Montag, 13. August 2012

Die Mauer ist weg - Zur Erinnerung


Walter Ulbricht am 15. Juni 1961:
"Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten."


© picture-alliance/ dpa

51 Jahre sind es, seitdem eine Mauer quer durch Berlin und später durch das ganze vormals Deutschland genannte Land gebaut wurde.

Brief von Günter Grass an Anna Seghers

Berlin, am 14. August 1961

An die Vorsitzende
des Deutschen Schriftstellerverbandes in der DDR

Verehrte Frau Anna Seghers,

als mich gestern eine der uns deutschen so vertrauten und geläufigen plötzlichen Aktionen mit Panzernebengeräuschen, Rundfunkkommentaren und obligater Beethoven-Symphonie wach werden ließ, als ich nicht glauben wollte, was ein Radiogerät mir zum Frühstück servierte, fuhr ich zum Bahnhof Friedrichstraße, ging zum Brandenburger Tor und sah mich den unverkennbaren Attributen der nackten und dennoch nach Schweinsleder stinkenden Gewalt gegenüber. Ich habe, sobald ich mich in Gefahr befinde - oftmals überängstlich, wie alle gebrannten Kinder - die Neigung, um Hilfe zu schreien. Ich kramte im Kopf und im Herzen nach Namen, nach hilfeverheißenden Namen; und Ihr Name, verehrte Frau Anna Seghers, wurde mir zum Strohhalm, den zu fassen ich nicht ablassen will.

Sie waren es, die meine Generation oder jeden, der ein Ohr hatte, nach jenem nicht zu vergessenden Krieg unterrichtete, Recht und Unrecht zu unterscheiden; Ihr Buch, Das siebte Kreuz, hat mich geformt, hat meinen Blick geschärft und läßt mich heute die Globke und Schröder in jeder Verkleidung erkennen, sie mögen Humanisten, Christen oder Aktivisten heißen. Die Angst Ihres Georg Heisler hat sich mir unverkäuflich mitgeteilt; nur heißt der Kommandant des Konzentrationslagers heute nicht mehr Fahrenberg, er heißt Walter Ulbricht und steht Ihrem Staat vor. Ich bin nicht Klaus Mann, und Ihr Geist ist dem Geist des Faschisten Gottfried Benn gegengesetzt, trotzdem berufe ich mich mit der Anmaßung meiner Generation auf jenen Brief, den Klaus Mann am 9. Mai 1933 an Gottfried Benn richtete. Für Sie und für mich mache ich aus dem 9. Mai der beiden toten Männer einen lebendigen 14. August 1961: Es darf nicht sein, daß Sie, die Sie bis heute vielen Menschen der Begriff aller Auflehnung gegen die Gewalt sind, dem Irrationalismus eines Gottfried Benn verfallen und die Gewalttätigkeit einer Diktatur verkennen, die sich mit Ihrem Traum vom Sozialismus und Kommunismus, den ich nicht träume, aber wie jeden Traum respektiere, notdürftig und dennoch geschickt verkleidet hat.

Vertrösten Sie mich nicht auf die Zukunft, die, wie Sie als Schriftstellerin wissen, in der Vergangenheit stündlich Auferstehung feiert; bleiben wir beim Heute, beim 14. August 1961. Heute stehen Alpträume als Panzer an der Leipziger Straße, bedrücken jeden Schlaf und bedrohen Bürger, indem sie Bürger schützen wollen. Heute ist es gefährlich, in Ihrem Staat zu leben, ist es unmöglich, Ihren Staat zu verlassen. Heute - und Sie deuten mit Recht auf ihn - bastelt ein Innenminister Schröder an seinem Lieblingsspielzeug: am Notstandsgesetz. Heute - Der Spiegel unterrichtete uns - trifft man in Deggendorf, Niederbayern, Vorbereitungen zu katholisch-antisemitischen Feiertagen. Dieses Heute will ich zu unserem Tag machen: Sie mögen als schwache und starke Frau Ihre Stimme beladen und gegen die Panzer, gegen den gleichen, immer wieder in Deutschland hergestellten Stacheldraht anreden, der einst den Konzentrationslagern Stacheldrahtsicherheit gab; ich aber will nicht müde werden, in Richtung Westen zu sprechen: nach Deggendorf in Niederbayern will ich ziehen und in eine Kirche spucken, die den gemalten Antisemitismus zur Altar erhoben hat.

Dieser Brief, verehrte Frau Anna Seghers, muß ein "offener Brief" sein. Das Brieforiginal schicke ich Ihnen über den Schriftstellerverband in Ostberlin. Mit der Bitte um Veröffentlichung schicke ich einen Durchschlag an die Tageszeitung Neues Deutschland, einen zweiten Durchschlag an die Wochenzeitung Die Zeit.

Hilfesuchend grüßt Sie
Günter Grass

Quelle: Hans Werner Richter (Hg.), Die Mauer oder Der 13. August, Reinbek 1961, S. 62-64

Schießbefehl der Einsatzkompanie der Hauptabteilung I „NVA und Grenztruppen“ des MfS, Seite 2 1977

Sogleich strengt jeder Arm sich an,
die Mauer wird getheilt, die Stadt ist aufgethan.

Schiller Zerstörung von Troja

Sonntag, 12. August 2012

Alle Freunde weg


Heute morgen bin ich aufgewacht und hatte meine (facebook-) Freunde verloren, alle.
Ein Unbekannter in Hamburg hatte sich damit vergnügt meine facebook-Seite zu hacken und daraufhin hat facebook aka Herr Zuckerberg die Seite gesperrt. Nun bin nicht einmal ich eitel genug anzunehmen, meine Mitteilungen über Kinobesuche und Bilder von lustigen Tieren seien so interessant, dass sich der fremde Hacker die Mühe machen würde, nur um in den Besitz derselben zu gelangen. Will er wohl Herrn Zuckerberg ärgern! 
Nun habe ich einen neuen Account und sammle meine (facebook-) Freunde wieder zusammen, wie die verstreuten Schäfchen einer Herde. Nur dass eigentlich ich verstreut war.
Und nebenbei habe ich bemerkt, dass ich facebook und meine dortigen Freunde vermisst hätte. Ich höre viel Genörgel und gutgemeinte Warnungen über die Gefahren sozialer Netzwerke, manches mit Recht, vieles voll Panikmache und Unverstand, aber oft wird übersehen, dass es halt SOZIALE Netze sind. Man kann dort gut quatschen, rumalbern, Nebensächliches und Interessantes erfahren und selbst mitteilen. In Zeiten, in denen viele viel unterwegs sind, reichlich arbeiten und wenig Zeit haben, ist facebook ein guter Ort für das, was früher am örtlichen Brunnen, im Tante-Emma-Laden und auf der Post stattfand Das soziale Gefüge wird geölt mit Wortaustausch.

AGFA Werbung: Junge Leute am Dorfbrunnen


Freitag, 10. August 2012

Weltmäusetag - Der Gerechtigkeit halber


Von Mäusen und Menschen
 
1972 veröffentlichte Art Spiegelman, ein amerikanischer Cartoonist, im Magazin "Lustige Tiere" ("Funny Animals") einen dreiseitigen Comic-Strip über die beängstigenden Gutenachtgeschichten, die sein Vater Vladek, ein polnischer Jude und Überlebender der Hölle von Ausschwitz, ihm über das Leben in der alten Heimat während des Krieges erzählt hatte. Spiegelman zeichnete die Juden als Mäuse und die Deutschen als Katzen. Das später veröffentlichte erste Mausbuch hat den Titel: "Mein Vater kotzt Geschichte aus"
Gefangen: der Mann in der 'Maus' -Maske aus 'MetaMaus' © Art Spiegelman
“Micky Maus ist das schändlichste Vorbild, das je erfunden wurde … Das gesunde Empfinden sagt jedem denkenden Heranwachsenden und jedem rechtschaffenen Jüngling, dass dieses ekelhafte, schmutzige Ungeziefer, dieser größte Bakterienüberträger im ganzen Tierreich niemals ein vorbildliches Tier sein kann … Schluss mit der Verrohung der Völker durch die Juden! Nieder mit Micky Maus! Tragt das Hakenkreuz!” Zeitungsartikel, Pommern, Mitte der 30er Jahre.
 © Art Spiegelman
Bernhard und Bianca, die Maus aus der Sendung mit derselben, Disneys Mickey Mouse, Feivel der Mausewanderer, Tom und Jerry, Art Spiegelmans jüdische Mäuse und mein persönlicher Liebling: Speedy Gonzales, die schnellste Maus von Mexiko, die Zahl der kulturell einflußreichen Mäuse ist verblüffend, dabei sollten die Mäuse in Portemonnaie und auf der Bank nicht unerwähnt bleiben. Mausi ist ein beliebter Kosename, Mäuschen desgleichen. Andererseits ge- und mißbrauchen wir millionenfach Mäuse in Laboratorien zur Erforschung lebenswichtiger Medikamente und zum Testen alberner Lippenstifte.

Meine Katze Emma hat mir oft, als Zeichen ihrer Zuneigung, zauberhafte besonders kleine Feldmäuse zum Geschenk gemacht und aus mädchenhafter Zickerei habe ich ihre Gaben unter leichtem Kreischen immer wieder abgewiesen.

Und weil halt die MAUS keinen internationalen Feiertag bekommen hat, widme ich ihr diesen heutigen Blog.

Eine St. Andrews Strand Maus

Das folgende Gedicht ist die Quelle für Steinbeck's Romantitel "Von Mäusen und Menschen".

An eine Maus, die er mit ihrem Neste aufgepflügt hatte.

Klein, furchtsam Tierchen! welch ein Schrecken
Erfüllt dein Brüstchen, so durch Hecken
Und Furchen dich zum Lauf zu strecken?
Bleib! nicht so jach!
Nicht setz' ich mit dem Pflügerstecken
Grausam dir nach!

Der Mensch – betrübt gesteh' ich's ein! –
Brach der Natur geselligen Reih'n!
Mißtrauisch drum fliehst du feldein:
Voll Frucht, dir schade
Dein armer Mitgeschaffner – dem
Staubkamerade! *

Mag sein, du gehst auf Diebstahl aus;
Gut! mußt ja leben, kleine Maus!
Manchmal vom Schock ein Ährchen kraus
Ist klein Begehren!
Der Rest bringt Segen mir ins Haus –
Ich kann's entbehren!

Dein klein arm Häuschen auch zerstört!
Sein töricht Dach der Sturm durchfährt!
Und nirgend Grün mehr, neuen Herd
Dir zu begründen!
Da Christtag bald die Fluren kehrt
Mit eis'gen Winden!

Du sahst die Felder öde schier,
Den langen Winter vor der Tür,
Und sprachst: »Geschützt und kosig hier
Halt' ich es aus!«
Als, krach! die böse Pflugschar dir
Grad fuhr durchs Haus!

Von Laub und Stroh dein Nestchen klein,
Manch mühsam Knuspern trug's dir ein!
Und nun mußt du vertrieben sein
Für all' dein Müh'n,
Und mußt hinaus in nasses Schnei'n
Und Rauhfrost zieh'n!

* Doch, Mäuschen, mehr schon ist zerronnen
In nichts, was Vorsicht klug ersonnen!
Was Mäuse und Menschen fein gesponnen,
Geht scheitern oft,
Und läßt uns Gram nur statt der Wonnen,
Die wir gehofft!

Doch bist du glücklich gegen mich!
Die Gegenwart nur kümmert dich:
Doch, o! des Pfads, wenn rückwärts ich
Mein Auge schlage!
Und vor mir, türmt auch Dunkel sich,
Ahn' ich und zage!

Robert Burns
Übersetzung Ferdinand Freiligrath

* Fürwahr mich dauert des Menschen Herrschaft
die zerbrach die natürliche Gemeinschaft
und die bestätigt die üble Meinung
die dich erschrecken läßt
über mich, mein armer erdbürtiger Genosse
und Bruder im Tode.

Übersetzer unbekannt

Mittwoch, 8. August 2012

Weltkatzentag



Thomas Gainsborough zwischen 1763 und 1770 6 Katzenstudien 


KLEINE KATZEN

Kleine Katzen sind so drollig
und so wollig und so mollig,
daß man sie am liebsten küßt.
Aber auch die kleinen Katzen
haben Tatzen, welche kratzen.
Also Vorsicht! Daß ihr's wißt!

Kleine Katzen wollen tollen
und wie Wolleknäuel rollen.
Das sieht sehr possierlich aus.
Doch die kleinen Katzen wollen
bei dem Tollen und dem Rollen
fangen lernen eine Maus.

Kleine Katzen sind so niedlich
und so friedlich und gemütlich.
Aber schaut sie richtig an:
Jedes Sätzchen auf den Tätzchen
hilft, daß aus dem süßen Kätzchen
mal ein Raubtier werden kann.

James Krüss


Pablo Picasso 1939 Katze verschlingt Vogel

Pablo Picasso 1939 Verletzter Vogel und Katze


                                                 Katze und Maus in Gesellschaft

Eine Katze hatte Bekanntschaft mit einer Maus gemacht und ihr soviel von großer Liebe und Freundschaft vorgesagt, die sie zu ihr trüge, daß die Maus endlich einwilligte, mit ihr zusammen in einem Haus zu wohnen und gemeinschaftliche Wirtschaft zu führen. "Aber für den Winter müssen wir Vorsorge tragen, sonst leiden wir Hunger", sagte die Katze. "Du, Mäuschen, kannst dich nicht überallhin wagen und gerätst mir am Ende in eine Falle." Der gute Rat wurde also befolgt und ein Töpfchen mit Fett angekauft. Sie wußten aber nicht, wohin sie es stellen sollten. Endlich, nach langer Überlegung, sprach die Katze: "Ich weiß keinen Ort, wo es besser aufgehoben wäre, als die Kirche; da getraut sich niemand etwas wegzunehmen. Wir stellen es unter den Altar und rühren es nicht eher an, als bis wir es nötig haben." Das Töpfchen wurde also in Sicherheit gebracht. Aber es dauerte nicht lange, so trug die Katze Gelüste danach und sprach zur Maus: "Was ich dir sagen wollte, Mäuschen, ich bin von meiner Base zum Gevatter gebeten. Sie hat ein Söhnchen zur Welt gebracht, weiß mit braunen Flecken, das soll ich über die Taufe halten. Laß mich heute ausgehen und besorge du das Haus allein!"
"Ja, ja", antwortete die Maus, "geh in Gottes Namen! Wenn du was Gutes ißt, so denk an mich! Von dem süßen roten Festwein tränk ich auch gern ein Tröpfchen!"
Es war aber alles nicht wahr. Die Katze hatte keine Base und war nicht zum Gevatter gebeten. Sie ging geradewegs nach der Kirche, schlich zu dem Fettöpfchen und leckte die fette Haut ab. Dann machte sie einen Spaziergang auf den Dächern der Stadt, streckte sich hernach in der Sonne aus und wischte sich den Bart, sooft sie an das Fettöpfchen dachte. Erst als es Abend war, kam sie wieder nach Hause. "Nun, da bist du ja wieder!" sagte die Maus. "Du hast gewiß einen lustigen Tag gehabt."
"Es ging an", antwortete die Katze. "Was hat denn das Kind für einen Namen bekommen?" fragte die Maus.
"Hautab", sagte die Katze ganz trocken.
"Hautab", rief die Maus, "das ist ja ein seltsamer Name! Ist der in eurer Familie gebräuchlich?"
"Was ist da weiter!" sagte die Katze. "Er ist nicht schlechter als Bröseldieb, wie deine Paten heißen."
Nicht lange danach überkam die Katze wieder ein Gelüste. Sie sprach zur Maus: "Du mußt mir den Gefallen tun und nochmals das Hauswesen allein besorgen; ich bin zum zweitenmal zum Gevatter gebeten, und da das Kind einen weißen Ring um den Hals hat, so kann ich's nicht abschlagen." Die gute Maus willigte ein, die Katze aber schlich hinter der Stadtmauer zu der Kirche und fraß den Fettopf halb aus. "Es schmeckt nichts besser", sagte sie, "als was man selber ißt", und war mit ihrem Tagewerk ganz zufrieden.
Als sie heimkam, fragte die Maus: "Wie ist denn dieses Kind getauft worden?"
"Halbaus", antwortete die Katze.
"Halbaus! Was du sagst! Den Namen habe ich mein Lebtag noch nicht gehört. Ich wette, der steht nicht im Kalender."
Der Katze wässerte das Maul bald wieder nach der Leckerei. "Aller guten Dinge sind drei", sprach sie zu der Maus. "Ich soll wieder Gevatter stehen. Das Kind ist ganz schwarz und hat bloß weiße Pfoten, sonst kein weißes Haar am ganzen Leib. Das trifft sich alle paar Jahre nur einmal. Du lässest mich doch ausgehen?"
"Hautab, Halbaus", antwortete die Maus, "es sind seltsame Namen, die machen mich nachdenklich."
"Da sitzest du daheim in deinem dunkelgrauen Flausrock und deinem langen Haarzopf", sprach die Katze, "und fängst Grillen. Das kommt davon, wenn man bei Tag nicht ausgeht!"
Die Maus räumte während der Abwesenheit der Katze auf und brachte das Haus in Ordnung; die naschhafte Katze aber fraß den Fettopf rein aus. "Wenn erst alles aufgezehrt ist, so hat man Ruhe", sagte sie zu sich selbst und kam satt und dick erst in der Nacht nach Hause. Die Maus fragte gleich nach dem Namen, den das dritte Kind bekommen habe. "Er wird dir wohl auch nicht gefallen", sagte die Katze; "er heißt Ganzaus."
"Ganzaus!" rief die Maus. "Was soll das bedeuten?" Sie schüttelte den Kopf, rollte sich zusammen und legte sich schlafen.
Von nun an wollte niemand mehr die Katze zum Gevatter bitten. Als aber der Winter herangekommen und draußen nichts mehr zu finden war, gedachte die Maus ihres Vorrats und sprach: "Komm, Katze, wir wollen zu unserm Fettopf gehen, den wir uns aufgespart haben! Der wird uns schmecken."
"Jawohl", erwiderte die Katze, "der wird dir schmecken, als wenn du deine feine Zunge zum Fenster hinausstreckst."
Sie machten sich auf den Weg, und als sie anlangten, stand zwar der Fettopf noch an seinem Platz, war aber leer.
"Ach", sagte die Maus, "jetzt merke ich, was geschehen ist! jetzt kommt's an den Tag. Du bist mir eine wahre Freundin! Aufgefressen hast du alles, während du behauptetest, Gevatter zu stehen: erst Haut ab, dann halb aus, dann..."
"Willst du schweigen!" rief die Katze. "Noch ein Wort, und ich fresse dich auf!"
"Ganz aus", hatte die arme Maus schon auf der Zunge. Kaum war es heraus, tat die Katze einen Satz nach ihr, packte sie und schlang sie hinunter.

Aus den Märchen der Brüder Grimm 

Lasst uns über Bäume reden


Griechenland ist pleite und was tut es? Es unternimmt Razzien gegen illegale Einwanderer. Texas richtet einen geistig behinderten Mann hin und begründet es mit einer Figur aus dem Steinbeck-Roman "Von Mäusen und Menschen". Mitt Romney fährt nach Israel und schmaddert verbale Unterstützung für einen Erstschlag gegen Iran in den Äther. Der Mann, der in Colorado zwölf Kinobesucher niedergemetzelt hat, verkleidet sich dafür als waffenstarrende Comic-Figur, ein anderer Mann erschießt Sikhs, weil er sie für Muslims hält. Ein ehemaliger Geschäftsführer von Lehman Brothers verteidigt sein Jahresgehalt von 484 Millionen vor einem Kongressausschuss mit der Qualität seiner Arbeit.


"Wenn es hart auf hart kommt, diese ... zivilisierten Leute, fressen einander. Sieh, ich bin kein Monster, ich bin nur meiner Zeit voraus."
"When the chips are down, these... these civilized people, they'll eat each other. See, I'm not a monster. I'm just ahead of the curve." The Dark Knight 2008

------------------------------------------------------------------------
Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
B. Brecht "An die Nachgeborenen"

Was Sind das für Zeiten

Da ist ein Ort zwischen Reihen junger Bäume wo das Gras bergauf wächst.
und die alte Revolutions-Strasse in Schatten endet
nah einem Treffpunkt von den Verfolgten aufgegeben
die in jene Schatten verschwanden.

Dort bin ich Pilze sammeln gegangen am Abgrund der Angst, aber täuscht euch nicht
dies ist kein russsches Gedicht, dies ist nicht irgendwo anders, sondern hier,
unser Land sich der eigenen Wahrheit und Angst nähernd
der eigenen Art Menschen verschwinden zu lassen

Ich werde euch nicht sagen wo der Ort ist, das dunkle Netz der Bäume
das den unbezeichneten Streifen von Licht trifft-
Kreuzungen voller Gespenster, Paradies faulender Blätter:
Ich weiß schon, wer es kaufen, verkaufen, verschwinden lassen will.

Und ich werde euch nicht sagen wo es ist, also warum sage ich euch
überhaupt etwas? Weil ihr noch zuhört, weil man, damit ihr zuhört,
in Zeiten wie diesen, 
über Bäume reden muss.

Toter Baum 2007 (Carpinteria, CA)© All Rights Reserved

What Kind of Times Are These

There's a place between two stands of trees where the grass grows uphill
and the old revolutionary road breaks off into shadows
near a meeting-house abandoned by the persecuted
who disappeared into those shadows.


I've walked there picking mushrooms at the edge of dread, but don't be fooled
this isn't a Russian poem, this is not somewhere else but here,
our country moving closer to its own truth and dread,
its own ways of making people disappear.


I won't tell you where the place is, the dark mesh of the woods
meeting the unmarked strip of light—
ghost-ridden crossroads, leafmold paradise:
I know already who wants to buy it, sell it, make it disappear.


And I won't tell you where it is, so why do I tell you
anything? Because you still listen, because in times like these
to have you listen at all, it's necessary
to talk about trees. 

Adrienne Rich

Dienstag, 7. August 2012

Edward Burtynsky - Photograph


Da geht man durch eine vielgepriesene und vorbeschimpfte Ausstellung im C/O Berlin in der Oranienburger Strasse, Photographien von Larry Clark, Amerikaner aus Tulsa/Oklahoma, und man liest, dass er seit 50 Jahren Jugendliche abbildet, oft nackt, oft sich eine Spritze setzend, oft so wie man sich das vorstellt und die erwartete, vorangekündigte Provokation stellt sich nicht ein und man schwatzt und schweift nebensächlich über die teils riesenhaften Computerdrucke, deren matter Nichtglanz leider auch noch nahezu durch Verglasung aufgehoben wird und man will schon gehen und nörgelt vor sich hin und dann im zweiten Stock, rechts, hinten: Edward Burtynskys Bilder, und ich habe mir sagen lassen, dass Andreas Gurski der "Erfinder" dieser Art Bildlichkeit ist, aber da ich den nicht kenne, bin ich hier und jetzt überwältigt.

Schiffsverschrottung #23 (Bangladesch) aus der Schiffs-Serie © Edward Burtynsky

Wir haben Glück, unsere Augen zeigen uns meist überblickbare Ausschnitte von Welt, Schärfen werden gezogen, Dinge werden übersehen, Focus wird gewählt, sie konfrontieren uns nicht ständig mit der Masse unserer Umwelt, der puren Menge von Dingen, die uns umgeben. Burtynsky sucht danach, findet Orte der Ansammlung, des "Zuviel" und sieht deren schreckliche Schönheit.

VW - Parkplatz © Edward Burtynsky

Der Titel der Ausstellung ist Öl - wo es gebohrt und gefördert, wo es bearbeitet wird, wie Dinge daraus hergestellt werden, und wie diese Dinge verschrottet, in ihre Einzelteile zerlegt werden. Von der Geburt bis zum Tod, nur dass diese Leichen nicht so leicht zerfallen, wie unsere menschlichen es tun, mumifizierte einstige Zukunft.

Golf von Mexiko, Ölspill, 2010 © Edward Burtynsky

Wiki sagt: Die Ölpest im Golf von Mexiko 2010 wurde durch die Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon am 20. April 2010 ausgelöst. Die vom 20. April bis zum 16. Juli 2010 aus dem Bohrloch im Macando-Ölfeld in den Golf ausgetretene Ölmenge wird auf 800 Millionen Liter geschätzt.
Die Plattform wurde von Transocean im Auftrag von BP betrieben.
Aus internen Dokumenten des BP-Konzerns geht hervor, dass zur Abdichtung des Bohrlochs trotz Warnungen von Fachleuten bewusst eine kostengünstige Methode mit größerem Risiko von Gasaustritt gewählt wurde.


Die Erste Elegie

Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
einer mich plötzlich ans Herz: ich verginge von seinem
stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts
als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen,
und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht,
uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.
Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf
dunkelen Schluchzens. Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt. Es bleibt uns vielleicht
irgend ein Baum an dem Abhang, daß wir ihn täglich
wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern
und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,
der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.
...

Rainer Maria Rilke aus den Duineser Elegien

 

Montag, 6. August 2012

Frauen - Merida - Olympia


Heute habe ich einen netten Zeichentrickfilm gesehen. Nennt man das noch so? Animationsfilm ist wohl besser. Jedenfalls war er verblüffend in der Bildlichkeit, die Heldin, ein wildes Mädchen, hatte rote ebenfalls wilde Haare, und die wirkten, obwohl computergeneriert, sehr lebendig.
Aber darum geht es gar nicht, der Film hat als erste Pixar-Produktion eine weibliche Heldin, die, wie es das Genre verlangt, Widerstand leistet, durch Krisen geht und gereift aus ihnen hervorkommt. Sie rebelliert gegen die Vorstellungen ihrer Mutter von Weiblichkeit im allgemeinen und speziell die, ihre Zukunft betreffend. Harmlos, dachte ich. 
Der Abspann lief, ich stand auf und ein kopftuchbedecktes Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt, ging an mir vorbei, strahlend, schaute mich an und schenkte mir ein einverständigendes freches Zwinkern. Für sie war es wohl nicht nur nett.
Ich mußte an die drei Frauen der saudiarabischen Olympiamannschaft denken, mit Kopftuch und langem weiten Kleid, eine von ihnen schickte mit zartem Lächeln das Victory-Zeichen in die fernsehschauende Welt.

„Olympische Spiele sind ein Ausbund männlicher Athletik, und der Beifall der Frauen sind deren Lohn“ 
Baron Pierre de Coubertin, Gründer des Internationalen Olympischen Komitees

Wojdan Ali Seraj Abdulrahim Shaherkani bei der Eröffnungs Zeremonie (Reuters)

"...erst in diesem Jahr wurde der Traum von der vollen Beteiligung von Frauen an den Olympischen Spielen wahr. Noch 1996 gab es 26 Ländermannschaften, bei denen keine einzige Frau dabei war. 2008 waren es nur noch drei Staaten: Brunei, Katar und Saudi-Arabien" Frankfurter Rundschau 
 

Sonntag, 5. August 2012

Marilyn Monroe 50 Jahre tot



VOR 50 JAHREN

 Times Square New York 5.8.1962

   5. August 1962: Marilyn Monroe wird in ihrer Wohnung in Los Angeles leblos aufgefunden. Die am selben Tag durchgeführte Autopsie ergibt als Todesursache eine tödliche Medikamentenvergiftung.

Ihr bevorzugter Maskenbilnder, Allan "Whitey" Snyder schminkte die Tote für ihre "letzte Vorstellung", er brauchte eine Flasche Gin, um das Versprechen einzuhalten, das er ihr zum Spaß Jahre zuvor gegeben hatte, und an das Marilyn ihn erinnerte, indem sie ihm eine Geldklammer mit Inschrift schenkte: "Whitey Liebling, Während ich noch warm bin, Marilyn."
 
"Kannst du ein Mädchen zum Lachen bringen, kannst du sie zu allem bringen."
“If you can make a girl laugh, you can make her do anything.”  
 M.M.


 © Bert Stern Juni 1962


 © Bert Stern Juni 1962




Sauerampfer



Sauerampfer entstielen, waschen und in ein wenig Butter dünsten. Dann mit etwas Brühe im Mixer pürieren. Mit dem Rest der Brühe auffüllen, eventuell nachsalzen und mit frisch gemahlenem Pfeffer würzen.
Sauerampfer entstielen, waschen und in ein wenig Butter dünsten. Dann mit etwas Brühe im Mixer pürieren. Mit dem Rest der Brühe auffüllen, eventuell nachsalzen und mit frisch gemahlenem Pfeffer
SAUERAMPFERSUPPE

200g Sauerampfer 
20g Butter
1l Brühe
1 Tasse Sahne
2 Eier
Pfeffer/Salz
Sauerampfer waschen, entstielen und in ein wenig Butter dünsten. Dann mit etwas Brühe pürieren. Mit der restlichen Brühe auffüllen. Salzen und pfeffern. Zwei Eigelb mit Sahne schlagen und untermischen. Danach nicht mehr aufkochen!

Rumex acetosa - Sauerampfer

Am liebsten würde ich meine
Sauerampfersuppe bedichten
Wie sie so auf den Tisch kommt
Mit Weißwein, Butter, einer Prise Muskat.
Ein Gedicht! rufen die Esser.
Wie aber reimt’s sich zusammen:
Von der Wiese gepflückte Blätter verkocht

Kerstin  Hensel
Fliegende Wörter 2009


Arm Kräutchen
Ein Sauerampfer auf dem Damm
Stand zwischen Bahngeleisen,
Machte vor jedem D-Zug stramm,
Sah viele Menschen reisen.
Und stand verstaubt und schluckte Qualm
Schwindsüchtig und verloren,
Ein armes Kraut, ein schwacher Halm,
Mit Augen, Herz und Ohren.

Sah Züge schwinden, Züge nahn.
Der arme Sauerampfer
Sah Eisenbahn um Eisenbahn,
Sah niemals einen Dampfer.

Joachim Ringelnatz
Wiki sagt: Man kann den Sauerampfer ähnlich wie Spinat zubereiten, bzw. ihn mit diesem mischen, damit ein etwas würzigerer Geschmack entsteht. Auch als Salat oder in cremiger Ampfersuppe wird er verwendet. Besonders bekannt und beliebt ist die Ampfersuppe in Belgien und Frankreich, aber auch in Osteuropa (insb. Polen und Litauen) ist die Suppe sehr beliebt. Sie schmeckt heiß und auch eisgekühlt. Junge Blätter können an Salate geschnitten werden oder auch an Saucen und Omelettes gegeben werden.

 

Freitag, 3. August 2012

Hokusai Katsushika - 36 Ansichten des Berges Fuji



Bild und Abbild


21. Mai 2011, der Grimsvotn Vulkan, unter dem Vatnajokull Gletscher, etwa 
200 km östlich von Rejkjavik
AP Photo/Jon Gustafsson

Ich habe nach Malerei gesucht, die den Eindrücken, die in meinem Kopf/Bauch herumgeistern, diesen 10 Tagen voller merkwürdiger Farbmischungen, Schatten, Kontraste und fremdartigen Formen, nahe käme und war verblüfft, wie wenig Landschaftsmalerei ohne die primäre Anwesenheit von Menschlichem Tun in meiner Erinnerung abgelegt ist. Turner, ja, Die Tunisreise, zum Teil, was noch? Van Gogh nur beschränkt.

Einige der Bilder, die ich gesehen habe und die mir für Momente den Atem geraubt haben, würden auf Photopapier, Leinwand oder Papier gebannt, wie unmäßiger Kitsch wirken. Ein Sonnenuntergang in der Realität, ob in rose, orange oder tiefrot - Wow! - aber abgebildet, stellt sich dieses "Wow" nicht her, eher ein peinlich berührtes: "Ist ein bisschen zu viel, oder?" Als würde der Vorgang der Reproduktion, die Unschuld aus der Schönheit filtern. Das ist natürlich nur so lange wahr, bis ein großer Künstler sich der Angelegenheit annimmt. 
Eine Freundin hat mich auf Hokusai gebracht.
Japan ähnelt Island in manchem, es ist auch eine Insel, liegt auch an einer Bruchstelle tektonischer Platten (Island 2/Japan 4) und ist somit auch Ort starker vulkanischer Tätigkeit. Und wenn das so ganz andere Klima auch die Farben milder scheinen läßt, da ist eine Verwandtschaft, die mich überzeugt.
Hakusais Drucke versuchen gar nicht, natürlich zu wirken, er akzeptiert die Begrenzungen der Abbildbarkeit, fügt Abstraktion, Reduktion, Stilisierung hinzu und ich erkenne, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, wieder.

36 Ansichten des Berges Fuji
富嶽三十六景 
Fugaku Sanjūroku-kei 
circa 1831
Hokusai Katsushika 
1760-1849








 Nicht aus der obigen Serie, aber auch seltsam wunderbar: Die Grosse Welle von Kanagawa