Freitag, 22. Juni 2012

Diane Arbus - Selbstportaits 1945


Diane Arbus

1945 - Geburt der ersten Tochter Doon

 Selbstportrait 1945 © Diane Arbus

Diane Arbus, Selbstportrait im Spiegel 1945. 
Courtesy The Audrey and Sydney Irmas Collection


Mit ihrer Tochter Doon 1945 © Diane Arbus 

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Diane Arbus - Ausstellung
Martin Gropius Bau
22. Juni 2012 - 23. September 2012

Veranstalter: Berliner Festspiele. 
Eine Ausstellung des Jeu de Paume, Paris. In Zusammenarbeit mit dem Estate of Diane Arbus LLC, New York und mit Beteiligung von Martin-Gropius-Bau Berlin, Fotomuseum Winterthur und Foam_Fotografiemuseum Amsterdam

Der Zahnwurm

DER ZAHNWURM
Verursacher der Zahnschmerzen

Der Zahnwurm würgt einen Menschen, auf der Rückseite Seelen im Höllenfeuer
Anonymer französischer Künstler 18. Jahrhundert , geschnitztes elfenbeinernes Bild eines menschlichen Zahnes. Deutsches Medizinhistorisches Museum, Ingolstadt, Germany.

Lange Zeit glaubten die Menschen, dass der Zahnschmerz durch den Zahnwurm entstünde, der ein Zwischending zwschen echtem Wurm und Dämon war und durch gräßliche Schmerzen die Seele der Befallenen zerrüttete.
Die Wurmtheorie, existierte bereits in der ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends und kann als Erfindung der mesopotamischen Heilkunde gelten. Erst im 18. Jahrhundert machten sich mehr und mehr Zweifel an der Existenz des Zahnwurmes breit.
 
Nachdem Anu den Himmel geschaffen hatte,
Der Himmel hatte die Erde geschaffen,
Die erde hatte die Flüsse geschaffen,
Und die Flüsse hatten die Sümpfe geschaffen,
Und die Sümpfe hatten den Wurm geschaffen---
Der Wurm ging, weinend vor Shamash,
Seine Tränen fließend vor Ea:
"Was wirst du mir zu Essen geben?
Was wirst du mir geben daran zu saugen?"
"Ich werde dir die reife Feige und die Aprikose geben."
"Was bringt mir die reife Feige und die Aprikose?
Hebe mich hoch und übergebe mir die Zähne und Gaumen!
Ich werde das Blut aus den Zähnen,
Und ich werde ihre Wurzeln am Gaumen benagen!" 
Weil Du dies gesagt hast, O Wurm,
Soll Ea dich mit der Macht ihrer Faust schlagen!

After Anu had created heaven,
Heaven had created the earth,
The earth had created the rivers,
The rivers had created the marsh,
And the marsh had created the worm
---
The worm went, weeping, before Shamash,
His tears flowing before Ea:
"What will you give me for food?
What will you give me to suck on?"
"I will give you the ripe fig and the apricot."
"What good is the ripe fig and the apricot?
Lift me up, and assign me to the teeth and the gums!
I will suck the blood of the tooth,
and I will gnaw its roots at the gum!"

Because you have said this, O worm,
May Ea strike you with the might of his hand!

Translated by E. A. Speiser, Ancient Near Eastern Texts Related to the Old Testament, edited by J. B. Pritchard (Princeton: Princeton University Press, 1969), 100-101.

Das chinesische Wort für einen kariösen Zahn ist „Chung Choo“, das heisst Wurmzahn. 

Mitunter sitzt die ganze Seele
In eines Zahnes dunkler Höhle.
Wilhelm Busch 

Mittwoch, 20. Juni 2012

e.e. cummings - wenn du nicht essen kannst musst du - If you can't eat you got to


wenn du nicht essen kannst musst du

rauchen und wir haben halt
nichts zu rauchen:komm kleines

lass uns schlafen gehn
wenn du nicht rauchen kannst musst du

 singen und wir haben halt

nichts zu singen;komm kleines
lass uns schlafen gehn

wenn du nicht singen kannst musst du
sterben und wir haben halt

nichts zu sterben,komm kleines
 
lass uns schlafen gehn
wenn du nicht sterben kannst musst du

träumen und wir haben halt
nichts zu träumen(komm kleines

lass uns schlafen gehn)



If you can't eat you got to

smoke and we aint got
nothing to smoke:come on kid

let's go to sleep
if you can't smoke you got to

Sing and we aint got

nothing to sing;come on kid
let's go to sleep

if you can't sing you got to
die and we aint got

Nothing to die,come on kid

let's go to sleep
if you can't die you got to

dream and we aint got
nothing to dream(come on kid

Let's go to sleep) 

 e.e. cummings

Pianobegleitung zum Gedicht:

Dienstag, 19. Juni 2012

Hänschen Klein oder einfach abhauen


Vor Jahren erzählte ein Kollege folgende Kindheitserinnerung, womöglich seine früheste:
Er war drei Jahre alt und fühlte er sich, wieder einmal, von seinen Eltern ungerecht behandelt, wusste nicht wie sich wehren und beschloß, seine Eltern zu verlassen.
Sein Kinderkoffer war schnell gepackt, zur theatralischen Verstärkung suchte er sich noch ein Stöckchen, verabschiedete sich dann und begann, die sehr gerade und lange Dorfstrasse hinfort zu wandern, unter Absingen des "Hänschen Klein"!
Er hat es, mit seinen drei Jahren, immerhin auf eine halbe Stunde Abwesenheit gebracht.
 Was für eine grandiose Szene!


Hänschen klein
Ging allein
In die weite Welt hinein.
Stock und Hut
Steht ihm gut,
Ist gar wohlgemut.
Doch die Mutter weinet sehr,
Hat ja nun kein Hänschen mehr!
„Wünsch dir Glück!"
Sagt ihr Blick,
„Kehr’ nur bald zurück!"
Sieben Jahr
Trüb und klar
Hänschen in der Fremde war.
Da besinnt
Sich das Kind,
Eilt nach Haus geschwind.
Doch nun ist’s kein Hänschen mehr.
Nein, ein großer Hans ist er.
Braun gebrannt
Stirn und Hand.
Wird er wohl erkannt?

Eins, zwei, drei
Geh’n vorbei,
Wissen nicht, wer das wohl sei.
Schwester spricht:
„Welch Gesicht?“
Kennt den Bruder nicht.
Kommt daher sein Mütterlein,
Schaut ihm kaum ins Aug hinein,
Ruft sie schon:
„Hans, mein Sohn!
Grüß dich Gott, mein Sohn!"

Wie oft war ich als Kind hilflos-wütend auf Erwachsene, Alte, Macht- und Rechthaber! Die durften über mich bestimmen und hatten dann auch noch diese dämliche Ausrede, es sei zu meinem Besten! Wegrennen war eine Phantasie, oder sterben, um dann die leidenden reuigen alten Leute auf dem Begräbnis zu beobachten und hämisch auszulachen, und dann gab es noch eine detaillierte und vollständige Traumwelt, in der ich und mein imaginärer Zwillingbruder mit Zauberei und Wohlwollen über andere Kinder herrschten.
 

© Zico

Das Folgende ist die Variante für Mütter und andere Erwachsene:

Das Erkennen

Ein Wanderbursch, mit dem Stab in der Hand,
Kommt wieder heim aus dem fremden Land.
Sein Haar ist bestäubt, sein Antlitz verbrannt,
Von wem wird der Bursch' wohl zuerst erkannt?

So tritt er ins Städtchen durchs alte Tor,
Am Schlagbaum lehnt just der Zöllner davor.
Der Zöllner, der war ihm ein lieber Freund,
Oft hatte der Becher die Beiden vereint.

Doch sieh -- Freund Zollmann erkennt ihn nicht,
Zu sehr hat die Sonn' ihm verbrannt das Gesicht;
Und weiter wandert nach kurzem Gruß 
Der Bursche, und schüttelt den Staub vom Fuß.

Da schaut aus dem Fenster sein Schätzel fromm,
"Du blühende Jungfrau, viel schönen Willkomm!"
Doch sieh' -- auch das Mägdlein erkennt ihn nicht,
Die Sonn' hat zu sehr ihm verbrannt das Gesicht.

Und weiter geht er die Straße entlang,
Ein Tränlein hängt ihm an der braunen Wang'.
Da wankt von dem Kirchsteig sein Mütterchen her,
"Gott grüß euch!" so spricht er, und sonst nicht mehr.

Doch sieh'! das Mütterchen schluchzet voll Lust:
"Mein Sohn!" und sinkt an des  Burschen Brust.
Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt,
Das Mutteraug' hat ihn gleich erkannt. 
 
Johann Nepomuk Vogl 
 
 


Montag, 18. Juni 2012

Endstation Sehnsucht - A streetcar named Desire


Eine Frau, Blanche Dubois = das heisst übersetzt: weisser Wald, steigt in eine Strassenbahn namens Desire = Sehnsucht. Die Strassenbahnlinie dieses Namens fuhr in New Orleans von der Bourbon Street durch das French Quarter in Richtung Elysian Fields Avenue, benannt nach der Pariser Champs-Elysee, der Allee der Elysischen Felder = die Elysischen Felder waren in der griechischen Sage der Ruheplatz der Helden- und Tugendhaften. Sie will ihre Schwester besuchen, Stella = der Stern.
Im Deutschen wird daraus bedeutungsschwer "Endstation Sehnsucht", im englischen Original ist es konkret städtischer Wegweiser und mythologischer Bezug in einem.
Ein sehr merkwürdiges Stück.


Der Film: Marlon Brando im Unterhemd als Stanley Kowalski, Vivian Leigh im weissen Flatterkleid als Blanche, Kim Hunter und Karl Malden, der mit der dicken Nase aus "Die Strassen von San Franzisko". Irgendwann hat fast jeder meines Alters diesen Film gesehen und geblieben ist oft nur eine Erinnerung an den Mann im T-Shirt und ein ungefähres Gefühl von animalischer Bedrohung. Der Regisseur Elia Kazan, hat nur ein Jahr nach der Fertigstellung dieses Filmes, als "friendly witness" = bereitwilliger Zeuge vor dem Ausschuss für Unamerikanische Aktivitäten, ausgesagt.

Heute im BE in Berlin eben dieses Stück, in einer späten Inszenierung von Thomas Langhoff. Oh, wie beschreibe ich es?
Die Bühne ist gräßlich, eine zu große, symbolhafte Papp- und Tuch-Schraube, deutet deutlich den drohenden sozialen Niedergang der beiden Schwestern aus gutem südstaatlichen Hause, Stella und Blanche, an. O jemine! Was den Abend rettet sind, wie so oft, die Spieler. Manzel, Gallinowski, Mauer und Schubert halten das Interesse wach, trotz des vagen, akustik-tötenden Raumes um sie herum und, wenn man die dilettantische Jazzmusik überhört, ein nicht einfaches Unterfangen, sieht man eine trostlose, und doch wahrhaftige Geschichte über Menschen, die mehr schlecht als recht in Traumwelten überleben und deren Leben zerbrechen, wenn sie gezwungen werden "den Realitäten ins Auge zu schauen". 
Das Stück gehört zu einer dramatischen Gattung, die uns, europäischen Theaterguckern eher fremd ist, psychologischer Naturalismus würde ich es nennen. Was die Figuren sagen, ist was sie sind, sie sind gleichzeitig Produkte und Opfer ihrer Worte und demonstrieren mit jedem gesprochenen Wort ihre Realitätsverweigerung.
Eine Bekannte sagte, wir leben alle in solchen "Traumwelten" und wer sie zwänge diese zu verlassen, der würde ihr, die träumend in der mit wohlig warmem Badewasser gefüllten Badewanne liegt, den Stöpsel lockern und sie, frierend, in der nun leeren, kalten Wanne liegen lassen.

Ein Blick in die Welt beweist, dass Horror nichts anderes ist als Realität. Alfred Hitchcock

Sonntag, 17. Juni 2012

Theater hat auch eine Zeit nach der Premiere


Nur noch ein kleines Gastspiel zum Schauspieltreffen in Wien und dann ist Urlaub! Acht pausenlose Monate gearbeitet, aufregend, lebendig, abwechslungreich, anstrengend, wunderbar, arbeitsam, durchgeplant, enthusiastisch, erschöpfend - und jetzt - Pause.

Hmmmm.
Komisch, gebt mir zwei Proben am Tag und ich stopfe die übrige Zeit voll mit Freunden, Büchern, Filmen, Musik und, ach ja, mehr Theater und bin selten müde und nicht oft griesgrämig.  Aber kaum ist der Vorhang gefallen, "der Applaus verrauscht", schon bei der Premierenfeier werde ich lahm, maulfaul und mißmutig. Die folgenden Tage, mal drei, mal sieben, auch schon mal zwölf sind grau, gräulich, ich selber immer kurz vorm Meckern oder Miespetern. So ein Blödsinn, warum nur? Endlich kann ich ausschlafen, tu es aber nicht, kann machen was immer ich will und weiss nicht, was das sein könnte. Ich gucke sogar Fernsehen, weil mir nix besseres einfällt! Und da kann man ja nun wirklich depressiv werden. Für Arte bin ich gerade jetzt zu uninteressiert, die Öffentlich-Rechtlichen schaukeln mich ins Koma und RTLSATPROSIEBEN haben immer noch dasselbe Programm wie voriges Jahr. 

Luke Chueh Unentschiedenheit 2005

Also einfach durchhalten, hoffen, dass mich die anderen aushalten und darauf warten, dass bald, sehr bald mein sonniges Gemüt wieder aus dem Urlaub zurück kommt, damit ich gutgelaunt in denselbigen fahren kann.


Freitag, 15. Juni 2012

Donnerstag, 14. Juni 2012

Theater hat auch eine Wiederaufnahmeprobe

Der Reigen
Das Stück hat länger gelegen, dass heißt, es war nicht abgesetzt, aber wurde eben nicht angesetzt. Liegen, setzen, gesetzt werden, was mit Stücken so alles passiert, wenn sie nicht gespielt werden.
Und jetzt stehen sie alle wieder da, die Spieler, haben pflichtgemäß den Text repetiert und manche gar zweimal, und nun erinnern sie sich. An was? An einen Rhythmus, an ein Gefühl, an einen Lacher, an einen Ton. Irgenwie ist alles noch da, aber halt nur irgendwie.
Die letzte Vorstellung liegt 2 Monate zurück, inzwischen ist gelebt worden. Die "junge Frau" hat einen gebrochenen Mittelfußknochen und, so vermute ich, der "junge Mann" ist frisch verliebt, die "Dichterin" quält sich mit Husten und überhaupt, die letzten Wochen haben alle an Tschechow gearbeitet.


Nebenbei, die Inszenierung hat Video und in jeder Unterbrechung projeziert die Technik die Liveübertragung vom Spiel Deutschland gegen Niederlande auf die Leinwand, ein Tor fällt, der feine "Graf", hoch und höher hüpfend, schreit ekstatisch: "Deutschland! Deutschland!", Pausenschluß, weiter.

Erster Versuch: es wird wiederholt, wieder - her - geholt, nicht gespielt, so wie ein Echo, ein Wiederklang aus der Vergangenheit, noch nicht wieder im Jetzt angekommen. Antworten werden gegeben, bevor Fragen gestellt wurden, Melodien statt Sätzen, jeder ist noch für sich, die Ohren nach hinten gerichtet. Morgen wird es anders.

Theater ist immer anders. Das ist schön und ganz schön anstrengend.

Dienstag, 12. Juni 2012

Picasso - BLAU - Goethe


BLAU 

Johann Wolfgang von Goethe

778.
  So wie Gelb immer ein Licht mit sich führt, so kann man sagen, daß Blau immer etwas Dunkles mit sich führe. 

779.
Diese Farbe macht für das Auge eine sonderbare und fast unaussprechliche Wirkung. Sie ist als Farbe eine Energie; allein sie steht auf der negativen Seite und ist in ihrer höchsten Reinheit gleichsam ein reizendes Nichts. Es ist etwas Widersprechendes von Reiz und Ruhe im Anblick. 

780.
   Wie wir den hohen Himmel, die fernen Berge blau sehen, so scheint eine blaue Fläche auch vor uns zurückzuweichen. 
 
781. 
Wie wir einen angenehmen Gegenstand, der vor uns flieht, gern verfolgen, so sehen wir das Blaue gern an, nicht weil es auf uns dringt, sondern weil es uns nach sich zieht. 

782.
Das Blaue gibt uns ein Gefühl von Kälte, so wie es uns auch an Schatten erinnert. Wie es vom Schwarzen abgeleitet sei, ist uns bekannt. 

783.
    Zimmer, die rein blau austapeziert sind, erscheinen gewissermaßen weit, aber eigentlich leer und kalt. 

784.
Blaues Glas zeigt die Gegenstände im traurigen Licht. 

785.
  Es ist nicht unangenehm, wenn das Blau einigermaßen vom Plus participirt. Das Meergrün ist vielmehr eine liebliche Farbe.


Alter Mann mit Gitarre in Barcelona 1903

Das Mahl des blinden Mannes 1903

Die Tragödie 1903