Meine zauberhafte Lieblingsnichte hat sehr viel Hausaufgaben, zu viele. Sie lernt und büffelt und versucht, die vielen verschiedenen Dinge in ihren Kopf zu stopfen. Niemand sagt ihr, wozu, keiner erklärt, warum.
Dann kam die Metrik ihres Wegs.
Wortmusik. Worte stärker als Worte. Worte in Rhythmen. Manchmal Worte, die sich reimen. Jambus, Daktylos, Trochäus, Kreuzreim, Stabreim, abab oder abab oder aab ccb. Das klingt technisch, ist aber Wunderhandwerk in den richtigen Händen. Es kann der Wendepunkt sein: wird das Mädchen Sprache lieben und Spaß mit ihr haben oder uninteressiert mit ihr rumschlampen?
Die Beispiele im Unterrichtsmaterial sind schauderhaft unsinnlich. Kein Bezug zum Leben meiner sehr lebendigen, heutigen Kleinen, kein für sie wiedererkennbares Gefühl, kein Witz in Sichtweite. Aber alle Regeln werden sauber befolgt und können abgefragt, abgehakt werden.
Die Nichte strauchelt, weil sie sich langweilt, kein Vergnügen finden kann.
Ich wühle durch meine Bücher. Wie kann ich ihr den nötigen Genuß verschaffen, sie bewahren vor der allbekannten Sprachidiotie? Der Vernachlässigung dessen, was uns von allen anderen Tieren unterscheidet.
Wir beginnen mit Heine -
Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
Die hat einen Andern erwählt;
Der Andre liebt eine Andre,
Und hat sich mit dieser vermählt.
Das Mädchen heiratet aus Ärger
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Jüngling ist übel dran.
Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu;
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.
Könnte ein Rap sein und die Geschichte wiedererkennt auch eine Zwölfjährige. Der Reim ist halbwegs rein. Der harte Bruch zum letzten Vers ist kostbar. ABCB. Jambus und Anapäst. 1/2 und 1/1/2 wechseln im Rhytmus, wie der sprunghafte Herzschlag der unglücklichen Liebe.
Sie grinst.
Schiller "Der Handschuh"
AAB CCB - AA BB CC DD - ABCBDCEEFFD...
Coole Geschichte, das Metrum wechselt genauso überraschend, wie die Handlung sich unverhofft wendet und die Nichte hat den verflixten Schweifreim, den sie sich nicht merken konnte (aab ccb), mal vor die Augen und in die Ohren bekommen.
Zweites Grinsen.
Und zum Abschluß noch ein Kindergedichte von Brecht. Die haben wir dann zusammen getrötet.
Es war einmal ein Schwein
Das hatte nur ein Bein.
Einmal war es in Eil
Da rutschte es auf dem Hinterteil
Ins Veilchenbeet hinein:
Es war ein rechtes Schwein.
Es war einmal eine Kellerassel
Die geriet in ein Schlamassel
Der Keller, in dem sie asselte
Brach eines schönen Tages ein
So daß das ganze Haus aus Stein
Ihr auf das Köpfchen prasselte.
Sie soll religiös geworden sein.
Es war einmal ein Huhn
Das hatte nichts zu tun.
Es gähnte alle an.
Doch als es so den Mund aufriß
Da sagte ein Hund: Je nun
Du hast ja keinen einzigen Zahn!
Da ging das Huhn zum Zahnarzt
Und kaufte sich ein Gebiß.
Jetzt kann es ruhig gähnen
Mit seinen neuen Zähnen!
Geht doch, jetzt hat das Kind wieder gute Laune.
Ich mag wie Du lehrst. Es bekräftigt meinen Glauben, das lehren und lernen gemeinsam haben, dass wir es am besten können, wenn wir von etwas begeistert sind.
AntwortenLöschenWas hingegen die Konfrontation mit jenen Lehrkräften angeht, deren Gründe für ihr Tun "Juli" und "August" lauten - ich tu's ja nicht gerne, aber ich muss jetzt ein sehr treffendes verwandtschaftliches Zitat einwerfen:
"Während meines 9jährigen Eingewecktseins an einem Augsburger Realgymnasium gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich zu fördern." -Bertolt Brecht
Es ist einfach so. Aber glaub' mir, die Liebe zur Sprache und das Bedürfnis sie sowohl sinnvoll, als auch kunstfertig zu verwenden ist längst angelegt bevor wir, von Schultüten geködert, die erste Klasse betreten.
Und sie ist verflucht resistent. Übrigens mit oder gegen alle Regeln. Weißt Du, wie lange ich professionell mit zwei "f" geschrieben habe... egal, was ich dafür an Rotstift kassieren durfte?
In dem Wort steckt Können, Wissen, profunde Ausbildung und Erfahrung. Es ist ein Qualitätswort. Seine Stabilität und Verlässlichkeit sollten sich optisch durch drei Buchstabenpaare versymbolisieren, verteilt über das Wort wie ein Bogen.
professionell
proffessionell
Da... das erste Wort ist richtig, aber instabil.
Das zweite ruht auf drei Paarsäulen. Stabil.
Was glaubst Du, wie komisch einen Lehrer für sowas angucken?
Gewiss, es ist bestimmt nicht schlecht ein paar Regeln zu kennen... aber grinsen ist viel wichtiger.
Bei Ringelnatz gäbe es bestimmt noch andere kindernahe Reimbeispiele.
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