Mein Beruf ist nicht im geringsten systemrelevant, er ist wunderbar, gelegentlich idiotisch, aber systemisch wertlos, weil das, was ich schaffe, nicht börsenwirksam verwertbar ist, nur einem einzigen Zweck dienend, zu unterhalten.
Vorgestern haben wir, mein Bremer Truppe der Nibelungen, zwölf an der Zahl, drei Stunden über Zoom kommuniziert, "geprobt", sehr seltsam, erschöpfend, aber doch beglückend. Leider kann man nicht durcheinander reden, was blöd ist, denn das braucht's notwendig zum Probieren.
Wie wird unsere Zukunft aussehen? Homeoffice ist nicht möglich, Schweiß, Spucke und Anfassen, eigentlich alle jetzt so sehr gefährlichen Dinge, sind notwendige Bestandteile unserer Arbeit. Ob sich ein gänzlich neuer Spielstil entwickeln wird, gerade nach vorn und ohne Körperkontakt? Frau Kennedy, Sie wären eine Vorreiterin, mit Ihrer Vorliebe für Latex-Vollmasken und, wenn keiner spricht, werden auch weniger Tröpfchen in der Luft verteilt. Posthuman. What the Fuck! Eigentlich müssten wir jetzt doch noch menschlicher, haptischer, riskanter arbeiten.
Erstaunlich, wie ich mich über Winzigkeiten freue, den Kaffee von meiner kleinen, um ihr Überleben kämpfenden, Konditorei. Über die Sonne, die scheint, den sehr persönlichen Strauch, der blüht, die unglaublich netten Verkäufer und Verkäuferinnen bei "Butter Lindner". Ich bin gut dran mental noch aufnahmebereit und höchst privilegiert, weil ohne existentielle soziale Sorge, nur der um mein Leben, als 61-jährige schwere Raucherin. Also nur mit der Angst aller belastet, die alt, oder vorerkrankt oder sonstwie beschädigt sind. Ja, ich weiß, ich bin, im Gegensatz zu vielen Bedrohten, selber schuld.
( Da dräut im Hintergrund ein unangenehm darwinistisches Denken, retten wir die Wirtschaft, lasst die Alten sterben, die paar Jahre mehr oder weniger, machen den Kohl auch nicht fett und der Rentenkasse täte es auch gut. Mal gucken, was da noch kommt, wenn noch mehr Zeit vergeht mit uns und diesem Virus. )
ABER auch:
Das Spazierengehen, dass ich gar nicht mag in normalen Zeiten, aber jetzt liebe, weil ich mich da mit lieben Leuten verabreden kann, um zu quatschen, anzugucken, zu lachen. Den Tiergarten kenne ich mitlerweile besser als meine Hosentasche und meine Freundinnen nennen mir geduldig zum zehnten Mal die Namen von Blumen und Bäumen, an denen ich, die sonnige demente Tante mich erfreue und sofort wieder vergesse.
Das Kochen, das ich genieße, weil ich mich dabei konzentrieren und Geduld haben muß. Herrn Ottolhengi und Frau Nigella Lawson verleihe ich den Corona-Preis in der Sparte Genüsse, welche in Zeiten ohne Körperkontaktmöglichkeiten, nicht zu verachten sind.
Das Lesen in der Badewanne. Noch sind es Krimis, Literatur wird's erst wieder, wenn ich das Nibelungen-Ungetüm aus dem Kopf habe. Ein Meter Bücher zum Thema, Irrsinn, wer sich alles mit welch speziellen Unterthemen mit dieser wüsten Geschichte beschäftigt hat!
Das Auf-, bzw. Ausräumen. So ordentlich waren meine Kisten, Schränke und Schubladen noch nie.
Der Frühling!!!
MEIN SELFIE:
...Du hast auch uns noch...wir sind Künstler und wir werden damit fertig...sind wir immer geworden. Ullrich hat mir im Oderbruch immer gesagt....wir sind stark.
AntwortenLöschenKuno, Henschel-Schauspiel hat dieses Versprechen immer wieder erneuert...so war es immer, so wird es bleiben ! Das galt für Müller und Weissenborn ebenso. Der beste Verlagsleiter der DDR. Heute liegen Felsensten und Kuno in einer Reihe in Kloster / auf der Insel Hiddensee.
liebe Johanna Schall, ich liebe Ihren Blog, auch wenn ich 15 Jahre älter bin, und Sie schon in Frühlingserwachen gesehen habe.
AntwortenLöschenSchriftsteller haben es jetzt gut, sie werden nicht abgelenkt.. aber um alle Tänzer, Musiker,Sänger, Schauspieler tut es mir soooo leid und hoffe die Einschränkungen sind bald vorbei.
Lieber Herr Dietrichz! Geben Sie gut auf sich acht! Ja, unser geliebtes Theater wird es noch eine ganze Weile sehr schwer haben. Wir, meine Theatertruppe, hatten gerade ein digitales Treffen, schwankend zwischen Arbeitslust und Traurigkeit. Lassen Sie uns das Beste erhoffen. Mit liebem Gruß, Johanna Schall!
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