Sonntag, 27. April 2014

Deutsche Bahn & deutscher Shakespeare


     Nach den Berechnungen ernsthafter Historiker soll William Shakespeare am 
     23. April 1564 geboren worden sein. Sie gehen davon aus, dass der 
     Tauftermin meist ungefähr drei Tage nach dem der Geburt lag, und
     zumindest dieser liegt uns beurkundet vor.


 Parish register of Holy Trinity Chuch, Stratford-upon-Avon
"Gulielmus filius Johannes Shakspere' - William son of John Shakepeare 

Am 26. April 1616, 52 Jahre nach seiner Taufe ist er gestorben. Cervantes 
     übrigens auch, wenn auch ganz woanders und so wurde der 23. April zum 
     Tag des Buches.

     Die Deutsche Shakespeare Gesellschaft wiederum wird in diesem Jahr 150 
     Jahre alt und hat ihrem Dichter in Weimar ein Geburtstags- und Todesfest 
     ausgerichtet. Die DSG ist eine der ältesten literarischen Vereinigungen 
     Europas und hat ungefähr 2000 Mitglieder, Theaterwissenschaftler, 
     Anglizisten, Literaturhistoriker, Dramaturgen, Lehrer, noch mehr Lehrer und 
     glühende Enthusiasten verschiedenster Professionen. Viele ungewöhnlich alt, aber 
     beileibe nicht alle.  
     Sie atmen, zitieren, verehren Shakespeare, kennen jedes Stück, jedes 
     Gedicht, jedes noch so fragwürdige Textfragment. Sie gehen morgens um 
     4.00 Uhr in den Park um "Venus und Adonis" zu rezitieren, legen in einem 
     jährlichen Ritual Blumen am Weimarer Shakespeare-Denkmal nieder, 
     lauschen Vorträgen über die Beziehung von Bob Dylan und Shakespeare
     und Shakespeare in Australien. Sie haben, ich übrigens auch, die 
     Shakespeare App auf ihren Smartphones, damit sie deutsche 
     Übersetzungen synchron überprüfen können, das tue ich nicht. Sie sind 
     wunderbar und ein bisschen beängstigend, denn wenn man mit ihnen ins 
     Gespräch kommt, stellt man fest, dass viele von ihnen fast übersehen, dass 
     der Kerl für das Theater geschrieben hat und nicht für die Forschung und 
     auch nicht für den hehren Lesegenuß.
     Er muß gesprochen, geflüstert, geschrien werden, geschwitzt und gelaufen. 
     Mit Bässen und Höhen und Zwischentönen und Zittern und Gewalt und 
     Scheu. Er ist Theater, nicht die Ansichten darüber.

     Der Übersetzer Frank Günther in einem Interview der Südwest Presse:
     Shakespeare ist nicht vorhanden, er verschwindet hinter seinen Figuren. Es 
     wirkt, als hätten diese Texte keinen Autor, als habe die Welt sich selber 
     abgeschrieben. Ob er an Gott geglaubt, ob er seine Frau geliebt hat? Ich 
     habe keine Ahnung. Aber das ist gut so, denn mich interessiert nicht der 
     Autor, sondern das Werk.    


  Shakespeare Denkmal in Weimar
Bildhauer: Otto Lessing

     Ach ja, ich darf die Deutsche Bahn nicht vergessen! Also: am letzten Freitag 
     um die Mittagszeit versuchten wir, mehrere Schauspieler, ein Souffleuse, 
     eine Assisstentin und ich, auf einer Probebühne in Heilbronn, die 
     unaufwendigste und wirkungsvollste Art zu finden, mit der wir den Herzog 
     von Gloucester, Figur im "König Lear", seines Augenlichtes berauben 
     könnten, eine der ernsthaften Diskussionen, wie es sie zu solchem Thema 
     nur am Theater und möglicherweise unter professionellen Folterern gibt. 
     Das Auge mit einer Zigarette ausbrennen? Wie würde das entsprechende 
     Geräusch klingen? Es mit einem Regenschirm ausstechen? Müßte danach
     ein Auge auf der Spitze stecken? Wir haben uns schlußendlich für einfaches 
     Augen-in-den-Schädel-Hineindrücken entschieden. Knapp, direkt und 
     unangenehm zu betrachten.
     Zwei Stunden später saß ich im Zug in Richtung Weimar mit dreimaligem 
     Umsteigen in Würzburg, Fulda und Erfurt, berechnet man Hin- und
     Rückfahrt also sechs Umstiege! Und? Spannungspause. Und - es hat 
     geklappt! Tusch! Jeder Anschluß wurde erreicht, die Schaffner waren 
     freundlich, der Kaffee im Bistro trinkbar und auf dem letzten Abschnitt der 
     Rückreise haben vier Kinder im Abteil geturnt und niemand hat gemeckert! 
     So in etwa muß es auch im Paradies sein, oder?

2 Kommentare:

  1. Tja, das Ding mit dem Bestaunen und mit dem Machen. Mit dem Beieinander und mit dem Trennen von Verehrung, Kenntnissen, Katalogisieren, Spontaneität, Kreativität. Rein und wieder raus.
    ( Musste herzlich grinsen beim Lesen. )

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  2. Jetzt weiß man doch endlich, was es heißt: 'Ein Auge zudrücken' !

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