Freitagabend Wiederaufnahmeprobe für "Das große Heft" von Agota Kristof in Stendal, meine Truppe ist wirklich stark, trotz oder wegen der Katastrophe bei unserer Premiere. Aber ernste Stücke haben es in nicht so großen Städten gerade sehr schwer, ihr Publkum zu finden. Viele kommen gar nicht erst, die anderen wollen lieber erleichternden Spaß, die Zeiten sind ihnen schon ernst genug. Was heißt das für uns?
Samstagfrüh die Trauerfeier für Alexander Lang im Deutschen Theater, ein guter Vormittag.
Er machte viele seiner Arbeiten in Zeiten, wo seine Zuschauer nach Ernsthaftigkeit, Widersprüchlichkeit, Wahrheitssuche lechzten. Diktaturen sind zumindest gut für Kunst. Stimmt das? Es gibt einen Feind und man darf ihn nicht beim Namen nennen, also muss man kunstvoll sagen, was man nicht sagen darf.
Samstag tagsüber versuche ich aus Satres "Der Aufschub" eine Lesefassung zu destillieren. Das braucht viel Zeit.
23.
– 30. September 1938, die acht Tage vor dem Münchner Abkommen, das den Krieg verhindern sollte und ihn doch nur aufschob. Man hoffte noch. Ein schwieriger Text, Herr Satre ist sehr bemüht, es einem schwer zu machen herauszufinden, wo eine Geschichte aufhört und die nächste beginnt, allerdings entsteht dadurch auch ein akutes Gefühl von Gleichzeitigkeit. Eine Fleißarbeit. Am Sonntag verbringe ich damit auch vier Stunden. Es werden noch viele mehr werden.
Am Samstagabend sehe ich: Ein Volksbürger - Eine politische Farce im Haus der Bundespressekonferenz mit Fabian Hinrichs als Ministerpräsident. Eine wirklich clevere Grundidee, aber es bleibt leider wenig übrig außer der Cleverness. Hinrichs erster Theaterabend nach René Polleschs Tod. Ich vermisse ihn sehr, aber wie sehr wird er ihn vermissen?
Heute, am Sonntagabend, Nick Cave in der Uber-Arena. Mein erstes Mal in einer solchem gigantischen Arena. Ich hasse große Konzerte, ich habe Platzangst, es sind zu viele Menschen und dann die Erinnerung an ein Bob Dylan Konzert in Treptow kurz nach dem Mauerfall. Ich bin während der Show der Vortruppe gegangen aus den oben genannten Gründen und dann habe ich Dylan-Platten zuhause gehört. Meine ultimate Blamage.
Heute war es gut.
Heute habe ich einem Künstler, der eine Gruppe von Mitgestaltern gefunden hat, Nick Cave AND The Bad Seeds, dabei zuschauen dürfen, wie er sein Leben in Kunst umformt. Der Mann ist nur ein Jahr älter als ich, 67, was für eine Kraft, was für Mitteilungswilen. Ein Gottesdienst ohne Gott.
Nicht ganz aktuell © Frans Schellekens/Redferns/Getty
"Diktaturen sind zumindest gut für Kunst. Stimmt das?"
AntwortenLöschenZumindest? - Wofür wären Diktaturen darüberhinaus gut?
Und gut für Kunst?
Ist das nicht auch eine der Legenden über die DDR, die immer wieder neu aufgelegt werden?
Ja, es gab neben viel Mist großartige Kunst im Osten, wach und schlau und kreativ!
Aber was ist mit den Künstlern, die von der Diktatur verstoßen wurden, die aus dem Land flohen oder vertrieben wurden, oder die resigniert verstummten, weil ihre Arbeiten gar nicht erst ihr Publikum finden durften?
Verstoßen wir sie heute nicht noch einmal, wenn wir dieses Wissen in der Betrachtung über Kunst in der Diktatur ausblenden?