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Donnerstag, 16. April 2020

Das C-Wort XV - Prognose

Nein, ich gebe heute hier keine Meinung über die zu erwartenden Entwicklung der Pandemie oder der Weltwirtschaft zum Besten. Keine Sorge. Denn, so viel ich auch lese, bin ich immer noch sicher, dass ich kein Virologe, kein Epidemologe, kein Ökonom bin. Und der oft zitierte "gesunde Menschenverstand" ist wohl auch nicht immer unser bester Berater, läßt er uns doch mit Vorliebe glauben, was uns genehm ist oder uns schlauer als die Menschen ohne eben diesen "gesunden Menschenverstand" erscheinen läßt. Warum eigentlich Menschenverstand, gibt es einen anderen uns bekannten anderen Verstand?
Ich tue im Augenblick, was Menschen, die über diese Dinge mehr gelernt, geforscht und nachgedacht haben, mir raten und fühle mich dabei nicht sonderlich gehorsam, sondern eher selbstverantwortlich. Was, bei meinen Schwierigkeiten mit Autoritäten bedeutet, dass ich glaube, es gibt wirklich eine Gefahr.
Derweil treffe ich in den sozialen Medien erstaunlich viele selbsternannte Fachleute, Paranoiker, Verschwörungstheoretiker und, als eigene Kategorie, "Wie gut diese Krise für uns ist" Prediger.
Meine Fragen:
Warum sollte selbst Mister Trump die Wirtschaft seines Landes stilllegen, wenn es keine wirkliche Bedrohung durch Corona geben würde?
Warum fragen mich Bekannte und Fremde, ob ich denn überhaupt jemanden kenne, der erkrankt ist? Tue ich übrigens.
Warum scheinen manche Leute, es schlecht auszuhalten, dass die Bedrohung jetzt gerade ein unpersönlicher, nur am eigenen Überleben interessierter Virus ist?  In diesem speziellen Fall nicht der Imperialismus, nicht Frau Merkel, nicht die von Qanon beschworene Weltverschwörung, nicht die Chinesen, nicht G5, nicht einmal die Aliens. Die alle sind vielleicht auch Feinde, aber eben nicht verantwortlich für diese Pandemie. Oder?
Nun zum Prognoseteil:
Bis eine Impfung verfügbar sein wird, werde ich andere Menschen auf Abstand halten müssen. Ein Meter und fünfzig Centimeter Abstand, keinen Körperkontakt, Maske, wenn es enger wird, und viel Händewaschen. Ein unerhörter Eingriff in meine Feiheit, in mein Leben. Als Risikofall muss ich vorsichtig sein, als Mensch bin ich anarchisch. Das schmerzt.
Und bis zum 30.8. sind Großveranstaltungen verboten. Was ist groß? Unsere nichtstattgefundende Premiere wollen wir im September nachholen. Wird das möglich sein?  Bitte, bitte, bitte. Und wenn es nötig ist mit Maske und einem Meter und fünfzig Zentimeter Abstand.

Samstag, 11. April 2020

Das C-Wort XIII - Nix passiert.

Ich schreibe meiner Lieblingsnichte jetzt öfter eine Mail, sie lebt im Brandenburgischen, ich in Berlin - das sind unüberwindbare Entfernungen in diesen Zeiten. Aber was schreibe ich ihr,  jetzt, wo mein Lebenskreis so viel kleiner geworden ist?  Keine neuen Restaurants, keine neuen Läden, Theaterereignisse, Museumsbesuche, Caféentdeckungen. Keine Proben, keine gemeinsamen Erfindungsschübe, keine Kreativkrisen, keine übermüdeten Abende und vorfreudige Morgen.

Mein Beruf ist nicht im geringsten systemrelevant, er ist wunderbar, gelegentlich idiotisch, aber systemisch wertlos, weil das, was ich schaffe, nicht börsenwirksam verwertbar ist, nur einem einzigen Zweck dienend, zu unterhalten.

Vorgestern haben wir, mein Bremer Truppe der Nibelungen, zwölf an der Zahl, drei Stunden über Zoom kommuniziert, "geprobt", sehr seltsam, erschöpfend, aber doch beglückend. Leider kann man nicht durcheinander reden, was blöd ist, denn das braucht's notwendig zum Probieren.

Wie wird unsere Zukunft aussehen? Homeoffice ist nicht möglich, Schweiß, Spucke und Anfassen, eigentlich alle jetzt so sehr gefährlichen Dinge, sind notwendige Bestandteile unserer Arbeit. Ob sich ein gänzlich neuer Spielstil entwickeln wird, gerade nach vorn und ohne Körperkontakt? Frau Kennedy, Sie wären eine Vorreiterin, mit Ihrer Vorliebe für Latex-Vollmasken und, wenn keiner spricht, werden auch weniger Tröpfchen in der Luft verteilt. Posthuman. What the Fuck! Eigentlich müssten wir jetzt doch noch menschlicher, haptischer, riskanter arbeiten.

Erstaunlich, wie ich mich über Winzigkeiten freue, den Kaffee von meiner kleinen, um ihr Überleben kämpfenden, Konditorei. Über die Sonne, die scheint, den sehr persönlichen Strauch, der blüht, die unglaublich netten Verkäufer und Verkäuferinnen bei "Butter Lindner". Ich bin gut dran mental noch aufnahmebereit und höchst privilegiert, weil ohne existentielle soziale Sorge, nur der um mein Leben, als 61-jährige schwere Raucherin. Also nur mit der Angst aller belastet, die alt, oder vorerkrankt oder sonstwie beschädigt sind. Ja, ich weiß, ich bin, im Gegensatz zu vielen Bedrohten, selber schuld.

( Da dräut im Hintergrund ein unangenehm darwinistisches Denken, retten wir die Wirtschaft, lasst die Alten sterben, die paar Jahre mehr oder weniger, machen den Kohl auch nicht fett und der Rentenkasse täte es auch gut. Mal gucken, was da noch kommt, wenn noch mehr Zeit vergeht mit uns und diesem Virus. )

ABER auch: 
Das Spazierengehen, dass ich gar nicht mag in normalen Zeiten, aber jetzt liebe, weil ich mich da mit lieben Leuten verabreden kann, um zu quatschen, anzugucken, zu lachen. Den Tiergarten kenne ich mitlerweile besser als meine Hosentasche und meine Freundinnen nennen mir geduldig zum zehnten Mal die Namen von Blumen und Bäumen, an denen ich, die sonnige demente Tante mich erfreue und sofort wieder vergesse.

Das Kochen, das ich genieße, weil ich mich dabei konzentrieren und Geduld haben muß. Herrn Ottolhengi und Frau Nigella Lawson verleihe ich den Corona-Preis in der Sparte Genüsse, welche in Zeiten ohne Körperkontaktmöglichkeiten, nicht zu verachten sind.

Das Lesen in der Badewanne. Noch sind es Krimis, Literatur wird's erst wieder, wenn ich das Nibelungen-Ungetüm aus dem Kopf habe. Ein Meter Bücher zum Thema, Irrsinn, wer sich alles mit welch speziellen Unterthemen mit dieser wüsten Geschichte beschäftigt hat!

Das Auf-, bzw. Ausräumen. So ordentlich waren meine Kisten, Schränke und Schubladen noch nie.

Der Frühling!!!

MEIN SELFIE:


Samstag, 4. April 2020

Das C-Wort XII - Ein Landei in der Stadt

Mein kleiner Wochenmarkt ist auf drei Stände zusammengeschrumpft und da dachte ich mir: "Geh doch mal zum Kollwitzplatz gucken."


Aus meinem dörflichen Berliner Mitte, wo man jetzt oft minutenlang kein Auto sieht, laufe ich also in den Prenzlauer Berg und erleide einen Schock, Gedränge!
Menschen über Menschen, lauter ökologisch bedachte, auf Nachhaltigkeit achtende, irgendwo links von der Mitte wählende Leute, bei denen das Ding mit der sozialen (physischen) Distanz scheinbar noch nicht angekommen ist. Habt ihr sie noch alle?
Ich habe rasch einen Strauß rote Ranunkeln erworben und bin bin weg, schnell wie der leicht geriatrische Blitz, der ich bin, ab ins Kaufhaus am Alex, wo die Lebensmittlabteilung geöffnet ist, was aber scheinbar keiner weiter weiß und darum können ich und noch zwei Kunden entspannt durch den Riesenladen schlendern. (Geheimtipp!)

Was sonst noch passierte:
Die Türkei behält Beatmunggeräte ein, für die Spanien schon bezahlt hat. Die USA verbietet einer großen Firma den Export von Respiratoren und medizinischem Bedarf nach Kanada und Lateinamerika.

Und dann auch noch:
Alan Posener findet in der Welt, dass "Unorthodox" antisemitische Vorurteile bedient.
https://www.welt.de/kultur/article206965399/Netflix-Serie-Warum-Unorthodox-antisemitische-Klischees-bedient.html?fbclid=IwAR39fVg_LzRKR4nhcc9f1MEcQCDINDqIjuwNlR2IPbrIzb_tqxf2bemVHw4

Finde ich nicht. Die Gemeinschaft der Orthodoxie, von der man einen kleinen Ausschnitt sieht, wirkt sicher exotisch und auch nicht unbedingt einladend, aber so geht es uns doch mit den meisten wirklich anderen Lebenswelten, oder? Und dann sieht man eine Geschichte sehr unterschiedlicher Leute, jüdischer und nichtjüdischer, der ich gern folge. Und es ist eben eine Geschichte und kein ideologisiertes Fallbeispiel.

Mittwoch, 1. April 2020

Das C-Wort XI - Wie es so ist.

Wir alle sind am Lernen. Wir üben, nicht durchzudrehen, und doch vorsichtig genug zu sein. Maske in Läden, Maske im Nahverkehr, Handschuhe immer. Ich rede mit Freunden, es sind gute Gespräche, sehr verschiedene Sichten, ähnliche Sorgen. Wie lange wird diese Krise dauern? Was wird danach geschehen? Wird die Welt, die wir kennen, DANACH eine andere sein? Oder vergessen wir dies alles so schnell wie möglich?

Eduard Fuchs hat einst eine llustrierte Sittengeschichte in sechs Bänden veröffentlicht. Damals bevor die Pest kam, waren die Regeln streng, dann starb ein Drittel der Bevölkerung, die Regeln wurden gelockert, die Einwohnerzahl wuchs auf die Vorpestzahl und flugs wurde die Moral angepasst, die katholischen Umgangsformen griffen wieder.  



FACTFULLNESS 

Hans Rosling, Anna Rosling Rönnlund, Ola Rosling

Hat sich der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, in den zurückliegenden 20 Jahren verdoppelt, deutlich mehr als halbiert, oder ist er gleich geblieben? Insgesamt ein Dutzend solcher Fragen hat der 2017 verstorbene Hans Rosling mehreren tausend Menschen in verschiedenen Ländern gestellt. Der Professor für Internationale Gesundheit am schwedischen Karolinska-Institut arbeitete als Berater für die Weltgesundheitsorganisa­tion und das Kinderhilfswerk UNICEF und gründete gemeinsam mit seinem Sohn Ola Rosling sowie seiner Schwiegertochter Anna Rosling Rönnlund die Gapminder-Stiftung zur verständlichen Aufbereitung von Statistiken.


Anhand statistischer Daten zeigt der Forscher in diesem Buch, dass es den Menschen insgesamt besser geht. Der Anteil der in extremer Armut Lebenden hat sich weltweit mehr als halbiert, und 80 Prozent der einjährigen Kinder sind geimpft. In Ländern mit niedrigem Einkommen besuchen inzwischen 60 Prozent der Mädchen die Grundschule. Auch zu diesen Themen hatte der Autor zahlreiche Probanden von verschiedenen Kontinenten um ihre Einschätzung gebeten.
Rosling überraschte, dass die Menschen die Lage oft viel düsterer sehen, als mithilfe der Daten belegbar ist. Zum Beispiel beantworteten in Schweden und Norwegen nur 25 Prozent der Teilnehmer die Frage nach dem in Armut lebenden Anteil der Weltbevölkerung richtig, in Großbritannien nur neun und in Deutschland sogar nur sechs Prozent. Selbst Fachleute wie Universitätsprofessoren, Investmentbanker oder Journalisten lagen daneben.
Rosling fragte sich, worauf diese Fehleinschätzungen zurückzuführen seien. Dazu identifizierte er zehn verschiedene menschliche "Instinkte": etwa den der "Kluft", der "Negativität", der "Angst", des "Schicksals" und der "Schuldzuweisung". Sie alle seien in einem Millionen Jahre währenden Evolutionsprozess entstanden und hätten dazu beigetragen, dass sich der Mensch in einer feindlichen Umwelt zurechtfinden, Gefahren rechtzeitig erkennen und sich gegen sie behaupten könne. Zwar seien diese Instinkte heute noch wichtig, sie führten aber immer wieder zu einer verzerrten Weltsicht.
Jeden neuen Buchabschnitt widmet der schwedische Mediziner einer andereninstinktiven Denkweise, deren wichtigsten Eigenschaften er am Kapitelende zusammenfasst. Zugleich gibt er Tipps, wie man mögliche Denkfallen umgehen kann. So verleite der "Instinkt der Kluft" dazu, die Welt in Extreme zu unterteilen, etwa in Arm und Reich, Entwicklungs- und entwickelte Länder. Die Situation aus einer Vogelperspektive zu betrachten, helfe dagegen, die vielen dazwischenliegenden Schattierungen zu erkennen und die eigene Sichtweise zu relativieren.

https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-factfulness/1570136 

Dienstag, 31. März 2020

Das C-Wort X - Unorthodox und Sufjan Stevens

Guckt ihr Online-Theater? Ich halte es nicht aus. 10 Minuten und ich bin raus. Die, den Gerüchten nach, grandiosesten Inszenierungen, sehen auf dem Bildschirm aus wie "Unser Kleines Fernsehspiel". Die Schauspieler schlittern irgendwie erschüttert zwischen zu viel spielen, denn es ist ja für den Zuschauerraum gedacht und der hilflosen Bemühung um Understatement. Keiner hustet neben mir, keiner kichert, keiner riecht nach etwas zu viel süßem Parfum. Also bleibt das Fernsehen, die Streamingdienste und die guten, alten Bücher.
Also habe ich mir "Unorthodox" angesehen, ich mochte das Buch von Deborah Feldmann und war also neugierig. Maria Schrader mag ich als Schauspielerin nicht sehr, zu angestrengt, zu eitel, aber diese vierteilige Serie, für die sie Regie geführt hat, ist wirklich ok. Shari Haas, die Hauptdarstellerin - eine androgyne angsterfüllte Elfe - gelingt es, die drohende Sentimentalität dieser Selbstbefreiungsgeschichte, weitestgehend zu umschiffen. Ihre äußerliche Zartheit kontert sie mit einem Überlebenswillen aus Stahl.
Aber was ich vermisst habe, war mein tiefer Schockmoment im Buch. Die Strenge ihrer Lebensregulation begründen diese speziellen orthodoxen Juden damit, dass der Holocaust Gottes Strafe für ihren Mangel an Glaubensdemut war. Das hat mir die Tränen in die Augen getrieben. Da werden sie industriell gemeuchelt und laden sich die Schuld dafür auf. Wie traurig ist das.

 
Ein Gegenentwurf: "Untergetaucht", die Geschichte einer Jüdin, die in Berlin den Faschismus überlebt hat. Sie mußte dafür sich in unfassbarer Art demütigen und hat es geschafft. Im Mai 1945, nach der Befreiung, bekommt sie eine Wohnung zugewiesen, transportiert sie ihre verbliebene Habe in einer Schubkarre durch das zerbombte Berlin und schläft auf dem Boden ihrer "eigenen" Küche ein, in unvorstellbarer Erleichterung, endlich nicht in Angst, sicher.

Sufjan Stevens, ein Sänger mit verführerisch zärtlicher Stimme und ohrfreundlichen Melodien, in denen er seine bösen, traurigen, wahren Texte versteckt.

Montag, 30. März 2020

Das C-Wort VIII

Was für eine erhellende Zeit. Ich hatte gerade zwei dunklere Tage und habe sie zugelassen. Meistens reite ich über solche Wellen hinweg, aber dieses Mal ...
Jeden Morgen rufe ich zuerst die Zahlen der Neuinfizierten, der Gestorbenen auf. Welch Irrwitz.
Rausgehen. Händewaschen. Gummihandschuhe. Heute schwarz oder eher weiß? Maske anlegen - ein fast zu offensichtliches Doppelwort. Mein Schlüssel ist voller Viren? Klinken? Was ist mit meinen Schuhen, dem Mantel? Geldstücke sind ganz gefährlich, höre ich. In meinen jüngeren Jahren hatte ich eine Tendenz zu zwanghaftem Kontrollieren abgeschlossener Türen und ausgeschalteter Gasherde, die verging glücklicherweise und ich möchte sie wirklich nicht wieder wecken.
Und all diese meine "Sorgen" unter den luxuriösten, denkbaren Bedingungen.
Ich darf spazieren gehen und einkaufen.
Die Kinder einer Freundin beschimpfen sie wild, für die Nutzung ihrer noch immer gesetzlich erlaubten Freiheiten. Sie tuen es aus liebender Sorge um sie. Aber ...
Einige Freunde rufen laut nach dem hart durchgreifenden Staat, andere bezweifeln jede seiner Maßnahmen. Uns fehlt es an Realitätssicherheit. An allem ist zu zweifeln. Zweifel ist gut, wichtig, kostbar, aber automatisierter Unglauben, der Zwang immer das Schlimmste vom Staat, den Wissenschaftlern, den Mitmenschen anzunehmen, ist eine Last, die viele nicht allein tragen möchten und sie deshalb sofort an uns andere weitergeben.
Paranoia ist Trend.
Ich bin 61 und Raucher, also innerhalb irgendeiner der vielen Risikogruppe. Und deshalb rufe ich hier mal in die Runde: Bleibt hoffnungsvoll und vorsichtig, aber sterblich bleibt ihr auf jeden Fall. Ja, wir werden sterben, heute, morgen oder in zehn / Zwanzig Jahren.
Werden wir dann noch wir sein? Unsere Freiheit, unsere Rechte sind ein wertvolles Gut, unser Leben ist es auch. Wo ist die Grenze? Wann übergeben wir unsere ererbte, erkämpfte Freiheit unseren unerfüllbaren Hoffnungen auf Unsterblichkeit? 

https://www.timeslive.co.za/sunday-times/lifestyle/food/2020-03-25-watch--this-child-crying-cause-all-the-takeaways-are-closed-is-all-of-us-right-now/ 

Ich gehe einkaufen und habe Angst. Ich spaziere mit meiner Freundin durch den Tiergarten und habe Angst. Ich mag die Angst nicht. Sie macht mich zu klein. 

Heute, Wäsche gewaschen, eingekauft und am Abend eine Gesprächsparty mit meinen Bremer Kollegen - zweieinhalb Stunden digitaler Nähe. Wie sehr schön.
Hey, wir werden von uns sagen können, wir haben es erlebt - sollten wir es überleben. Sorry. Der Nebensatz ist meinem dunkelschwarzem, jüdischen Humor geschuldet.

Everybody wants to go to heaven, but nobody wants to die.

https://experience.arcgis.com/experience/685d0ace521648f8a5beeeee1b9125cd

Freitag, 27. März 2020

Das C-Wort IX - Körpernähe

Ich habe seit 12 Tagen keinen Menschen angefasst. Außer mich selbst. Wie sehr eigenartig. 
Ich bin nicht so der typische Küsschenverteiler und jederman Umarmer, aber als heute eine besonders liebe Freundin mir impulsiv den Arm um die Schulter legen wollte, wie sie es oft tut, eine Berührung, die ich normalerweise sehr gern spüre, bin ich zurückgeschreckt. Irrwitz.
Wir waren beide bestürzt. 
Gummihandschuhe lassen meine Hände massiv schwitzen, die Gesichtsmaske von nomimikri läßt meine Brille beschlagen und kühler wird es durch sie auch nicht. Hitzewallungen. Oh Gott, ich habe Fieber, ich werde krank. Handschuhe weg, Maske ab und ich kühle runter. Entwarnung.
Nach Hause kommen, Hände waschen, die Einkäufe auspacken, Hände waschen, ein wirklich steriles Leben ist nicht möglich. Und war, bis jetzt, auch nicht erwünscht.
Ich mag Lippenstift. Knallrot. Oder dunkles Pink. Aber mit so einer Maske ist er nicht zu sehen. Mein kleiner Protest gegen die üble Zeit, versteckt hinter buntem Stoff.
Bitte, bitte, keine Ausgangssperre.
Ja, ja ich weiß, dass ich einer Risikogruppe angehöre. Über 60 und Raucher seitdem ich 17 war. Ich will niemanden infizieren und auch selbst nicht infiziert werden. Aber ich will auch nicht aufhören, zu leben. Was kann, soll ich tun?
Meschugge. So nennen das meine Leute, die auch irgendwie nicht meine Leute sind.
Aber. Immer dieses aber. Morgen lerne ich Brotbacken via Skype.

https://www.smarticular.net/hefe-vermehren-backhefe-haltbar-machen/ 

Mittwoch, 25. März 2020

Das C-Wort VII - Einfache, leckere Pilzpfanne

Geht gerade die Welt unter?
Ich vermute, das tut sie nicht.
(Auch wenn ich schon mal kurze paranoide Attacken spüre.)

Deshalb heute was zum Essen.

Pilze, simple braune Champignons tun es auch.
Knoblauch & Zwiebeln
Salz & Pfeffer
Thymian
1 Klecks Butter
Sahne, Creme Fraiche oder Creme Fin nach Gefallen.
Parmesan

Zwiebeln in Öl anschmelzen, etwas später Pilze & Knofi dazu, salzen, pfeffern, Thymian ran, kurz vor fertig den Klecks Butter, wenn man es cremig mag Sahne o.ä. dazu, auf den Teller, Parmesan drüber, voila!

Bin ganz verblüfft, wie gut das schmeckt. Habe soeben den Teller abgeleckt. Sieht ja keiner, jetzt, wo wir uns eh physikalisch distanzieren sollen. Da riecht auch keiner die zwei großen Zehen Knoblauch.

Am Wochenende lerne ich Brotbacken via Skype! DieHefe wirft mir die zauberhafte Frau von ihrem Balkon runter. Hefe und Toilettenpapier? Heute back ich, morgen kack ich und übermorgen ...?

Noch etwas Unwichtiges. Wir alle mit Kurzhaarschnitten und gefärbten Haaren werden, wenn das hier hinter uns liegt, erstmal gräßlich aussehen und beim Friseur unseres Vertrauens Schlange stehen. Vielleicht sogar wieder ohne die 1,50 Meter Abstand?

Und jetzt was Trauriges & doch Schönes zum Abschluß, unser Bühnenbild von hinten und der leere Zuschauerraum der bremer shakespeare company. Hat mir ein Kollege geschickt.






Sonntag, 22. März 2020

Das C-Wort VI

Kein Lagerkoller. Keine Depression. Keine Panik. Nicht mal Langeweile.
Aber ich bin es nicht gewohnt, keinen Zeitplan zu haben und da wartet ein Lernprozess auf mich und der kann noch ein bisschen warten. Ich will mich nicht zu schnell mit der neuen Situation anfreunden. Ich mache eh nicht so schnell Freunde. So eine Fremdheit, Ungewohntheit ist doch auch spannend. Oder?

Was für aufgeräumte, gut sortierte Wohnungen wir alle haben werden!

Was für Pläne habe ich? 
Das Nibelungen-Projekt so weit fertig zu stellen, das wir, wann auch immer, eine tolle restliche Probenphase haben können.
Brot backen zu lernen.
Mit Ötti spazieren zu gehen und vielleicht auch mal mit wem anders. Das ist noch erlaubt. Juchuh!
Mich nicht gehen zu lassen. Lippenstift hilft.
Ein neues Schreib-Unternehmen mit Grit zu starten.
Bücher zu lesen.
Filme zu gucken.
Rum zu trödeln.
Mich zu entscheiden, ob ich einen Hund oder eine Katze einladen werde, mit mir zu leben.
Gesund zu bleiben.
Viel mit Freunden zu quatschen.
Euch mit Texten & Gedichten zu zu ballern.
Zu hoffen, das so wenig Leute wie irgend möglich sterben werden.
Weniger zu rauchen und zu trinken. Na ja.

Ich mag es nicht, wenn Menschen jetzt das irgendwie doch Positive der Situation preisen. Das ist mir zu katholisch. Per aspera ad astram? Käse. Aber ich will auch nicht rechthaberisch und hämisch die Apokalypse begrüßen. Dies ist eine Krise, eine unerhört große und neuartige. Wird sie uns verändern auf lange Sicht? Da bin ich mißtrauisch. Nach den großen Pestausbrüchen des Mittelalters, als die Bevölkerungszahl extrem geschrumpft war, gab es eine Zeit, in der die bis dahin geltenden Moralregeln außer Kraft gesetzt waren. Es wurde wild herum gevögelt. Aber kaum war die Einwohnerzahl wieder auf dem notwendigen Maß, bäng (!), wurden die Sitten wieder so streng wie zuvor. Die Menschheit als Ganzes will halt unbedingt überleben. Und wir waren, denke ich, immer gleich schlimm oder gleich großartig. "Früher war alles besser" ist einer der blödesten Sätze, die ich kenne. Wir sind, wie wir sind.

Entschleunigung. 
Wiki definiert das so: Die Entschleunigung zeigt Wesensmerkmale der Faulheit und Muße, ohne wie diese negativ besetzt zu sein. Während Entschleunigung als Verzicht weiterer Beschleunigung nicht unbedingt eine Drosselung der gewohnten Geschwindigkeit beinhaltet, enthält das ältere Wort „Verlangsamung“ die Tendenz, das Fortschritts­denken in Frage zu stellen. 
Wir müssen drosseln. Weniger tun, weniger reden, weniger was? Ist weniger besser? Es ist erstmal weniger.

Samstag, 21. März 2020

Das C-Wort V

Hühnersuppe. Das Allheilmittel meiner Mutter für jede Lebenslage - Liebeskummer, gebrochenes Bein, Grippe. Das Iboprofen jüdischer Mütter. Heute habe ich selber mal wieder welche gekocht. Mit einigen Tipps von meiner Tochter und meiner Cousine und ein paar eigenen Ideen. Huhn, Wasser, Ingwer, Kurkuma, Zitrone Knoblauch, Lorbeer, schwarzer Pfeffer, Suppengemüse, 1El Ahornsirup und 1 El Maggi, weil ich Berliner bin. Morgen noch ein bisschen das Fett abschöpfen und dann schlürfe ich mich in die totale Immunität.

Im Tiergarten beim Spaziergang mit meiner Freundin auf zwei Meter Abstand. Es war kalt und wunderbar sonnig. Viele Menschen, alle Abstand haltend, außer, Gott sei Dank, wenn Kinder dabei waren. Ich hoffe so sehr, dass es nicht zur AUSGANGSSPERRE kommt. Sowohl weil ich nicht möchte, dass der Staat, die Bundesregierung solche Machtmittel einsetzt, einsetzen darf, muß, aber als auch, weil ich ohne meine täglichen Gänge wohl ziemlich unfroh wäre. Aber, aber was? Aber wenn es hilft? Aber wenn es uns als Bürgern eines demokratischen Staates schadet? Ich weiß es nicht.

Frage: Nehmen wir an, die Isolation erfüllt ihren Zweck, lässt die Kurve flach oder zumindest flacher verlaufen. Dann wird sie irgendwann aufgehoben. Aber das Virus ist ja weiter da. Werden wir dann weiterhin infiziert, nur weniger gleichzeitig, bis die Herdenimmunität greift?
Ich wünschte, ich hätte einen wissenschaftlicheren Kopf. Habe ich aber nicht, und so wabert in meinem Kopf ein Gemansche von "Contagion", Camus' "Die Pest", The Walking Dead herum. Mit ein bisschen "1984" Paranoia zur Würze.

Ich habe Zeit zum Denken, aber alleine zu denken ist nicht so produktiv, wie in einer Gruppe von schlauen Leuten. Ich neige dazu, in Kreisen, in Loops stecken zu bleiben.

Morgen esse ich Hühnersuppe, dann geht es mir besser.

DER TIERGARTEN








Freitag, 20. März 2020

Das C-Wort IV

Ich habe den Eindruck, dass dieses Übermaß an freier Zeit mein Gehirn langsam aufweicht. Gibt es eigentlich Studien über Isolationszeiten und IQ-Verlust? 
Der aktive Höhepunkt meines heutigen Tages war der Erwerb einer Flasche Desinfektionsmittel in der Apotheke meines Vertrauens. 
Wenn ich DRAUSSEN bin, weichen Menschen bei meinem Anblick ungelenk aus, ich tue desselben. Man will den Anderen nicht kränken, tut es aber doch. Er könnte der potentielle Infektor sein. Der Amazon-Bote eröffnet das Gespräch mit dem Hinweis auf seine Diabetes, die ihn angreifbar macht.
Habe ich Halsschmerzen? Nein. Huste ich? Ja. Aber nicht trocken. Nur mein üblicher Raucherhusten. Kein Fieber. Kein Verlust von Geschmacks- oder Riechfähigkeit. Ich bin, im pandemischen Sinn, gesund.
Schöne Telefonate mit Familie & Freunden, Pina Bauschs "Kontakthof" auf youtube, meine Bücher gesichtet und viele aussortiert. So ordentlich werden unsere Schränke, Gärten, Wohnungen wohl noch nie gewesen sein.
Die Nachrichten hämmern auf mich ein. Ich weiß, ich sollte ausschalten, kann mich aber nicht entschließen.
Das die Jungen weiterfeiern, kann ich noch irgendwie verstehen, auch ich dachte mit 18, dass ich unsterblich und immer im Recht bin. Aber Verkäuferinnen anspucken, weil sie die dritte Packung Toilettenpapier verwehren? Alte Leute anhusten unter "Corona, Corona" Rufen?
Ausgangsbegrenzungen, gar Ausgangssperren werden nun erwogen. Was heißt das für unsere Zukunft? Die Grenzen wurden bereits geschlossen, nun wird höchstwahrscheinlich auch noch unsere Bewegungsfreiheit extrem eingeschränkt. Ein Teil meines Hirns stimmt zu, weil ich möchte, dass so wenig Menschen wie möglich sterben. Der andere Teil erschrickt. Wenn das Gift der Allmacht erst geleckt wurde? Paranoia oder Realismus?
Und trotzalldem geht es mir so sehr gut, so unvergleichlich gut, im Vergleich zu anderen. Und das sind viele. Alle Bewohner der sogenannten "Dritten Welt", die der unzähligen Flüchtlinglager. 
Huren dürfen nicht mehr arbeiten, Schauspieler auch nicht. Kleine Filmtheater, Galerien, Kabretts, Clubs, Bars, Boutiquen, Theater, Museen, Opernhäuser, geschlossen, die Liste ist lang. Meine Vergnügungen, geschlossen.
Am Ende von diesem Irrsinn werde ich entweder nur noch Hildegard von Bingen Zitate kopieren oder ganz neu über die Welt denken. Who knows.
Was mir mächtig auf die angestrengten Nerven geht, sind die vielen kleinen Propheten der Apokalypse, die jetzt in den Medien den Moment ihrer Wichtigkeit gekommen sehen. Keiner von uns weiß genau, wie schlimm es wird. Oder wie gut es ausgehen wird. Selbstgerechtigkeit ist für mich eine der unangenehmsten menschlichen Eigenschaften. Die Freiheit von Zweifel, ist die Freiheit von Empathie und Widerspruch. Es ist diktatorisch. Und so lange es meine intellektuellen Fähigkeiten zulassen, verteidige ich mein Recht unsicher zu sein.
Und zum Abschluss einen ernstgemeinten Dank an alle, die weiterarbeiten, weil es notwendig ist, die mir, sollte es dazu kommen, helfen, damit ich überlebe.



Donnerstag, 19. März 2020

Das C-Wort III

WIKI SAGT: Viren (Singular: das Virus, außerhalb der Fachsprache auch der Virus, von lateinisch virus, natürliche zähe Feuchtigkeit, Schleim, Saft, [speziell:] Gift‘) sind infektiöse organische Strukturen, die sich als Virionen außerhalb von Zellen (extrazellulär) durch Übertragung verbreiten, aber als Viren nur innerhalb einer geeigneten Wirtszelle (intrazellulär) vermehren können. Sie selbst bestehen nicht aus einer oder mehreren Zellen. Alle Viren enthalten das Programm zu ihrer Vermehrung und Ausbreitung, besitzen aber weder eine eigenständige Replikation noch einen eigenen Stoffwechsel und sind deshalb auf den Stoffwechsel einer Wirtszelle angewiesen. Daher sind sich Virologen weitgehend darüber einig, Viren nicht zu den Lebewesen zu rechnen. Man kann sie aber zumindest als „dem Leben nahestehend“ betrachten, denn sie besitzen allgemein die Fähigkeit zur Replikation und Evolution.

Proben abgebrochen, von Bremen nach Hause gefahren, das Leben ist anders. Die diesem "Leben nahestehenden" Dinger lungern überall herum, infizieren Tausende und manche, nicht wenige, vorzugsweise Ältere und Kranke, töten sie.
The Worst case scenario -  Das Szenarium für die schlimmste Variante - Drei Monate oder mehr "social distance". Blödes Wort, soziale Nähe geht auch ohne körperliche, oder? Drei Monate oder mehr und sicher bald das Ausgehsverbot, weil Leute halt gern Regeln ignorieren. Ich kenne diese Trotzhaltung von mir selber. Geht jetzt aber nicht, wegen der Alten und Kranken. Wir sollten uns vorstellen, wir seien infiziert, dann machen die Regeln Sinn. Ein kleiner Schnupfen, ein schwacher Husten, nix wirklich störendes, können für einen anderen Menschen Atemnot, Lungenentzündung, Erstickung bedeuten.
Also nehmen wir mal an: Drei Monate oder mehr. Vorrausgeschickt, ich lebe im Paradies im Vergleich zur überwiegenden Mehrheit der Menschheit. Ich lebe allein, bin nicht in finanzieller Not, welch Privileg in dieser Zeit, eigentlich in jeder Zeit, das Internet und das Telephon funktionieren, es gibt Lieferdienste, meine Wohnung ist warm.
Drei Monate oder mehr. März bis Juni, Juli. Der Frühling, der Sommeranfang. 24 Stunden täglich ohne meine gewohnte, geliebte Arbeit. Ohne Kneipen, Theaterbesuche, gemeinsame Essen, Kino, Museen, Nichtenbesuche, einen Handdruck hier und eine Umarmung da. Wie wird das, so auf mich zurückgeworfen zu werden?
Nebenthema. Warum Toilettenpapier? Was macht diese Papierstreifen so wertvoll? Wir leben in Mitteleuropa, wir haben eine Dusche, fließendes Wasser. Aber Toilettenpapier ist eine kulturelle Errungenschaft, wir wollen uns der Realität unserer Exkremente nicht mehr aussetzen. Meine Mutter erzählte gern, wie sie Freunden ihr blondes, dickes Baby vorführen wollte und eben jenes Baby sich wolllüstig mit der eigenen Kacke eingeschmiert hatte.
Drei Monate oder mehr.


Sonntag, 15. März 2020

Das C-Wort II

Wir probieren in einem Theater, dass nicht mehr für sein Publikum spielen darf.
Wir treffen uns immer noch zu unserer täglichen Arbeit.
Früh und Abends.
Aber wir alle haben Kinder.
Eltern.
Großeltern.
Um uns herum verändert sich gerade alles.
Grenzen werden geschlossen, Regale sind leer, Versammlungen sind verboten.
Oberflächliche Erinnerungen an die DDR werden wach.
Europa. Die EU. Werden diese Risse post-Corona wieder verheilen?
Wann ist das?
Ich fasse möglichst nichts mehr mit meinen Händen an, das ich nicht persönlich kenne.
Huste ich den gewohnten Raucherhusten oder klingt der heute etwas anders?
Mein Mißtrauen gegen irgendwas, das ich nicht einmal benennen könnte, bleibt bestehen.
Aber.
Aber. Wir werden nicht weiterprobieren. Mein Theater-Herz wird etwas zerbrechen. Wie schon öfter zuvor.
Aber diesmal ist es auch anders.
Größer. Unverständlicher. Unhandbarer.
Wie lange wird das dauern?
Bis nach Ostern?
Bis in den August?
Kinder ohne Freunde, ohne Schule, ohne Großeltern.
Jugendliche ohne Tanz und Gedankenlosigkeit, ohne Körpernähe.
Erwachsene ohne ihre üblichen Ablenkungen, mit Dauersorgen. Sozialdistanz? Gräßliches Wort.
Aber notwendig.
Aber was benötigen wir jetzt mehr als soziale Nähe?
Nähe ohne Körperkontakt.
Unvorstellbar, wenn die digitale Welt zusammenbräche.

das besondere ist nicht, dass etwas nicht mehr funktioniert, sondern dass es überhaupt jemals funktioniert hat 
pollesch

Donnerstag, 12. März 2020

Das C-Wort

CORONA 

Hilflosigkeit & Handlungsunfähigkeit sind körperlich intensiv spürbare Gefühle.

Ich weiß, das mein Rauchen zu Lungenkrebs oder Ähnlichem führen kann. Ich könnte aufhören und meine Chance auf ein längeres Leben würden sich erhöhen.
Ich altere dem Tod entgegen, wie alle anderen Menschen auch, das ist nicht immer angenehm, aber unvermeidlich und letztendlich die gerechteste Sache überhaupt, denn wir alle sterben. Über die Fairness des wie und wann können wir streiten und die Wahllosigkeit der Auswahl verunmöglicht mir den Glauben an irgendeinen Gott.

Aber jetzt dieses C-Ding. Aus unzähligen Filmen habe ich einen Vorrat von Tsunami-Wellen-Bildern im Kopf, und immer stehen Leute herum und starren, bevor sie, viel zu spät, anfangen wegzurennen. Und jetzt, ohne jede Möglickeit mich zu verhalten, stehe ich, mir brav die Hände waschend, zwischen Tsunamiwellen, die aus unterschiedlichen Richtungen auf uns heranrollen, und bin hilflos und handlungsunfähig.

Sollen wir morgen eine öffentliche Probe abhalten? Ist das wichtig? Wird überhaupt jemand kommen? Ist das wichtig? Unser Publikum ist eher dem älteren Bevölkerungsquadranten zugehörig, der besonders gefährdet ist, könnten wir sie gefährden? Wird es überhaupt eine Premiere im April geben, wenn, laut Aussage des Chef-Virologen der Berliner Charité, die Infektionswelle erst im August ihren Höhepunkt erreichen wird? Ist das wichtig?

Was tue ich dann zwischen jetzt und August?

Eine wahrhaft neue und äußerst unangenehme Erfahrung. Niemand den ich hassen kann, niemand den ich bekämpfen kann. Kismet.

Ein Virus.

Übertreiben all die Fachleute? Die WHO und die Ärzte? Ist die rechte Zeit für paranoide Verschwörungstheoretiker gekommen? Oder müssen wir uns beugen und die Welle in Demut und unter größtem möglichen Widerstand und mit größt möglicher Hoffnung über uns rollen lasssen?

Ich weiß es nicht.


Samstag, 21. Dezember 2019

ABSCHIEDSDINNER, eine französische Komödie für drei Schauspieler*innen

Plötzlich ist man um die Vierzig. 

Das Leben ist gut, aber nicht wirklich gut.
Die Ehe läuft, die Kinder wachsen, der Job zahlt.
Er zahlt sogar sehr gut, zu gut.

Aber es gab einmal wildere Träume und höhere Ziele.
Es gab Kühnheit und Übermut.

Jetzt herrscht unbestimmte Unzufriedenheit.
Der Ausweg?


DAS ABSCHIEDSDINNER.
 

Was ist das?
Freunde, die ausgedient haben, werden elegant abgestoßen.
Damit das Leben wieder aufregender, stromlinienförmiger, spannender wird, 

werden nervende Freunde eingeladen, umsorgt, verwöhnt, umschmeichelt und anschließend kalt aussortiert.
Gewachsene, gelebte, nachhaltige menschliche Beziehungen werden als Belastung, als Hindernis, als Spaßbremse empfunden und verurteilt.  

"Das Prinzip des Abschiedsdinners ist, dass du als einziger weißt, dass es ein Abschiedsdinner ist." 

Wie hält man solche Brutalität im Rahmen der behaupteten Komödie?
Ein Mann hackt sich ein Bein ab, damit er schneller laufen kann.
Dem anderen Mann wird das Herz gebrochen und er besteht auf Wiedergutmachung.
Eine Frau hofft, dass ihr Mann ihr nicht gänzlich verloren gegangen ist.

Es ist alles so sehr traurig und so sehr lächerlich.
Die Gelbwesten kommen nicht vor.
In "Den Tagen der Commune", meiner letzten Arbeit, 
fraß die Revolution ihre Kinder, 
hier wird die versprochene Suppe nie gegessen.
Die Seelen-Kannibalen fressen einander, um zu überleben. 
"Meine" Spieler sind großartige Nahkämpfer. Sie lassen nicht locker. 
Ich auch nicht.

Einander erkennen
Nähe aushalten, heißt ertragen, dass einer weiß, wie du wirklich bist. 
Adam und Eva erkennen ihre Nacktheit.
Woraufhin sie sich Kleidung aus Feigenblättern anfertigen.

Ein tolles Stück.
Ein schweres Stück.
So, wie es sein muß. 


Samstag, 14. Dezember 2019

Warum ich Proben liebe.


Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch ’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
b.b.
Der Rest des Liedes würde nicht passen, also habe ich es mir hier passgerecht beschnitten. 
Du liest ein Stück, einmal, zweimal, mehrmals, du informierst Dich, Du denkst nach, hörst die entsprechende Musik, googlest herum, liest, fragst rum, grübelst, phantasierst. 
Du "machst einen Plan". 
Du berätst Dich mit Bühnen- und Kostümbilner*innen, mit Dramaturg*innen, eine Bauprobe folgt, unzählige Kostümskizzen und Links zu interessanten Essays erreichen Dich. 
Der Plan wird klarer. Auf geht's.
Dann trifft Dein Plan auf drei gestresste Schauspieler in zusammengestoppelten Probenkostümen auf einer halbzugemüllten Probebühne. 
Es sind drei, zwei Männer, eine Frau. Ganz verschieden und eine perfekte Mischung. Eigen, eigenartig, fleissig, wagemutig, albern und wild entschlossen, dem Stück auf den Grund zu kommen.
Ups.
Nebenbei spielen sie noch ungefähr zweihunderdreiundsiebzig laufende Vorstellungen. Es ist Dezember und somit der Monat des Weihnachtsmärchens, der extra-angesetzten Kindervorstellungen als Vervollständigung des normalen Theaterwahnsinns.
In diesem Fall stellt sich auch noch, überraschenderweise, heraus, dass der Übersetzer selbstständig großzügig gestrichen, einige Regieanweisungen erfunden und auch noch anderes Eigenes eingefügt hatte. Wir hatten eine Fassung, nicht das Stück. 
Ups.
Mein Plan ist im Eimer. Großartig. Die Proben  können beginnen.
The proof of the pudding is in the eating. Der Pudding erweist seine Qualität beim Essen.

Ich befinde mich nun in einem Liebesverhältnis mit drei Schauspielern, die ich vor drei Wochen noch gar nicht kannte. Einem platonischen. Und einem mit der Souffleuse, die ein seltener Schatz ist.
Was will ich lieber, einen Plan oder das Risiko der Liebe?

Freitag, 6. Dezember 2019

Es war die beste Zeit, es war die schlimmste Zeit - Ein Zitat

It was the best of times, it was the worst of times, it was the age of wisdom, it was the age of foolishness, it was the epoch of belief, it was the epoch of incredulity, it was the season of Light, it was the season of Darkness, it was the spring of hope, it was the winter of despair, we had everything before us, we had nothing before us, we were all going direct to Heaven, we were all going direct the other way – in short, the period was so far like the present period, that some of its noisiest authorities insisted on its being received, for good or for evil, in the superlative degree of comparison only.
A Tale of Two Cities Charles Dickens

Es war die beste Zeit, es war die schlimmste Zeit, es war das Zeitalter der Weisheit, es war das Zeitalter der Dummheit, es war die Epoche des Glaubens, es war die Epoche des Mißtrauens, es war die Jahreszeit des Lichts, es war die Jahreszeit der Dunkelheit, es war der Frühling der Hoffnung, es war der Winter der Verzweiflung, wir hatten alle Hoffnung, wir hatten keinerlei Hoffnung, wir alle würden geradewegs in den Himmel kommen, wir alle würden geradewegs in die Hölle kommen - kurzgesagt, die Zeit war so sehr wie die jetzige Zeit, dass einige ihrer lautesten Autoritäten darauf bestanden, sie sollte, um jeden Preis, nur im superlativen Grad des Vergleichs betrachtet werden.

Die Geschichte zweier Städte Charles Dickens 

Montag, 18. November 2019

Dystopische Ängste

Müssen wir wieder aufpassen, was wir heute sagen oder schreiben, weil es bald alles anders sein könnte?
Für mich ist es eh zu spät. Jüdin und links, wtf?
Ein ehemaliger Freund denunziert jemanden, weil der Verständnis für Hitlergrußzeigende verwirrte Jugendliche formuliert.
Sind wir wirklich wieder an dem Punkt, an dem wir uns gegenseitig melden, denunzieren? Der letzte Schuft im ganzen Land / ist und bleibt der Denunziant. Aber es scheint nicht dasselbe, weil in der BRD solch eine Meldung legal und ja jusitiabel ist.
In meinem nächsten Umfeld verwandeln sich mehr und mehr einzelne Freunde in scheinbar psychisch verstörte Menschen. Oder ist es der enorme äußere Druck von Politik, Gesellschaft und simplem Überleben, der sie so verändert?
Kein Zuhören - fast nirgendwo.
Behauptungen werden aufgestellt, Antworten nicht gehört, Selbstgerechtigkeit, Selbstgewißheit der eigenen Überlegenheit, wird unantastbar, Empathie, Interesse an der Situation, der Bemühung um Verständigung des Anderen wird zur vernachlässigbaren Qualität. Aggressive Vorwürfe werden ausgeteilt, aber nicht angenommen. Der Bereich unter der Gürtellinie wird zum gewöhnlichen Kampfschauplatz.
Ich verliere Menschen, die ich schätze, weil sie sich selbst und ihre Fähigkeit zum Diskurs vergessen.
S... argumentiert nur mehr mit sich selbst. Ihre hohe Intelligenz hat jeden Kontakt mit der Realität verloren.
M... mutierte zu dem Parteisekretär, den er nie kennenlernen mußte. Er weiß alles, beurteilt alles, verdammt alles.
Ich bin sehr unglücklich.
Was ist mit uns, den unter dem Begriff irgendwie "Linke" eigentlich Vereinten los? Wir sind so versessen darauf, allein Recht zu haben, im Besitz der wirklich wahren Wahrheit zu sein, dass wir einander brutal in die Fresse schlagen und glauben, wir kämpften den einzigen gerechten Kampf. Während die anderen, unsere wirklichen Feinde, Informationen sammeln und unangreifbar sind, weil sie, bewaffnet mit einer deutsch-nationalen-faschstoiden Ideologie simple Menschlichkeit leicht vernachlässigen können und an immerwährend an Gebiet gwinnen.
VERGESST NICHT:


https://www.n-tv.de/politik/Viele-Deutsche-wollten-Hitler-article10023856.html

Sonntag, 10. November 2019

Pollesch und Hinrichs im Friedrichstadtpalast

WARUM MACHEN LEUTE SELFIES? WEIL SONST KEINER DA IST.

Der Friedrichstadtpalst und Der Neue Friedrichstadt Palast
Clown Ferdinand hat damals im Friedrichstadtpalast im Weihnachtsspektakel gespielt, damals als ich noch Kind war und das Gebäude noch Am Zirkus stand. Wir wohnten in der Reinhardtstrasse. Vorn war die "Große Melodie", in meiner Teenagerzeit jeden Montag Jazz und Rum-Cola. Hinten, am Bühneneingang, gegenüber vom BE, rauchten die Tänzer und Tänzerinnen, die letzteren hatten Beine bis zum Hals und waren unvorstellbar schön.
Als Risse im Gemäuer, typisch für unser sumpfiges Berlin, den Bau befielen, wurde flux ein neues Haus gebaut, direkt an der Friedrichstrasse, genannt "der Kulturpalast von Damaskus", wegen seiner bunten, orientalischen Dekoration. Wir waren mittlerweile umgezogen in die Friedrichstrasse 133, genau gegenüber des neuen Gebäudes. Bombastisch, häßlich, aber er funktionierte - es strömte. "Der Kessel Buntes" wurde dort aufgezeichnet, ich saß im halbrunden Saal, 2500 Menschen schunkelten und ich wurde seekrank.

Die heutigen technischen Möglichkeiten der weltweit größten Bühne sind beneidenswert und  irrwitzig, Wasserbecken, Eisfläche, Flugwerk, Lasershow und und und und. Der Laden läuft und hat sich trotzdem auf dieses Wagnis eingelassen und scheint erstaunt aber froh, ob des Riesenerfolges.

Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt
Um 19.30 Uhr heute Abend betritt diese Bühne vor proppevollem Zuschauersaal ein blonder Mann mit Pumphose, prächtiger Weste und mächtigem Kopfputz. Er beginnt zu sprechen, entledigt sich seiner pompösen Kostümierung, den Rest des 80 Minuten Abends wird er, sehr lang, sehr schmächtig und geradezu absichtsvoll geschlechtslos, in einem goldenen,  glitzernden Ganzkörperkondom verbringen, mit einigen roten Zutaten. Ihn unterstützen dabei Tänzer des Balletts des Friedrichstadtpalastes. Im Spiegel schrieb Wolfgang Hobel sehr schön: " Zwei sich gewöhnlich ignorierende Theaterwelten werden kurzgeschlossen." Und es entsteht Sehnsucht, beidseitig.

Das Schönste
Am Schönste ist es, wenn F.H. mittanzt, immerzu sprechend, tanzt er im Zitat, Perfektion unterlaufend ohne Eitelkeit, denn für mehr als die Andeutung hat er nicht das Talent, aber auch keine Zeit, weil er Fragen hat, die dringend nach Antworten suchen. Deshalb muß er immerfort reden, laufen, mitrennen. 

"Sollten wir Hoffnung haben? Warum wollen wir Hoffnung haben?" 

Die Tänzer
27 Tänzer eines der berühmtesten Varietes der Welt, sie sind in ihrem Genre, die Besten der Besten. Und sie lassen sich, wie ich gehört habe, freiwillig, auf dieses Experiment ein. Nahezu nackt, ungeschützt, stellen sie sich zur Verfügung. Mal chorisch sprechend, mal zuhörend, manchmal tanzend, anders als sonst, in Gruppe aber karger.

Fabian Hinrichs
Manchmal schweigt er auch und eine Showtreppe verändert ihre Wirkung, wenn ein einzelner Mann sie langsam hoch und runter läuft. Dann laufen die Tänzer auf und ab und ihr Gang ist der des trainierten Tänzers, seiner ist ein humpelnder Gang.
Hat der eine Kondition, meist ohne Mikrophon und heute auch noch mit geschientem Bein füllt er den Raum mit seinem Interesse. Wenn das Wort "cool" eine Personifizierung hätte, wäre es F.B., cool, intelligent, albern und sehr, sehr traurig. 

René Pollesch
Überraschend und berührend, das in dieser grandiosen Kulisse mit technischen Tricks vieler Art, Pollesch uns seinen vielleicht persönlichsten Text anbietet. Wo die Fiktion beginnt und die Realität beginnt, bleibt ungewiss und ist auch egal. Vereinzelungszusammenhang, Verwertungslogik. Verwertbarkeit. Einsamkeit in den Variationen, die der Kapitalismus bietet.
"Ich brauche dich mehr, als --- ein Buch."

Das Ende
Vor einem Sternenhimmel dreht sich schwebend der goldene Fabian Hinrichs um seine eigene Achse. Hoffnung ist Show, nötig und bedarf der technischen Unterstützung.

Freitag, 8. November 2019

An Anonym

Nicht sehr viele Menschen kommentieren meinen Blog, und das ist ok. Ich bin schon sehr froh, dass ihn so viele Menschen lesen.
Aber ich habe einen besonders anhänglichen Reagierenden, und auch wenn dies paranoid klingen mag, es scheint mit immer die gleiche Person zu sein. Anonym wird äußerst aggressiv, wenn ich um die Nennung seines/ihres Namens bitte. Anonym hat einen besonderen Ton, den Ton eines deutschen Oberlehrers / einer deutschen Oberlehrerin, und versucht doch, sich als verschiedene Anonymas darzustellen.
Google-Blogs erlaubt mir nicht, zwischen namentlich bezeichneten und anonymen Kommentatoren zu unterscheiden. Entweder alle oder keiner. Also kann ich ihn/sie nicht blocken.
Anonym ist ein Besserwisser, ein Rechthaber und mag mich nicht. Das ist sein/ihr gutes Recht.
Aber Anonym hat nicht den Mut sich sichtbar zu machen. Sie oder er, ich tippe auf sie, gerät geradezu in Wallung, wenn ich eine Namensnennung erbitte.
Detlef Zöllner ist ein treuer Unterstützer. Dank dafür.
Also hier, in meiner Öffentlichkeit, Anonym, sie sind feige. Sie lassen nichts gucken als ihre Überlegenheitsphantasien. No risk, no fun.