Mittwoch, 1. April 2020

Das C-Wort XI - Wie es so ist.

Wir alle sind am Lernen. Wir üben, nicht durchzudrehen, und doch vorsichtig genug zu sein. Maske in Läden, Maske im Nahverkehr, Handschuhe immer. Ich rede mit Freunden, es sind gute Gespräche, sehr verschiedene Sichten, ähnliche Sorgen. Wie lange wird diese Krise dauern? Was wird danach geschehen? Wird die Welt, die wir kennen, DANACH eine andere sein? Oder vergessen wir dies alles so schnell wie möglich?

Eduard Fuchs hat einst eine llustrierte Sittengeschichte in sechs Bänden veröffentlicht. Damals bevor die Pest kam, waren die Regeln streng, dann starb ein Drittel der Bevölkerung, die Regeln wurden gelockert, die Einwohnerzahl wuchs auf die Vorpestzahl und flugs wurde die Moral angepasst, die katholischen Umgangsformen griffen wieder.  



FACTFULLNESS 

Hans Rosling, Anna Rosling Rönnlund, Ola Rosling

Hat sich der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, in den zurückliegenden 20 Jahren verdoppelt, deutlich mehr als halbiert, oder ist er gleich geblieben? Insgesamt ein Dutzend solcher Fragen hat der 2017 verstorbene Hans Rosling mehreren tausend Menschen in verschiedenen Ländern gestellt. Der Professor für Internationale Gesundheit am schwedischen Karolinska-Institut arbeitete als Berater für die Weltgesundheitsorganisa­tion und das Kinderhilfswerk UNICEF und gründete gemeinsam mit seinem Sohn Ola Rosling sowie seiner Schwiegertochter Anna Rosling Rönnlund die Gapminder-Stiftung zur verständlichen Aufbereitung von Statistiken.


Anhand statistischer Daten zeigt der Forscher in diesem Buch, dass es den Menschen insgesamt besser geht. Der Anteil der in extremer Armut Lebenden hat sich weltweit mehr als halbiert, und 80 Prozent der einjährigen Kinder sind geimpft. In Ländern mit niedrigem Einkommen besuchen inzwischen 60 Prozent der Mädchen die Grundschule. Auch zu diesen Themen hatte der Autor zahlreiche Probanden von verschiedenen Kontinenten um ihre Einschätzung gebeten.
Rosling überraschte, dass die Menschen die Lage oft viel düsterer sehen, als mithilfe der Daten belegbar ist. Zum Beispiel beantworteten in Schweden und Norwegen nur 25 Prozent der Teilnehmer die Frage nach dem in Armut lebenden Anteil der Weltbevölkerung richtig, in Großbritannien nur neun und in Deutschland sogar nur sechs Prozent. Selbst Fachleute wie Universitätsprofessoren, Investmentbanker oder Journalisten lagen daneben.
Rosling fragte sich, worauf diese Fehleinschätzungen zurückzuführen seien. Dazu identifizierte er zehn verschiedene menschliche "Instinkte": etwa den der "Kluft", der "Negativität", der "Angst", des "Schicksals" und der "Schuldzuweisung". Sie alle seien in einem Millionen Jahre währenden Evolutionsprozess entstanden und hätten dazu beigetragen, dass sich der Mensch in einer feindlichen Umwelt zurechtfinden, Gefahren rechtzeitig erkennen und sich gegen sie behaupten könne. Zwar seien diese Instinkte heute noch wichtig, sie führten aber immer wieder zu einer verzerrten Weltsicht.
Jeden neuen Buchabschnitt widmet der schwedische Mediziner einer andereninstinktiven Denkweise, deren wichtigsten Eigenschaften er am Kapitelende zusammenfasst. Zugleich gibt er Tipps, wie man mögliche Denkfallen umgehen kann. So verleite der "Instinkt der Kluft" dazu, die Welt in Extreme zu unterteilen, etwa in Arm und Reich, Entwicklungs- und entwickelte Länder. Die Situation aus einer Vogelperspektive zu betrachten, helfe dagegen, die vielen dazwischenliegenden Schattierungen zu erkennen und die eigene Sichtweise zu relativieren.

https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-factfulness/1570136 

6 Kommentare:

  1. Dem letzten Absatz der Rezension kann ich nur zustimmen. Der Titel des Buches ist eine intellektuelle Zumutung. Mittels einer Statistik, die, so richtig die Daten auch sein mögen, an der tatsächlichen Situation, in der sich diese Generation am Scheideweg zu einer Welt, die künftigen Generationen eine reelle Chance bietet oder diese Chance mit allen Mitteln eines ungebremsten Wirtschaftswachstums, euphemistisch ausgedrückt: auf ein Minimum reduziert, ändern sie nichts. Stattdessen sollen uns diese Daten mit dem Hinweis darauf, wie gut es uns geht, beruhigen. Für mich ist das keine Leseempfehlung.

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  2. Ich sehe den Nutzen des Buches nicht in der Beruhigung, sondern in der Klärung. Es gibt mir die Möglichkeit meinen Blick zu justieren. Kindersterblichkeit, Hungertote, Impferfolge und Ähnliches sind ja keine unwesentlichen Faktoren. Darüber vergesse ich doch nicht die anstehenden großen Probleme, oder?

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  3. Es kommt natürlich immer darauf an, wie man ein Buch liest. Sie heben dhervor, daß dieses Buch dazu beiträgt, Ihren Blick neu justieren. Für mich ist es die therapeutische Funktion, uns von unseren Sorgen und Ängsten zu befreien, die meine Besorgnis auslöst. Denn so ein Seditativum hat eine breite Streuwirkung und wirkt in alle Richtungen. Ich finde das Bewußtsein, daß es uns doch eigentlich ganz gut geht, eher zynisch. Denn es geht auf Kosten anderer Menschen, in der Gegenwart und in der Zukunft.

    Natürlich möchte ich nicht darauf verzichten, daß es mir gut geht, und ich schaffe mir Gelegenheiten des Gutgehens, wo immer ich kann. Und ich geniße, was mir gegeben wird in vollen Zügen. Aber zugleich übe ich mich in Verzicht, und ich denke, daß dieser Verzicht, recht verstanden, den Genuß vermehrt, als ihn zu mindern. Der Verzicht aber ist darin begründet, daß ich es mir so wenig wie möglich auf Kosten anderer gutgehen lassen möchte.

    Das Buch mit seinem unsäglichen Titel aber vermittelt uns lediglich, daß wir uns keine Sorgen machen müssen und daß alles nur noch besser werden kann, denn der Fortschritt hat uns ja so viele schöne Dinge gebracht. Es verführt dazu, sich im Immer-weiter-so einzugraben.

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    1. Ist schon verrückt. Inzwischen frage ich mich, warum ich mich eigentlich so über dieses Buch aufrege. Ich komme immer wieder auf den Titel zurück: "Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist". Auf diesen Anspruch, zu wissen, was wirklich ist, treffe ich öfters, und er stößt mich ab. Und dann auch noch im Zusammenhang mit Umfragen und statistischen Daten. Aber eigentlich kein Grund, jetzt gleich alles zu verurteilen, was das Buch betrifft. Und die Autoren sind ja auch alles ganz respektable Persönlichkeiten. Si tacuisses ...

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  4. Der Titel ist doch nur ein leicht augenzwinkernder Verweis auf die Ablehnunf vieler Menschen gegen Statistiken. And that thankfullness is a good thing, nicht Hinnahme, sonder Dankbarkeit, wie Sie das ja auch beschreiben. Das Buch behauptet nirgendwo, dass die Welt in Ordnung ist. Aber der so überaus oft genutzte Spruch: "Früher war alles besser." oder andersrum "So schlimm, wie jetzt, war es noch nie", wird mit Hilfe von Zahlen befragt. Und das finde ich legitim. Es hilft bei der realistischen Einschätzung der Lage, realistisch, nicht optimistisch wohlbemerkt.

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  5. Wahrzunehmen und anzuerkennen, was bereits geleistet werden konnte,um Nöte zu reduzieren, bedeutet nicht, einen Ist-Zustand als Optimum hinzunehmen, sondern überzeugt im Gegenteil als Ermutigung und Aufforderung zum Handeln - im Kleinen und im Großen.

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