Frauenversteher ist ein unangenehmes Wort, angestrengt, herablassend und sehr, sehr unerotisch. Herr William Shakespeare versteht Menschen, in ihren schwierigsten Verwicklungen, schwächsten Momenten und unerträglichen Widersprüchen, und natürlich sind die der weiblichen Menschen anders geartet als die der männlichen. Auch die gesellschaftlich traditionellen Beschränkungen seiner Epoche, hindern ihn nicht, "seinen" Frauen, Weibern, Töchtern, Mädchen, Liebenden, Müttern und Königinnen dieselbe Kraft, Macht und Grausamkeit zuzugestehen, die üblicherweise, selbst in der neueren postdramatischen Literatur, vorzugsweise männlichen Protagonisten zugeordnet wird. Uterus, Vagina, Geist, soziale Notlage und irrationale, zutiefst persönliche Affekte steuern das eine Geschlecht ebenso wie Penis, DNA, Intellekt, Bizeps und Bauchgefühl, das andere. Und so treffen Machtstrukturen und gewaltige Energien aufeinander, und nicht nur pubertär angstbesetzte Vereinfachungen. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie der Mann, über den wir fast nichts Genaues wissen, das gemacht hat, aber es erleichtert die Arbeit ungemein. Übrigens trifft das, was ich über Frauen in Shakespeares Stücken denke, ebenso für Homosexuelle, Kinder, schwarzhäutige Italiener und jüdische Geldverleiher zu.
Jürgen Teller photographiert Vivian Westwood 2012, in ihrem 70. Lebensjahr
© Jürgen Teller
SONETT 147 bzw. CXLVII
Mein Lieben ist ein Fieber, es begehrt
Nur was die Krankheit fristet; all sein Sehnen
Geht auf den Zunder, der das Übel nährt,
Dem kranken, launenhaften Reiz zu frönen.
Vernunft, mein Liebesarzt, weil ich verschmäht
Was er mir riet, hat mürrisch mich verlassen.
Und hoffnungslos erkenn ich nur zu spät
Die Mördertriebe, die den Zügel hassen.
Unheilbar bin ich, nun Vernunft zerstoben,
In ew'ger Unruh ein Besessener:
Gedank' und Urteil, wie im Wahnsinn toben
Blind um die Wahrheit irrend hin und her:
Der ich dich schön gepriesen, hell gedacht,
Die schwarz wie Höll' und finster wie die Nacht.
Jürgen Teller photographiert Vivian Westwood 2012, in ihrem 70. Lebensjahr
© Jürgen Teller
Ich muss diesen Text abschreiben - so gut ist er, so stark, so wild und so Leben herausfordernd.
AntwortenLöschenAber wie Turandot ihr Rätsel gelöst sehen will, um sich hingeben zu können, will auch Kalaf, der ihre Rätsel löst, mit dem seinen aufgelöst sein; nur wer das Geheimnis des anderen umfaßt, aus dem er taucht, in das er wieder untertauchen kann und aus dem er lebt, hat Macht ihn/sie zu binden.
Klaus Pohl