Montag, 14. April 2014

Lear - Haken schlagen


Wiedereinmal "Lear":

Vorweg, Lear, der König, ist ein Mistkerl, ein Tyrann, ein Egozentriker, ein Scheusal, ein Macht-haber.

Er hat wenige Szenen vor dieser, sein Königtum in einem Akt wissentlicher Hybris an seine Erben weggeben, in festem Vertrauen auf ihre andauernde Treue, und sich dadurch angreifbar gemacht. 
 
Zweiter Akt: Der König, bereits angeschlagen, findet bei der Ankunft im Schloss seiner Tochter, einen seiner Diener im Block vor, einer Art hölzernem Pranger, in den der Gefangene mit Armen, Beinen & Kopf eingeschlossen wurde. 
Einen Diener des Königs, ohne dessen vorheriger Zustimmung, zu strafen ist Hochverrat. 
Die Kinder des Königs haben ihm eine Falle gelegt, sie wissen, dass der König auf diesen Köder reagieren muß, er darf ihnen ihr Missverhalten nicht durchgehen lassen. Er wird zürnen, wüten, sich angreifbar machen und dann können sie ihn abschiessen.
Er ist Beute.
Jägersprache. Mördersprache.
Es handelt sich um eine Treibjagd. Und der Löwe wird zum Hasen. Und Hasen schlagen Haken, in der Hoffnung, durch schnelle Richtungswechsel, dem tödlichen Schuß zu entgehen.


NARR blickt auf den gefesselten Kent:

Ha, ha! der trägt ja Holz-Wollstrümpfe.



LEAR:

Wer war’s, der deinen Rang so falsch verstand,

Dass er dich festsetzt?



KENT:

                                        Sowohl er wie sie,

Ihr Sohn und Ihre Tochter.



LEAR:

                                        Nein.



KENT:

                                                  Ja.



LEAR:

                                                          Nein, sag ich.



KENT:

Und ich sag ja.


LEAR:

                            Nein, nein; sie täten’s nicht.



KENT:

Ja, ja; sie taten’s.



LEAR:

                               Sie wagten’s nicht,

Sie konnten’s, würden’s nicht; ’s ist schlimmer als ein Mord,

An Königs Dienstmann solchen Frevel tun.

Oh! wie Erstickung mir ans Herz hochschwillt.

         Er geht kurz weg, kommt wieder.

Weigern sich mich zu sehn! Wärn krank! Wärn müde!



GLOUCESTER:

Sie kennen Cornwalls feurigen Charakter;

Wie unbeweglich und wie starr er ist.



LEAR:

Ich will den Herzog Cornwall sprechen und sein Weib.

Der König will mit Cornwall sprechen; der Vater

Möcht seine Tochter sprechen, Dienst will er sehn, befiehlt...

Nein, noch nicht jetzt; vielleicht ist ihm nicht gut:

Krankheit vernachlässigt stets allen Dienst,

Der bei Gesundheit Pflicht ist; auf den gefesselten Kent Warum

Sitzt der so da? Die Tat beweist es mir,

Dies Sich-Verziehn vom Herzog und von ihr

Ist Taktik nur. Gebt mir den Diener los.

Geh, sag Herzog samt Frau, ich möcht sie sprechen.



GLOUCESTER:

Ich möcht, das alles gut ist zwischen Ihnen. Ab.



LEAR:

Oh, ach! mein Herz, es steigt ans Herz! nein, runter!



NARR:

Schrei’s kräftig an, Nonkelchen, wie die neue Köchin die Aale, als sie sie aus Mitleid lebendig in die Pastete packte; sie über die Rübe gehaun hat mit ’nem Knüttel und schrien: ›Runter, vorwitzige Viecher, runter!‹
.....  

Dann treten nacheinander die Töchter und Schwiegersöhne auf und des Königs Haken werden schneller, verzweifelter und spitzer. Die Meute hetzt, der Hase rennt, der letzte Schuß sitzt, der König rennt in die Wildnis tödlich getroffen.  Es folgt: "Ein Sturm auf der Heide".

Ich muß bei der Szene immer an Saddam Hussein erschossen und in Unterhosen denken.

Shakespeare ist ein hundsgemeines Genie, eben konnte man den Kerl noch gemütlich hassen und dann soll man sich plötzlich mit ihm in die Enge getrieben fühlen. Man mißtraut dem eigenen Mitgefühl. Großartig.



Einen "Haken schlagen" stammt aus der Jägersprache und bezeichnet ursprünglich die abrupte Richtungsänderung des verfolgten Hasen. Der Haken meint dabei die gekrümmte Abweichung von einer als Gerade gedachten Fluchtlinie.
www.redensarten.de


Die Sprache und ihre Lehrer

Die Sprache ging durch Busch und Gehege,
Sie bahnte sich ihre eigenen Wege.
Und wenn sie einmal verirrt im Wald,
Doch fand sie zurecht sich wieder bald.
Sie ging einmal den gebahnten Steg,
Da trat ein Mann ihr in den Weg.
Die Sprache sprach: Wer bist du, Dreister?
Er sprach: Dein Lehrer und dein Meister.
Die Sprache dacht' in ihrem Sinn:
Bin ich nicht selber die Meisterin?
Aber sie ließ es sich gefallen,
Ein Streckchen mit ihrem Meister zu wallen.
Der Meister sprach in einem fort,
Er ließ die Sprache nicht kommen zum Wort.
Er hatt' an ihr gar manches zu tadeln,
Sie sollte doch ihren Ausdruck adeln.
Die Sprache lächelte lang' in Huld,
Endlich kam ihr die Ungeduld.
Da fing sie an, daß es ihn erschreckte,
Zu sprechen in einem Volksdialekte.
Und endlich sprach sie gar in Zungen,
Wie sie vor tausend Jahren gesungen.
Sie konnt' es ihm am Maul ansehn,
Daß er nicht mocht' ein Wort verstehn.
Sie sprach: Wie du mich siehst vor dir,
Gehört' das alles doch auch zu mir;
Das solltest du doch erst lernen fein,
Eh' du wolltest mein Lehrer sein.
Drauf gingen sie noch ein Weilchen fort,
Und der Meister führte wieder das Wort.
Da kamen sie, wo sich die Wege teilten,
Nach jeder Seit' auseinander eilten.
Die Sprache sprach: Was rätst nun du?
Der Meister sprach: Nur gerade zu!
Nicht rechts, und links nicht ausgeschritten;
Immer so fort in der rechten Mitten!
Die Sprache wollt' einen Haken schlagen,
Der Meister packte sie beim Kragen:
Du rennst mein ganz System übern Haufen.
Wenn du so willst in die Irre laufen.
Die Sprache sprach: Mein guter Mann,
Was geht denn dein System mich an?
Du deutest den Weg mir mit der Hand,
Ich richte mich nach der Sonne Stand;
Und wenn die Stern' am Himmel stehn,
So lassen auch die mich nicht irre gehn.
Macht ihr nur keinen Dunst mir vor,
Daß ich sehn kann den ewigen Chor.
Doch daß ich jetzo mich links will schlagen,
Davon kann ich den Grund dir sagen:
Ich war heut' früh rechts ausgewichen,
Und so wird's wieder ausgeglichen.

 Friedrich Rückert

Sonntag, 13. April 2014

Samuel Beckett wurde heute vor 108 Jahren geboren


Cascando 
 
I 
 
warum nicht bloß die aufgegebene
Gelegenheit zum
Worterguß 
 
ist es nicht besser abtreiben als unfruchtbar sein 
 
die Stunden da du fort bist sind so bleiern 
zu früh fangen sie immer an zu schleppen 
die Enterhaken tasten blind ins Bett der Notdurft 
holen die Knochen 'rauf, die alten Liebschaften 
Höhlen einst angefüllt mit Augen wie deinen
stets immer ist es besser zu früh als nimmer 
die schwarze Not spritzt ihnen ins Gesicht 
sagen wieder, weder neun Tage machten das Geliebte flott
noch neun Monde
noch neun Leben
 
II 
 
sagen wieder 
lehrst du mich nicht so werde ich nicht lernen 
sagen wieder es gibt ein letztes 
auch von den letzten Malen 
letztesmal betteln 
letztesmal liebenwissen, 
nicht-wissen, tun-als-ob
ein letztes auch vom letztenmal sagen 
liebst du mich nicht so werd ich nicht geliebt 
lieb ich nicht dich so werde ich nicht lieben
nocheinmal Aufrühren die abgestandnen Worte im Herzen
das Liebe Liebe Liebe Stampfen des alten Quirls
wie er die unverdickbare 
Molke der Worte stößelt 
 
nocheinmal voll Grauen 
nicht zu lieben 
zu lieben doch nicht dich zu lieben
ungeliebt zu sein doch nicht von dir 
zu wissen, nicht-wissen, tun-als-ob 
tun-als-ob 
 
ich und all die ändern die dich lieben werden 
wenn sie dich lieben 
 
III 
 
es sei denn daß sie dich lieben
 
  
Cascando 
 
I 

why not merely the despaired of
occasion of
wordshed

is it not better abort than be barren

the hours after you are gone are so leaden
they will always start dragging too soon
the grapples clawing blindly the bed of want
bringing up the bones the old loves
sockets filled once with eyes like yours
all always is it better too soon than never
the black want splashing their faces
saying again nine days never floated the loved
nor nine months
nor nine lives
 
II

saying again
if you do not teach me I shall not learn
saying again there is a last
even of last times
last times of begging
last times of loving
of knowing not knowing pretending
a last even of last times of saying
if you do not love me I shall not be loved
if I do not love you I shall not love

the churn of stale words in the heart again
love love love thud of the old plunger
pestling the unalterable
whey of words

terrified again
of not loving
of loving and not you
of being loved and not by you
of knowing not knowing pretending
pretending

I and all the others that will love you
if they love you

III
 
unless they love you
 
Samuel Beckett 1936
from Collected Poems in English and French, S. Beckett, Grove Press, Inc. N.Y. 1977
 
Deutsche Übersetung Eva Hesse mit E. Tophoven, Wiesbaden: Limes 1976; München: dtv 1977, Frankfurt: Suhrkamp 1979
 
 
 

Freitag, 11. April 2014

Die Riace Krieger, schön und schutzlos


Die bronzenen Krieger von Riace
erschaffen zwischen 460 & 420 v. Chr.

Riace A und B, 1971 als Zufallsfund eines Tauchers vor der Küste von Kalabrien nahe der Stadt Riace entdeckt, wurden neun Jahre lang restauriert und stehen heute nah beieinander in einem Saal des Griechischen Museums von Riace, zwei von nur acht uns erhaltenen griechischen Bronzestatuen.

Und da stehen sie, überlebensgroß und bronzen, die Körper perfekt, die Locken ebenfalls, doch ihre hölzernen Schilde fehlen, Opfer des Salzwassers in dem sie über Jahrhunderte lagen, auch ihre Speere sind verloren gegangen, ebenso der Helm des jüngeren Kämpfers und der Lorbeerkranz des älteren, und so wirken die beiden seltsam schutzlos, verblüfft ob der eigenen unerwarteten Nacktheit. 
Eben standen sie noch in entspannter Sicherheit, bewaffnet in Erwartung von Bewunderung und Furcht, und nun?



Merkwürdig, kein Sixpack und doch der Eindruck von immens trainierter Muskulatur.


Wie  würden wir auf die Buntheit, den behaupteten Realismus der griechischen Bildhauerkunst reagieren, nachdem wir an strahlendweiße Marmorskulpturen und grün-graue Bronzen und ihre Lobpreisung durch Generationen von humanistischen Altertumswissenschaftlern gewohnt sind?



 Wimpernreste über Calcitaugen im noch unrestaurierten Zustand. 
Die Zähne waren aus Silber, die Nippel und Lippen aus Kupfer.



Donnerstag, 10. April 2014

April ist der grausamste Monat





"Diese Fragmente lasse ich meine Ruinen stützen."

 "These fragments I have shored against my ruins"

"Complimenti, du Hurensohn. Ich bin von allen sieben Eifersüchten geplagt."
  Das schrieb Ezra Pound, dem das "Wüste Land" gewidmet ist, und der als Lektor mehr als die Hälfte des ursprünglichen Textes gestrichen hat.
 
Aus: DEM WÜSTEN LAND

DAS BEGRÄBNIS DER TOTEN

April ist der grausamste Monat, treibt
Flieder aus der totem Land, mischt
Erinnerung mit Lust, rührt
Spröde Wurzeln mit Frühlingsregen.
Der Winter hat uns warm gehalten, hüllte
Erde in vergeßlichen Schnee, fütterte
Ein wenig Leben mit vertrockneten Knollen.
Der Sommer kam als Überraschung, über den Starnberger See
Mit Regenschauer; wir flüchteten unter die Kolonnaden,
Die Sonne kam wieder, wir gingen weiter zum Hofgarten
Und tranken Kaffee und redeten eine Stunde.

Bin gar keine Russin, stamm' aus Litauen, echt deutsch.
Und als wir Kinder waren, wohnten wir beim Erzherzog,
Der war mein Vetter, und der ist dann mit mir Schlitten gefahren,
Und ich hatte solche Angst. Marie, sagte er,
Marie, halt dich fest. Und runter gings.
Im Hochgebirge, da fühlt man sich frei.
Ich lese die halbe Nacht, im Winter muß ich nach Süden.
Was sind das für Wurzeln, die krallen, was für Äste wachsen
Aus diesem steinernen Schutt? Menschensohn,
Du ahnst es nicht und kannst nicht wissen, du siehst doch nur
Einen Haufen zerbrochener Bilder, wo die Sonne sticht
Und der tote Baum kein Obdach bietet, die Grille keine Hilfe
Und der trockene Stein kein Wassergeräusch. Nur
Dort ist Schatten unterm roten Fels,
(Komm in den Schatten unterm roten Fels),
Und ich werde dir etwas zeigen, das anders ist als
Der Schatten, der dir morgens nachläuft,
Und als der Schatten, der dich abends einholt; 
Frisch weht der Wind
Der Heimat zu:
Mein irisch Kind,
Wo weilest du?
›Vor einem Jahr, da brachtest du mir erstmals Hyazinthen;
Sie nannten mich das Hyazinthenmädchen.‹ –
Doch als wir wiederkamen aus dem Hyazinthengarten, es war schon spät, –
Du hattest die Hände voll, dein Haar war naß, da konnte ich nicht mehr
Sprechen, ich sah auch nichts mehr, ich fühlte mich weder
Tot noch lebendig, und alles war weg,
Als ich ins Herz des Lichts sah, die Stille.
Öd’ und leer das Meer.
Madame Sosostris, Top-Wahrsagerin,
War schwer erkältet, nichtsdestotrotz
Gilt sie als weiseste Frau Europas,
Dank eines verruchten Kartenspiels. Hier, sprach sie,
Ist Ihre Karte, der ertrunkene phönizische Seemann,
(Perlen sind, was seine Augen waren. Schau!)
Hier haben wir Belladonna, die Herrin der Felsen,
Die Herrin der Gelegenheiten.
Hier kommt der Mann mit den drei Stäben, und hier das Rad,
Und hier der Kaufmann mit dem einen Auge, und hier die Karte,
Wo nichts drauf ist, ist etwas, das er auf dem Rücken trägt,
Aber das läßt man mich nicht erkennen. Ich sehe nirgendwo
Den Gehenkten. Fürchten Sie den Tod durch Wasser.
Ich sehe Menschenmengen, die im Kreis einhergehn.
Danke schön. Falls Sie die gute Mrs. Equitone sehen,
Sagen Sie ihr, daß ich das Horoskop selbst vorbeibringe,
Man muß so vorsichtig sein heutzutage. 
....

---------------------------------------





Verschiedene Kritiker haben mir die Ehre angetan, das Gedicht als Kritik an der Gegenwart zu interpretieren, und haben sogar eine gehörige Portion Gesellschaftskritik hineingelesen. Für mich war es nur das Ventil für einen privaten und ganz belanglosen Grant gegen das Leben; es ist lediglich ein Stück rhythmischer Quengelei.

T.S. Eliot im Vorwort Faksimile-Ausgabe, 1971

---------------------------------------------

From THE WASTE LAND
  
THE BURIAL OF THE DEATH
 
April is the cruelest month, breeding
Lilacs out of the dead land, mixing
Memory and desire, stirring
Dull roots with spring rain.
Winter kept us warm, covering
Earth in forgetful snow, feeding
A little life with dried tubers.
Summer surprised us, coming over the Starnbergersee
With a shower of rain; we stopped in the colonnade,
And went on in sunlight, into the Hofgarten,
And drank coffee, and talked for an hour.
Bin gar keine Russin, stamm' aus Litauen, echt deutsch.
And when we were children, staying at the arch-duke's,
My cousin's, he took me out on a sled,
And I was frightened. He said, Marie,
Marie, hold on tight. And down we went.
In the mountains, there you feel free.
I read, much of the night, and go south in the winter.
What are the roots that clutch, what branches grow
Out of this stony rubbish? Son of man,
You cannot say, or guess, for you know only
A heap of broken images, where the sun beats,
And the dead tree gives no shelter, the cricket no relief,
And the dry stone no sound of water. Only
There is shadow under this red rock,
(Come in under the shadow of this red rock),
And I will show you something different from either
Your shadow at morning striding behind you
Or you shadow at evening rising to meet you;
I will show you fear in a handful of dust.
Frisch weht der Wind
Der Heimat zu
Mein Irisch Kind
Wo weilest du?
'You gave me hyacinths first a year ago;
'They called me the hyacinth girl.'
-Yet when we came back, late, from the hyacinth garden,
Your arms full, and your hair wet, I could not
Speak, and my eyes failed, I was neither
Living nor dead, and I knew nothing,
Looking into the heart of light, the silence.
Oed' und leer das Meer.
Madame Sosostris, famous clairvoyante,
Had a bad cold, nevertheless
Is known to be the wisest woman in Europe,
With a wicked pack of cards. Here, said she,
Is your card, the drowned Phoenician Sailor,
(Those are pearls that were his eyes. Look!)
Here is Belladonna, the Lady of the Rocks,
The lady of situations.
Here is the man with three staves, and here the Wheel,
And here is the one-eyed merchant, and this card,
Which is blank, is something he carries on his back,
Which I am forbidden to see. I do not find
The Hanged Man. Fear death by water.
I see crowds of people, walking round in a ring.
Thank you. If you see dear Mrs. Equitone,
Tell her I bring the horoscope myself:
One must be so careful these days.
...

http://www.lyrikheute.com/2013/01/the-waste-land-das-wuste-land-ein-top.html 

Wiki für Griechische Mythologie schreibt: Durch die Schönheit des Hyakinthos wurde die Aufmerksamkeit von Zephyros, dem Gott des Westwindes, erregt, ebenso fand jedoch auch Apollon Gefallen an dem Jüngling. Ein verhängnisvoller Unfall beim Diskuswerfen - Apollon traf Hyakinthos aus Versehen mit dem Diskus und tötete ihn so - beendete die Liebe frühzeitig. Aus dem Blut, das dabei vergossen wurde, ließ der trauernde Apollon eine Blume entstehen, deren Blütenblätter jeweils den Klageruf („AI“) bildeten.Alternativen dieses Mythos besagen, dass der Zwischenfall kein Unfall war: Zephyros lenkte demnach den Diskus in der Luft so ab, dass dieser den Hyakinthos traf und tötete.

 

Mittwoch, 9. April 2014

Schöne menschenerdachte Zeichen (in Mitteleuropa und Australien)




Ich bewege meinen Kopf von unten nach oben und
wieder nach unten, mit leichter Betonung der 
Bewegung abwärts und meine "Ja", und ein anderer 
übersetzt meinen Kopfwackler als Zustimmung. Ein kleines 
gewöhnliches Wunder. Unsere Tage sind gefüllt mit Zeichen, 
solchen, die wir uns geschaffen haben. Ohne sie würden 
wir verstummen. Zeichensprache, tonlos, genährt von 
anderen Zeichen. Ein Zeichen ist im weitesten Sinne etwas, 
das auf etwas anderes hindeutet, etwas bezeichnet, sagt
Wiki. Ich richte meinen "Zeigefinger" auf einen Punkt, und mein
Gegenüber erkennt wohin ich deute. Und dann wird der Finger
zum Pfeil, nur ein Strich mit einer an einer Seite angehängten
Spitze. Nichts weiter. Drei Striche und die Richtung einer 
Bewegung wird dadurch bestimmt, in die Richtung des Pfeils 
oder in eine davonabweichende, wird nun gegangen. 
Die Existenz des Zeichens verändert die Bewertung der Realität.
Ein ovaler Punkt auf einer Linie erzeugt im Wissenden einen Ton.
Eine andere ovale Form hinter zwei Strichen, die sich in einem spitzen 
Winkel treffen, und zehn Pferde oder Gläser oder Menschen sind 
benannt. Die gemeine 10 ein alltägliches Weltwunder.


a² + b² = c²


? undund π und &


A B C D E F G H I J K L M N O 
P Q R S T U V W 
X Y Z

 
0
 

Sonntag, 6. April 2014

ES GEHT EINE DUNKLE WOLK HEREIN


    Dieses Lied habe ich heute gehört. 


Es geht ein dunkle Wolk herein.
Mich deucht, es wird ein Regen sein,
ein Regen aus den Wolken,
wohl in das grüne Gras.

Und kommst du, liebe Sonn, nit bald,
so weset alls im grünen Wald,
und all die müden Blumen,
die haben müden Tod.

Es geht eine dunkle Wolk herein;
Es soll und muss geschieden sein.
Ade, feins Lieb, dein Scheiden
Macht mir das Herze schwer.

       Ein trauriges Lied, schmerzvoll und resigniert beklagt es den nahenden Abschied 
       von der Liebsten als unabwendbar.
       Zu Hause fand ich die ursprüngliche Fassung. 
       Ein junger Schnitter verführt und schwängert ein Mädchen, zieht sich durch die 
       Zahlung von zehn Talern aus der Verantwortung und singt ein recht herzloses Lied 
       über diese Eroberung, während er mit anderen Männern trinkt.

Schwangere Frau - Jacques Fabien Gautier d'Agoty 1710-81
      Wiki sagt: Dunkle Wolken ist ein Volkslied nach der Liederhandschrift des 
      bayerischen Benediktinerpaters Johannes Werlin aus dem Kloster Seeon.
Text der Niederschrift nach einer noch älteren Quelle
um 1630

Es geht ein dunkels Wölklein herein.
Mich dunkt, es wird ein Regelein sein,
ein Regelein aus den Wolken,
wohl in das grüne Gras.

Ja regnet es sehr, so werden wir naß,
bei meinem Buhlen wär mir wol baß,
bei meinem Buhlen alleine,
bei der Herzallerliebsten mein.

Ja scheinet die Sonn, so werden wir trucken
Bei meinem Buhlen so wäre gut schmucken,
bei meinem Buhlen alleine,
in seim Schlafkämmerlein.

Wann G’sellen zu Nacht auf der Gassen gahn,
braun’s Annelein an dem Laden tut stahn.
„Ach, Annelein, bist du drinnen?
Steh auf und laß mich ein!“

„Ich stehe nicht auf und laß dich nicht ein,
mein Türelein muß verschlossen sein,
mein Türelein ist verschlossen.
Der Riegel, der ist für.“

Ich weiß nicht, was der dem Maidlein verhieß,
dass es den Riegel dannen stieß.
Sie stieß ihn an eine Ecke,
sie ließ den Knaben ein.

„Ach Annelein, laß mich zu dir ein!
Aufs Jahr will ich dein eigen sein.
Dein eigen will ich bleiben,
das glaub mir sicher zwar.“

„Du verheißt mir viel und haltest mir wenig
und gibest mir weder Heller noch Pfennig,
dann nur ein guldine Hauben,
die ich nicht tragen darf.“

„Ein guldine Hauben, ein perlene Schnur,
damit bind du dein Härlein zu.“
„Mein Härelein darf keins binden,
muß allezeit fliegen lahn.“

„So stehe ich auf, mach mich darvon.
So musst du nun in Trauren stahn.
In Trauren muß ich doch dich lassen.
Tut dir im Herzen weh.“

„Zeuchst du dahin und lassest mich hie,
was lassest du mir zur Letze hie?
Ein Kindelein in der Wiegen
In eim gelbkrausen Haar.“

Da griff er in sein Säckelein weiß,
und gab ihr zehen Taler mit Fleiß
„Nimm hin wohl für deine Ehre,
die du verschlafen hast!“

Wer ist der uns das Liedlein sang:
Ein junger Schnitter ist er genannt.
Er sange wohl in der Ernte
Bei Met und kühlem Wein.


Spätere & bekanntere Fassung:

Es geht ein dunkele Wolk herein.
Mich deucht, es wird ein Regen sein,
ein Regen aus den Wolken,
wohl in das grüne Gras.

Und kommst du, liebe Sonn, nit bald,
so weset alls im grünen Wald,
und all die müden Blumen,
die haben müden Tod.
 
Hans Breuer im Zupfgeigenhansel Darmstadt 1909.

Es geht eine dunkle Wolk herein;
Es soll und muss geschieden sein.
Ade, feins Lieb, dein Scheiden
Macht mir das Herze schwer.

Die dritte Strophe stammt, bis auf die letzte Zeile, einem mährischen Wanderlied

Rückgrat einer Frau - Jacques Fabien Gautier d'Agoty 1710-81

Samstag, 5. April 2014

Das Kalte Herz in Stuttgart - Armin Petras


1992 oder 93 fuhr ich mit einem Freund nach Franfurt an der Oder, um dort die Inszenierung eines jungen Regisseurs anzusehen, den ich Jahre zuvor als elfjährigen schmalen, scheuen, blonden Jungen im adretten Wohnzimmer einer Schulfreundin kennengelernt hatte. Es wurde für ein ganz wunderbarer Theaterabend. Krass und witzig und in großartiger Sympathie mit allen Figuren, Kleists "Käthchen von Heilbronn" auf der kleineren Bühne des, damals noch existierenden, Franfurter Kleist-Theaters. Ich erinnere mich deutlich an Rahel Ohm als Kunigunde in verzweifelter, erfolgloser, manischer Diät zur perfekten Schönheit, unter ständiger Bedrohung durch die Verführungskraft gesalzener Erdnüsse. Hier wurde Kleist ganz und gar Ernst genommen und in kräftiger, seltsamer Umarmung in die Jetztzeit geleitet. 
Ich habe von da an, wann immer ich konnte, versucht seine Arbeiten zu sehen, wo auch immer sie auftauchten und dieser Regisseur ist viel herumgekommen in Deutschlands Theatern. Manches war nahezu perfekt, manches schien halbfertig, als hätte ihn nur ein Strang des Stückes interessiert und alles andere wurde nur abgearbeitet, oder bei der gleichzeitigen Realisierung von drei Stücken an verschiedenen Theatern war einfach nicht genug Zeit alles zu Ende zu denken.
Und immer wieder hat er mich in meiner Mitte erwischt. 

Leipzig - Tellheim in dreifacher Ausfertigung, drei Generationen von geschassten NVA- Offizieren, die sich in der neuen Ordnung nicht zurecht finden und ihr mit erlernten Mitteln entgegentreten. Westgelddrucken im Eigenverlag.

Kassel - Noch einmal Rahel Ohm, diesmal als Ophelia, die von einer glücklichen Zukunft mit Hamlet in Wittenberg träumt, in der sie Schauspiel studieren und Saxophon spielen wird, und die von den problembeladenen Männern desinteressiert zurückgelassen wird.

Berlin - Michael Klammers Baumwollfeldtanz in den "Früchten des Zorns" am Maxim Gorki Theater. 

Und, und, und.
Ich meine Armin Petras. 

Rahel Ohm war auch heute Abend in Stuttgart dabei, zauberhaft und doch eigenartig vernachlässigt als Mutter des Peter Munk. Was genau habe ich heute Abend gesehen? Einen Versuch zwischen Tanztheater, Musical, ernsthafter Volkskunst und den Möglichkeiten des Sprechtheaters, sich über den Schrecken der GIER zu verständigen. Was in uns macht uns gierig, rücksichtslos, kaltherzig? Wo wurzelt diese rasende Lust auf das ZUVIEL? 
Kein vollständiger Wurf, aber es wurde weit geworfen. 
Vielleicht kann ich es so formulieren: Selbst wenn ich mäkele oder unzufrieden bleibe, habe ich bei Petras doch nie das Gefühl, verscheissert oder übertölpelt worden zu sein. Ich wurde als Zuschauer Ernst genommen und habe dadurch die Freiheit nicht einverstanden zu sein.


Foto: Michael Steinert

Wilhelm Hauff

Aus dem Märchen-Almanach auf das Jahr 1826

"In einem schönen, fernen Reiche, von welchem die Sage lebt, daß die Sonne in seinen ewig grünen Gärten niemals untergehe, herrschte von Anfang an bis heute die Königin Phantasie. ... Einst kam Märchen, die älteste Tochter der Königin, von der Erde zurück. Die Mutter bemerkte, daß Märchen traurig sei, ja, hier und da wollte ihr bedünken, als ob sie verweinte Augen hätte.
»Was hast du, liebes Märchen«, sprach die Königin zu ihr, »du bist seit deiner Reise so traurig und niedergeschlagen, willst du deiner Mutter nicht anvertrauen, was dir fehlt?«
»Ach, liebe Mutter«, antwortete Märchen, »ich hätte gewiß nicht so lange geschwiegen, wenn ich nicht wüßte, daß mein Kummer auch der deinige ist.«
»Sprich immer, meine Tochter«, bat die schöne Königin, »der Gram ist ein Stein, der den einzelnen niederdrückt, aber zwei tragen ihn leicht aus dem Wege.«
»Du willst es«, antwortete Märchen, »so höre: Du weißt, wie gerne ich mit den Menschen umgehe, wie ich freudig auch bei dem Ärmsten vor seiner Hütte sitze, um nach der Arbeit ein Stündchen mit ihm zu verplaudern; sie boten mir auch sonst gleich freundlich die Hand zum Gruß, wenn ich kam, und sahen mir lächelnd und zufrieden nach, wenn ich weiterging; aber in diesen Tagen ist es gar nicht mehr so!«
»Armes Märchen!« sprach die Königin und streichelte ihr die Wange, die von einer Träne feucht war, »aber du bildest dir vielleicht dies alles nur ein?«
»Glaube mir, ich fühle es nur zu gut«, entgegnete Märchen, »sie lieben mich nicht mehr. Überall, wo ich hinkomme, begegnen mir kalte Blicke; nirgends bin ich mehr gern gesehen; selbst die Kinder, die ich doch immer so lieb hatte, lachen über mich und wenden mir altklug den Rücken zu."