Samstag, 1. November 2014
Eine besorgte & ernsthafte Frage mit anschließender Diskussion
http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/video-zeigt-taegliche-belaestigung-einer-frau-in-new-york-13236890.html
Eine besorgte & ernsthafte Frage.
Momentan stoße ich auf Facebook des öfteren auf das obige Video: eine Frau läuft einen Tag lang durch New York und wird immer wieder angemacht. Mal charmant, mal plump, mal penetrant. Der Film steht unter einem Titel, der das Wort harassment, also "Belästigung, Bedrohung, Schikane" enthält. Warum? Ich gehöre einer Generation an, die unter Feminismus ökonomische und soziale Gleichstellung verstand. Muß ich die teilweise ungelenken Flirtversuche meiner männlichen Mitbürger als Bedrohung empfinden? Es handelt sich in dem Video nicht um Vergewaltigung oder körperliche Angriffe. Wenn ich "gleichberechtigt" bin, nicht durch körperliche oder hierachische Gewalt bedroht, warum kann ich mich dann nicht "gleichberechtigt" wehren? Warum sollte ich Opfer, sein wenn ich dem anderen, dem Mann in diesem Fall, als Gleichberechtigte begegne?
Ich hatte dasselbe auf Facebook veröffentlicht und damit eine interessante Diskussion eingeleitet, allerdings eine, ohne letzte einigende Antwort.
Ein Mann schrieb:
Ich will hier nicht den Frauenversteher geben, aber für mich geht es dabei darum, dass Männer sich das Recht nehmen, Frauen immer und überall anzubaggern. Das ist natürlich was anderes als körperliche sexuelle Gewalt, aber wenn ich mir vorstelle mir passierte das andersrum - das fände ich ein paar Tage vielleicht sogar schmeichelnd, irgendwann nervig und dann sicher unverschämt und belästigend. Also hypothetisch, Und ich finde schon, jeder Mensch sollte das Recht haben durch die Straßen zu gehen ohne permanent angemacht zu werden.
Ein anderer Mann:
Und wenn der Kerl ins Beutschema passt, dann ist es witzig und charming, wenn nicht plump und aggressiv. Man (frau) kann doch einfach sagen "Kein Interesse" und wenn dann Ruhe ist, ist es doch okay. Lieb er von einem zuviel angelabert als gar nicht, finde ich für mich, ganz subjektiv.
Und ein anderer:
die amerikanischen männer fahren teilweise nicht mehr mit frauen zusammen im fahrstuhl. sie könnten verklagt werden, weil sie ihnen zu nahe kommen. die amidamen sind auf einem belästigungstrip, der lässt brüderles dirndltusse alt aussehen... (ok, das dirndl nehm ich zurück)
Und noch ein anderer:
Also, das, lieber xxx, ist erstklassiger Nonsens -- genau, wie die meisten der Medienenten über die unglaublichen Schadensersatzklagen, unter denen amerikanische Firmen zu leiden haben.
Jetzt folgte ein längeres Gespräch:
Und noch ein anderer schrieb weiter:
Was das Video angeht, Johanna, fand ich das schon etwas widerlich, was da zu sehen war. Nicht so sehr die vielen plumpen Anmachversuche: das erscheint mir zwar nervig, in der Masse sicher auch belästigend, aber ja mei. So sans halt. Sondern die Männer, die trotz Zurückweisung die Frau nicht in Ruhe lassen. Der Typ, der fünf Minuten neben ihr herläuft. Das sind so Nummern, wo sich aus meiner Sicht schon was verschiebt ins Bedrohliche. Oder nicht? Und freilich hat die Frau das Recht, dem Menschen zu sagen, er soll sich schleichen -- aber was, wenn er das nicht tut? Und als Mann gefragt: was gibt mir eigentlich das Recht, mich so gegenüber irgend einem Mitmenschen zu verhalten, Frau oder Mann? Wieso sollte es die Pflicht der Frau sein, sich zu wehren -- und nicht auch die Pflicht des Mannes, sich sensibel gegenüber anderen Menschen zu verhalten?
Meine Antwort:
Und Frauen tuen so etwas nicht? Wir sind rund um die Uhr sensibel? Wir schauen auf nicht Ärsche, Münder, etc. und erwarten Reaktionen? Und wenn sie nicht kommen, sind wir sauer. Mich macht der Versuch, mich in ein Opfer viktioranischer Moral zu machen, recht wütend. Solang ich in der Lage bin mich zu wehren, will ich mich wehren können. Alles was darüber hinaus geht, ist Gewalt.
Und noch ein anderer:
Ich verstehe diesen Kontrast überhaupt nicht. Wer sagt denn, dass sich Frauen nicht wehren sollen? Das einzige, worum es mir in dem Video zu gehen schien, war, wie häufig die Frau im Laufe eines Tages sich wehren hätte wollen/können/sollen. Und was ist denn bitte daran "viktorianisch" zu sagen, dass es nervig ist, wenn einen ständig irgendwelche Menschen anlabern?
Meine Antwort:
Wenn sie es nicht tun, was ist dann?
Und noch ein anderer:
Wenn einen überhaupt niemand mehr anspricht? Dann ist Scheiße. Ist doch auch klar -- und darum geht's doch eben in dem Video.
Aber das ist doch keine entweder/oder Frage -- sondern eine Frage des Grades und der Situation. Der fünf-Minuten-Stalker war auf jeden Fall unheimlich -- oder etwa nicht?
Meine Antwort:
Du und ich werden von Arbeitgebern angemacht, angewiesen, eingeschräkt und wehren uns, so gut wir können. Das Laufen durch die Stadt ist im Vergleich dazu harmlos.
Und noch ein anderer:
Das ernstere Problem mit dem Video, aus meiner Sicht, ist das hier:
http://www.slate.com/blogs/xx_factor/2014/10/29/catcalling_video_hollaback_s_look_at_street_harassment_in_nyc_edited_out.html
Meine Antwort:
Nein. Ich widerspreche. Als erwachsene Frau. Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Machtmißbrauch auch. Aber solange ich mich in einem Bereich bewege, in dem ich mich wehren kann, will ich als Gegner anerkannt werden.
Und noch ein anderer:
Ich verstehe noch immer nicht, wer welcher Frau dieses Recht abgesprochen hat. Muss aber auch sagen, dass mir das als Gesellschaftsentwurf etwas suspekt ist: ich hätte eigentlich lieber weniger Gegner auf den Strassen als mehr...
Meine Antwort:
Eben. Weniger Gegnerschaft. Mehr entspannte Hinnahme. Manche Männer plappern hormonell gesteuerten Quatsch. Manche gehen etwas zu weit und werden von erwachsenen Frauen zurechtgewiesen. Erst dann beginnt der Bereich des "harrasments".
Und noch ein anderer:
Klar. Das sehe ich viel anders nicht. Obwohl ich wünschte, meine Geschlechtsgenossen könnten etwas erwachsener agieren.
Meine Antwort:
Das wünschte ich von meinen auch.
Egal. Jedem Tierchen sein Plaisierchen. Aber wo endet normaler sozialer Umgang inklusive harmlosen sexuellen Angeboten und wo beginnt Mißbrauch? Ich mag nicht schwächer einsortiert werden, als ich bin, aber ich will geschützt sein, wenn ich es brauche.
Eine Frau schrieb:
Ich glaub, das Video ist von hinten bis vorn gestellt.
Und noch ein anderer Mann:
Sehr schön formuliert: “Ich mag nicht schwächer einsortiert werden, als ich bin, aber ich will geschützt sein, wenn ich es brauche.“ Das Problem besteht darin, dass es mittlerweile unendliche Menschenmengen gibt, die für Dich (oder POCs, Burkaträgerinnen, schlechte-Noten-schreibende Kinder, sonst was) entscheiden wollen, ob und wann Du Hilfe brauchst. Was sie selbst natürlich nicht als Übergriff verstehen, weil deren Köpfen die Abweichung von IHREN Wertvorstellungen genauso geahndet wird wie beim Ku-Klux-Klan. Nur nehmen sie nicht Peitsche und Feuer, sondern soziale Netzwerke und Onlinepetitionen. Zwangsbeglückung oder Freiheit 2.0
Und eine Frau:
Ich bin bei xxx. Und bei dir. Ich sehe ein Video, das behauptet, in zehn Stunden entstanden zu sein. Was wurde da geschnitten, wo Ton unterlegt, wo es vielleicht keinen gab... Und ich sehe eine schweigende Frau, die auf keine der vermeintlichen Anmachen irgendwie reagiert. Weder mit Protest noch Gelächter, nicht mit Scham noch Tränen, ohne Flucht oder Konfrontation.
Also? Krieg ich hier doch erzählt, dass ich Püppi allein auf einer Strasse vollkommen handlungsunfähig bin! Für keine Frau der Welt (welcher Kampfeskraft auch immer) zutreffend.
Also? Ein Wunschbild, eine Projektion? Wer erzählt hier, dass Frauen so sind? Und was will er?
Nebenbei sind es auch nicht Männer jeder Couleur in jeder Hinsicht, auch hier bekomme ich eine suggestive Infusion...
Wer also verbreitet warum diese Botschaft?
Ein neuer Mann:
das ist die welt in der ich lebe? eine frau, die aushalten muss auf widerlichste weise angemacht zu werden. leute, die ein video davon mit: is doch normal, kommentieren. hallo? so sollen wir leben wollen? nicht mit mir.
Eine andere Frau:
Es gibt eine Erfahrung von mir, nämlich dass ich ausstrahlen kann, dass man mich ja nicht anmachen möge, das ich kein "Opfer" bin. Irgendwie funktioniert das. Ein anderes Mal, wenn ich vielleicht selber flirty bin , lege ich diese Ausstrahlung nicht um mich und auch mein Umfeld reagiert anders. Jetzt bitte aber nicht im Sinne von :" die Frauen sinds ja selber schuld" verstehen. Ich weiß auch gar nicht, ob meine Erfahrung verallgemeinerbar ist.
Noch eine Frau:
Hallo, ich möchte auch was zu bedenken geben! Als Frau finde ich natürlich auch: Hey, ich bin kein Opfer. Und gleichberechtigt wäre ich auch gern. Fakt ist - ist noch nicht so, nicht in allen Bereichen. Nee, von Opfer spreche ich da nicht, bin ja aktiv und mach was dafür, dass es sich (weiter) ändert. Aber Kacke finde ich das schon! Wenn ich auf der Straße angemacht werde, klar, da kann ich mich gescheichelt fühlen oder genervt und das sagen oder vielleicht weiß ich gar nicht, was ich tun soll und mach erstmal nix. Oder lächel blöd. Oder erzähl ne blöde Geschichte von meinem Freund, der auf mich wartet. Soll aber nicht die immer noch vorhandene Ungleichheit verschleiern, in der ein Frauen-Mädchen Rollenvorbild eben nett und höflich ist und die es Frauen eventuell erschwert, nervige Typen abzuwehren. (Ohne dass Frauen gleich in ne Opferrolle gehen / gehen sollten.) Meine Freundin ist US-Amerikanerin und wohnt seit 2009 in Deutschland und sagt, das sei überhaupt kein Vergleich, in den USA sei sie viel häufiger angelabert worden. Auch da finde ich: Es wird einfach ätzender, wenn es häufiger passiert. Ich meine, extremere Varianten kenne ich aus Clubs, wenn mir ein Typ an den Hintern fasst (am besten noch: mich danach angrinst und mir zuprostet nach dem Motto: na, jetzt hast du doch bestimmt Lust! Nein, hab ich nicht, auch wenn mein Kumpel meinte, ich soll das als Kompliment verstehen. Tu ich nicht. Geh auch nicht ins Opfer, sondern wehr mich.) Ich habe keine Lust, dass ich mit meinem Körper viel mehr als sexuelles und verfügbares Objekt angesprochen werde als Hetero-Cis-Männer. Ich finde, das ist ein gesellschaftliches Ding, dass Frauen überall als sexuell möglicherweise verfügbare Objekte dargestellt werden. Und das zeigt sich m.E. nach auch in dem Video. Nicht die einzelne Ansprache ist im Normalfall doof (es sei denn, ich bin ganz dolle schüchtern, kann nicht nein sagen oder mein "nein" wird nicht verstanden). Aber ich kritisiere das von mir dahinter vermutete Männerbild (aktiver Frauenjäger) und Frauenbild (Sex-Objekt). Und zum Thema "Nein"
http://www.womensafetyawareness.com/tips/no-means-no/
Freitag, 31. Oktober 2014
Paul Strand
PAUL STRAND
1890 - 1976
"Deine Bilder sind ein Beleg deines Lebens -
für jeden der wirklich sehen kann. Du wirst die Sicht anderer Leute sehen und sie wird dich beeinflussen, du wirst sie sogar benutzen, um deine eigenen zu finden, aber du letztendlich mußt du dich von ihr befreien. Dass ist, was Nietzsche meinte, wenn er sagte, 'Ich habe gerade Schopenhauer gelesen, jetzt muß ich ihn loswerden.' Er wußte, wie heimtückisch die Sicht anderer Leute sein kann, besonders eine, die die Kraft wahrer Erfahrung hat, wenn du ihr gestattest zwischen dich und deine eigene, persönliche zu kommen."
für jeden der wirklich sehen kann. Du wirst die Sicht anderer Leute sehen und sie wird dich beeinflussen, du wirst sie sogar benutzen, um deine eigenen zu finden, aber du letztendlich mußt du dich von ihr befreien. Dass ist, was Nietzsche meinte, wenn er sagte, 'Ich habe gerade Schopenhauer gelesen, jetzt muß ich ihn loswerden.' Er wußte, wie heimtückisch die Sicht anderer Leute sein kann, besonders eine, die die Kraft wahrer Erfahrung hat, wenn du ihr gestattest zwischen dich und deine eigene, persönliche zu kommen."
P.S.
Wall Street, 1915
Der Besuch der New Yorker Kunst Gallerie 219 in den Zehner Jahren des 20. Jahrhunderts, in der er dokumentarische Arbeiten von Alfred Stieglitz und Edward Steichen sah, muß Paul Strand heftig erschüttert haben, er veränderte seine Arbeitsweise, seine Motive und seine ästhetischen Regeln.
"Schau auf die Dinge um Dich herum, die unmittelbare Welt um dich herum. Wenn du lebendig bist, wird sie dir etwas bedeuten, und wenn dich Photographie genug interessiert, und wenn du weißt, wie man sie einsetzt, wirst du das Wesen photographieren wollen. Wenn du der Vorstellung anderer Leute erlaubst, sich zwischen dich und die Welt zu stellen, wirst du etwas sehr Gewöhnliches und Wertloses erreichen, eine illustrierende Photographie.
P.S.
New York 1917
Blinde Frau, New York 1917
Manhatta - New York die Großartige 1921
Ein Dokumentarfilm von Paul Strand und Charles Sheeler
Double Akeley, 1922
Richard Conway
Archina McRury, South Uist Hebrides, 1954
Die Worte des Glaubens
Drei Worte nenn' ich euch, inhaltsschwer,
Sie gehen von Munde zu Munde,
Doch stammen sie nicht von außen her,
Das Herz nur giebt davon Kunde,
Dem Menschen ist aller Werth geraubt,
Wenn er nicht an die drei Worte glaubt.
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd' er in Ketten geboren;
Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei,
Nicht den Missbrauch rasender Thoren.
Vor dem Sclaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht.
Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
Der Mensch kann sie üben im Leben;
Und sollt' er auch straucheln überall,
Er kann nach der göttlichen streben,
Und was kein Verstand der Beständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth.
Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke;
Hoch über der Zeit und dem Raume webt
Lebendig der höchste Gedanke;
Und ob Alles im ewigen Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.
Die drei Worte behaltet euch, inhaltsschwer,
Sie pflanzet von Munde zu Munde;
Und stammen sie gleich nicht von außen her,
Euer Inneres giebt davon Kunde.
Dem Menschen ist nimmer sein Werth geraubt,
So lang' er noch an die drei Worte glaubt.
Friedrich Schiller
Sie gehen von Munde zu Munde,
Doch stammen sie nicht von außen her,
Das Herz nur giebt davon Kunde,
Dem Menschen ist aller Werth geraubt,
Wenn er nicht an die drei Worte glaubt.
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd' er in Ketten geboren;
Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei,
Nicht den Missbrauch rasender Thoren.
Vor dem Sclaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht.
Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
Der Mensch kann sie üben im Leben;
Und sollt' er auch straucheln überall,
Er kann nach der göttlichen streben,
Und was kein Verstand der Beständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth.
Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke;
Hoch über der Zeit und dem Raume webt
Lebendig der höchste Gedanke;
Und ob Alles im ewigen Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.
Die drei Worte behaltet euch, inhaltsschwer,
Sie pflanzet von Munde zu Munde;
Und stammen sie gleich nicht von außen her,
Euer Inneres giebt davon Kunde.
Dem Menschen ist nimmer sein Werth geraubt,
So lang' er noch an die drei Worte glaubt.
Friedrich Schiller
Mittwoch, 29. Oktober 2014
Theaterwohnung 6 - Das Deutsche Fernsehen gebiert Monster
Vor nunmehr zwölf Jahren habe ich, im Zuge der Bekämpfung der hypnotischen Wirkung, die völlig undifferenzierte Fernsehbilder auf mich auszuüben in der Lage sind, den entsprechenden Apparat erst aus meinem Schlafzimmer und dann aus meinem Alltag verbannt. Ich hatte es satt, am frühen Morgen mit dem Soundtrack schreiender Werbewahnsinniger wachzuwerden. Noch jetzt erinnere ich mich mit Schrecken daran, wie ich eines Tages gegen 3 Uhr früh, durch das schrille Geschrei eines 90-jährigen muskelbepackten Zwerges geweckt wurde, der mir und einer begeisterten Kollegin mit manischem Enthusiasmus, die Wunderwirkung seines dubiosen Wunderentsafters anpries. Der Mann war 90 Jahre alt und hätte wahrscheinlich ohne jede Gewissensbisse jedes seiner Enkelkinder getötet, um das einundneunzigste Jahr zu erreichen.
Von da an gab es für mich nur noch Filme, die ich wirklich sehen wollte und Staffeln ausgewählter Serien auf DVD. Keine Werbung mehr für karies- und paradontosebesiegende Zahnreinigungspasten, für weißer als weiß waschende Waschmittel, für unerschwingliche rasende Automobile, für superhygienische Reinigungsmittel, die mein Badezimmer in bakterienbefreite Zonen verwandeln würden oder für widerlich schmeckende links- oder rechts- oder rundherumdrehende Jogurthgetränke, die meine Darmflora, in ein endloses Leben versprechendes Koma, versetzen würden.
Jack & Dianne LaLanne, beide über Neunzig werben für ihren Entsafter.
Eine Zitrone und etwas Spinat, Sellerie, Gurke, einige Mohrrüben und was immer an Gemüse noch bei der Hand ist, einwerfen und sie werden garantiert ein biblisches und energiegefülltes Alter erleben. Egal, wie eklig, die Pampe schmeckt.
Theaterwohnungen haben ihre eigenen Gesetze und sie haben Fernseher.
22.00 Uhr, ich komme von der Probe, zu müde, um zu lesen, zu wach um zu schlafen - das Fernsehgerät ruft.
Ungefähr 30 Programme flimmern - ich zappe. Dass heißt ich gucke nichts, ich wische durch die Kanäle. Eine Frau streichelt ihre Brüste, unser Universum durchläuft eine frühe Phase seiner Entstehung, ein beschlipster Finanzexperte erläutert die Feinheiten der momentanen Wirtschaftssituation, die fränkischen Stauffer erklimmen den Gipfel ihrer Macht, Figuren einer Serie, die anderswo bereits die sechste Staffel erreicht haben, fallen plötzlich in die Zeit ihrer ersten Staffel zurück, eine Frau masturbiert auf auffällig unglaubwürdige Art, ein Monster erschreckt schlecht Angst darstellende Japaner, Zombies werden abgeschlachtet, ein Detektiv löst den hundertsten Mordfall. Alles ist eins, eins ist nichts. Ich könnte ausschalten, ich schalte nicht aus.
Sonntag, 26. Oktober 2014
Theaterwohnung 5 - Freundschaft aus der digitalen Ferne
Ich bin gerade jetzt wirklich mehr als gut dran. Habe spannende Arbeit, leidenschaftlich interessierte und obendrauf noch freundliche Mitarbeiter und gerade hier eine mehr als gute Unterkunft - eine Wohngemeinschaft für zwei mit zusätzlichem Wohnzimmer, funktionstüchtigem Fernseher, den die Requisite vor Jahren bereit gestellt hat und - und einer Waschmaschine! Keine nächtlichen Wanderungen vom Wohnort ins Theater zu verlassenen Kostümabteilungen für Waschgänge und Trockner. Ich wasche, wann ich will. Bügle, wann ich muß. Und einmal in der Woche kommen auch noch die gründlichen Putzkräfte des Theaters vorbei und säubern.
Luxus!
Alles ist gut. Nur eines fehlt, Augenkontakt.
Freischaffend und meiner Arbeit hinterherwandernd, heißt, dass ich ein Dreiviertel eines jeden Jahres in Theaterwohnungen deutscher Stadttheater verbringe. Manche sind grässlich, manche, wie die jetzige, warm und wohnlich, aber, was immer fehlt, sind die Augen, Hände, Münder ... meiner Freunde.
Skype, Facetime, Facebook, Mail und das altmodische Telefonieren sind unzulängliche Krücken, insbesondere in deutschen Landen, die, trotz hohem Stand in der Weltwirtschaft, den Ausbau des Internetzes betreiben, wie ein Schweizer Almbauer die Veränderung seiner jahrhundertealten bewährten Käserezeptur. Jeder Fischladen in Island bietet Wlan, in Heilbronn muß ich Beziehungen nutzen, um den Zugangscode für eins der hiesigen Cafes zu ergattern.
Aber so oder so kann selbst die perfekteste Internetverbindung keinen mittelguten Kaffee an einem wackelnden Plastiktisch samt armseliger Blumengarnitur und echtem, undigitalisierten Gesicht gegenüber ersetzen.
A wird gesagt, B wird geguckt. Die Schultern ziehen nach oben oder unten. Hände sind weich und entspannt oder tippeln nervös an der Tasse. Meine Nase reagiert.
Und am Telefon kann man nicht durcheinander sprechen. Eine Unterbrechung geht verloren oder verliert, das, was sie unterbrochen hat, kein wahrer Dialog, eher zwei Monologe in Synchronisation.
Ich vermisse meine Freunde, den unterdrückten Raucherhusten, die kleinen geliebten Augenfalten, Hände, die mit mir altern und ich vermisse, die ungeordneten beglückenden Duette, die wir singen.
Freitag, 24. Oktober 2014
Antigone 5 - Wer ohne Sünde ist...
Den Hochverräter Polyneikes,
Werft unbestattet vor die Mauern dieser Stadt!
Und wer es wagt, wer heimlich diesen Leichnam schmückt
Und
deckt mit frischer Erde, wird gesteinigt!
Die Steinigung ist eine jahrtausendealte Art der Hinrichtung. Ein Mensch wird bis zur Hüfte oder unter die Brust eingegraben und durch Steinwürfe auf Kopf und Oberkörper getötet. Wiki
In Syrien wurde vor wenigen Tagen eine junge Frau wegen Ehebruchs zum Tod durch Steinigung verurteilt. Ihr Vater verweigerte ihr die Verzeihung vor dem Tod. Er sprach, so hat man es mir erzählt, ganz kühl, entschieden und hat dann endgültig Nein gesagt, die junge Frau zeigte dabei keine erkennbare Reaktion. Diese Szene und die anschließende Steinigung kann sich man als Video ansehen. Wenn man kann oder will. Ich konnte es nicht und will es nicht.
Unser altes Stück ist also nicht einmal in den Details so alt. Schrecklich. Unbegreiflich. Unerträglich.
Wer ohne Sünde ist
werfe den ersten Stein
hatte Jesus gesagt
und alles blickte zu Boden
Nur eine kleine zähe
Frau in den besten Jahren
bückte sich wütend
und nahm einen Stein und warf ihn
Nach der Steinigung
als alles zurück in die Stadt ging
sagte Jesus zu ihr:
Mutter du kotzt mich an
Erich Fried
Hämon, der Sohn des Kreon, versucht mit fast übervorsichtigen Worten seinen Vater davon abzubringen, seine Verlobte Antigone hinrichten zu lassen. Der Vater wird zornig, fühlt sich vom Sohn verraten, verläßt die Bühne und kommt mit einem Eimer voller Steine zurück, den er schweigend ausschüttet, einen Stein aufhebt und dem Sohn in die Hand drückt.
KREON:
Holt die Verworfene! Dass sie ihm gleich
Vor Augen stirbt, in Gegenwart des Bräutigams!
HAIMON:
Vor meinen Augen sterben wird sie nicht,
Und niemals wirst du mich mit deinen Augen
wiedersehen!
Später wird er die Strafe auf Einmauern und Verhungern "reduzieren".
Donnerstag, 23. Oktober 2014
Und plötzlich bricht der Herbst herein - Van Gogh malt Regen
Noch am vorigen Sonntag wanderte ich bei wunderbaren fünfundzwanzig Grad Celsius, mein vorsorglich angezogenes wärmendes Unterhemd murmelnd verfluchend, schwitzend durch sonnenüberflutete Heilbronner Strassen.
Gestern und heute waren dieselben Gehwege kalt, nass, bleigrau und johanna - unfreundlich. Das es unterschiedliche Jahreszeiten gibt, ist mir bekannt, aber der Plötzlichkeit des Wechsels fühle ich mich nicht gewachsen. Auf der Bühne liebe ich harte Brüche, nur beim Wetter hätte ich es lieber weicher, vorhersehbarer. So, dass ich mich vorbereiten kann. Regen, kalter Wind. Feuchtigkeit, die sich langsam aber unaufhaltbar durch auftragende und unkleidsame Schutzschichten in Richtung meiner nicht mehr taufrischen Knochen vorarbeiten, empfinde ich als Aggressoren. Herbst muß sein und er hat seine eigene gloriose Schönheit, aber vielleicht könnte er sich etwas mehr meinem Tempo anpassen?
Im Regen 1882
Sämann im Regen 1888
alle Bilder © Vincent van Gogh
Mittwoch, 22. Oktober 2014
Die Distel - schön stachelig
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Barbara Regina Dietzsch
1706-1783
Malerin und Zeichnerin
aus Nürnberg
Stachel-Eselsdistel mit Insekten
DIE DISTEL
Du bist als wie ein Distelkraut,
Das sticht den, der es bricht,
Und wer da Blumen pflücken geht,
Die Distel nimmt er nicht.
Was hilft die schönste Blume mir,
Kann sie nicht werden mein,
Was hilft das schönste Mädchen mir,
Schlaf ich des Nachts allein.
Ein Mädchen, das nicht lieben will,
Kein einer nach ihr sieht,
Es steht da wie ein Distelkraut,
Das ungepflückt verblüht.
Ein Mädchen, das kein Lieben kennt,
Das bleibt die Nacht allein,
Die eine Nacht, die andre Nacht,
Im dustren Kämmerlein.
DIE DISTEL
Du bist als wie ein Distelkraut,
Das sticht den, der es bricht,
Und wer da Blumen pflücken geht,
Die Distel nimmt er nicht.
Was hilft die schönste Blume mir,
Kann sie nicht werden mein,
Was hilft das schönste Mädchen mir,
Schlaf ich des Nachts allein.
Ein Mädchen, das nicht lieben will,
Kein einer nach ihr sieht,
Es steht da wie ein Distelkraut,
Das ungepflückt verblüht.
Ein Mädchen, das kein Lieben kennt,
Das bleibt die Nacht allein,
Die eine Nacht, die andre Nacht,
Im dustren Kämmerlein.
Hermann Löns
1866-1914
Nach nur knapp einem Monat Kriegsdienst fiel Hermann Löns im September 1914,
vermutlich durch Herz- oder Kopfschuss, bei seinem ersten Sturmangriff
gegen französische Truppen.
Wiki
Kurzer interessanter Artikel über den umstrittenen "Heimatdichter":
Mariendistel
DISTELN
Gegen die Gummizungen der Kühe und die hackenden Hände der Menschen
Zerspießen Disteln die Sommerluft
Oder öffnen sich berstend unter blauschwarzem Druck.
Jede ein rachsüchtiger Ausbruch
Von Auferstehung, eine Hand, im Griff
Zersplitterte Waffen und isländischen Frost, empor getrieben
Aus dem unterirdischen Schmutzfleck eines verfaulenden Wikingers.
Sie sind wie blasses Haar und mundartliche Kehllaute.
Jede erzeugt eine Fahne von Blut.
Dann wachsen sie wie Männer.
Niedergemäht, es ist ein Krieg. Ihre Söhne erscheinen,
Waffengepanzert, weiterkämpfend um den selben Grund.
THISTLES
Against the rubber tongues of cows and the hoeing hands of men
Thistles spike the summer air
Or crackle open under a blue-black pressure.
Every one a revengeful burst
Of resurrection, a grasped fistful
Of splintered weapons and Icelandic frost thrust up
From the underground stain of a decayed Viking.
They are like pale hair and the gutturals of dialects.
Every one manages a plume of blood.
Then they grow grey like men.
Mown down, it is a feud. Their sons appear,
Stiff with weapons, fighting back over the same ground.
Ted Hughes Wodwo 1967
Linearübersetzung: ich
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DISTELN
Gegen die Gummizungen der Kühe und die hackenden Hände der Menschen
Zerspießen Disteln die Sommerluft
Oder öffnen sich berstend unter blauschwarzem Druck.
Jede ein rachsüchtiger Ausbruch
Von Auferstehung, eine Hand, im Griff
Zersplitterte Waffen und isländischen Frost, empor getrieben
Aus dem unterirdischen Schmutzfleck eines verfaulenden Wikingers.
Sie sind wie blasses Haar und mundartliche Kehllaute.
Jede erzeugt eine Fahne von Blut.
Dann wachsen sie wie Männer.
Niedergemäht, es ist ein Krieg. Ihre Söhne erscheinen,
Waffengepanzert, weiterkämpfend um den selben Grund.
THISTLES
Against the rubber tongues of cows and the hoeing hands of men
Thistles spike the summer air
Or crackle open under a blue-black pressure.
Every one a revengeful burst
Of resurrection, a grasped fistful
Of splintered weapons and Icelandic frost thrust up
From the underground stain of a decayed Viking.
They are like pale hair and the gutturals of dialects.
Every one manages a plume of blood.
Then they grow grey like men.
Mown down, it is a feud. Their sons appear,
Stiff with weapons, fighting back over the same ground.
Ted Hughes Wodwo 1967
Linearübersetzung: ich
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Und zu Adam sprach er: Dieweil du hast gehorcht der
Stimme deines Weibes
und hast gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot und sprach: Du sollst
nicht davon essen, verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst
du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen,
und sollst das Kraut auf dem Felde essen.
und hast gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot und sprach: Du sollst
nicht davon essen, verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst
du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen,
und sollst das Kraut auf dem Felde essen.
Moses 3/17
Montag, 20. Oktober 2014
Herbst - Äpfel - Geruch - Wohligkeit
DAS WUNDERBARSTE HERBSTESSEN:
APFELBEIGNETS
2-3 Äpfel, am besten Granny Smith oder Cox,
schälen, entkernen und in Scheiben schneiden
schälen, entkernen und in Scheiben schneiden
Und für den Backteig:
1 Tasse Milch
1 1/3 Tassen Mehl
2 Eier
1 TLZucker
1 TL Rum
Prise Salz
verrühren, bis der Teig glatt ist,
dann die Apfelscheiben eintauchen und
in heißes, schwimmendes Fett geben.
Servieren mit
Sabayon Sauce.
Dafür 4 Eigelb,
eine ¾ Tasse Zucker
mit einer ¾Tasse Apfelschnaps und
einer ¾Tasse Apfelsaft mischen,
in einem Topf über heißem Wasser schlagen, bis die Masse dick wird,
vom Herd nehmen und weiterschlagen, bis die Sauce abgekühlt ist.
O lieblicher Apfel!
herrlich und völlig
verfault,
kaum versehrte Gestalt –
herrlich und völlig
verfault,
kaum versehrte Gestalt –
höchstens am Stiel
ein wenig geschrumpft doch sonst
bis ins Kleinste
vollkommen! O lieblicher
ein wenig geschrumpft doch sonst
bis ins Kleinste
vollkommen! O lieblicher
Apfel! wie satt
und feucht der Mantel aus Braun
auf jenem un-
angetasteten Fleisch! Niemand
und feucht der Mantel aus Braun
auf jenem un-
angetasteten Fleisch! Niemand
hat dich geholt
seit ich dich auf das Geländer setzte
vor einem Monat, damit
du reif werdest.
Niemand. Niemand!
seit ich dich auf das Geländer setzte
vor einem Monat, damit
du reif werdest.
Niemand. Niemand!
William Carlos Williams
Übersetzung: Hans Magnus Enzensberger
AIDS - eine Geschichte in Photographien - David Kirby & Peta
Wir vergessen. Und das ist gut so, geradezu eine Gnade, es ist aber auch unsere größte Gefährdung. Wir vergessen.
1990 veröffentlichte das amerikanische LIFE Magazin eine ungewöhnliche Photographie.
Eltern nehmen Abschied von ihrem sterbenden Kind.
Peta, der Pfleger des AIDS-Erkrankten David Kirby bat Therese Frere, eine Photographie-Studentin, diesen Moment festzuhalten.
David Kirby stammte aus Ohio und starb 1990 im Kreis seiner Familie als Patient des Pater Noster Hauses in Columbus, Ohio, an AIDS. Peta war sein Pfleger, selbst HIV infiziert, und sollte nur zwei Jahre später derselben Krankheit zum Opfer fallen.
1991 nutzte die Firma Benetton dieses Photo in einer Werbekampagne. Die eine Seite hasste sie, weil sie die Opfer der Seuche verherrlichte, die andere, weil sie diese zu mißbrauchen schien, Davids Eltern waren froh, weil die Werbeplakate an David erinnern würden, und an die Krankheit, die ihn tötete.
Als ich meiner Tochter, so um 1992 herum, auf ihre neugierigen Fragen hin, die Schönheiten der Sexualität erklären wollte, mußte ich den Tod in dieses Gespräch einbringen.
Ein schrecklicher Moment.
Genuß und Tod, plötzlich ein untrennbares, doch auch unvereinbares Paar.
1990 & 1992
1 David Kirbys Totenbett. 1990
2 Bill Kirby versucht, seinen sterbenden Sohn David zu trösten, 1990.
3 David Kirbys Mutter, Kay, hält ein Photo ihres Sohnes, bevor AIDS ihn überwältigte.
4 Peta in der Pine Ridge Indian Reservation, Juli 1991
5 Peta im Pater Noster House, 1992.
1, 2, 4 & 5 © Therese Frare
3 © Art Smith
3 © Art Smith
Sonntag, 19. Oktober 2014
Franz Werfel - Ballade von Wahn & Tod
bALLADE vON wAHN uND tOD
Im großen Raum des Tags, -
Die Stadt ging hohl,
Novembermeer, und schallte schwer,
Wie Sinai schallt. Vom Turm
geballt
Die Wolke fiel. — Erstickten
Schlags
Mein Ohr die Stunde traf,
Als ich gebeugt saß über
mich zu sehr.
Und ich entfiel mir, rollte
hin, und schwankte da auf einem Schlaf.
Wie deut’ ich diesen Schlaf,
-
Wie noch kein Schlaf mich je
trat an, da ich verrann
In Dunkelheit, als mich eine
Zeit
In mein Herz traf?
Und als ich kam empor,
In Traum auftauchend
Atemgang begann.
Trat ich in mein vergangnes
Haus, in schwarzen Flur durchs winterliche Tor.
Nun höret, Freunde, es!
Als ich im schwarzen Tage
stand, schlug mich eine leichte Hand.
Ich stand gebannt an kalter
Wand.
O schwarzes, schreckliches
Gedenken, da ich ihn nicht
fand,
Den Leichten, der mich so
ging an
Und mich im schwarzen Tag
des Tors geschlagen leicht mit seiner leichten Hand.
Es fügte sich kein Schein,
Und selbst das kleine
schnelle Licht, das sich in falsche Rosen flicht,
Und unterm Bild vergeht und schwillt,
Das kleine Licht ging ein.
Es trat kein schwarzer Engel
vor,
Kein Schatten trat, kein
Atem trat aus dem kalten Stein!
Doch hinter mir in meinem
Traum, aufschluchzend kaum versank das Tor.
Und auch kein Wort erscholl.
Doch ganz mit meiner Stimme
rief ein Wort in meinem Orkus tief.
Und wie am Eichenort ein
Blatt war ich verdorrt.
Weh, trocken, leicht und
toll
Fiel ich an mir herab und
fuhr in Herbst und großem Stoß.
Mich nahm ein Wort und Wind
mit fort,
Das Wort, das durch mich
stieß, das Wort mit dreien Silben hieß,
das Wort hieß: rettungslos.
das Wort hieß: rettungslos.
O letzte Angst und Schmerz!
O Traum vom Flur, o Traum
vom Haus, aus dem die Frau mich führte aus!
O Bett im Dunkel
aufgestellt, auf dem sie mich entließ zur Welt.
Ich stand in schwarzem Erz,
Und hielt mein Herz und
konnte nicht schrein,
Und sang ein — Rette mich —
in mich ein.
Der Raum von Stein baute
mich ein. Ich hörte schallen den Fluss und fallen,
den Fluss: Allein.
den Fluss: Allein.
Und da es war also.
Tat sich mir kund mein
letztes Los, und ich stieg auf aus allem Schoß.
Im schwarzen Traum vom Flur
zerriss und klang die Schnur.
Und ich erkannte so,
Warum da leicht und fein die
Hand mich schlug,
Die schwach an meine Stirne
fuhr,
Und meinen Gang geheim
bezwang, dass ich nicht wankte mehr,
und kaum mich selber trug.
und kaum mich selber trug.
Und als ich ihn erkannt,
Den Augenblick, der mich
trat an, da war ich selbst der andre Mann,
Und der mir hart gebot, ich
selber war mein Tod.
Und nahm mir alles
unverwandt,
Und wand es fort aus meiner
Hand und hielts gepackt -
Genuss und Liebe, Macht und
Ruhm und jammernd die Dichtkunst zuletzt.
Und stand entsetzt und
ausgesetzt und ohne Wahn und aufgetan und völlig nackt.
O Tod, o Tod, ich sah
Zum erstenmal mich wahrhaft
sein, mich ohne Willen, Wunsch und Schein,
Wie Trinker nächtlich spät
sich gegenüber steht.
Er lacht und bleibt sich
fern und nah
Ich stand erstarrt in erster
Gegen - Wart allein zu zwein.
(Ach, was wir sagen lügt
schon, weil es spricht)
Ich fand mich, ohne Wahn
mich sein, und starb in mein Erwachen ein.
Im großen Raum des Tags
Hob ich mein Haupt auf aus
dem Traum, und sah auf meinen Fensterbaum.
Die Stadt ging hohl,
Novembermeer, und schallte schwer,
Der Himmel glühte noch kaum.
Ich aber ging hinab mit
großem Haupt und Hut,
Und ging durch Straßen,
rötliches Gebirg und Pass . . .
Mein Haupt vom Traum umlaubt
noch. Ging mit dumpfem Blut.
Ich ging, wie Tote gehn,
Ein abgeschiedner Geist,
verwaist und ungesehn.
Ich schwebte fern und kühl
durch Heimkehr und Gewühl,
Sah Kinder rennen und sah
Bettler stehn.
Ein Buckliger hielt sich den
Bauch, und eine Greisin schwang den Stock
und schrie,
und schrie,
Leicht eine Dame lächelte.
Ein Mädchen küsste sich die Hand . . .
Und ich verstand, was sie
verband, und schritt in großer Alchimie.
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