Montag, 3. April 2017

Moses ist auch so ein schwieriger Punkt


Ich finde mich immer noch tief eingebuddelt in die Bibel. Ein immenser Sog geht von diesem Buch auf mich aus. Dies ist meine Mythologie, jede dieser Geschichten wirkt bis in meine Zeit, in mein Leben hinein. Ein hallendes Echo aus Zeiten lange vor mir, ein Schatten der auf mir liegt, der ich doch Atheist bin. Wir alle, Juden, Christen, Muslime & Abtrünnige tragen diese Geschichten in unserem zutiefst verstrittenen Unterbewußtsein. Manche rühren mein Herz, andere lassen es erstarren.
 
Moses von Michelangelo Buonarroti, Grab von Julius II, San Pietro in Vincoli, Rom
 
Ein einsamer Gott schenkt einem Volk, dass er sich unter mehreren möglichen Völkern als sein bevorzugtes ausgesucht hat,  ein ziemlich großes Stück Land. Sie müssen Vieles erleiden, bevor sie das Land erreichen,  Hungersnot, Fronarbeit, Tötung der männlichen Kinder in Ägypten, vierzig Jahre Wanderung durch die Wüste, aber nun sind sie sicher, dass alles gut werden wird. Sie erreichen das versprochene Land, nur leider wohnen dort dummerweise schon andere Völker. Was folgt ist eine Landnahme voll wunderbarster Geschichten und blutiger Attacken, überdeckt von einer dicken Schicht roher Gewalt und selbstgerechter arroganter Fühllosigkeit.
 
(5. Mose 21,18-21)
Wenn jemand einen widerspenstigen und ungehorsamen Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht gehorchen will, so sollen ihn Vater und Mutter ergreifen und zu den Ältesten der Stadt führen und zu dem Tor des Ortes und zu den Ältesten der Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist widerspenstig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Prasser und Trunkenbold. So sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass er sterbe.
 
(4. Mose 31,14-15)
Und Mose wurde zornig über die Hauptleute des Heeres, die Hauptleute über tausend und über hundert, die aus dem Feldzug kamen, und sprach zu ihnen: Warum habt ihr alle Frauen leben lassen?

(4. Mose 31,17-18)
So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind; aber alle Mädchen, die unberührt sind, die lasst für euch leben.

(5. Mose 20, 10-18)
Wenn du vor eine Stadt ziehst, um sie anzugreifen, dann sollst du ihr zunächst eine friedliche Einigung vorschlagen. Nimmt sie die friedliche Einigung an und öffnet dir die Tore, dann soll die gesamte Bevölkerung, die du dort vorfindest, zum Frondienst verpflichtet und dir untertan sein. Lehnt sie eine friedliche Einigung mit dir ab und will sich mit dir im Kampf messen, dann darfst du sie belagern. Wenn der Herr, dein Gott, sie in deine Gewalt gibt, sollst du alle männlichen Personen mit scharfem Schwert erschlagen. Die Frauen aber, die Kinder und Greise, das Vieh und alles, was sich sonst in der Stadt befindet, alles, was sich darin plündern lässt, darfst du dir als Beute nehmen. Was du bei deinen Feinden geplündert hast, darfst du verzehren; denn der Herr, dein Gott, hat es dir geschenkt. So sollst du mit allen Städten verfahren, die sehr weit von dir entfernt liegen und nicht zu den Städten dieser Völker hier gehören. Aus den Städten dieser Völker jedoch, die der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst du nichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du die Hetiter und Amoriter, Kanaaniter und Perisiter, Hiwiter und Jebusiter der Vernichtung weihen, so wie es der Herr, dein Gott, dir zur Pflicht gemacht hat,damit sie euch nicht lehren, alle Gräuel nachzuahmen, die sie begingen, wenn sie ihren Göttern dienten, und ihr nicht gegen den Herrn, euren Gott, sündigt.

(5. Mose 7, l-3)
Wenn dich der Herr, dein Gott, ins Land bringet, darein du kommen wirst, dasselbe einzunehmen, und ausrottest viele Völker vor dir her, die Hethiter, Girgasiter, Amoriter, Kananiter, Pheresiter, Heviter und Jebusiter, sieben Völker, die größer und stärker sind denn du: Und wenn sie der Herr, dein Gott, vor dir dahingibt, dass du sie schlägst, so sollst du sie verbannen, dass du keinen Bund mit ihnen machest, noch ihnen Gunst erzeigest. Und sollst dich mit ihnen nicht befreunden: eure Töchter sollt ihr nicht geben ihren Söhnen, und ihre Töchter sollt ihr nicht nehmen euren Söhnen.

(5. Mose 32, 42)
Ich will meine Pfeile mit Blut trunken machen, und mein Schwert soll Fleisch fressen, mit dem Blut der Erschlagenen und Gefangenen, von dem entblößten Haupt des Feindes.

(5. Mose 6, 10 -11)
Dann wird er dir geben, große, schöne Städte, die du nicht gebaut hast, und Häuser alles Guten voll, die du nicht gefüllt hast, und gemeißelte Brunnen, die du nicht gehauen hast, und Weinberge und Ölbäume, die du nicht gepflanzt hast; und du wirst essen und satt werden.

(3. Mose 24,16)
Wer des HERRN Namen lästert, der soll des Todes sterben;
die ganze Gemeinde soll ihn steinigen.
Ob Fremdling oder Einheimischer,
wer den Namen lästert, soll sterben.

Sonntag, 2. April 2017

Jewgenij Jewtuschenko ist gestorben.



Jewgenij Jewtuschenko
Babij Jar
übersetzt von Paul Celan

Über Babij Jar, da steht keinerlei Denkmal.
Ein schroffer Hang - der eine unbehauene Grabstein.
Mir ist angst.
Ich bin alt heute,
so alt wie das jüdische Volk.
Ich glaube, ich bin jetzt
ein Jude.
Wir ziehn aus Ägyptenland aus, ich zieh mit.
Man schlägt mich ans Kreuz, ich komm um,
und da, da seht ihr sie noch:
die Spuren der Nägel.
Dreyfus, auch er,
das bin ich.
Der Spießer
denunziert mich,
der Philister
spricht mir das Urteil.
Hinter Gittern bin ich.
Umstellt.
Müdgehetzt.
Und bespien.
Und verleumdet.
Und es kommen Dämchen daher, mit Brüsseler Spitzen,
und kreischen und stechen mir ins Gesicht
mit Sonnenschirmchen.
Ich glaube, ich bin jetzt
ein kleiner Junge in Bialystok.
Das Blut fließt über die Diele, in Bächen.
Gestank von Zwiebel und Wodka, die Herren
Stammtisch-Häuptlinge lassen sich gehn.
Ein Tritt! mit dem Stiefel, ich lieg in der Ecke.
Ich fleh die Pogrombrüder an, ich flehe - umsonst.
«Hau den Juden, rette Rußland!» -:
der Mehlhändler hat meine Mutter erschlagen.
Mein russisches Volk!
Internationalistisch
bist du, zuinnerst, ich weiß.
Dein Name ist fleckenlos, aber
oft in Hände geraten, die waren nicht rein;
ein Rasselwort in diesen Händen, das war er.
Meine Erde - ich kenne sie, sie ist gut, sie ist gütig.
Und sie, die Antisemiten, die nieder-
trächtigen, daß
sie großtun mit diesem Namen:
«Bund des russischen Volks»!
Und nicht beben und zittern!
Ich glaube, ich bin jetzt sie:
Anne Frank.
Licht-
durchwoben, ein Zweig
im April.
Ich liebe,
Und brauche nicht Worte und Phrasen.
Und brauche:
daß du mich anschaust, daß ich dich anschau.
Wenig Sichtbares noch,
wenig Greifbares!
Die Blätter - verboten.
Der Himmel - verboten.
Aber einander umarmen, leise,,
das dürfen, das können wir noch.
Sie kommen?
Fürchte dich nicht, was da kommt, ist der Frühling.
Er ist so laut, er ist unterwegs, hierher.
Rück näher...
Mit deinen Lippen. Wart nicht.
Sie rennen die Tür ein?
Nicht sie. Was du hörst, ist der Eisgang,
die Schneeschmelze draußen.
Über Babij Jar, da redet der Wildwuchs, das Gras.
Streng, so sieht dich der Baum am,
mit Richter-Augen.
Das Schweigen rings schreit.
Ich nehme die Mütze vom Kopf, ich fühle,
ich werde
grau.
Und bin - bin selbst
ein einziger Schrei ohne Stimme
über tausend und aber
tausend Begrabene hin.
Jeder hier erschossene Greis -:
ich. Jedes hier erschossene Kind -:
ich.
Nichts, keine Faser in mir,
vergißt das je!
Die Internationale —
ertönen, erdröhnen soll sie,
wenn der letzte Antisemit, den sie trägt, diese Erde,
im Grab ist, für immer.
Ich habe kein jüdisches Blut in den Adern.
Aber verhaßt bin ich allen Antisemiten.
Mit wütigem, schwieligem Haß,
so hassen sie mich –
wie einen Juden.
Und deshalb bin ich
ein wirklicher Jude.

Aus: Paul Celan: Gesammelte Werke.
Bd. 5. Übertragungen II. Frankfurt/M. 2000. S. 288ff.


Jewgeni Jewtuschenko

Bild: Morgenstern, Klaus (Fotograf) (2000)

Deutsche Fotothek

Samstag, 1. April 2017

Adlershof, berlinisches Ausland

Adlershof [-ˈhoːf] (Aussprache: endbetont, damit ungleich zum nahegelegenen Adlergestell) ist ein Berliner Ortsteil im Bezirk Treptow-Köpenick. Bis zur Verwaltungsreform 2001 war es ein Ortsteil des ehemaligen Bezirks Treptow. 
...
Nach Gründung der DDR wurde in Adlershof die Akademie der Wissenschaften der DDR angesiedelt, die viele Institute der angewandten Forschung (Chemie, Elektronik, Kosmosforschung) beherbergte. Ein Radioteleskop mit 36 Meter Durchmesser fand hier ebenfalls einen Standort.
Auch das Fernsehen wurde am Standort platziert – von 1950 bis 1952 entstand das Fernsehzentrum Adlershof nach Plänen von Wolfgang Wunsch. In den neuen Studios ging am 21. Dezember 1952 erstmals der Deutsche Fernsehfunk (DFF) auf Sendung. Bis Anfang 1990 war in Adlershof auch ein Teil des Wachregiments Feliks Dzierzynski der DDR-Staatssicherheit (Gesamtstärke 12.000 Mann) stationiert. Das Regiment nutzte den ehemaligen Flugplatz als Munitionslagerplatz, für die „militärische Körperertüchtigung“ und als Paradeübungsstrecke. Auch das Akademie- und das Fernsehgelände waren in dieser Zeit eingezäunt, sodass diese Flächen faktisch losgelöst von den Wohngebieten auf der nordöstlichen Seite des Bahndamms existierten.
Wiki

Für uns Schauspieler war Adlershof, endbetont, die S-Bahn-Station, an der man ausstieg, um dann beim Fernsehen der DDR zu arbeiten. Aufnahmestudios, Redaktionen, Einlass nur mit Personalausweis der DDR.

Heute klingt das viel schicker:
Am wichtigsten Wissenschafts-, Wirtschafts- und Medienstandort Berlins erwarten Sie zehn außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, sechs Institute der Humboldt-Universität und rund 1.000 technologieorientierte Firmen.
http://www.adlershof.de/

Ich, Bewohner der Berliner Mitte, nehme die U-Bahn Nummer 8 zur Hermannstrasse, steige irrtümlich am Herrmannplatz aus, korrigiere meinen Fehler, und nehme dann die Ringbahn in Richtung Schönefeld, in die Richtung unseres gefürchteten, geradezu mythisch-gehassten Flughafens, von niemandem hier erwünscht, ewig im Bau, unfassbar teuer, wahrscheinlich nie vollendet, Gott schütze Tegel! 
Adlershof, uneinladend, die Gebäude sind DDR-typisch, nur ist die Mauer, die das alte Fernsehgelände umgab, mit der anderen schrecklicheren Mauer weggegefallen. Neubauten, eigenschaftslos, die Strassen sind breiter, als es das Verkehrsaufkommen verlangt, Fußgänger gibt es nur im Rhythmus der ankommenden S-Bahnen.
Und hier, in der Moriz Seeler Strasse befindet sich ein kleines Theater. 

Moriz Seeler (geboren als Moritz Seeler; * 1. März 1896 in Greifenberg in Pommern; am 15. August 1942 in das Ghetto Riga deportiert) war ein deutscher Theaterregisseur, Schriftsteller, Filmproduzent und Opfer des Holocaust. Wiki

Was für eine Berufsliste. Als wäre Opfer des Holocaust nur ein weiterer Schritt auf seiner Karriereleiter gewesen. Er wurde von Else Lasker-Schüler geehrt, arbeitete mit Hollaender, Bronnen und Brecht zusammen, uraufführte Marie-Louise Fleisser, produzierte "Menschen am Sonntag", einen halbdokumentarischen Film, den man gesehen haben sollte.

In der von Seeler gegründeten und geführten Produktionsfirma „Filmstudio 1929“ wurde 1929 der halbdokumentarische Stummfilm "Menschen am Sonntag" hergestellt, das Filmplakat wies Moritz Seeler Leiter, Robert Siodmak Regisseur, Billie Wilder Manuskript, Eugen Schüfftan Kamera aus, weitere, auf dem Plakat ungenannte Mitarbeiter waren Curt Siodmak, Edgar G. Ulmer und Fred Zinnemann. Die Schauspieler waren außer Valeska Gert und Kurt Gerron Amateure. Wiki


Jüdische Flüchtlinge und spätere Hollywood-Größen in erstaunlich großer Zahl für nur einen Film. 
Wo wären wir heute, wenn all diese Leute nicht ermordet worden wären, oder in glaubhafter Furcht unser Land verlassen hätten müssen?
Und nun endet sein Name, Moritz Seeler, als Nebenstrasse in Adlershof, wo Kathrin Schülein und ihr Team ein kleines Theater am Leben halten. Gegen große Widerstände. Fürs erste scheinen sie gerettet und eine Freundin hat dort ein ganz überraschendes und beglückendes Konzert gegeben. In Love and Grave with Cash and Cave. Ich habe sie als gradlinige, unruhige und erfreulich ehrgeizige Spielerin vor vielen Jahren kennengelernt, jetzt hat sie ihre Stimme gefunden.

Freitag, 31. März 2017

Ein kleiner Italiener und Berlin-Mitte liebevoll gemischt

Giannis Pasta Bar in der Schönhauser Allee 186 A, 
nur zwanzig Meter weg vom Rosa-Luxemburg-Platz

Ganz klein, ganz fein. 
Eine Theke überfüllt mit verführerischen Antipasti, dahinter und drumherum Regale mit verkäuflichen Delikatessen und Weinflaschen, einige Tische, bei gutem Wetter auch draußen, alles ein bisschen eng und sehr heimelig. Es ist hier immer voll. 
Die Mahlzeiten kosten um die 10 Euro, werden frisch zubereitet und haben ohne Zweifel ihre Ursprünge in der Küche einer rundlichen Italienerin mit mehreren Kindern, wenn auch der Koch hier ein Mann ist. Das ist kein Sexismus, sondern eine Aussage meiner Geschmacksnerven. 
Nix besonderes, einfach nur gut. 
Meine Reinigung ist nebenan, die ist auch prima - Cleanteam Berlin - blödsinniger Name, aber guter Service zu halbwegs guten Preisen.
Meine Gegend, die Mitte von Berlin-Mitte hat einen dubiosen & schlechten Ruf als Touristenspielplatz, ist sie auch, aber sie ist auch sehr lebendig. 
Mein zauberhafter DHL-Postbote spricht perfektes Berlinerisch, mitlerweile eine Rarität und kennt die Namen aller seiner Kunden. Wohingegen überforderte Amazon-Zusteller ihre Pakete einfach irgendwo fallen lassen und ich lerne unfreiwillig beim Auffinden ihrer für mich bestimmten "Verluste" recht viele Leute kennen. 
In der Sophienstrasse führt ein junges Paar, die meines Wissens nach, beste Bäckerei der Stadtmitte, im Kaufvertrag mit der vorherigen uralten Bäckerin haben sie sich verpflichtet, deren Backrezepte beizubehalten. Ostbrötchen, ganz ohne Treibstoffe, wie die Werbung in den Neunzigern sagte. In der gleichen Strasse ein Musikinstrumentenreperateur, der da scheinbar schon immer ist. 
 
© gettyimages

Vor dem Haupteingang der Hackeschen Höfe steht immer der gleiche Bettler, ein freundlicher & gesprächiger Mann mit Hund, der seine Gipsbein nun endlich los ist und gerne seine Operationsnarbe zeigt. 
In der Torstrasse, Ecke Friedrichstrasse stopfen hilfreiche Frauen Löcher in Pullovern für einen Euro pro Loch. 
Mein Nachbar, ein Laden für die Produkte Berliner Manufakturen, kennt alle Anwohner der Höfe und nennt seine praktische Hilfsbereitschaft einfach Nachbarschaftlichkeit.
Und, ja, es gibt auch eine Menge überteuerter Chichi- und Tineffläden, mit Verkäuferinnen, die unglaubwürdig dünn und bemüht schick gekleidet, ihre überteuerten Waren nur widerwillig und herablassend in die Hände eifriger Kunden übergeben.  Oder sie verramschen das DDR-Ampelmännchen, was für ein Quatsch.
Dafür hat mein REWE die zwei nettesten Kassierer aller Supermärkte in der mir bekannten Welt. Die witzeln noch um 10 vor 9 mit Dir, also kurz vor Dienstschluß. 
Die rauchenden Bewohner des Altenheimes Pro Seniore nebenan, "Visavis der Hackeschen Höfe", qualmen in Rollstühlen und unter Benutzung verschiedenster Gehhilfen mitten im Gewimmel der meist jugendlichen Stadtbesucher. 
Die Sexarbeiter der Oranienburger, Obdachlose, hart arbeitende Leute aus aller Herren Länder, kindlich staunende Kinder aus den gleichen Ländern, Reisegruppen mit ihren Bildungsvortrag glühend erfüllendenden Reiseleitern, Rentner, Schulkinder, einfach alle laufen hier herum. Ich mag es sehr. 
Und dann sind da noch zwei tolle Kinos in nicht mehr als fünfzig Meter Entfernung.
Und der Eisladen im ersten Hof macht exzellentes Eis und wird demnächst auch Rumrosine, bzw. Malaga anbieten.
Glückseligkeit.
Und an meinem Fenster, das auf den Garnisonsfriedhof schaut, drängeln sich die Vögel, alles leicht räudige Stadtflieger, um mein stets wohlgefülltes Vogelhäuschen. 

Barrie Kosky a la Russe - Der Jahrmarkt von Sorotschinzi

Eine heftig grüne Schräge, eine erhöhte Brücke, fährt gelegentlich aus der Bühnentiefe bis an das Portal, die Kostüme zitieren in zitierter Annäherung erinnerte russische Klischees. Die Handlung, das Libretto, es wird russisch gesungen, ist zu vernachlässigen. Trunkene Visionen, poetische Klagechöre, burleske Duette, melancholische Chansons in loser Reihenfolge. Fragmentarisch, aber, weiß Gott, nicht im Musikalischen. 
Ist das schöne Musik! Sehr, sehr lange chorale Gesänge, die mit der russischen Volksmusik leichtfüßig Federball spielen, und die der Chor der Komischen Oper so filigran und durchscheinend singt, dass man vor Freude heulen könnte. Ist das ein Opernchor, spielfreudig und -fähig, von hoher kunstvoller Disziplin. 
Und die Spielersänger! Agnes Zwierko, Alexander Lewis, Jens Larsen, wie schafft Kosky es nur, dass sie so entspannt und miteinander und hochkonzentriert spielen? 
Schweine auf Stelzen, Schweineohren, Schweinemasken. 
Viele Sprünge,  Arme und Finger in Choreographie, harte Brüche, plötzliche Abgänge, lange Ruhe gefüllt mit Gesang.
Lohnt sich, wenn man schwelgen mag.



Trinklieder, Tänze, Volksgesänge und ein wilder Hexensabbat – das Volk als überschäumende Quelle der Energie steht im Mittelpunkt von Mussorgskis temporeicher und in der Sprung-haftigkeit ihrer Handlung überaus eigenwilliger Oper. Vom Komponisten unvollendet hinterlassen, konnte dieses komisch-groteske Meisterstück erst viele Jahre nach Mussorgskis Tod uraufgeführt werden. An der Komischen Oper und damit in Berlin zum letzten Mal im Jahre 1948 zu erleben, erscheint es jetzt in einer Neuinszenierung von Chefregisseur Barrie Kosky.
»Schlichte Geschehnisse« in loser, auf kausale Zusammenhänge verzichtender Folge sind es, die Mussorgski in seiner als Torso hinterlassenen Oper mit prallem, volkstümlichem Leben füllt. Dazu zitiert er nicht nur Volkslieder und -tänze, sondern breitet deren musikalische Faktur über die gesamte Komposition aus und fügt obendrein seine zum Chorstück erweiterte Orchesterfantasie Eine Nacht auf dem kahlen Berge von 1867 als Traum des Bauernburschen Grizko ein. Mehrere Komponisten versuchten, aus dem von Mussorgski hinterlassenen Material ein aufführbares Werk zu machen. Die zuletzt veröffentlichte Fassung von Lamm/Schebalin aus dem Jahre 1932 scheint den Absichten des Komponisten am nächsten zu kommen. Sie glättet nicht, sondern zollt dem »ungehobelten« Duktus des Werkes Rechnung.

Programm der Komischen Oper 
https://www.komische-oper-berlin.de/programm/spielplan/der-jahrmarkt-von-sorotschinzi/242/

Mittwoch, 29. März 2017

Wie kaputt bin ich - 2 Hollywoodfilme

Tom Ford & Barry Jenkins, "Nocturnal Animals" & "Moonlight", der eine Film ratschte am hochgelobten Oscar vorbei, der andere gewann ihn, nach idiotischer Verwirrung, doch. Unüberbrückbare Erzählwelten liegen dazwischen.

Der eine Film, "Moonlight", versichert sich seiner Glaubwürdigkeit ausschließlch aus sich selbst. Wir sind schwarz, aufgezogen von Müttern ohne anwesende Väter, wir sind Opfer, wir verdienen Besseres. Die Handlung verläuft gradlinig, die Figuren bleiben unantastbar, gut oder schlecht, Heilige, Märtyrer oder wderstandslose Täter, im schlimmsten Fall durch Drogen moralisch geschwächt, niemand lädt durch eigene Entscheidungen Schuld auf sich, das unaufhaltbare Rad der Rassenverachtung zermalmt jeden Mitspieler, blind und unvermeidlich. Der Widerstand, der geleistet wird, ist einer, der einem unantastbaren Kern von Gutsein, Bessersein entspringt. Jedermann leidet, aber niemand übernimmt zumindest anteilig Verantwortung. Täter, Opfer, Holzschnitt, Propaganda und Feststellung die keinen Widerspruch duldet. Die USA ist ein ungewöhnlich prüdes Land, dort macht der Film mehr Sinn, schwul & schwarz, eine harte Kombination in einer so konservativen Gesellschaft. Aber was ich sah, war quasi religiöse Verklärung von großem realen Leid.


Tom Ford, weiß, schwul, privilegiert und sich dieser Umstände außerordentlich bewußt, geht diffiziler vor. Er mutet jedem von uns alles zu. Hier ist Vertrauen das Thema, Vertrauen gegen alle Vermutungen. Wie existentiell kann eine Verwundung sein? Verwöhnte Weiße verlieren den Boden unter ihren Füßen. Ich war eben noch entspannt und erfolgreich, aber jetzt bin ich ohne jede Orientierung. Selbstgewißheit ist eine uns allen eingeimpfte Absicherung. Aber zwischen unserem Leben und dem Abgrund liegen nur Sekunden. Ich wollte immer wieder panisch ausschalten, gut, dass ich den Film ausgehalten habe.

Montag, 27. März 2017

Der Schrecken der Dummheit

Mike Pence, immerhin Vizepräsident der USA, einem recht großen Land, hält vor seinem Senat eine Rede darüber, dass Darwins Evolutionstheorie, nur eine Theorie von vielen sei und deshalb auch andere Theorien in den Schulen gelehrt werden müßten. Wir schreiben das Jahr 2017. Die Erde ist eine Scheibe.

Eine Frau, in einem von vielen Impfgegner-Chatrooms, behauptet, dass sie nachdem sie sich drei Monate lang im Internet kundig gemacht habe, nunmehr weit mehr über Impfungen und die ihnen innewohnenden Gefahren wüßte, als alle ihr bekannten Ärzte und lädt zu einer fröhlichen Masernparty ein. Dass die Studie auf die sie ihre Überzeugungen stützt, nachweislich gefälscht ist, bucht sie unter "Tricks der Pharmaindustrie" ab. 

Jedes Jahr sterben, so schätzt die Weltgesundheitsorganisation, 1,5 Millionen Kinder an Krankheiten, gegen die es eigentlich Impfungen gibt. Für eindeutig durch Impfungen ausgelöste Todesfälle oder lebenslange Schäden gibt es dagegen in den vergangenen Jahrzehnten keine wissenschaftlich fundierten Belege. 
Welt N24

http://www.huffingtonpost.de/2017/03/01/warum-wir-die-impfgegner-nicht-gewinnen-lassen-durfen_n_15084642.html

Chemtrails manipulieren das Wetter, unser Saatgut oder gar unsere Gene. Oder sind es doch etwa nur Kondensstreifen von gewöhnlichen Flugzeugabgasen?

Obama hat Trump während des letzten Wahlkampfes gezielt abgehört. Herr Trump hat keinerlei Beweise für seine Aussage, aber ein Fox-Reporter hat eben dies im Fernsehen behauptet, das muß doch reichen.

Erdogan ist ein Mann des Volkes und diejenigen unserer Mitbürger, die begeistert für ihn auf Demonstrationen schreien, wollen doch, aus unerfindlichen Gründen, lieber weiter hier, in Deutschland, bleiben.

Der Klimawandel ist ein Fakt. Oder er ist es nicht. Klimawandel steht hier für den Zusammenbruch des uns bekannten Wetterverhaltens. Arten sterben aus, oder? Die Pole verlieren Eis, oder?

Alle Moslems sind potentielle Terroristen. Alle Mitglieder der AfD sind Nazis. Die Juden beherrschen den Weltgeldmarkt. Alle Neger sind weniger intelligent und / oder haben längere Schwänze als Leute, deren Eltern weniger pigmentierte Haut besitzen.

Fakten, beweisbare Daten wird mit Mißtrauen zu begegnet. Ja, wir werden unaufhörlich belogen, und es wird schwieriger zwischen manipulierter Lüge und faktischer Wahrheit zu unterscheiden, aber bedeutet das auch den Abschied von jedweder Wissenschaftlichkeit, werden dadurch empirische Beweise, Ergebnisse langwieriger Studien unwichtig?

Ich habe den Eindruck, dass um mich herum der Strudel der selbstbewußten Dummheit kreisst. Wir wissen wenig, aber dieses Wenige ist unbedingt wahr. Zweifel ist böse. Eine irgendwie biblische Variante der emotionalen, durch keierlei Fakten unterstützten Argumentation.

Frau Müller googelt und geifert dann selbstbewußt gegen die Evolutionstheorie, eine unbenannte Frau studiert und forscht und wird mit Frau Müller auf eine gleichberechtigte Ebene gestellt. Wissen, Arbeit, die mühselige Sammlung von Tatsachen unterliegt schrecklicherweise in der Auseinandersetzung mit  dümmlicher Selbstgewißheit und monomanischer Blödheit. 

Es blödet. Jedermanns Schwachsinn wird wichtig. Meine Aussagen zu den Elementarteilchen sind vernachlässigbar. Was aber nicht bedeutet, dass es sie nicht gibt.

Sonntag, 26. März 2017

Meine Lieblingsnichte lernt Metrik

Meine zauberhafte Lieblingsnichte hat sehr viel Hausaufgaben, zu viele. Sie lernt und büffelt und versucht, die vielen verschiedenen Dinge in ihren Kopf zu stopfen. Niemand sagt ihr, wozu, keiner erklärt, warum.

Dann kam die Metrik ihres Wegs.

Wortmusik. Worte stärker als Worte. Worte in Rhythmen. Manchmal Worte, die sich reimen. Jambus, Daktylos, Trochäus, Kreuzreim, Stabreim, abab oder abab oder aab ccb. Das klingt technisch, ist aber Wunderhandwerk in den richtigen Händen. Es kann der Wendepunkt sein: wird das Mädchen Sprache lieben und Spaß mit ihr haben oder uninteressiert mit ihr rumschlampen?

Die Beispiele im Unterrichtsmaterial sind schauderhaft unsinnlich. Kein Bezug zum Leben meiner sehr lebendigen, heutigen Kleinen, kein für sie wiedererkennbares Gefühl, kein Witz in Sichtweite. Aber alle Regeln werden sauber befolgt und können abgefragt, abgehakt werden.





Die Nichte strauchelt, weil sie sich langweilt, kein Vergnügen finden kann.

Ich wühle durch meine Bücher. Wie kann ich ihr den nötigen Genuß verschaffen, sie bewahren vor der allbekannten Sprachidiotie? Der Vernachlässigung dessen, was uns von allen anderen Tieren unterscheidet.

Wir beginnen mit Heine -

Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen Andern erwählt;
Der Andre liebt eine Andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.

Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.

Könnte ein Rap sein und die Geschichte wiedererkennt auch eine Zwölfjährige. Der Reim ist halbwegs rein. Der harte Bruch zum letzten Vers ist kostbar. ABCB. Jambus und Anapäst. 1/2 und 1/1/2 wechseln im Rhytmus, wie der sprunghafte Herzschlag der unglücklichen Liebe.

Sie grinst.

Schiller  "Der Handschuh"

AAB CCB - AA BB CC DD - ABCBDCEEFFD...
Coole Geschichte, das Metrum wechselt genauso überraschend, wie die Handlung sich unverhofft wendet und die Nichte hat den verflixten Schweifreim, den sie sich nicht merken konnte (aab ccb), mal vor die Augen und in die Ohren bekommen.

Zweites Grinsen.

Und zum Abschluß noch ein Kindergedichte von Brecht. Die haben wir dann zusammen getrötet.

Es war einmal ein Schwein
Das hatte nur ein Bein.
Einmal war es in Eil
Da rutschte es auf dem Hinterteil
Ins Veilchenbeet hinein:
Es war ein rechtes Schwein.
 

Es war einmal eine Kellerassel
Die geriet in ein Schlamassel
Der Keller, in dem sie asselte
Brach eines schönen Tages ein
So daß das ganze Haus aus Stein
Ihr auf das Köpfchen prasselte.
Sie soll religiös geworden sein.

Es war einmal ein Huhn
Das hatte nichts zu tun.
Es gähnte alle an.
Doch als es so den Mund aufriß
Da sagte ein Hund: Je nun
Du hast ja keinen einzigen Zahn!
Da ging das Huhn zum Zahnarzt
Und kaufte sich ein Gebiß.
Jetzt kann es ruhig gähnen
Mit seinen neuen Zähnen!

Geht doch, jetzt hat das Kind wieder gute Laune.

Mittwoch, 22. März 2017

Imago - Die größte begehbare Sofortbildkamera der Welt!


Wer hat noch einen dieser Streifen mit vier schnell hintereinander geschossenen Photos? Eine kleine Kabine, oft auf Bahnhöfen, man saß auf einem Plasikklapphocker, steckte Geld in einen Schlitz und versuchte dann unter Druck entspannt schön oder witzig auszusehen, während einem Blitze entgegenzuckten. Manchmal saßen auch Zwei auf dem Hocker. Nach wenigen, sehr langen Minuten kam dann aus einem anderen Schlitz ein vielleicht zwanzig Zentimeter langer Streifen mit vier Portraits, auf denen man meist wie ein panischer Hase aussah.

Prinzenstraße 85-D in 10969 Berlin - ein Ladenfenster, der Blick auf einen großen Raum, der von einem in schwarzes Material gehülltes Objekt beherrscht wird. Eine etwas verkleinerte Nachbildung der Nautilus? Eine verhüllte Superwaffe? Eine Teleportationszelle? Es ist eine Kamera, die größte Sofortbildkamera der Welt. Wirklich! Man geht in das Ungetüm hinein, bringt sich in Pose, es passiert etwas, ich war noch nicht drin, deshalb, weiß ich nicht genau was, man steigt aus, wartet etwa 15 Minuten und erhält ein Ganzkörperportrait - 200x62 cm. An den metallischen Wänden der Galerie hängen Photographien, schwarz-weiß, krass, beeindruckend. 
Susanna Kraus, Tochter des Erfinders und Widerbeleberin der Maschine, ist Chefin der Galerie und außergewöhnlich sympathisch.


  

http://www.lomography.de/magazine/192365-die-groesse-begehbare-grossformatkamera-der-welt-imago-1-1

In Zeiten der hemmungslosen Vervielfältigung wirkt der Ausdruck wie eine Provokation: ein Unikat« – so beschrieb die Süddeutsche Zeitung das, was andere schlicht die Wiederbeseelung der Fotografie nennen: das IMAGOgramm. Jeder Schritt seiner Entstehung ist Kunst – beginnend in der IMAGO Camera. Diese überrascht den Betrachter mit einem Spiegelbild seiner selbst – seitenrichtig! Und so verkehrt das IMAGOgramm konsequent, was die Ära der Pixelfotografie zur Konvention gemacht hat: Statt Miniaturisierung bietet es ein lebensgroßes Format (62 x 200 cm). Statt Farbrausch kompromissloses Schwarz/Weiß. Der ultimativ analoge Prozess der IMAGOgraphie zelebriert die Magie des Augenblicks. Den der „Selbst-Auslöser“ auch noch selbst definiert. Keine Manipulation oder Wiederholung. Kein Spiel mit den Variablen digitaler Bearbeitung. Der entschiedene Gegenentwurf zur Bilderflut aus Handys & Co. Sie möchten mehr wissen? Pressetext

Dienstag, 21. März 2017

Das Alte Testament ist total spannend.

Ich lese gerade ein Buch, in dem der Autor den sogenannten J-Dichter des Alten Testamentes, den Shakespeare Gottes nennt. Tolle Formulierung. 
Das Buch ist Jesus und Yahweh von Harold Bloom. Was ich für tolles Zeug in die Finger kriege, seitdem ich mich mit unseren ältesten aufgeschriebenen Geschichten beschäftige. 
 
Zur Erklärung, der J-Autor ist derjenige, der um circa 900 vor unserer Zeitenwende die Buchstaben JHWH als den Namen Gottes verwendete, im Unterschied zu E, der ihn Elohim (Götter) nannte und P, der vermutlich der Priesterschaft angehörte.
Schon über die Namen, die Gott gegeben werden, könnte man stundenlang schwadronieren. Der erste erfolgreiche monotheistische Gott, muß viele andere Götter schlucken, verdauen, inkorporieren, er ist sozusagen eine multiple Persönlichkeit. Und dann, wie es Büchner Marion im Danton sagen läßt: Alle Männer wurden zu einem Mann. Oder alle Götter wurden zu einem Gott.

Da gab es Mythenerzähler und Redakteure und Ideologen und Witzbolde und Spaßverderber und depressive Poeten und Kriegstreiber und Verehrer von Frauen und Verachter derselben, Soldaten und Liebhaber und sie alle haben über eine lange Zeit dieses Buch der Bücher erschaffen. Es ist viel mißbraucht worden und dennoch großartig, wenn man schafft, es als überreiche mythologische Literatur zu lesen, und sich nicht Bange machen zu lassen.
Ob wir wollen oder nicht, glauben oder nicht, das Buch, seine Worte, sein Strahlen und seine Verunglimpfung vibriert durch unser Leben. Es wirkt in die Literatur, die Poesie, die Politik (CDU), unsere Moral, selbst in die, die wir ablehnen. Es ist allüberall. Bei Juden, Christen, Muslimen und Atheisten. Es ist  ein Teil unserer DNS geworden. Und es ist genauso widerspruchsvoll, gewalttätig, ungeheuer, zärtlich, unbegreiflich und banal, wie wir es sind.

Da hat einer zwei Frauen, eine, die unfruchtbar ist, liebt er, die andere hat er und sie gebärt ihm Kinder. Er heißt Jakob, die Frauen Rahel und Lea.

Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen Andern erwählt;
Der Andre liebt eine Andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.

Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.


Ein Gebärwettkampf gigantischen Ausmaßes:

Rahel: Und Jakob vollendete die Hochzeitswoche mit dieser. Dann gab man ihm auch mich zur Frau. Und er liebte mich, mehr als Lea.

Lea: Und Gott sah, dass ich gehasst war, da öffnete er meinen Mutterleib.

Rahel: Ich aber war unfruchtbar.

Lea: Und ich wurde schwanger und gebar einen Sohn, und gab ihm den Namen Ruben, denn nun würde mein Mann mich lieben. Und ich gebar einen weiteren Sohn, weil Gott gehört hatte, dass ich gehasst war. Und ich gab ihm den Namen Simeon. Und ich gebar noch einen Sohn, jetzt endlich würde mein Mann an mir hängen, denn ich hatte ihm drei Söhne geboren! Darum gab ich ihm den Namen Levi. Und ich gebar einen vierten Sohn, und gab ihm den Namen Juda.

Rahel: Und ich sah, dass ich dem Jakob nicht gebar, da beneidete ich meine Schwester und sprach zu Jakob: Gib mir Kinder! Und wenn nicht, so sterbe ich. Da entbrannte sein Zorn wider mich, und er sprach: Bin ich an Gottes Stelle, der dir Leibesfrucht vorenthält? Da gab ich ihm meine Magd zum Weibe und sie gebar Jakob zwei Söhne auf meinen Knien, so kam ich durch sie zu Kindern. Und ich gab ihnen die Namen Dan und Naphtali. Gott hatte mir Recht verschafft und auch auf meine Stimme gehört. Gotteskämpfe habe ich mit meiner Schwester gekämpft, und ich hatte mich durchgesetzt!

Lea: Da gab ich meine Magd Jakob zum Weibe und die gebar dem Jakob zwei Söhne. Zum Glück! Und ich gab ihnen die Namen Gad und Aser. Und zu meiner Glückseligkeit, ward auch ich wieder schwanger und gebar dem Jakob einen fünften Sohn. Gott hatte mir meinen Lohn gegeben, dass ich meine Magd meinem Manne gegeben hatte! Und ich gab ihm den Namen Issaschar. Und ich gebar noch einen Sohn, jetzt endlich würde mein Mann bei mir bleiben, denn ich hatte ihm sechs Söhne geboren! Und ich gab ihm den Namen Sebulon. Und danach gebar ich noch eine Tochter und gab ihr den Namen Dina.

Rahel: Und Gott erinnerte sich an mich und ich ward schwanger und gebar einen Sohn; Gott hatte meine Schmach weggenommen! Und ich gab ihm den Namen Joseph.


Lea mit ihren Kindern, G.B.Tiepolo, Patriarchenpalast, Udine