Sonntag, 27. April 2014

Deutsche Bahn & deutscher Shakespeare


     Nach den Berechnungen ernsthafter Historiker soll William Shakespeare am 
     23. April 1564 geboren worden sein. Sie gehen davon aus, dass der 
     Tauftermin meist ungefähr drei Tage nach dem der Geburt lag, und
     zumindest dieser liegt uns beurkundet vor.


 Parish register of Holy Trinity Chuch, Stratford-upon-Avon
"Gulielmus filius Johannes Shakspere' - William son of John Shakepeare 

Am 26. April 1616, 52 Jahre nach seiner Taufe ist er gestorben. Cervantes 
     übrigens auch, wenn auch ganz woanders und so wurde der 23. April zum 
     Tag des Buches.

     Die Deutsche Shakespeare Gesellschaft wiederum wird in diesem Jahr 150 
     Jahre alt und hat ihrem Dichter in Weimar ein Geburtstags- und Todesfest 
     ausgerichtet. Die DSG ist eine der ältesten literarischen Vereinigungen 
     Europas und hat ungefähr 2000 Mitglieder, Theaterwissenschaftler, 
     Anglizisten, Literaturhistoriker, Dramaturgen, Lehrer, noch mehr Lehrer und 
     glühende Enthusiasten verschiedenster Professionen. Viele ungewöhnlich alt, aber 
     beileibe nicht alle.  
     Sie atmen, zitieren, verehren Shakespeare, kennen jedes Stück, jedes 
     Gedicht, jedes noch so fragwürdige Textfragment. Sie gehen morgens um 
     4.00 Uhr in den Park um "Venus und Adonis" zu rezitieren, legen in einem 
     jährlichen Ritual Blumen am Weimarer Shakespeare-Denkmal nieder, 
     lauschen Vorträgen über die Beziehung von Bob Dylan und Shakespeare
     und Shakespeare in Australien. Sie haben, ich übrigens auch, die 
     Shakespeare App auf ihren Smartphones, damit sie deutsche 
     Übersetzungen synchron überprüfen können, das tue ich nicht. Sie sind 
     wunderbar und ein bisschen beängstigend, denn wenn man mit ihnen ins 
     Gespräch kommt, stellt man fest, dass viele von ihnen fast übersehen, dass 
     der Kerl für das Theater geschrieben hat und nicht für die Forschung und 
     auch nicht für den hehren Lesegenuß.
     Er muß gesprochen, geflüstert, geschrien werden, geschwitzt und gelaufen. 
     Mit Bässen und Höhen und Zwischentönen und Zittern und Gewalt und 
     Scheu. Er ist Theater, nicht die Ansichten darüber.

     Der Übersetzer Frank Günther in einem Interview der Südwest Presse:
     Shakespeare ist nicht vorhanden, er verschwindet hinter seinen Figuren. Es 
     wirkt, als hätten diese Texte keinen Autor, als habe die Welt sich selber 
     abgeschrieben. Ob er an Gott geglaubt, ob er seine Frau geliebt hat? Ich 
     habe keine Ahnung. Aber das ist gut so, denn mich interessiert nicht der 
     Autor, sondern das Werk.    


  Shakespeare Denkmal in Weimar
Bildhauer: Otto Lessing

     Ach ja, ich darf die Deutsche Bahn nicht vergessen! Also: am letzten Freitag 
     um die Mittagszeit versuchten wir, mehrere Schauspieler, ein Souffleuse, 
     eine Assisstentin und ich, auf einer Probebühne in Heilbronn, die 
     unaufwendigste und wirkungsvollste Art zu finden, mit der wir den Herzog 
     von Gloucester, Figur im "König Lear", seines Augenlichtes berauben 
     könnten, eine der ernsthaften Diskussionen, wie es sie zu solchem Thema 
     nur am Theater und möglicherweise unter professionellen Folterern gibt. 
     Das Auge mit einer Zigarette ausbrennen? Wie würde das entsprechende 
     Geräusch klingen? Es mit einem Regenschirm ausstechen? Müßte danach
     ein Auge auf der Spitze stecken? Wir haben uns schlußendlich für einfaches 
     Augen-in-den-Schädel-Hineindrücken entschieden. Knapp, direkt und 
     unangenehm zu betrachten.
     Zwei Stunden später saß ich im Zug in Richtung Weimar mit dreimaligem 
     Umsteigen in Würzburg, Fulda und Erfurt, berechnet man Hin- und
     Rückfahrt also sechs Umstiege! Und? Spannungspause. Und - es hat 
     geklappt! Tusch! Jeder Anschluß wurde erreicht, die Schaffner waren 
     freundlich, der Kaffee im Bistro trinkbar und auf dem letzten Abschnitt der 
     Rückreise haben vier Kinder im Abteil geturnt und niemand hat gemeckert! 
     So in etwa muß es auch im Paradies sein, oder?

Ich bin nicht was ich bin. Shakespeare zum 450.




Portrait, um 1610, also zu Lebzeiten des Dichters, entstanden,
aber die Meinungen darüber, ob er es ist oder jemand ganz anderes,
gehen stark auseinander.

Photograph: Oli Scarff/Getty Images
Am 23. April 2014 wurde dieses Bild in Stratford upon Avon der Öffentlichkeit vorgestellt.


Ich bin nicht was ich bin. *


Ich bin mir sicher, dass ich in einer Kleinstadt an einem sanften Flüsschen gelegen in Warwickshire geboren wurde.

Mein Vater hat Handschuhe und feine Dinge aus weissem Leder gefertigt, eine Zeit lang war er Bürgermeister, dann bankrott, sein Vater wiederum war ein Bauer. Das steht in den Akten.

Doch manche Leute sagen, ich sei gar nicht ich. Francis Bacon, Christopher Marlowe, William Stanley, 6. Earl of Derby, Edward de Vere, 17. Earl of Oxford, sind nur eine kleine Auswahl derer, die ich sein sollen.

Ich bin nicht gebildet genug, um ich zu sein, habe keine Universität besucht, bin nur bis London gekommen, bin nie in die Welt gereist, bin nicht aus edlem Hause. Bin ich ich? Oder ein anderer? Ein anderer mit meinem Namen? Ich fang im Ernst an mir zu zweifeln an.**

Ich bin nur ein Schauspieler, über den ihr wenig wißt, außer dass ich eine Frau hatte, die älter war als ich und zwei Kinder, von denen eines sehr früh gestorben ist. Das hätte ich gern vergessen.

Ich habe geliebt und keiner weiß wen. Weiß ich es noch? Er war sehr schön, dessen erinnere ich mich. Und sie? Ja sie.

Ich oder der, der ich glaube zu sein, war gern, wer ich war.

Meistens. Oder?

Mache ich euch so unsicher, neidisch, fassungslos, dass ihr mir mein Ich nicht gönnen könnt? Und ich habe doch nur geschrieben, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Habe ich? Doch, doch.

Übrigens war das zweitbeste Bett das bequemere.


J.S.

* Jago, Othello 1.Akt 1. Szene

** Kleist Amphitryon 1.Akt 1. Szene

Oder sah er so aus?


© All rights reserved. "Sanders Portrait." Canadian Conservation
Institute, Department of Canadian Heritage, 2001. 
 

Donnerstag, 24. April 2014

Meerwind, in Vorahnung auf den Sommer




WIND VOM MEER




Andrew Wyeth 
1947



Lied vom Meer

Uraltes Wehn vom Meer,
Meerwind bei Nacht:
du kommst zu keinem her;
wenn einer wacht,
so muß er sehn, wie er
dich übersteht:
uraltes Wehn vom Meer,
welches weht
nur wie für Ur-Gestein,
lauter Raum
reißend von weit herein…
O wie fühlt dich ein
treibender Feigenbaum
oben im Mondschein.

Rainer Maria Rilke


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Das Gas Dimethylsulfid, das von Algen produziert wird, soll für den typischen Geruch an der Küste verantwortlich sein

Dimethylsulfid - in Wolken, im Meer und in Trüffeln

Und Meerwasser enthält Salz, also Natriumchlorid. Im aufgelösten Zustand
trennt sich das Natrium Kation vom Chlor Anion, diese Ionen sind im Wasser freibeweglich, 

sind aber an das Wasser gebunden. Wenn sich sich ein Chlor Ion
aus der Hydrathülle befreit, verwandelt es sich in ein Chlormolekül und wird
für uns riechbar. Wie unromantisch.

Wenn ich die See seh, brauch ich kein Meer mehr. 
(Titel einer Revue des Hamburger Theaterschiffes)


Dienstag, 22. April 2014

Böse, böse Stiefmutter


Vor vielen Jahren fuhren meine "Stieftochter" und ich aufs Land, sie saß auf dem Rücksitz und war etwa sieben Jahre alt. Wir waren sozusagen ganz frische Stiefverwandte.

Wiki: stief, mit der ursprünglichen Bedeutung: beraubt, verwaist

Wir schwatzten, dann schwiegen wir, und dann hörte ich sie leise singen. Ein langes Lied, ein schrecklich trauriges Lied über ein Mädchen, dass von seiner Stiefmutter gequält wird, beim Vater keine Hilfe findet und am Grab ihrer Mutter ihr schreckliches Leid beklagt. Das Lied hatte sehr viele Strophen und sie sang es ganz zart, ohne Nachdruck, fast monoton. Ich wusste, ich wurde getestet.
Wir haben nie darüber gesprochen und schon lange und noch heute, dreissig Jahre später ein sehr zugeneigtes Miteinander. Aber als ich sie heute anrief, um sie nach dem Lied zu fragen, wusste sie sofort welches gemeint war und konnte sich noch an Textfetzen erinnern. 
Die Mythen leben in uns fort! Eine schöne Erinnerung.(Ihre Mutter war und ist übrigens bei bester Gesundheit!)

Siehe auch: C.G. Jung Die psychologischen Aspekte des Mutter-Archetyps


Ein Kind von viereinhalb Jahr, 
Das auch schon ein Waisenkind war;
 Das Kind, es war so klug,
Nach seiner Mutter frug.

Ach liebster Vater mein,
Wo ist denn mein Mütterlein;
Ach liebster Vater mein, ja mein
Wo ist den mein Mütterlein

Dein Mütterlein ist tot,
Es liegt im Grabe und ruht;
Dein Mütterlein ist tot, ja tot
Es liegt im Grabe und ruht.
 
Da lief das Kind geschwind
Zum Grabe der Mutter hin;
Da lief das Kind geschwind, ja schwind
Zum Grabe der Mutter hin

Da grub es sich ein Loch,
Ach liebste Mutter so sprich doch;
Da grub es sich ein Loch, ja Loch
Ach liebste Mutter so sprich doch

Das Sprechen fällt mir schwer,
Die Erde, sie drückt mich so sehr;
Das Sprechen fällt mir schwer, ja schwer,
Die Erde, sie drückt mich so sehr

Lauf heim mein Kind, lauf heim,
Eine andere Mutter ist dein;
Lauf heim mein Kind lauf heim, ja heim,
Eine andere Mutter ist dein

Da lief das Kind geschwind
Zum hause der Stiefmutter hin;
Da lief das Kind geschwind, ja schwind
Zum hause der Stiefmutter hin

Die kämmt mir nun das Haar,
Da blutet die Kopfhaut sogar;
Die kämmt mir nun das Haar, ja Haar,
Da blutet die Kopfhaut sogar;

Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Schleifen dazu.
Aber du mein Mütterlein, du ja du
Gabst immer noch Schleifen dazu.

Und wäscht sie mir die Händ,
So rubbelt sie bis es brennt;
Und wäscht sie mir die Händ, ja Händ
So rubbelt sie bis es brennt;

Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Seife dazu.
Aber du mein Mütterlein, du ja du
Gabst immer noch Seife dazu

Und schmiert sie mir das Brot,
So wünscht sie mir den Tod;
Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Honig dazu.

Und bringt sie mich zur Ruh,
dann schlägt sie die Zimmertür zu;
Und bringt sie mich zur Ruh, ja Ruh
so schlägt sie die Zimmertür zu;

Aber du mein Mütterlein, du
Gabst immer noch Küsse dazu.
Aber du mein Mütterlein, du ja du
Gabst immer noch Küsse dazu

Am nächsten Morgenrot
Da war das Kind auch schon tot;
Am nächsten Morgenrot, ja Rot
Da war das Kind auch schon tot;

Am Abend weht der Wind
Übers Grab von Mutter und Kind
Am Abend weht der Wind, ja Wind
Übers Grab von Mutter und Kind




DANIEL RICHTER
OHNE TITEL







Das eigensinnige Kind

Es war einmal ein Kind eigensinnig und tat nicht, was seine Mutter haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und ließ es krank werden, und kein Arzt konnte ihm helfen, und in kurzem lag es auf dem Totenbettchen. Als es nun ins Grab versenkt und die Erde über es hingedeckt war, so kam auf einmal sein Ärmchen wieder hervor und reichte in die Höhe, und wenn sie es hineinlegten und frische Erde darüber taten, so half das nicht, und das Ärmchen kam immer wieder heraus. Da mußte die Mutter selbst zum Grabe gehen und mit der Rute aufs Ärmchen schlagen, und wie sie das getan hatte, zog es sich hinein, und das Kind hatte nun erst Ruhe unter der Erde.
Aus: Kinder- und Hausmärchen. Gesammelt durch die Brüder Grimm. Erster Band. Göttingen: Druck und Verlag der Dieterichischen Buchhandlung, 1837. S.291ff.


Das Kind

Schlage mich nicht,
liebe Mutter, Schlage mich nicht
ins Gesichte;
Dann aus meinen blauen
Augen
Sprühen, wenn du mich
so schlägest,
Tausend helle
Feuerfunken;
Und wie leichtlich fällt ein
Funke
Auf mein taftes
Flügelkleidgen!


In: Johann Nikolaus Götz: Gedichte. Stuttgart 1893, S. 56. entstanden Mitte des 18. Jahrhunderts




Ohne Titel I,, III, II & IV 2007
Daniel Richter
EditionGrimm
Holzschnitt Und Radierung 
© Images are copyright of their respective owners, assignees or others


Sonntag, 20. April 2014

Hosianna Ogtern


hosi

anna
maria
magdalena
hosi
hosianna
hosimaria
hosimagdalena
hosinas
hosiannanas
hosimarianas
hosimagdalenanas
ananas

Ernst Jandl

 

Osterhase: 
"Die Menschen lieben Mich nicht um meiner
selbst willen. Sie lieben nur das, was ich für sie tue."
Jesus:  
"Du sagst es."  

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Der Telegrafenbeamte



Der Telegrafenbeamte sitzt am Tisch und versucht, ein Kreuzworträtsel zu lösen. 
Links steht ein Telefon:

Also, vier senkrecht - Grautier - das hat vier Buchstaben und fängt mit einem E an, 
dann fehlt einer und dann geht's mit EL weiter. 
Ein Grautier mit EEL - EGEL - EGEL - EGEL? IGEL? IGEL?
- ah das ist eher ein I, ja, aber dann stimmt es ja aber
waagrecht nicht mehr. Die Hühner tun es - LEGEN - ja, dann
gibt es aber senkrecht genau gleichwohl wieder EGEL -
das ist doch kein Tier das - EGEL - das ist jetzt ein
dummes Kreuzworträtsel das.

Ja und dann sechs waagrecht hieße es ja dann OG, OG... OGTERN - OG... OG... OGTERN - was ist denn das wie­der? OGTERN »kirchlicher Feiertag« - hab ich noch nie gehört das.
Gibt es acht noch einen ändern Feiertag mit einem G drin? WEIH-NACH-TEN - nein, das hat keinen G - ... PFINGSTEN, PFINGSTEN, PFINGSTEN - PFING-NG-NG ... das könnte einen G haben - ja, dann wäre aber das O wieder falsch - woher kommt denn dieses O her? »Kirchliches Instrument« - ORGEL -ja, aber wenn es jetzt PFINGSTEN heißen würde, 
dann hieße es ja dann statt ORGEL »PRGL« - und beim kirchlichen Feiertag PG... PG... PGTERN - trr - trr - Ja, ja, ja PRGL - PGTERN - trrr ... trr ...

Ja, Telegrafenamt. Wie? Nein, wir haben hier nur eine Überlastung gehabt. 
PRGL - PG PG PGTERN - wie, was meinen Sie was? 
Nein, ich habe hier nur noch rasch ein indisches Telegramm durchgegeben. 
Also, immer zuerst gerade den Namen angeben - wie ist der Name? Keller - mit CK?
Ah, normal, ah das sagt man gleich am Anfang oder? -
Ja und nachher, was kommt nachher? »Bitte Ziegel an Bianco zum doppelten Tarif«. 
Ist in Ordnung, wir wollen das sofort notieren he: bitte Ziegel an Bianco - au -
jetzt ist mir noch der Spitz abgebrochen, ja das ist jetzt noch's Beste das. 
Hab' doch noch irgendwo ein zweites Bleistift gehabt. 
Ja, hören Sie, überlegen Sie sich das Ganze noch einmal, he, wie? Ah, das ist definitiv -
eh ja, das kann ich ja nicht wissen. Also, wohin gehen die Ziegel? »An Tegula AG in Lissabonn« - ist in Ordnung - Wir machen, daß das alles nach oben kommt. Ja,
auf Wiederhören... Ausgerechnet Lissabonn, Lissabonn, wo ist jetzt auch noch dieses Lissabonn? Es muß irgendwie ein Vorort sein von Bonn. - So jetzt muß ich hier 
ein Messerli holen, damit ich das Bleistift - trrr ... trrr ... wo ist jetzt das Messerli - 
ich habe doch da ein Messerli gehabt, ich habe doch da immer ein Messerli hier gehabt. Trrr ... Ja, ja. -Telegrafenamt - Herr, Herr Messerli? - Ja, Sie hab' ich soeben gesucht, Sie. Ja - was ist, was? Was? Ein Telegramm? Also geben Sie's an. »Herrn Zrotz, Berghaus Pragel« - PRGEL? - Nein, ich wollte nur rasch sehen, ob etwa am Pragelpaß eine Lawine hinuntergekommen ist. Ja, und nachher, was kommt nachher? »Fünfzig Jahre stark und froh, Herbert mach nur weiter so!« Ist in Ordnung, das werden wir alles so durchgeben. Auf Wiederhören Herr Messerli. So - jetzt müssen wir's aufschreiben, sonst nachher - trrr – trrr- Ja, jetzt kommt schon wieder eins - zuerst muß ich das doch aufschreiben - sonst nachher - Trrr ... trrr ... so, ja wahrscheinlich, ausgerechnet noch ein ... Ja, Telegrafenamt. - Herr Iseli? Was ist? Ein Telegramm? Wohin? Nach New York - bei diesem Wetter? Nein, ich mache nicht Spaß, aber ich kann's nicht selber bringen, he - also, geben Sie's an. »Herrn Hanspeter Iseli, Quarkey-Street, New York« In Ordnung, ja, was? Buchstabieren? Q wie Quark - A wie Angst - R wie Rückversicherungsgesellschaft - K wie Kakao - E wie Emil und am Schluß ein Ypsilon wie ein -Ypsilon. Und nachher, was kommt nachher? »Überraschung für Mami, bitte an Ostern heimkommen.« Ist in Ordnung, wir werden das gerne so dem Hanspeter berichten, ha. Eh, Moment, rasch, sind Sie sicher, daß er an Ostern heimkommen soll, nicht etwa an OGTERN?
Ja, ja der kommt sowieso nach Hause, he. Ja, auf Wiederhören, Herr - eh Herr ... Heißen Sie eigentlich Iseli oder ISEL? Ah, Iseli - sonst hätte ich noch fragen müssen, ob er ein Grautier sei. Trrr ... trrr ... ja wahrscheinlich, mehr kann ich nicht im Kopf behalten. Ja, ja Telegrafenamt. Herr Meier. Ja, hab' ich auch schon gehört. Ja, was ist was? Ein Telegramm? - Warum? Wie? Aha, aha Ihr Freund ist gestorben. Ah, sehr gut, sehr gut... »Rudolf soeben gestorben, bitte heimkommen, Dein Schwager«. Ist in Ordnung. Muß das ein Glückwunschtelegramm sein - so mit diesen Blümchen oben durch? Ah normal. Ja, der kann es auch so lesen. Ja, ja, das werden wir so durchgeben. Auf Wiederhören ... So jetzt, so jetzt, trrr ... trrrr ... das ist jetzt aber das letzte, das ich noch annehme. Ja, Telegrafenamt - Herr Dürrenmatt? - kenn ich nicht - ja halt! Bist Du etwa der von der letzten Reserveübung? Den wir in den Säulitrog geschmissen haben, he? Hehehe - Ja, ich notiere alles, ja. Wohin? »Schauspielhaus Zürich«. In Ordnung - ja und dann? »Ist die Meisel nächste Saison frei? Habe neues Stück auf Lager. Gruß Dürrenmatt.« 
Ist in Ordnung, jawohl, muß das auch ein Glückwunschtelegramm sein? Nein, sonst hatten wir dann aus diesem Text einen Vers daraus gemacht. Nein, nein, das hätten wir schon übernommen. Ja, es können ja schließlich nicht alle Leute dichten. Ja, ah, Sie wollen es lieber in Prosa - Ausgezeichnet, dann werden wir für Sie alles so durch-eh-brosamen, he. So, jetzt muß ich einmal alles notieren, sonst gibt es eine Katastrophe - au! - da wäre ja ein zweiter Bleistift gewesen. Natürlich am dümmsten Ort. So, was haben wir jetzt alles gehabt? - Ja, ich glaube, ich beginne am besten von hinten.
»Fünfzig Jahre stark und froh, Dürrenmatt mach weiter so«. »Ist die Meisel noch am Lager, sende Ziegel - Gruß Dein Schwager«. »An Regula in Lissabonn, bitte an Ostern zum doppelten Tarif«. Ja, es war noch etwas mit dem ... Aha ja, »Überraschung für Mami, bin soeben gestorben«. Ah, es war noch etwas, dort, das mit dem, das mit dem Quarkey, Quarkey - 
nimm ... ich Esel - ESEL? - vier senkrecht!
*
Aus: Meta Lepus: Der kleine Hasenbegleiter. Ein Osterbrevier. München Serie Piper

Emil Steigenberger

  
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beantwortung von sieben nicht gestellten fragen

nein
nein
nein
nein
nein
nein
nein

 

Samstag, 19. April 2014

Der beste GOTT - ein Wettstreit ohne Gewinner



Keiner macht es besser,
Lässt mich die anderen bedauern,
Keiner macht es halb so gut wie du,
Baby, du bist der Beste.

Nobody does it better
Makes me feel sad for the rest
Nobody does it half as good as you
Baby, you're the best.

Carly Simon 


Banksy - Jerusalem


24 h - JERUSALEM
eine Dokumentation von Volker Heise und sehr vielen Mitarbeitern für arte


Ach, ist das traurig. 

Der eine wartet eine Stunde morgens und eine Stunde am Abend am Grenzübergang zwischen "seinem" Westjordanland und JERUSALEM, der heiligen, der einzigen Stadt, um dann dort in einem Hotel den Gästen einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Der andere räumt den Müll weg, den alle Bewohner und -sucher Jeruslems hinterlassen, wieder ein anderer feiert in einem Kloster seine Gottesdienste allein, ohne Gläubige. 

Darum sollst du den Ewigen, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.
Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Kindern erzählen. Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. Du sollst sie als Zeichen um dein Handgelenk binden. Sie sollen als Merkzeichen auf deiner Stirn sein. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Tore schreiben. 

 Schma Jisrael - Dtn 6,5–9

Der Gott, der sie alle scheinbar lenkt, teilt und trennt, soll herrschen, hat immer schon geherrscht, soll sich erbarmen, soll es richten. Wer hat den besten Gott, den wahren, den Gewinner-Gott?

Es steht eine sehr alte Steinmauer in dieser Stadt, Teil des alten Tempels der einen, Umfassung des Ortes des Himmelssprungs des wahren Propheten der anderen, und die noch anderen, glauben, dass der Sohn ihres Gottes durch die anliegenden Strassen in seinen Märtyrer-Tod gepeitscht wurde. 
Niemand liebt niemanden in dieser Stadt. So scheint es. 
Die Mauer nennen einige von ihnen die Klagemauer. Klagen ist, so nennt es der Duden, ein schwaches Verb, das viele verschiedene Absichten benennen kann.
- jammernd mit entsprechenden Gebärden den Schmerz, die Trauer laut äußern
- sich über sein Leiden an etwas äußern,
- Unmut, Ärger äußern, sich beschweren
- Unzufriedenheit in bekümmertem Tonfall äußern
- jemandem etwas, was einen bedrückt, was einem Sorgen macht, mitteilen
- den Verlust von jemandem, etwas stark empfinden und bedauern
- bei Gericht Klage führen 
Die Güte des HERRN ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. Denn der HERR verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.

Kopten, Muslime, Juden verschied
enster Strenge, Katholiken, Griechisch Orthodoxe, Ostkirche und Westkirche, assimilierte Jecken und New York geprägte Orthodoxe, Äthiopier und arabische Christen, Überzeugte, Gläubige und Fanatiker aller Art beanspruchen ihr Erstrecht auf diesen Ort, der auf diesem kargen Streifen Land, der Hitze und der Trockenheit und der Unwirtlichkeit abgezwungen wurde. 
Und es gibt eine neue, hohe, kalte Betonmauer an diesem Ort, für die Bewohner der nicht mehr existenten DDR weckt sie schreckliche Erinnerungen.
Ich habe keinen Gott.
"Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie."  
Johannes Kapitel 8 Vers 7

Die Klagemauer und der Felsendom

Mittwoch, 16. April 2014

Die Vergeblichkeit des Lebens



FRÖHLICHE OSTERN!

http://dangerousminds.net/comments/the_futility_of_existence_one_mans_journey_conquering_a_fence_sums_up_life

Dies habe ich mir von den Dangerous Minds geliehen.

Lear - Starke gutböse Frauen



Frauenversteher ist ein unangenehmes Wort, angestrengt, herablassend und sehr, sehr unerotisch. Herr William Shakespeare versteht Menschen, in ihren schwierigsten Verwicklungen, schwächsten Momenten und unerträglichen Widersprüchen, und natürlich sind die der weiblichen Menschen anders geartet als die der männlichen. Auch die gesellschaftlich traditionellen Beschränkungen seiner Epoche, hindern ihn nicht, "seinen" Frauen, Weibern, Töchtern, Mädchen, Liebenden, Müttern und Königinnen dieselbe Kraft, Macht und Grausamkeit zuzugestehen, die üblicherweise, selbst in der neueren postdramatischen Literatur, vorzugsweise männlichen Protagonisten zugeordnet wird. Uterus, Vagina, Geist, soziale Notlage und irrationale, zutiefst persönliche Affekte steuern das eine Geschlecht ebenso wie Penis, DNA, Intellekt, Bizeps und Bauchgefühl, das andere. Und so treffen Machtstrukturen und gewaltige Energien aufeinander, und nicht nur pubertär angstbesetzte Vereinfachungen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie der Mann, über den wir fast nichts Genaues wissen, das gemacht hat, aber es erleichtert die Arbeit ungemein. Übrigens trifft das, was ich über Frauen in Shakespeares Stücken denke, ebenso für Homosexuelle, Kinder, schwarzhäutige Italiener und jüdische Geldverleiher zu.

Jürgen Teller photographiert Vivian Westwood 2012, in ihrem 70. Lebensjahr
© Jürgen Teller

SONETT 147 bzw. CXLVII


Mein Lieben ist ein Fieber, es begehrt
Nur was die Krankheit fristet; all sein Sehnen
Geht auf den Zunder, der das Übel nährt,
Dem kranken, launenhaften Reiz zu frönen.
Vernunft, mein Liebesarzt, weil ich verschmäht
Was er mir riet, hat mürrisch mich verlassen.
Und hoffnungslos erkenn ich nur zu spät
Die Mördertriebe, die den Zügel hassen.
Unheilbar bin ich, nun Vernunft zerstoben,
In ew'ger Unruh ein Besessener:
Gedank' und Urteil, wie im Wahnsinn toben
Blind um die Wahrheit irrend hin und her:
Der ich dich schön gepriesen, hell gedacht,
Die schwarz wie Höll' und finster wie die Nacht.

Jürgen Teller photographiert Vivian Westwood 2012, in ihrem 70. Lebensjahr
© Jürgen Teller