Montag, 14. April 2014

Lear - Haken schlagen


Wiedereinmal "Lear":

Vorweg, Lear, der König, ist ein Mistkerl, ein Tyrann, ein Egozentriker, ein Scheusal, ein Macht-haber.

Er hat wenige Szenen vor dieser, sein Königtum in einem Akt wissentlicher Hybris an seine Erben weggeben, in festem Vertrauen auf ihre andauernde Treue, und sich dadurch angreifbar gemacht. 
 
Zweiter Akt: Der König, bereits angeschlagen, findet bei der Ankunft im Schloss seiner Tochter, einen seiner Diener im Block vor, einer Art hölzernem Pranger, in den der Gefangene mit Armen, Beinen & Kopf eingeschlossen wurde. 
Einen Diener des Königs, ohne dessen vorheriger Zustimmung, zu strafen ist Hochverrat. 
Die Kinder des Königs haben ihm eine Falle gelegt, sie wissen, dass der König auf diesen Köder reagieren muß, er darf ihnen ihr Missverhalten nicht durchgehen lassen. Er wird zürnen, wüten, sich angreifbar machen und dann können sie ihn abschiessen.
Er ist Beute.
Jägersprache. Mördersprache.
Es handelt sich um eine Treibjagd. Und der Löwe wird zum Hasen. Und Hasen schlagen Haken, in der Hoffnung, durch schnelle Richtungswechsel, dem tödlichen Schuß zu entgehen.


NARR blickt auf den gefesselten Kent:

Ha, ha! der trägt ja Holz-Wollstrümpfe.



LEAR:

Wer war’s, der deinen Rang so falsch verstand,

Dass er dich festsetzt?



KENT:

                                        Sowohl er wie sie,

Ihr Sohn und Ihre Tochter.



LEAR:

                                        Nein.



KENT:

                                                  Ja.



LEAR:

                                                          Nein, sag ich.



KENT:

Und ich sag ja.


LEAR:

                            Nein, nein; sie täten’s nicht.



KENT:

Ja, ja; sie taten’s.



LEAR:

                               Sie wagten’s nicht,

Sie konnten’s, würden’s nicht; ’s ist schlimmer als ein Mord,

An Königs Dienstmann solchen Frevel tun.

Oh! wie Erstickung mir ans Herz hochschwillt.

         Er geht kurz weg, kommt wieder.

Weigern sich mich zu sehn! Wärn krank! Wärn müde!



GLOUCESTER:

Sie kennen Cornwalls feurigen Charakter;

Wie unbeweglich und wie starr er ist.



LEAR:

Ich will den Herzog Cornwall sprechen und sein Weib.

Der König will mit Cornwall sprechen; der Vater

Möcht seine Tochter sprechen, Dienst will er sehn, befiehlt...

Nein, noch nicht jetzt; vielleicht ist ihm nicht gut:

Krankheit vernachlässigt stets allen Dienst,

Der bei Gesundheit Pflicht ist; auf den gefesselten Kent Warum

Sitzt der so da? Die Tat beweist es mir,

Dies Sich-Verziehn vom Herzog und von ihr

Ist Taktik nur. Gebt mir den Diener los.

Geh, sag Herzog samt Frau, ich möcht sie sprechen.



GLOUCESTER:

Ich möcht, das alles gut ist zwischen Ihnen. Ab.



LEAR:

Oh, ach! mein Herz, es steigt ans Herz! nein, runter!



NARR:

Schrei’s kräftig an, Nonkelchen, wie die neue Köchin die Aale, als sie sie aus Mitleid lebendig in die Pastete packte; sie über die Rübe gehaun hat mit ’nem Knüttel und schrien: ›Runter, vorwitzige Viecher, runter!‹
.....  

Dann treten nacheinander die Töchter und Schwiegersöhne auf und des Königs Haken werden schneller, verzweifelter und spitzer. Die Meute hetzt, der Hase rennt, der letzte Schuß sitzt, der König rennt in die Wildnis tödlich getroffen.  Es folgt: "Ein Sturm auf der Heide".

Ich muß bei der Szene immer an Saddam Hussein erschossen und in Unterhosen denken.

Shakespeare ist ein hundsgemeines Genie, eben konnte man den Kerl noch gemütlich hassen und dann soll man sich plötzlich mit ihm in die Enge getrieben fühlen. Man mißtraut dem eigenen Mitgefühl. Großartig.



Einen "Haken schlagen" stammt aus der Jägersprache und bezeichnet ursprünglich die abrupte Richtungsänderung des verfolgten Hasen. Der Haken meint dabei die gekrümmte Abweichung von einer als Gerade gedachten Fluchtlinie.
www.redensarten.de


Die Sprache und ihre Lehrer

Die Sprache ging durch Busch und Gehege,
Sie bahnte sich ihre eigenen Wege.
Und wenn sie einmal verirrt im Wald,
Doch fand sie zurecht sich wieder bald.
Sie ging einmal den gebahnten Steg,
Da trat ein Mann ihr in den Weg.
Die Sprache sprach: Wer bist du, Dreister?
Er sprach: Dein Lehrer und dein Meister.
Die Sprache dacht' in ihrem Sinn:
Bin ich nicht selber die Meisterin?
Aber sie ließ es sich gefallen,
Ein Streckchen mit ihrem Meister zu wallen.
Der Meister sprach in einem fort,
Er ließ die Sprache nicht kommen zum Wort.
Er hatt' an ihr gar manches zu tadeln,
Sie sollte doch ihren Ausdruck adeln.
Die Sprache lächelte lang' in Huld,
Endlich kam ihr die Ungeduld.
Da fing sie an, daß es ihn erschreckte,
Zu sprechen in einem Volksdialekte.
Und endlich sprach sie gar in Zungen,
Wie sie vor tausend Jahren gesungen.
Sie konnt' es ihm am Maul ansehn,
Daß er nicht mocht' ein Wort verstehn.
Sie sprach: Wie du mich siehst vor dir,
Gehört' das alles doch auch zu mir;
Das solltest du doch erst lernen fein,
Eh' du wolltest mein Lehrer sein.
Drauf gingen sie noch ein Weilchen fort,
Und der Meister führte wieder das Wort.
Da kamen sie, wo sich die Wege teilten,
Nach jeder Seit' auseinander eilten.
Die Sprache sprach: Was rätst nun du?
Der Meister sprach: Nur gerade zu!
Nicht rechts, und links nicht ausgeschritten;
Immer so fort in der rechten Mitten!
Die Sprache wollt' einen Haken schlagen,
Der Meister packte sie beim Kragen:
Du rennst mein ganz System übern Haufen.
Wenn du so willst in die Irre laufen.
Die Sprache sprach: Mein guter Mann,
Was geht denn dein System mich an?
Du deutest den Weg mir mit der Hand,
Ich richte mich nach der Sonne Stand;
Und wenn die Stern' am Himmel stehn,
So lassen auch die mich nicht irre gehn.
Macht ihr nur keinen Dunst mir vor,
Daß ich sehn kann den ewigen Chor.
Doch daß ich jetzo mich links will schlagen,
Davon kann ich den Grund dir sagen:
Ich war heut' früh rechts ausgewichen,
Und so wird's wieder ausgeglichen.

 Friedrich Rückert

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