Montag, 8. Mai 2017

Das achte Leben (Für Brilka) - Bin ich ein ekelhafter Theatermuffel?

Fünf Stunden Theater. Jette Steckel hat sie inszeniert. Und sie versteht ihr Handwerk. Tolle, wagemutige Schauspieler. Eine große, fast zu große, ein schreckensvolles Jahrhundert umfassende, Geschichte. Eine gewaltige Romanadaption.

Nino Haratischwili wollte über ihre Jugend im Tiblissi der 90er schreiben, bemerkte, dass sie weiter zurückgehen mußte, um zu einem Verstehen zu kommen, und dann arbeitete sie sich über die 70er und 80er bis zur Großen Revolution des russischen Nachbarn zurück. "Der Roman ist kein Geschichtsbuch, sondern eine Subjektive von Geschichten, eine Perspektive aus der Gegenwart." (N.H.)

Das Thalia-Theater in Hamburg ist am Sonntag bei, wie gesagt, fünf Stunden Spielzeit, mit 1000 verfügbaren Plätzen, ausverkauft. Großartig. Der Abend wird geliebt. Alt und Jung mischen sich nahezu ausgewogen im Saal.

Ich schaue, geniesse, bin aufmerksam, ermüde nicht, bis, ja bis, ich kurz vor Schluß rausgehe.

Mir werden Leidensgeschichten erzählt, wunderbar erzählt, besungen, gespielt, aber irgendwann ist mein Reservoir an Mitleid aufgebraucht. Mein Hirn ist nicht gefragt und mein Herz erkühlt. Was ist das nur mit mir und meinem Geiz beim Mitgefühl? Ist es meine Zonenprägung, die nach politischem Überbau verlangt? Ich lasse mich nur zögerlich emotional vereinnahmen und werde widerspenstig, wenn ich den Eindruck habe, dass mein willigen Gefühle, ohne Nutzen, ausgebeutet werden.

Wenn ich vom Erschrecken überrascht werde, wenn eine Geste mir den Hals zuschnürt, wenn eine unerwartete Wendung mir in den Magen fährt, bin ich hilflos begeistert. Aber fünf Stunden großes Unglück ohne harte Widersprüche, dialektische Brüche, ökonomische Zwänge und Einbeziehung der Weltlage machen aus mir eine widerspenstige, störrische Ziege. Richard III, Arturo Ui, Der Goldene Drache, etc. - hochpolitisch und analytisch.

Ich spüre, dies ist meine unbeweisbare Vermutung, eine Abneigung gegen das Denken in diesem wunderbar choreographierten Mammutwerk.

Ich weine bei Videoclips mit kleinen Hunden und jedwedem Filmmaterial von hungernden Kindern, aber werde ich dadurch in Schwierigkeiten mit meiner mir imanenten Trägheit gebracht? Nein. Mitleid ist billig zu haben. Denken ist sexy, aber anstrengend.

Wiki sagt: Unter Denken werden alle Vorgänge zusammengefasst, die aus einer inneren Beschäftigung mit Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen versuchen.

GEORGIEN

https://de.wikipedia.org/wiki/Georgien

Georgien suchte immer wieder den Kontakt zu Europa, nur das war zu weit weg, da wurde es halt der große Nachbar. Er wiederum annektierte das kleine Land am Schwarzen Meer zweimal, 1801 und 1921.

Samstag, 6. Mai 2017

Ach, manchmal werde ich so gern unterhalten!

Dank an Dirk Audehm, Fräulein Schneider (aka Alex Semann) und Engelbert Herzog.
Gelegentlich vergesse ich zwischen nachtkritiks Streitereien, Stegemann Verrissen, Verdi kontra Neuorientierung der Ensembles, Dercon versus Castorf,  postdramatischen Diskursen, eigener lebenslänglicher  Verunsicherung und nun auch noch Ostermeier am Broadway, dass ich gern unterhalte, mich auch gern vergnüge, beziehungsweise vergnügen lasse. 
Gestern ein kleiner Liederabend, "Sch...Liebe". 
Drei Menschen auf der Bühne, einer nahezu stumm, die beiden anderen singen, was sie lieben. Gar nicht die Art Lieder, die ich sonst anhöre, ganz und gar nicht. Aber sie singen und spielen mit Inbrunst und Können.
Inbrunst, „innere Leidenschaft", ist eine Zusammensetzung aus → in „innen“ und Brunst als Ableitung von → brennen in der Bedeutung „Brennendes, Loderndes“. (wissen.de)  
Ich verlasse den Saal nach zwei Stunden mit einem entspannten Lächeln um den Mund und guter Laune. Bin ich nun übel ausgetrickst worden oder haben die Herren mir nur erlaubt, mein Leben vergnügter zu betrachen?
Heute Abend wurde für mich geschwitzt. Die Darsteller begehrten, mich zu unterhalten, ohne Arg, ohne ironische Selbstabsicherung, mit Chuzpe. Ein kleiner Saal, 50 oder 60 Zuschauer, wir haben alle am Ende mitgesungen und versprochen, nach der dritten Zugabe, zwar weiter zu summen aber nicht mehr zu klatschen.

Die meisten von uns reisen so durchs Land und verkaufen unsere Fähigkeiten für Miete, Zigaretten, Marmeladenbrötchen, dass heisst aber nicht, dass wir nicht brennen, für das, was wir tun. 

Ein kurzer Moment von Pathos und schnell weiter zu den "Guardians of the Galaxy".

Ein Amerikaner mit Vaterproblem, ein Grünhäutige Schwertkämpferin mit Schwesterproblem, ein tätowierter Gigant mit Trauerproblem, ein Waschbär mit Bindungsproblem und ein Baumstämmchen mit Verständigungsproblem retten das Universum aus den Klauen von Kurt Russell, einem exzellenten Bösewicht mit zu perfekt gegelter Frisur. Der Siebziger Jahre Soundtrack untermalt irrwitzige Effekt-Schlachten und schnell abgefeuerte Dialoge.
Warum amüsiere ich mich? Warum? 
All die Superheldenfilme, die ich mit meiner Mutter über die Jahre geschaut habe, Thor und Iron Man und Captain America, um nur Marvels Paket zu nennen, werden hier verstückwerkt, ums dreifache verdreht und in den Irrsinn geschickt. Wie der hochgeschätzte Kollege Shakespeare sagte: "Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode." 


Im zarten Alter von 11 Jahren sah ich eine Dokumentation "Erinnerungen an die Zukunft" über Erich von Dänikens Buch gleichen Namens und war tief beeindruckt. Wie gerade dieser Film den Weg in die Kinos der DDR fand, wird wohl ewig ein Rätsel bleiben. Aliens hätten die Erde besucht unsere Entwicklung beeinflußt und wären wieder weggeflogen. Robert Charrouxs Bücher verstärkten meine Obsession.
Bis zum heutigen Tag glaube ich, die ich nicht an Gott glaube, dass unser Universum noch unzählige andere Zivilisationen beherbergt. Ich glaube daran, nicht weil ich hoffe, dass höherentwickelte Rassen uns retten werden, sondern weil ich mir sicher bin, dass eine der vielen möglichen Varianten von Erfolg gekrönt sein wird. Weil ich hoffen möchte, dass auch Methan-atmende Wesen und andere, die auf Silicium basieren, wasseratmende und solche wie wir, die Sauerstoff benötigen einen Weg zur Koexistenz finden. Wie lächerlich werden uns dann unsere dämlichen Vorurteile gegenüber bloß andersfarbigen Sauerstoffatmern erscheinen.

https://www.youtube.com/watch?v=BEPbXYzE5_Y

Aischylos wollte im Athener Dramenwettbewerb gewinnen, Shakespeare brauchte zum Überleben ein volles Globe Theater, Moliere litt Hunger, wenn seine Stücke nicht ankamen. Gibt es eine Verbindung zwischen unbedingtem Erfolgswillen und Kunst? Ich weiß es nicht. Aber von einer Gesellschaft zu erwarten, dass sie ihre Verächtlichmachung finanziert, scheint mir kindlich.

http://www.tagesspiegel.de/kultur/berliner-theaterregisseur-ersan-mondtag-ich-wuerde-gern-die-schaubuehne-uebernehmen/19757608.html 

Montag, 1. Mai 2017

Doping in der DDR

Es gibt so Vieles, das wir nicht gerne wahrnehmen wollen. 
Doping in der DDR. 
Kindern werden ohne Einverständnis Chemikalien, Hormone und wer weiß noch was alles eingeführt. Die Nachfolgeschäden sind krass.  Körperlich und seelisch.
Die Trainer, die Ärzte, die Täter waren damals allmächtig. Sie mißbrauchten, psychisch und in vielen Fällen auch sexuell. Und bis heute bleiben sie meist unangreifbar. Diese Täter wurden nutzbringend in neue Wirkungsfelder integriert und sind als Mitwirkende des modernen Sportestablishments geschützt. 
Die Opfer, als Kinder in Abhängigheitsverhältnissen gehalten, gewinnen wollend und keinen Widerstand wagend, finden sich heute hin- und hergerissen zwischen realer körperlicher und seelischer Not und alten starken Dankbarkeitsmustern, in Widersprüchen, die ihre geschundenen Körper und schutzlosen Seelen schlecht aushalten.  

http://srv.deutschlandradio.de/themes/dradio/script/aod/index.html?audioMode=3&audioID=542264&state=

Sonntag, 30. April 2017

Ein feiner Sonntag in Berlin

350 Galerien öffnen ihre Türen für drei Tage, ein langes Wochenende lang, in Mitte, in Kreuzberg, in Charlottenburg und auf der Potsdamer Straße - ich war nur in zehn davon und nur in Mitte. Ich bin Lokalpatriot. Der Tag war kühl und sonnig, das was Berliner Kniestrumpfwetter nennen. Im Gropiusbau zeigt Jürgen Teller sehr viele Teller und Menschen mit Tellern und Bilder seiner Mutter und gekritzelte Notizen und ein tolles dreidimensional wirkendes Waldbild. Enjoy your life! Ich bleibe kühl wie das Wetter und nicht so sonnig.
Daniel Richter bietet politische Plakate, die er an John Heartfield anlehnt, die sich mir aber nur partiell erschließen und er kuratiert im Erdgeschoß eine Ausstellung von Jack Bilbo, aka Hugo Cyrill Kulp Baruch; geboren am 13. April 1907 in Berlin; gestorben am 19. Dezember 1967 ebenda. Kneipier, Antifaschist, Maler, Reisender, Fliehender und Lebemann.

TAZ-Artikel zu Jack Bilbo 

Anekdotisches zum Liebermann Haus am Pariser Platz:
Der nach seinen eigenen Worten "eingefleischte Jude", aufrechte Liberale und Berliner Großbürger Max Liebermann war ein selbstbewusster Hausherr. Zwei Mal musste er seinen Besitz gegen die allerhöchste Stelle verteidigen - gegen Kaiser Wilhelm II. Gleich nach dem Einzug gab Liebermann beim Berliner Architekten Hans Grisebach den Entwurf eines Ateliers im Dachgeschoss in Auftrag. Der Maler wollte am Pariser Platz nicht nur mit seiner Frau Martha und seiner Tochter Käthe leben, sondern dort auch arbeiteten. Aber der Kaiser fand den gläsernen Aufbau, den Grisebach als Oberlicht für das Dachatelier entwarf, "scheußlich". Erst nach einem vierjährigen Behördenmarathon konnte Liebermann das Atelier beziehen. Tagesspiegel 29.03.2000

 Jack Bilbo

Danach einmal die Linienstrasse herauf und die Auguststrasse herunter, in jedem Kellerloch, einst sicher die Werkstatt eines ostjüdischen Schusters oder Flickschneiders, hängt Kunst, oder was sich dafür ausgibt. Viele junge Leute, uniform individuell bekleidet und dazwischen reiche ältere Sammler, deren chauffeurbetriebenen Automobile mit laufenden Motoren auf ihre nach frischer Beute suchenden Besitzer warten.
In der Gallerie Rasche Ripken in der Linienstrasse 148 Rik de Bo und Hein Spellmann, der eine malt, immer im gleichen Format, Fenster, hypnotisierend, der andere photographiert Häuserfronten und klebt die Photos auf konvexe Formen. Sehr viel traurige Orte von außen. In einer anderen Gallerie Polixeni Papapetrou, eine australische Griechin, die erleidende Figuren in Camouflage in Landschaften stellt. Was für ein Name.


Und dann noch Luca Lanzi, gequälte, böse Kinder und verwischte Spielzeuge.



Dazwischen Kunsthandwerk und pretentiöser Quatsch, aber auch die Islandbilder von Michael Najjar.  
Michael Najjar verfolgt Naturphänomene wie den Klimawandel und führt uns dessen Brisanz in großformatigen Fotokompositionen vor Augen. Neue Aufnahmen von Spalten und Eishöhlen des Breidamerkurjökull-Gletschers in Island, der sich jährlich bis zu 100 Meter zurückzieht, kombiniert er mit Satellitenbildern desselben Gletschers und verdeutlicht so seine Vergänglichkeit. Zugleich nimmt er Bezug auf das Werk Alfred Ehrhardts, der genau am selben Ort bereits 1938 die Gletscherlandschaft dokumentierte. 
art das kunstmagazin

 
Ein feiner Sonntag, der durch meine kluge Freundin und einen Eisbecher mit Sahne und Würstchen mit Senf vervollkommnet wurde.
Danach zurück an den Computer und in die Bibel. Mein Leben ist wahrhaft voller Kontraste. Schön.

Freitag, 28. April 2017

Glückliche Tage - Manzel spricht

       (C) Arno Declair

WINNIE (zum Himmel blickend:)
Wieder ein himmlischer Tag.

(Pause. Kopf wieder gerade.
Blick nach vorn gerichtet.
Faltet Hände vor der Brust.
Schließt Augen. Lippen bewegen
sich zu unhörbarem Gebet, etwa
drei Sekunden, dann unbewegt.
Hände bleiben gefaltet. Leise)
Um Jesu Christi willen Amen.
(Augen öffnen sich, Hände lösen
sich und legen sich wieder auf
den Hügel. Pause. Sie faltet
abermals Hände vor der Brust,
schließt Augen, Lippen bewegen
sich zu unhörbarem Nachsatz,
etwa drei Sekunden. Leise) In
alle Ewigkeit Amen. (Augen
öffnen sich, Hände lösen sich
und legen sich wieder auf den
Hügel. Pause.) Beginne, Winnie.
(Pause.)Beginne deinen Tag, Winnie.


Oder ohne Regieanweisungen:
 
WINNIE Wieder ein himmlischer Tag.
Um Jesu Christi willen Amen. In
alle Ewigkeit Amen. Beginne, Winnie.

Beginne deinen Tag, Winnie.

Sein Bild hängt seit 30 Jahren an meiner Wand. Samuel Barclay Beckett, Ire, Poet, schönster mir bekannter Gesichtsfaltenträger.

 
Eine Frau auf einem Stuhl. Ein Mann, den man nur von hinten sieht. Alles was darüber hinaus auf der Bühne ist, könnte auch nicht da sein. Der Mann spricht wenig, genauer gesagt, 45 Worte. Rudolf Fernau ließ sich in der deutschen Uraufführung nach 6 Tagen umbesetzen. 

WINNIE versetze dich in die
Zeit, etwas sagt mir, versetze
dich in die Zeit, Winnie, da die
Worte fehlen werden 
 
Die Frau spricht viel, verliert den Faden, schnattert, murmelt, verstummt gelegentlich, die Augen bleiben hoffnungsfroh, der Mund kämpft gegen ein riesiges Weinen, sie schwatzt weiter, nähert sich einer Wahrheit, doch sie zerfällt ihr irgendwo zwischen Rachen und Lippe.

WINNIE
keine Verschlimmerung - 
keine Besserung, keine Verschlimmerung - 
keine Veränderung -
keine Schmerzen - 
fast keine -
das ist die Hauptsache -
da geht nichts drüber


Einundeinehalbe Stunde Dagmar Manzel als Winnie. Ganz zart, schamhaft darum bemüht den eigenen Untergang wegzureden. 
Immer wieder glaubt sie einen Haltepunkt gefunden zu haben, 
fällt tief ins Schweigen, haspelt, hackert, stottert, löst sich mehr und mehr auf
Nicht mehr, aber auch keine kostbare Silbe weniger.
 

Donnerstag, 27. April 2017

Absurd, absurder, am absurdesten

Ein Bundeswehr-Soldat bewirbt sich, behauptend er sei ein syrischer Flüchtling, um Asyl im Deutschland des Jahres 2017. Er spricht kein einziges Wort arabisch. Wird dennoch von der zuständigen Behörde anerkannt, erhält die gesetzlich zugesicherte finanzielle Unterstützung, nimmt sie in Empfang und plant gleichzeitig einen terroristischen Anschlag, den er dann echten Flüchtlingen unterschieben will. Zum Beweis ihrer terroristischen Grundtendenz.
Wer diese Geschichte glaubt, wird selig. Bin ich selig? Selig sind doch bekanntermaßen, die, die reinen Herzens sind?
Ist es Durchtriebenheit? Oder Wahnsinn mit Methode? Oder ist Hass  einfach ein irrwitziger Ratgeber?
Hat der Mann sich amüsiert, als alle auf seine Scharade reinzufallen schienen. Fühlte er sich allmächtig, als er den Gutmenschen und Fremdlingen eins auszuschwischen schien? Ist er grenzdebil oder sind es unsere Ämter?
Jeder Mensch hat die gleichen Rechte. Und die gleichen Pflichten.
Jeder Mensch in Not, bedroht durch Krieg, Tyrannei oder Hunger, hat ein Recht auf unsere Hilfe. Jeder Mensch muß dies aber auch anderen Menschen zugestehen. Jeder. 
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. 
Schutz gegen jeden Angriff, ob von rechts, links, mitte außen, nord, süd oder durch religiös begründete Intoleranz. 
Jeder Mensch hat das Recht auf diesen Schutz. Aber kann es einer dieser Menschen nicht ertragen, dass ein anderer Mensch anders leben will, als es ihm richtig erscheint, und will er dieses Recht des Anderen deshalb verletzen oder einschränken, dann muß er bestraft werden. Hart. Mit der ganzen Kraft unseres Gesetzes.
Genausowenig man ein bisschen schwanger sein kann, genausowenig kann mann ein bisschen demokratisch sein. Entweder, Oder. Wir müssen die NPD aushalten, solange sie sich in den Grenzen des Grundgesetzes bewegt. Wir müssen, schweren Herzens, kopftuchtragende Mädchen akzeptieren und die Beschneidung kleiner jüdischer Jungs. Bei der Beschneidung kleiner Mädchen sieht es anders aus, denn die nimmt ihnen das Recht auf zukünftige sexuelle Lust. Kopftuchverhüllte Mädchen müssen aber halt auch den Anblick von Aktbildern ertragen und winzig kleine Bikinis im deutschen Bade-Sommer. 
Wir wiederum müssen Sarrazin aushalten und die wiederwärtigen, verlogenen Leugner des Holocaust. Aber, sobald jemand unser mühsames Aushalten nicht aushält, muß er die Strenge unserer Gesetze spüren. 
Jeder wie er will. Aber, dass heißt auch Akzeptanz des Willens des anderen.
Wäre ich Diktator, was ich, Gott sei Dank, nie sein werde, würde ich alles mögliche verbieten. "Wenn ich König von Deutschland wäre". Bin ich aber nicht. Und das ist gut so. Meine Meinung ist eine von vielen. Ihr müßt sie aushalten. Und ich die eure. 
Demokratie heißt für mich auch, die Dummheit der anderen zu ertragen. Solange die Mehrzahl meiner Mitbewohner dumm ist, wird auch unsere Politik dümmlich sein. 
Selbst Trump, der Drecksack, ist demokratisch gewählt worden. Wobei viele eigensüchtige Billonäre diese "freie" Entscheidung gefördert haben. Trump hat aber Teile des Senats und Teile der Presse als Widersacher. Widerspruch, ein zutiefst demokratisches Konzept. Erdogan zum Beispiel verhaftet einfach alle, die ihm widersprechen. Orban in Ungarn und Jaroslaw Kaczynski in Polen planen dasselbe. 
Was können wir tun, um die Demokratie, schwach und korrumpiert, aber doch immer noch besser, als alle anderen Regierungsformen, zu schützen?


Türkische Soldaten und ein Flüchtlingskind an der Grenze zu Syrien nahe der Stadt Akcakale im Südosten der Türkei ©Osman Orsal/Reuters

Fluggast 2017

Eine beliebige Flugreise mit einer beliebigen Fluggesellschaft im Jahr 2017, dem Jahr 16 nach 9/11 und dem zigsten Jahr im scheinbar ewigen Wettkampf der Fluggesellschaften um hohe Gewinnspannen.

Das Abenteuer beginnt, außer in Tegel, bei weiten Reisen, heutzutage zwei Stunden vor Abflug, mit Warten. In Israel waren es drei.
Entweder hat man, wie ich, online eingecheckt und wandert halbwegs flüssig durch die Gepäckaufgabe, oder lungert ergeben in der langen, langsamen Schlange vor einem der zu wenigen Eincheckschalter.

Passkontrolle, hier verliere ich einen Mitreisenden, der die notwendigen,  neuerfundenen Papiere nicht vorweisen kann und betäubt zurückbleiben muß. ETA, SETA - Länder, gerade noch visafrei besuchbar, tricksen ein Halbvisum herbei, online auszufüllen, ein paar Euro bezahlt und das Versprechen gegeben, dass man kein Terrorist sei. Wenn man allerdings die Info verpaßt hat - aus der Traum.

Sicherheitskontrolle, mein Cremedöschen wird als mögliches Sprengstoffbehälterchen konfisziert, meine schwitzige Fußsohlen mißtrauisch untersucht, das iPad aufgeklappt und angestarrt. Verkrampfte Körper werden zentimeterweise abgefühlt oder in Röntgen-Fix Kabinen durchleuchtet, die Füße gespreizt aufgestellt auf den auf dem Boden gemalten Sohlen, die Hände in Ergebungsgeste erhoben. Anmerkung: Schuhe sollten leicht an- und ausziehbar sein, die Dame vor mir, hat eine halbe Stunde die Senkel ihrer oberschenkelhohen Schnürstiefel bearbeitet. 

Tegel rund, praktisch und ältlich, kurze Wege und wenig Glamour, Frankfurt geeignet für Marathontrainingseinheiten, München mit schickem Shuttleservice, Genf mit Raucherlaubnis unter Dunstabzugshauben, Charles-De-Gaulle ohne Wegweiser, Heathrow mit psychedelischen Teppichmustern, aber letztendlich gleichen alle großen Flughäfen mehr und mehr anonymen Einkaufszentren mit angeschlossenem Flugbetrieb. Das Essen ist schlecht und überteuert, Sushi, nur entfernt mit der japanischen Speise verwandt, immer noch die sicherste Wahl, reichlich Wasabi deckt auch den ödesten Fisch mit Schärfe zu.

Ich beobachte, wie in umgekehrter Proportionalität zum immer geringeren erlaubten Gewicht des abzugebenden Gepäcks, die ins Flugzeug mitgenommenen Taschen an Masse zunehmen. Dass heißt, dass ich in den engen Gängen des Luftgefährts erst anderen mein Zeugs um die Ohren schlage, und dann sitzend, selbst mehreren fetten Taschen nur um Haaresbreite ausweichen kann. Wir drängeln uns also, zugehängt mit Handgepäck; Rollkoffer, Computertasche, Nackenkissen etc. auf die Sitze, Fenster bevorzugt, Mitte gehaßt, Gang geht noch, mit dem Nachteil, dass man den Arm oder den Arsch der überlasteten Flugbegleiter gelegentlich mitten im Gesicht hat. 
Flugbegleiter, Steward oder -ess, einstmals ein Beruf mit der schicken Aura der Weltläufigkeit, ist heute, zumindest auf Kurzstreckenflügen, wohl eher die Pflicht in häßlicher Uniform Wagen mit vielerlei Getränken im Sausetempo durch schmalste Gänge zu schubsen. Je schmaler der Gang, desto mehr Sitze passen rein, na klar. Aus wissenschaftlich nachweisbaren, mir nicht erinnerlichen Gründen, ist Tomatensaft und sein alkoholischer Verwandter, die Bloody Mary, in Flugzeugen besonders beliebt.

Economy - Premium Economy - Business Class - First Class. 
Glasklare Klassenunterschiede auf engstem Raum, ohne die übliche verschwiemelnde Tünche, extra Einstieg, besseres Essen, freundlicherer Service in Sichtweite, denn für Start und Landung müssen die verhüllenden Vorhänge weggezogen werden. Entweder sitzt du, die Ohren im direkten Kontakt mit deinen Knien und die Ellbogen im Dauerstreit um die schmale Armlehne mit Deinem Nachbarn. Oder du entspannst in Eigenentscheidung über den Grad deines Lümmelns.

Detail: Ich muß pullern, als gerade Essen verteilt wird, der Wagen versperrt den Gang links und rechts, die Toiletten in die andere Richtung sind den Gästen der ersten Klasse vorbehalten, Gott sei Dank habe ich eine geduldige Blase. 

Mein letzter Flug, gestern, acht Stunden in Economy plus, was nicht zu unterschätzende 20 Zentimeter mehr Beinfreiheit bedeutet und metallenes Besteck, anstatt Plastemessern. Auf einem Bildschirm 20x30 schaue ich Star Trek XVII. und diverse andere uninteressante Filme. Essen habe ich mitgebracht. Es geht nach Hause, ich bin voller Vorfreude. Nur einhundertfünfzig Jahre früher hätte ich sechs Tage benötigt, um von Amerika nach Hause zu fahren, per Schiff.

So sagt es Wiki: Die Dauer der Überfahrt von Europa nach Amerika hat sich im Laufe eines Jahrhunderts folgendermaßen verringert: Im Jahre 1801 stellte der einer Hamburger Reederei gehörige Dreimaster „Hoffnung“ mit der Reisedauer von 30 Tagen einen Rekord auf. Bis dahin hatten Segelschiffe im Durchschnitt 33 Tage zum Kreuzen des Ozeans gebraucht. Bereits 18 Jahre später, 1819, brauchte als erster Ozeandampfer die „Savannah“ zur Überfahrt nur noch 25 Tage, obgleich das Fahrzeug äußerst plump konstruiert war und wegen Raummangels nicht genügend Kohlen für die ganze Reise mitnehmen konnte. 1830 wurde dann von dem Engländer Cunard, nach dem die berühmte Reederei noch heute ihren Namen führt, die erste regelmäßige Dampferverbindung zwischen den beiden Kontinenten eingerichtet. Die Cunardschiffe, ebenfalls Raddampfer, legten die Strecke bereits in 18 Tagen zurück. 1848 wurde der bisherige Rekord dann durch die „Britannia“ gedrückt, die nur 14 Tage bis New York gebrauchte. Bereits 8 Jahre später, 1856, brachte es die mit Maschinen von 3600 Pferdestärken ausgestattete „Persia“ auf 9 Tage. Mit der Einführung der Schiffschraube für die Ozeandampfer und des Stahles als Baumaterial gelang dann eine weitere Verkürzung der Reisedauer. 1860 sehen wir den ersten Schraubendampfer, den „Excelsior“, den Ozean in 8 Tagen kreuzen. 1862 brauchte der Hamburger Dampfer „Prussia“ nur noch 7 Tage. 1887 erreichte die in Deutschland erbaute „Lahn“ ihr Ziel in 6 Tagen.

Das Fliegen in den Sechzigern: https://www.youtube.com/watch?v=QaXZ8Nisyjo 
https://www.youtube.com/watch?v=2sgVW484UW0 
https://www.youtube.com/watch?v=sHELzkz6Z_8 

Die Fliege im Flugzeug
Ich war der einzige Passagier
Und hatte - nur zum Spasse -
Eine lebende Fliege bei mir
In einem Einmachglase.

Ich öffnete das Einmachglas.
Die Fliege schwirrte aus und sass
Plötzlich auf meiner Nase
Und rieb sich die Vorderpfoten.
Das verletzte mich.
Ich pustete. Sie setzte sich
Auf das Schildchen "Rauchen verboten".

Ich sah: der Höhenzeiger wies
Auf tausend Meter. Ha! Ich stiess
Das Fenster auf und dachte
An Noahs Archentaube.
Die Fliege aber - ich glaube,
Sie lachte.
Und hängte sich an das Verdeck
Und klebte sehr viel Fliegendreck
Um sich herum, im Kreise,
Unmenschlicherweise.

Und als es dann zur Landung ging,
Unser Propeller verstummte,
Da plusterte das Fliegending
Sich fröhlich auf und summte.

Gott gewiss, was in mir vorging,
Als solches mir durchs Ohr ging.
Ich weiss nur noch, ich brummte
Was vor mich hin. So ungefähr:
Ach, dass ich eine Fliege wär.

Joachim Ringelnatz

Dienstag, 25. April 2017

Hieronymos Bosch getanzt - Verwirrende Träume

DER GARTEN DER IRDISCHEN LÜSTE

Das Dreitafelbild "Der Garten der Lüste" ist ein Triptychon des niederländischen Malers Hieronymus Bosch. Die Forschung geht davon aus, dass das Werk um 1500 gemalt wurde, so schreibt Wiki.

220 × 390 cm, riesengroß, Ölfarben auf Eiche - die Augen gehen mir über

Der Maler, der Mann "mit dem heiligen Namen", was die Übersetzung seines Vornamens wäre, hat nahezu sein gesamtes Leben in einer mittelgroßen Stadt in Brabant, damals ein Teil der Niederlande, zugebracht, in 's-Hertogenbosch, er war fest eingebunden in die städtischen und religiösen Bindungen seiner Zeit und blieb unauffällig in den uns bekannten historischen Annalen. Welche furchterregenden, erotischen Phantasmen bevölkerten seinen Kopf? Waren es ausschließlich die biblisch gespeisten Bilder der ihm zugeordneten Zeit oder besaß er wahrhaft das dritte Auge, das unsere Urängste sehen kann, das was nach Mitternacht in unseren Träumen tanzt? Haben ihm "die Parzen bei der Geburt die Augenlider weggeschnitten", wie es Heiner Müller über Georg Büchner formulierte?
Die Redewendung "die Augen gehen einem über" hat zwei Bedeutungen; zum einen in der Umgangssprache: »Jemand ist durch einen Anblick überwältigt«, und zum andern in gehobener Sprache: »Jemand beginnt zu weinen«. Die zweite Verwendung findet sich bereits im Johannesevangelium (11, 35), wo es von Jesus beim Anblick des toten Lazarus heißt: »Und Jesu gingen die Augen über.« Goethe benutzt den Ausdruck in der in Faust I eingegangenen Ballade »Der König von Thule« (1774): »Die Augen gingen ihm über,/Sooft er trank daraus«

http://universal_lexikon.deacademic.com 
Im Englischen wird das Bild "The garden of earthly delights" genannt, "Der Garten der irdischen Vergnügungen". Höllisches Grausen rechts,  neutestamentarische Verharmlosung links, aber was ist das bitte in der Mitte? "A place filled with the intoxicating air of perfect liberty", "ein Ort erfüllt von der berauschenden Luft der perfekten Freiheit", wie es der amerikanische Autor P. S. Beagle nannte?
Was ist mit uns passiert in dem Raum zwischen Unschuld und dem Wissen um Gut und Böse? Ein gutsituierter Provinzler malt unsere Albträume? Es gibt in der Malerei ein Davor und ein Danach, aber nichts dergleichen. Was wußte er, das wir nicht wissen wollen?


Bei Marie Chouinard entsteht daraus ein Kampf zwschen den hypnotischen Bildern Boschs und den darauf reagierenden Tänzern ihrer Compagnie. Zwei seitlich positionerte Videoschirme zeigen Details der Bilder und ich erwische mich mehrmals dabei, dass ich auf diese starre und den im selben Moment stattfindenden Tanz verpasse. 
Zehn Tänzerinnen und Tänzer tollen zunächst in fast naiver Unschuld mit- und umeinander, werfen sich dann in den wüsten Tumult des Fegefeuers, um schließlich in Stille und Frieden des Paradiesgartens die biblischen Bildwelten zu hinterfragen. 
tanzschrift.at Wien August 2016 








Sonntag, 16. April 2017

Das Wundertheater des Robert Lepage

Ein nicht mehr ganz junger Mann betritt die schwarze Bühne, bittet uns darum unsere Telephone auszuschalten, zeigt sein eigenes, dass er gern & viel benutzt, gerät ins Schwatzen, und schon sind wir, wie Alice durch den Kaninchenbau, ins Wunderland gefallen.
Lepage erzählt fragmentiert, mit weiten Kurven und abrupten Sprüngen über seine Kindheit im Quebec der sechziger Jahre, genauer in der Murraystreet 887, so der Titel des Abends. 
Der sich erinnernde Mann. So könnte der Abend auch heißen.

Wir hören, dass er vor einigen Jahren eingeladen war bei einer Poesienacht ein Gedicht vorzutragen, auswendig, wie er beim Lernen scheiterte, wie er versuchte sich mit Hilfe einer mnemonischen Technik, dem Gedächtnispalast, zu helfen. Der Moment war sein Kaninchenloch, das Gedicht: Sprich Weiß!

Speak White (dt. „Sprich weiß“) ist eine rassistische Beleidigung, die anglophone Kanadier gegen jene benutzten, die in der Öffentlichkeit eine andere Sprache gebrauchten. Die Verunglimpfung inspirierte die Québecer Schriftstellerin Michèle Lalonde 1968 zu einem Gedicht in französischer Sprache. (Wiki)

Er dreht den Mittelteil der schwarzen Hinterwand, ein Kubus wird sichtbar und nun steht er vor einem etwas mehr als mannshohen Haus, eben jenem in der Murraystreet 87. Hinter den Fenstern beginnen sich Leute zu bewegen, ein Mann auf Krücken tritt langsam und ungelenk ans Fenster, er hat den Gebrauch seiner Beine und seine Verlobte bei einem Unfall verloren, eine betrunkene Frau stolpert die Treppe herauf, ihr Mann wartet ungeduldig tigernd in der rechten Wohnung im ersten Stock, im dritten links putzt eine Frau unmäßig intensiv das Fenster. Später wird sie nun nicht mehr als Miniaturvideo, sondern als sich durch Miniaturtechnologie bewegende Puppe, dasselbe Fenster von außen putzen.


Trailer zu 887


Er dreht den Kubus weiter, wir sehen die Seiten ansicht des Hauses, ein Taxi fährt von rechts auf die Bühne, hält, ein winziger roter Punkt glü auf. Sein Vater, ein Taxifahrer, sitzt in dem Auto und raucht eine Zigarette, er hat Dienstschluß, es ist sehr spät, auf dem Balkon der Wohnung Lepage, steht das Kind Robert und wartet auf das Heimkmmen des Vaters, über Funk kommt eine Meldung, das Taxi fährt nach links ab, der Erzähler schaut hinterher, sein Kind-Puppen-Ich legt er vorsichtig auf dem Balkon zum schlafen. 

© NY Times

Und eine weitere Drehung, der Kubus wird aufgeklappt, das Zimmer des Autors wird sichtbar, in dem er versucht das verflixte Gedicht auswendig zu lernen. 
Es wird noch einige Drehungen und Verwandlungen des "Gedächtnispalastes" geben, noch viele zauberische Details, magische Technologie, und alles im Dienst dieser verschlungenen Erinnerungsreise. Sehr persönlich, aber nicht privat, sehr mutig, sehr klug. 


Ich muß an Robert Wilson denken, einen anderen großen nordamerikanischen Theaterregisseur, der sich panzert durch immer perfektioniertere Technik, Lepage, scheint mir, eröffnet uns durch das Nutzen moderner Technologie im Dienst des alten geliebten Theaters die Welt.  Eine Freundin sagt:" Er humanisiert die Technik."

Und dann spricht, brüllt, wütet er gegen Ende, das nunmehr memorierte Gedicht in den Saal, einen Text über Klassenunterschiede, Ungerechtigkeit und Widerstand. Hui! Das würde sich in Deutschland, denke ich, momentan keiner trauen, vor lauter Angst veraltet und unmodern zu wirken. 
Jetzt hätte ich fast vergessen, dass beim Applaus sich auch die 8 Techniker verbeugen, die diesen manchmal scheinbar fast improvisiert erscheinenden, aber minutiös geprobten Abend, miterschaffen. 

https://de.wikipedia.org/wiki/Stille_Revolution

Exzerpt aus dem Gedicht "Speak White":

...
Ah!
Speak white
Big deal

But to tell you about
The eternity of a day on strike
To tell the story of
How a race of servants live
But for us to come home at night
At the time that the sun snuffs itself out over the backstreets
But to tell you yes that the sun is setting yes
Every day of our lives to the east of your empires
There's nothing to match a language of swearwords
Our none-too-clean parlure
Greasy and oil-stained.

Donnerstag, 13. April 2017

Vielleicht, vielleicht auch nicht

Vielleicht ist ein komisches Wort. Vieles leicht, vieles in der Möglichkeit oder nur eines von vielen. Was meint es?
Der Duden schreibt: spätmittelhochdeutsch villīhte, zusammengerückt aus mittelhochdeutsch vil līhte = sehr leicht, vermutlich, möglicherweise, eventuell.

Das ist ein krummer Weg von 'sehr leicht' nach 'nicht sicher'. Und 'vermutlich' ist sich schon um einiges sicherer als das nichts wissende 'vielleicht, oder? Könnte sein, muß aber nicht - meint das eine. Wahrscheinlich schon - das andere. 

VIELLEICHT

Peter 
Meine Lieben und Getreuen, ich wollte euch hiermit kund und zu wissen thun, kund und zu wissen thun – denn entweder verheirathet sich mein Sohn, oder nicht, entweder, oder – ihr versteht mich doch? Ein Drittes gibt es nicht. Der Mensch muß denken. Wenn ich so laut rede, so weiß ich nicht wer es eigentlich ist, ich oder ein Anderer, das ängstigt mich. Ich bin ich. Was halten Sie davon, Präsident?
Präsident 
Eure Majestät, vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so.
Der ganze Staatsrath im Chor 
Ja, vielleicht ist es so, vielleicht ist es aber auch nicht so.
Peter
O meine Weisen! 
Leonce und Lena Georg Büchner

Du bist vielleicht gut! Du bist mir vielleicht einer! Du machst vielleicht Sachen! Du machst mir vielleicht Spaß!  


DAS VIELLEICHT-LIED

Vielleicht vergeht uns so der Rest der Jahre,
Vielleicht vergehn die Schatten, die uns störten,
Und die Gerüchte, die wir kürzlich hörten,
Die finster waren, waren nicht das Wahre?


Vielleicht, dass sie uns noch einmal vergessen,
So wie wir gern auch sie vergessen hätten?
Wir setzen uns vielleicht noch oft zum Essen.
Vielleicht sterben wir noch in unseren Betten?


Vielleicht, dass sie uns nicht verdammen, sondern loben?
Vielleicht gibt uns die Nacht sogar das Licht her,
Vielleicht bleibt dieser Mond einst voll und wechselt nicht mehr?
Vielleicht fällt Regen doch von unten nach oben?


Vielleicht fällt Regen doch von unten nach oben?

Bertolt Brecht 

Und noch eins:
Eventuell bekommst du Eis
Heißt, dass man es noch nicht weiß,
Eventuell ist überall,
Besser als auf keinen Fall.