Abend ins West End wechseln, in New York an den Broadway Aber wir sind hier in Deutschland, und Musicals gelten als Mängelware. Entertainment wurzelt eben im Wort enter = eintreten, Unterhaltung halt nur in unter, drunter, eben weniger wertvoll. 

Wie sähe unsere heutige Kunstszene aus, wären unsere hochbegabten Entertainment-Produzenten 1933 nicht nahezu vollständig aus dem Land gejagt oder gar vergast worden?
 
* "But that was in another country, and besides, the wench is dead." 
"Aber das war in einem anderen Land und außerdem ist das Mädchen tot."
Marlow Der Jude von Malta

Freitag, 9. Dezember 2016

John Lennon wurde vor 36 Jahren erschossen

Der 8. Dezember im Jahr 1980. 

Johanna, 22-jährig, sitzt im Büro ihrer Mentorin Ilse Galfert, um über den letzten Schliff an ihrer Abschlußarbeit zu reden. Die Überschrift der Arbeit: "Jutta oder die Kinder von Damutz" geschrieben von Helmut Bez, ein mittlerweile zu Recht vergessenes, damals aber überaus aufregendes Stück, über eine ostdeutsche Kindermörderin. Friedo Solter hatte es inszeniert im Großen Saal der Akademie der Künste der DDR, das DT war wegen Sanierung geschlossen, und ich spielte mehr schlecht als recht die Titelrolle, aber eben deswegen war der Weg zur "Gestaltung" dieser Bühnenfigur das Thema. 

Ilse Galfert, falls der Name Ihnen nichts sagt, war die ursprünglichste Inkarnation einer Dramaturgin, schlau, belesen, begeistert und knallhart in ihrer liebenden Beurteilung. Ein dummer, ungeschickter Chirurg hatte bei einer Stimmknötchen-Operation ihre Stimmbänder verletzt, so dass sie ihre klugen Dinge mit zu hoher leiser Stimme sagen mußte und ihr Büro-Sofa war immer übersät mit Büchern, Zeitungen und getrockneten Blumen, was sie davon abhalten sollte, auf diesem Sofa im Theater auch noch zu übernachten.
Wir sitzen also in diesem kleinen vollgestopften Büro und arbeiten, als Alexander Lang eintritt und ungläubig sagt: " Übrigens, John Lennon ist erschossen worden." Das Gespräch über das Zeitstück wurde nicht fortgesetzt an diesem Tag.
Das Bild ist überdeutlich und glasklar in meiner Erinnerung.


Der 8. Dezember 2016.

Alex, mein wichtigster Theaterlehrer, ist sehr krank.
Ilse Galfert, die ich sehr geliebt habe, starb vor vielen Jahren. Und ich bin schon ziemlich alt. 
John Winston Ono Lennon wurde vor 36 Jahren erschossen.
Sein Mörder, Mark David Chapman sitzt seit mehr als 30 Jahren im Gefängnis und ist derzeit in der Wende Correctional Facility in Alden, Erie County, New York inhaftiert.

Whatever Gets You Thru The Night

Whatever gets you thru the night
'salright, 'salright.
It's yor money or your life
'salright, 'salright.
Don't need a sword to cut thru' flowers,
Oh no, Oh no
Whatever gets you thru' your life
'salright, 'salright.
Do it wrong or do it right
'salright, 'salright.
Don't need a watch to waste your time,
Oh no, Oh no
Hold me darlin', come on listen to me,
I won't do you no harm;
Trust me darlin', come on listen to me
Come on listen to me, come on listen, listen.
Whatever gets you to the light
'salright, 'salright
Out of the blue or out of sight
'salright, 'salright
Don't need a gun to blow you mind,
Oh no Oh no.

Was immer Dich durch die Nacht bringt
Es ist ok, ist ok
Es ist Dein Geld oder Dein Leben
Es ist ok, ist ok.
Du brauchst kein Schwert um Blumen zu schneiden,
Oh nein, Oh nein
Was immer Dich durch die Nacht bringt
Es ist ok, ist ok.
Mach es richtig, mach es falsch
Es ist ok, ist ok.
Du brauchst keine Uhr, um Deine Zeit zu verschwenden
Oh nein, Oh nein
Umarme mich mein Liebling, komm, hör mir zu.
ich werde Dich nicht verletzen;
Vertrau mir Liebling, komm, hör mir zu.
Komm, hör mir zu, hör zu. 
Was immer Dich zum Licht führt
 Es ist ok, ist ok.
Völlig unerwartet oder unsichtbar
 Es ist ok, ist ok.
Du brauchst keine Kugel, um Dein Gehirn wegzublasen,
Oh nein, Oh nein.