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Sonntag, 24. Februar 2019

Hase Hase

Zweiunddreissigmal das gleiche Stück in dichter Folge, davor zwei Monate täglich nicht immer leichte Proben. Ein höchst eigenartiges Erlebnis, en suite hatte ich vorher noch nie gespielt, meist Repertoire, ein Stück zwei- oder dreimal im Monat, wenn es fett kam, war ich in acht oder zehn verschiedenen Stücken, hatte also etwa 25 Vorstellungen im Monat. Diesmal sechs Tage die Woche Hase Hase, am Sonntag um 16 Uhr, sonst pünktlich um 20 Uhr. 1000 meist ältere Leute, die, zumindest, in der Menge, beseelt wirkten. 
Und du spielst. 
Ein Kollege hat Liebeskummer, die Grippe geht um, dein Rücken schmerzt, das Wetter wechselt, die zentrale Rolle wird umbesetzt, 
du spielst. 
Heute war gut, gestern war besser, du spielst. 
Die neue Mama hat ein unsicheres Verhältnis zum Text, du spielst. 
Ein Zuschauer lebt während Deines Monologes seinen Bronchialkatarrh aus und Du spielst, anstatt ihn in Deinen Text einzubauen. "Mein Gott, mach, das der Husten dieses Mannes besser wird."
Regie gibt Dir einen gesicherten Raum, du und die Spieler "spielen" Möglichkeiten durch. Die genaueste Möglichkeit wird gesucht und gelegentlich gefunden. 
Spielen ist dem Jetzt ausgeliefert. Es ist "live". Du bezahlst in bar. Das ist die Lust und die Leistung.
Kathi, Anna, Nelly, Markus, Raphael, Marek, Pierre, Alexandra, Florian, Philippe, Nathu, Susanne - wir haben es gut gemacht. Zuverlässig und leidenschaftlich, gemeinsam und individuell.


Sonntag, 17. Februar 2019

Die Schillerklause - ein heimatlicher Ort

Die Schillerklause befindet sich direkt neben dem Schillertheater, gleich links um die erste Ecke, die genaue Adresse lautet Am Schillertheater 10625 Berlin (Schiller-Ecke Schlüterstraße) in Berlin-Charlottenburg und dieser Ort ist ein überaus kostbares Stück Berliner Geschichte - die klassische berlinische Eckkneipe, Heimat derer, die einfach gern einen trinken und derer, die einen Kummer mit sich rumschleppen und derer, die ihre leere Wohnung nicht aushalten, aber auch von denen, die nur ihren Feierabend gemütlich verbringen wollen. 
Beim zweiten Besuch weiß jeder Deinen Namen und Dein Getränk, die Preise sind unüblich menschlich (Der reichhaltige Buffetteller kostet knapp über 4 Euro!) und die Bedienung, nein, die Bewirtung ist geradezu atemberaubend persönlich und freundlich.
Die Wirtin arbeitet auch noch als Nachtkrankenschwester, die eine Kellnerin studiert Pädagogik, und alle sind leidenschaftliche Gemütlichmacher. Hier fühlt man sich aufgenommen, gemocht.
Ein einsames Relikt, nahezu alle ähnlichen Orte in Ost-Berlin, die ich kannte, sind verschwunden, der Trichter zum Beispiel, die Absackerkneipe der Ost-Berliner Taxifahrer. Und nicht alles läßt sich durch Ambiente ersetzen. Im Trichter konnte man zu Ostzeiten noch nach Mitternacht ein Schnitzel bekommen, irgendwo in der Oderberger gab es eine Kneipe für harte Trinker, mit einem Balken überm Tresen über den sie ihre Krawatten warfen, um das erste Glas am Morgen trotz Zittern an den Mund führen zu können. In der Möwe versackte jeder, der sich zu Ostzeiten als Künstler empfand, besoffen war ok, aber Sandalen verhinderten den Eintritt. Im Cafe Moskau saßen ddrische Huren und ihre Zuhälter und es gab Zigaretten nach 24 Uhr. 
Eine Kneipe ist ein erweitertes Wohnzimmer, ein Zwischenaufenthalt, ein Raum zum Runterkommen, nichts schickes, nichts trendiges. Die Stühle sind mittelbequem, die Luft erinnert vage an Zeiten ungehinderten Zigarettenkonsums, das Personal spricht nicht fließend Denglisch. Es gibt am Alt-Berliner-Buffet Buletten und Bockwurst.



https://mitvergnuegen.com/2017/11-tolle-alte-berliner-kneipen-die-ihr-kennen-solltet

Ob zu einem gepflegten Bier oder diversen anderen
Getränken !? Wir halten eine vielfältige Auswahl für
Sie bereit!
Ob großer oder kleiner Hunger !? Verschiedene Kleinigkeiten
oder unser Kalt-Warmes Buffet bieten sich an!
Ob als Stammgast oder im Vorbeigehen! Ob vor oder nach
dem Theater- oder Opernbesuch! Ob Ballkleid und Smoking
oder in Jeans und Turnschuhen!
Genießen Sie eine angenehme Zeit in ungezwungener
Atmosphäre in unserem gemütlichen Berliner Ambiente!
Gerne dürfen Sie uns auch ansprechen, wenn Sie eine
Feirlichkeit planen!

Freitag, 8. Februar 2019

Die Unbeschwertheit des Spiels

19 Vorstellungen "Hase Hase" gespielt und 13 kommen noch. 
Eine spannende Erfahrung für mich erstmalig ensuite, also nahezu ununterbrochen hintereinander zu spielen, jeden Abend dieselbe Inszenierung desselben Stücks und doch ist jeder Abend verzückend anders. 
Die Truppe ist gut miteinander, schwächelt einer, schwächeln alle, und wenn wir fliegen, heben wir gemeinsam ab.
Die Leute im Saal, jeden Abend zwischen 800 und 1000 tun das ihre. Sie sind primär auf Spaß aus oder hören genau hin, mal zurückhaltender, mal überbordend enthusiastisch, alt, jung, alles durcheinander, aber immer miteinander.
19 Vorstellungen mit zwischen 770 und 1027 Zuschauern, also circa 
17 000 Menschen haben uns zugesehen - ein schöner Irrsinn.
Da ich erst nach der Pause richtig losspielen darf, gucke ich vorher viel zu, spüre den Atem, die immer leicht unterschiedliche Geschwindigkeit, groove mich ein, und langweile mich nicht, wirklich nicht. Guten Spielern zuzugucken, wie sie variieren, ausprobieren, in unsichere Gewässer geraten und doch immer auf wundersame Weise das erprobte/geprobte Festland wieder erreichen, ist mir ein Vergnügen.
Und es ist wirklich ganz anders als Repertoire zu spielen, denn da liegen 2, 3, 4 Wochen zwischen den einzelnen Vorstellungen und ein Teil des Hirns ist mit Erinnern, Wiederherstellen beschäftigt, aber wenn du wochenlang allabendlich dieselbe Geschichte spielst, wirst du freier im Kopf, wagemutiger, frecher. 
Heute war Frau Dupperi in ihrem Gespräch mit Gott etwas betrunkener, gestern dagegen hatte ihre Altmädchenhaftigkeit mehr Gewicht. 
Jeder Abend ist eine kleine Abenteuerreise, eine neue Betonung ist auszuprobieren, eine andere Pause. Der Körper hat auch seine eigenen Interessen, der Rücken spinnt, also tanzt er anders, einmal bin ich müder, ein anderes Mal energiegeladen und hüpfend.
Wird man sich einer Pointe zu sicher, gelingt sie nicht, überhaupt ist Erfüllung von Anweisungen oder die selbstgewisse Rückversicherung auf einmal Gelungenes der Tod des Spiels.
Jeder Abend kann schiefgehen, dass macht es so aufregend. 
Ich habe wirklich nicht erwartet, das mir SPIELEN, nach einer so langen Zeit der Abstinenz, so sehr viel Spaß machen würde. Ein altmodisches Adjektiv trifft es am genauesten, es ist GEIL.



nnn

Sonntag, 27. Januar 2019

The Favourite - ein tolles Stück Schauspielkunst

The Favourite
Favourite heißt Günstling, Liebling, Lieblingsstück, wobei in diesem Fall alle Wörter weiblich gemeint wären. 
The Favourite - Intrigen und Irrsinn
Da Favourite als Titel so einfach ist und ich so den Film vielleicht nicht verstehen würde, wurde, wie meist bei deutschen Titelübersetzungen, ein neongrelles Wegweiserchen, hier ein peinlich-pädagogisch-putziges Wortspiel, hintendran gehängt. Boa eh!
Aber der Film ist toll!
The Favourite
Giorgos Lanthimos hat Regie geführt und zwar im schönsten Sinne des Wortes, er bringt verschiedene Künstler zusammen, bündelt ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten, verdichtet sie, erhöht durch kluge Auswahl den Druck und es entsteht: ein Diamant.

Olivia Colman, Rachel Weisz, Emma Stone bilden eine entsetzliche Triade, entsetzlich komisch und ebenso traurig. Die spielen sich wirklich in hoher Dezenz den Arsch ab und die Seele aus dem Leib. Großartig. Colman als alternde, gichtgeplagte Queen Anne, Mutter von 17 toten Kindern, die sie nun als kleine weiße Kaninchen verhätschelt. Weisz ist ihre Kindheitsfreundin und Geliebte, politische Planerin und Jongleurin brennender Schwerter in einer von Männern dominierten Welt. Sie sagt den zentralen Satz des Films: "Liebe ist Wahrheit." Stone gerät in diese eigenartige, aber funktionierende Partnerschaft, als verarmte Verwandte mit gutem Herzen oder giftigem Ehrgeiz, oder beidem? Die drei spielen sich die Bälle zu, dass es nur so blitzt. 
England führt wieder einmal Krieg mit Frankreich, Tories & Whigs kämpfen verbissen für ihre Interessengruppen. Krieg kostet Geld, Steuern sollen ihn finanzieren. Das Volk kommt nur als realpolitisches Erpressungsmittel und als Dienerschaft vor. Die Herrschenden bleiben unter sich.
Liebe und Politik, Kalkül und Sehnsucht, Verwöhntheit und Verletztheit, eins kippt ins andere und dann in wieder etwas anderes und man versteht und kichert und bedauert und erschrickt und wechselt die Fronten, nimmt mal für die eine, dann für ihre Gegnerin Partei und am Ende starrt man auf drei einsame kaputtgespielte Wesen, die wissen, das nichts Schönes mehr kommen wird.
Robbie Ryan, von I, Daniel Blake hat die Kamera geführt, manchmal ganz gradlinig, manchmal mit verzerrenden Linsen, die Schönheit der Interieurs einsaugend, auf Gesichtern lange verharrend. Die Kostüme sind von historischer Form, aber Farben, Material, Details schneiden dagegen, ebenso bei der Musik.
Fein, sehr fein.

  © 2019 Twentieth Century Fox Film Corporation.

Freitag, 25. Januar 2019

Spielen macht Spaß

Ja!
Spielen macht Spaß.
Und wie. Noch immer, auch nach 25 Jahren auf der "anderen", der dunklen Seite.
Acht Wochen Proben von 12 bis circa 20.00 Uhr. Die Regisseurin ist hochmusikalisch, scheint das Stück als eine durchkomponierte Partitur im Kopf zu haben. Eine für mich neue, aber durchaus mögliche Arbeitsweise. Fragen, Einwände, Eigenwilligkeiten mag sie eher nicht.

12 Spieler, darunter drei Regisseure, liefern sich aus. 
Wir alle wollen spielen.
Szenenübergreifende Zusammenhänge sind diesmal nicht meine Verantwortung. Bühne, Kostüme (außer mein eigenes), Licht, Ton, Requisiten gehen mich nichts an. Ich bin nur zuständig für Frau Dupperi, die siebzigjährige Nachbarin, die erst nach der Pause auftritt, flehentlich nach Familienanschluss sucht und dann völlig unerwartet Kraft zum Widerstand findet. 

Meist gelingt mir diese Konzentration in den Proben gut. Die völlige Fixation auf die Geschichte meiner Figur hält mich wach und gebündelt.
Wie spielt man eine Einsamkeit, die sich jemand selbst nicht eingestehen kann?

Die Regisseurin gibt die Form, den Ton, die Melodie vor, diese Artifizialität zu unterfüttern ist mein Job, den ich gerne tue. Sie ist präzise und kurzangebunden, energiegeladen und ungeduldig. Ihr Text ist gut, sozial auf den Punkt, wenn auch schwankend zwischen der Entstehungszeit des Stücks in den 80ern und den Aktualisierungen zu unserer Zeit. Handys werden erwähnt, aber nicht genutzt und Mamas Familiengeschichte aus einem Land nach dem Zweiten Weltkrieg ist sehr stark, aber verschiebt die Zeitlinie. 
Erwischt, hier spricht die Regisseurin.
Spielen in innerer Freiheit, alle Verabredungen einhaltend, das ist Glück!
Und dieses Glück ist nur selten zu haben, man muß es sich erkämpfen, erarbeiten. 
Aber.
Immer dieses Aber. Warum feiern im deutschen Theater hierarchische Strukturen ihr Überleben, die wir an anderen Orten verächtlich niedermachen würden? Ich meine nicht, die notwendige Aufgabenverteilung zwischen Spieler und Hutaufhaber, die für mich in der Notwendigkeit des distanzierten Blickes
begründet ist. Aber sozialer und psychologischer Druck sind subtil oder gleißend grell immer ein Mittel der Machtausübung oder des Mißbrauchs derselben. Ich habe also Einiges gelernt, was meinen eigentlichen Beruf betrifft. Will ich brave Spieler? Wieviel Widerspruch halte ich aus, wieviel ist sogar unbedingt nötig, um meine Arbeit voranzutreiben, besser zu machen? Ich will Kooperation, zu deutsch Zusammenarbeit, bei klarer Aufgabenverteilung, Respekt und Strenge, Höflichkeit ist angebracht, auch wenn es eine geradezu vom Aussterben bedrohte Umgangsform scheint. Der Regisseur sollte sich genauso ausliefern wie die Spieler. Wir sollten das Risiko gemeinsam tragen, oder? 


Foto: Franziska Strauss
Das schönste Kompliment hat mir zur Premiere ein Kollege gemacht, den ich sehr verehre. "Du bist gut, weil Du nicht weißt, was Du tust." Ich: "Hä?" Er: "Du spielst einfach. Wenn einer Schauspieler ist, nehme ich an, dass er einen Handstand kann, er muß ihn nicht zeigen, muß auch nicht andeuten, dass er ihn jederzeit könnte, er muß nur spielen."
Der unsichtbare Handstand, das ist Spiel im Glück.

Sonntag, 13. Januar 2019

Macbeth am Berliner Ensemble

Ja. - Morgen und morgen und morgen. Das kriecht
Mit diesem kleinen Schritt von Tag zu Tag
Zur letzten Silbe. Der Rest ist aus der Zeit.
All unsere Gesten , von Blinden am Seil geführt
In staubiges Nichts. Weißt du was anderes, Seyton.
Aus, kurze Flamme. Leben ein Schatten der umgeht
Ein armer Spieler, der sich spreizt und sperrt
Auf seiner Bühne eine Stunde lang
Und nicht gehört wird nachdem. Ein Märchen, erzählt
Von einem Irren, voll mit Lärm und Wut
Bedeutend nichts.


Wenn Shakespeare und Müller aufeinandertreffen, entsteht wundervolle 
Sprachkunst, in deutscher Sprache. 

Und nun dieser Abend inszeniert von Michael Thalheimer in strenger Konsequenz. 
Der Bühnenraum ausschließlich über Licht definiert, großartige Lichtkompositionen, sparsam, genau und schlau die Farbfilter nutzend.
Etwas weniger "schottischer" Nebel hätte auch genügt. Die Kostüme klar und irgendwie wie immer. Schwarze Anzüge, edle Damenkleider, Nacktkörperanzüge.
Sehr viel Blut. 
Die Spieler sprechen, schreien, pressen, brüllen präzise und verständlich.  
Nur sechs Spieler übrigens, Nathan, Becker, Nest, Wehlisch, Hülsmann, Kohrt.
Einige ganz tolle Bilder.
Der tote Banquo, der auf dem Rücken des schwadronierenden Macbeth imaginäre 
Herrschaftsgesten in die Runde wirft, die kleine "Weg!"-Geste von Macbeth, wie
er entdeckt, was fünf leicht bewegte Finger bewirken können, wenn man König ist.

Aber. Aber was genau ist diese Macht, die hier durchexperimentiert wird. Sie bleibt
im Vagen, MACHT AN SICH. Aber. Über wen? Zu welchem Zweck? Macht es Spaß 
sie zu haben? Hier nicht. Was kann ich mit Macht tun, was ich sonst nicht tun könnte? 
Wann genau kommt mir mein Gewissen abhanden? Oder ist auch das Gewissen nur
ein zivilisatorisches Konstrukt? Macht ist konkret. Machtmißbrauch auch.

Flüchten wir uns in solch apokalyptischen Visionen, weil wir zu träge, zu ängstlich, zu 
selbstbezogen sind konkret zu denken? Niemand hat eine Lösung, aber wenn wir nur noch ganz allgemeine Fragen stellen, nein, nicht Fragen, mulmige Unterstellungen, dann wird
der Weltuntergang ein bisschen wie ein Disneyland für Zyniker. Unsere Todesangst wird als "Ausrede" für all das Schlechte in der Welt stilisiert.

Die Welt ist schlecht, der Mensch ist es auch, es ist ein ewiger Kreislauf. Ist das so?
Aber auch Herr Thalheimer ißt nach der Vorstellung ein Nachtmahl, küsst seine Frau, Freundin, oder küsst niemanden und guckt Fernsehen, liest ein Buch, er mag Regen oder Sonnenschein, das Laub im Herbst oder Sand unter den Füßen.

Und weil ich diesen Widerspruch fühle, lassen mich Abende wie dieser, merkwürdig kühl.
Ich liebe das Leben, will noch lang nicht sterben und erfahre immer wieder, dass der
Mensch halt nicht nur mies und böse ist. Nennt mich einen zynischen Optimisten.

Foto: Matthias Horn

Mittwoch, 28. November 2018

GEBET - Ein Text von Jo Fabian

Wir danken dem Herrn,
welcher in einem überfüllten Feuer „THEATER“ schrie.


Gebet

Ein Text, den ich jedem Zuschauer empfehle, vor einer Vorstellung vor sich hinzubrubbeln, um der Angst vor Kunst entweder zu entgehen, sie aber wenigstens möglichst klein zu halten.
Ich weiß, dass ich im Theater bin
und ich weiß, das ich um mein Leben nicht zu fürchten brauche.
Ich brauche weder zu fürchten die Bevormundung meines Geistes,
noch die schmerzhafte Zerlegung meines Körpers in seine Teile.
Ich habe keine Angst vor der langen Weile, die vor mir liegt,
noch muss ich die Kurzweil fürchten.
Was ich im Kunstwerk erkenne, soll nicht vorbestimmt sein,
es ist ganz allein mein eigenes Erkennen.
Ich werde seinetwegen weder gelobt noch getadelt.
Ich werde genau so wenig gelobt oder getadelt für mein Nichterkennen.
Da ich weder für das eine, noch für das andere zu fürchten habe,
Steht mir frei, beides in Anspruch nehmen.
Ich will verstehen, was die Künstler mir sagen wollen.
Dazu benutze ich die mir verliehene Gabe der Interpretation.
Aber auch der Fehlinterpretation werde ich mich nicht verschließen,
da ich weiß, das ich das Eine vom Anderen nicht unterscheiden kann.
Niemand wird mir deswegen eine Böswilligkeit unterstellen.
Ich wünsche, dass ich das Theater am Ende
unversehrt und unbehelligt wieder verlassen kann.
Falls aber ein Feuer ausbricht, werde ich mich ruhig und gefaßt verhalten,
bis man mich auffordert, das Applaudieren zu beenden und einen Ausgang aufzusuchen.
Für den ganz unwahrscheinlichen Fall,
dass der Funke auf mich überspringt,
werde ich das Feuer unaufgefordert in die Stadt hinaus tragen
und als brennende Fackel Zeugnis davon ablegen,
was hier geschah.
Wir danken dem Herrn,
welcher in einem überfüllten Feuer „THEATER“ schrie.

© Jo Fabian

Sonntag, 21. Oktober 2018

DIE EDDA am Schauspiel Hannover


Die Edda neu erzählt von Thorleifur Örn Arnarsson und Mikael Torfason, schon die Namen klingen exotisch. (Warum wirkt "exotisch" irgendwie schief im Zusammenhang mit nordischen Dingen?) Also passender: schon die Namen klingen verheißungsvoll fremd.

Bis auf 20 Minuten im ersten Teil war das ein ungewöhnlich spannender, mitnehmender Abend, und die kurze Strecke in insgesamt vier Stunden Theater hat mir mein perfektionierter Theaterschlaf gut verkürzt.

Das Bühnenbild ist faszinierend, es wird beherrscht von einem Deckel von vieleicht 50 Zügen mit integrierten Neonlampen, der in immer wieder überraschender Weise bewegt wird. Die Fläche bewegt sich schlangenartig oder wie ein Vorhang oder als Wand senkrecht oder schräg, verkleinert die Bühne oder läßt sie nach oben wachsen, wird zum Tier, zur Waffe, zum Rahmen. Toll. In der Mitte, der Stamm der Weltesche, erst liegend, dann zwischen Ober- und Unterwelt schwebend, im zweiten Teil noch ein dreistöckiges Gerüst um den Baum dazu und alle Schichten der Mythen in wilder Requisitenseligkeit mittendrin, vom Jesus am Kreuz bis zu Thors tödlichem Hammer. Ich mochte, dass die mythologische Tiefe immer wieder auf den Boden seiner Realisierung im Theater geholt wurde.

Die Kostüme, Gottseidank, mal nicht trendbewußt karg, sondern erfreulich theatralisch, kenntlichmachend und vielerzählend, ohne je in Folklore oder Bühnenhistorizismus zu verfallen. Ganzkörperanzüge, gemalt, wie Menschen ohne Haut, als Grundkostüm, darüber, was jeweils nötig ist für die Figur. Zwerge müssen nicht klein sein, aber sie tragen halt Gazezipfelmützen, Riesen nicht groß, sind aber massig in dicken Wollfädenkostümen.

Gabriel Cazes ist ein begnadeter Bühnenmusiker, alles live und wichtiger Bestandteil der Erzählung. Die choralen Stellen, werden im Spiel von den Darstellern gesungen.

Worum geht es? Um etwas ganz existentielles und alltägliches: wie alle sterben, jetzt, morgen oder übermorgen.
Und da liegt der Hund begraben, nach der Pause, wenn der Untergang beginnt, Ragnarök, die Apokalypse, wird der Endkampf der Götter, mit dem Abschiedsbrief den Mikael Torfason an seinen verstorbenen Vater geschrieben hat,verschnitten. Mikael weint über den Tod seines Vaters, der am Leberzirrhose starb und Freya, die Gattin Odins trauert um ihren Sohn Baldur, der nur dann von der Totengöttin Hel freigelassen wird, wenn alle Lebenden um ihn weinen würden, aber einer, Loki, weint nicht. Er verweigert sich, er ist der Riß, das Dazwischen.

Georg Büchner läßt seinen Woyzeck den großen Satz sagen:
Wir haben schön Wetter. Sehn Sie, so ein schöner, fester, grauer Himmel; man könnte Lust bekommen, ein' Kloben hineinzuschlagen und sich daran zu hängen, nur wegen des Gedankenstriches zwischen Ja und wieder Ja – und Nein. hh, Ja und Nein? Ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld? Ich will darüber nachdenken.
Ich bin froh, dass ich diesen überbordenden, ernstgemeinten Abend erlebt habe. Freie Spieler und keine Ironie, haben mir gut getan und wiegen gelegentliche Schwächen wahrlich auf.

Sarah Franke ist eine herrlich kraftvolle und kluge Schauspielerin.



https://www.youtube.com/watch?v=q7PiHuR8fKQ  
Ganz nebenbei, mit dem Auto haben wir bei der Hinfahrt bei relativ freier Autobahn über 3 Stunden gebraucht, zurück bin ich mit einem auf die Minute pünktlichen ICE in 1 Stunde und 40 Minuten gefahren. Cool, was? Im Anschluß mußte ich glücklicherweise nur nach dem Hackeschen Markt, denn die S-Bahn hatte eine große Auswahl von Schienenersatzverkehr.

Donnerstag, 18. Oktober 2018

Perfektion

Als ich heute Abend aus dem Theater kam, versuchte ich stotternd und nach den richtigen Worten suchend, einer Bekannten die Kluft, den Riss zwischen Bewunderung und Liebe zu beschreiben. Es ist für mich ein existentieller. 
Der Mann, den ich bewundere, anhimmle, toll finde mag schön sein, klug und witzig, die Nase dessen den ich liebe ist schief, er schnarcht, hat Kommunikationsprobleme und einen bedauerliche Vorliebe für Kalauer. So geht es mir auch mit der Kunst. 
Ein Beispiel: 
Klimts Porträts sind atemberaubend genau und individuell, "Der Kuss" ästhetisch aus einem grandiosen Guss (sorry für den Reim). Uneingeschränkte Hochachtung. 
Schiele hingegen malt ungelenk, kratzbürstig, verwundet, ja, er schleudert mir seine Verletzungen himmelsschön in die Fresse. Und ich liebe ihn dafür.
"Im Herzen der Gewalt" an der Schaubühne in der Regie von Thomas Ostermeier ist ein großartiger Theaterabend mit hochtalentierten Schauspielern, wunderbar technisch hochkomplizierten Videos und einer Ton- und Lichtregie, die nie fehl geht, mit magischen Zwischentänzen und einer klugen Dramaturgie. Alles stimmt. Ich bin aufmerksam, gespannt und nie gelangweilt. 
Und dann ganz am Ende wird versucht, sich mit mir zu verbünden, mein Einverständnis wird erbeten. 
Und ich?
Ich verweigere mich. Nicht dem Inhalt, aber der Verführung. Ich verwehre mein Mitgefühl. Das hat mich überrascht. Irritiert. 

© Foto: Arno Declair

Ist mit mir was nicht in Ordnung? Bin ich zu distanziert, zu mißtrauisch? Mangelt es mir an Empathie? 
Oder bin ich, zonengeprägt und jedwede Zustimmung nur unter Widerstand gebend, vielleicht ein starker Kampfgegner? Mich kriegt ihr nicht so leicht!
Das gleiche Problem hatte ich mit den Filmen von Ingmar Bergmann. Alle weinten und ich zog mich zurück. 
Ich habe heute Abend eine Hochleistung, die perfekte Realisierung des bürgerlichen Theaters gesehen. Bin ich neidisch? Erstaunlicherweise nicht. 
Was ist mit mir los?

Donnerstag, 27. September 2018

Danton, Robbespierre und Consorten

Das Verrückteste am Älterwerden sind die Momente, in denen klar wird, wieviel Du schon erlebt, gelebt hast, wieviele tolle Menschen Du kennengelernt hast, wieviele davon schon tot sind und wie froh Du bist, dass noch so viele leben.

Heute Abend im Deutschen Theater haben Christian Grashof und Hans-Dieter Schütt ihr gemeinsames Projekt "Kam, sah und stolperte" vorgestellt. Eine erzähle Biographie. Schütt hat wieder geschafft, was er oft wirklich gut kann, zum Beispiel auch bei meinem Vater - er hat die mäandernden, ausschweifenden Gedanken seines Gesprächspartners gebündelt, konzentriert. 
Wenn mein Vater eine Geschichte zum Besten gab, waren es am Ende fünf plus allerlei interessanter Nebenfakten. Wenn Chris erzählt, überlagern sich hochinteressante Halbsätze, Anfänge, Kommentare, Einschränkungen, Ablenkungen und Weisheiten. 
Beide verlangen vom Zuhörenden Konzentration, Intelligenz und Abstraktion. Und Schütt weiß, den Kern der angebotenen Epen zu finden.

Ich glaube, es ist in diesem Fall ein gutes Buch geworden.


Zurück zu mir.
Als wir uns kennenlernten, war Grashof 38 und ich 23. "Die Insel" und "Philoktet" und der "Tasso", waren meine immer wieder beglückende abendliche Unterhaltung. 1981/82 war ich an jedem, wirklich jedem probenfreien Abend hingerissener Zuschauer in meinem Theater. Egal was lief, ich war da. Besser kann Lernen nicht erlebt werden.

Christian Grashof hat mir so ganz nebenbei zwei wichtige Stutzpunkte meines Lebens geschenkt. 
1985. Nach Jahren der Quälerei, nach Hungersucht und Herzbruch, fing ich an mich auf der Bühne heimisch zu fühlen, da kam Chris eines Abends nach einer Vorstellung von "Dantons Tod" zu mir und sagte: "Jetzt war es gut." 
Ja, dann war es besser.
Lange Zeit später, in der ersten Szene meiner zweiten Vorstellung von "Onkel Wanja", ich hatte für die schwangere Dagmar Manzel übernommen, stellte ich fest, dass ich mich ums Verrecken nicht erinnern konnte, wie der titelgebende Onkel Wanja hieß. Jelena, meine Figur, konnte ihn so ja nicht nennen, denn sie war mit ihm nicht verwandt. Ich spielte mich also unauffällig an Chris heran und fragte leise: "Wie heißt Du? Chris mit großen, waidwunden Augen antwortete ebenso leise: " Na, Christian Grashof, aber das weißt du doch."
Da habe ich begriffen, dass wir während wir spielen, auch weiterleben. Es gibt kein hier und dort.  

Sonntag, 23. September 2018

Ungeduld des Herzens an der Schaubühne

“Es gibt eben zweierlei Mitleid. Das eine, das schwachmütige und sentimentale, das eigentlich nur Ungeduld des Herzens ist, sich möglichst schnell freizumachen von der peinlichen Ergriffenheit vor einem fremden Unglück, jenes Mitleid, das gar nicht Mit-leiden ist, sondern nur instinktive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele. Und das andere, das einzig zählt - das unsentimentale, aber schöpferische Mitleid, das weiß, was es will, und entschlossen ist, geduldig und mitduldend alles durchzustehen bis zum Letzten seiner Kraft und noch über dies Letzte hinaus.” 
Stefan Zweig "Ungeduld des Herzens"
 
Im Englischen heißt dder Roman " Beware of Pity" - " "Hüte dich vor Mitleid". 1939 wurde dieses Buch unter dem deutschen Titel "Ungeduld des Herzens" erstmals veröffentlicht. Sein vielgelesener und erfolgreicher Autor, der österreichische Jude Stefan Zweig, lebte zu dieser Zeit schon in England, von wo er dann nach Brasilien weiterzog, wo er sich 1939 das Leben nahm. Seine Frau folgte ihm nur wenige Stunden später nach. 

Ein Roman über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, geschrieben in der bleiernen Morgendämmerung des Zweiten.

Simon McBurney, der Mann mit den feinen Ohren und den schlauen Augen hat mit seinen Schauspielern diesen Roman durchstöbert, durchleuchtet, durchspielt. 
Die Bühne enthält Stühle, Tische mit Mikrophonen, einen rollenden Tisch, eine bewegbare Standvitrine, fahrbare Hängelampen, ein Klavier, wenige Requisiten, Videoprojektionen auf Wand & Vitrine, Musik, Geräusche, angedeutete Kostüme und sieben Darsteller. Szenen werden angespielt, in Figuren wird eingetaucht und dann mit scharfem Ruck wieder ausgestiegen, der Ablauf der Bewegungen aller Spieler und der Bühnenmöbel ist minutiös durchchoreographiert. Ein Konzert für alle Sinne. 
Irgendwas hat mich irritiert, aber ich komme noch nicht wirklich drauf, was. Ein bisschen viel die Stimmung verstärkende Musik gelegentlich, aber das ist es nicht. Vielleicht habe ich mir gewünscht, dass das enorme Tempo mal stockt, die perfekten Abläufe abrupt stolpern, die Komposition eine Leerstelle böte. Ningel, ningel, mecker, mecker.

ZWEIGS ABSCHIEDSBRIEF
 
Declaracão

Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben. Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und [Streichung] meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet.
Aber nach dem sechzigsten Jahre bedürfte es besonderer Kräfte um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die [Streichung] langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschliessen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen.
Ich grüsse alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.
 

Stefan Zweig
Petropolis 22. II 1942


 
https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article162270682/Der-wahre-Grund-fuer-den-Selbstmord-von-Stefan-Zweig.html 

Montag, 17. September 2018

Die Czsárdásfürstin in Wien

1915 wurde im Johann-Strauß-Theater in Wien eine Operette überaus erfolgreich uraufgeführt. Sie wurde von Emmerich Kálmán komponiert und Leo Stein und Bela Jenbach hatten das Libretto geschrieben. Vorgestern war die wohl hundertste Premiere dieses Kassenschlagers. 

Wien ist anders als Berlin, das Publikum der Wiener Volksoper anders als das der Komischen Oper. Ich habe am Samstag Abendgarderoben altersloser Greisinnen gesehen, die das Wort surreal nur schwach umschreiben würde. Rosa Kostüme mit riesigen falschen Juwelen besetzt, goldener Damast, der elegant 130 Kilo Körpergewicht umschlang, Minikleider, die variköse Beine nicht bedeckten, Liftings, die Gesichter begläntzen und zum ewigen Lächeln zwangen.

Die Czsárdásfürstin

Die Handlung spielt in Budapest und Wien, unmittelbar vor und nach des Beginns des Ersten Weltkriegs.  


Im Juli 1914 wurde die Arbeit an dem Werk für etwa ein Jahr lang unterbrochen, da nicht absehbar war, ob es in Wien in nächster Zeit überhaupt einen Theater- und Opernbetrieb geben würde, sagt Wiki.

Ein junger Adliger aus Wien verliebt sich in eine, zunächst rumänische, dann, nach Kriegsbeginn, ungarische Nachtclubentertainerin, die Liebe ist echt, Standesunterschiede machen Schwierigkeiten, Buffo-Paar bietet lustiges Spiegelbild, ein Hit folgt dem anderen und dann, ganz plötzlich, ist Krieg.

Peter Lund ist ein wahrer Profi, er weiß was er tut und tut es gut. Ulrike Reinhardt hat ein großes und leichtfüßiges Bühnenbild geschaffen, die Kostüme schwanken zwischen klar-schrill und gewohnt-historisch. Die Verhältnisse zwischen den Figuren sind in jedem Moment deutlich. Es wird schön gesungen und größtenteils entspannt und präzise gespielt. Spaß wird gehabt. 

Aber der Krieg. Wo ist der Krieg? Er wird angedeutet, aber, flüchtig, zaghaft.

Der verfluchte Krieg. Der Erste Weltkrieg. wie wir ihn nennen, damals war er ja nur ein Krieg. Der verwöhnte Fürstensohn wird eingezogen, die Chansonette geht auf Tournee in Amerika. Kehrtwende. Er desertiert, sie kehrt von Übersee zurück. Sie finden sich, das Buffo-Paar auch. Alles ist gut. Ist es das?

Aber der Krieg. Wo ist der Krieg? 

Tausend kleine Engel singen:
Habt euch lieb,
Süß im Herzen hörst du's klingen:
Habt euch lieb.
Komm, mein Wildfang
Schling' die Arme fest um mich,
Ach.. laß die ganze Welt versinken
Hab' ich dich.

Bilanz Erster Weltkrieg für Österreich-Ungarn

Gesamtmobilstand (Männer unter Waffen): 7.800.000
Gefallene und umgekommene Soldaten: 1.016.200
Verwundete Soldaten: 1.943.000
In Gefangenschaft geraten: 1.691.000
Zivile Opfer 467.000
Kriegsausgaben (1914 - 1918): 99 Milliarden Goldmark

https://www.nzz.ch/kriegserlebnis-und-dichtung-1.18228415

Wenn du hören könntest, wie bei jedem Stoss das Blut
Gurgelnd aus seinen schaumgefüllten Lungen läuft,
Ekelerregend wie der Krebs, bitter wie das Wiederkäuen
Von Auswurf, unheilbare Wunden auf unschuldigen Zungen,
Mein Freund, du erzähltest nicht mit so grosser Lust
Kindern, die nach einem verzweifelten Ruhmesplatz dürsten,
Die alte Lüge: Dulce et decorum est
Pro patria mori.

Wilfred Owen

Sonntag, 2. September 2018

Milo Rau - Die Wiederholung

Die Rekonstruktion eines Mordes, die Wiederholung einer unerklärlichen Untat.

Ein junger, homosexueller Mann wird, soweit wir es wissen können, anlaßlos von drei anderen Männern getötet. Der Ort ist Lüttich, einst Standort einer blühenden Stahlinsustrie, heute, bewohnt von Arbeitslosen. ZAm Abend der Tötung, zwei Geburtstagsfeiern, das Opfer besuchte die eine, die Täter kommen von einer anderen, Alkohol ist im Spiel.

Milo Rau, der Regisseur, hat neulich ein Manifest veröffentlicht, das Genter Manifest (https://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=15410:das-genter-manifest-das-neue-leitungsteam-des-ntgent-um-milo-rau-gibt-sich-zehn-radikale-regeln&catid=101:debatte&Itemid=84), so wie Marx und Engels einst ihres oder später dänische Filmemacher das Dogma 95.

Wiki sagt: Ein Manifest (lateinisch manifestus, handgreiflich gemacht‘) ist eine öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten, oftmals politischer Natur.

Theater ist Wiederholung, man probiert, diskutiert, wagt, aber dann muß man es an jedem Abend wiederholen, um 20.00 Uhr oder 19.30, mal hier mal da, die Stimmung stimmt oder nicht, egal, das Publikum darf Kunst erwarten für 20, 30 oder mehr Euros, die es bezahlt hat.

Milo Rau ist, scheint mir, größenwahnsinniger Rechthaber und ein suchender Künstler, ein verwöhnter Schweizer und ein penibler Rechercheur zu sein, und manchesmal, für Momente, ein Poet. Er kämpft mit dem Theater, dass er liebt und hasst. Er empört sich über die Stärke alter Texte, denen er nicht entkommt, also verbietet er sie, bzw. er erlaubt nurmehr einen 20 prozentigen Anteil klassischer Texte in seinen Produktionen.

Er ist klug. Er weiß viel über das Theater.

Der stärkste Moment heute Abend, war, für mich, als, nachdem ich viel Videoübertragung des aktuellen Bühnengeschehens gesehen hatte, als das Video plötzlich ein Eigenleben entwickelte, denn der Hund, der von einem Darsteller spazieren geführt wurde, war nur im Video real, auf der Bühne führte er pantomimisch ein unsichtbares Tier an der Leine. Oder als die Laiendarstellerin (Hundetrainerin), die im Bühnen-Interview zweifelte, ob sie sich auf der Bühne ausziehen würde, in der Filmszene nackt war und dann scheu der Video-Vorlage auf der Bühne folgte.

Poesie ist, wenn ein Gabelstaplerfahrer den Gabelstapler elegant fahrend mit einem singenden Schauspieler tanzt, der "The Cold Song" singt.

Ernüchterung ist, wenn versucht wird, einen vier Stunden dauernden, brutalen Mord auf der Bühne naturalistisch nachzuspielen. Das bleibt im harmlosen Bühnenkampf hängen, das kann Film besser, oder auch Theater, wenn es die grauenhaften Vorgänge im Off beläßt.

Gut, dass ich an diesem Abend dauernd denken muß. Schade, dass er, Milo Rau, nicht zugeben kann, wo die alten Texte schlauer sind als er. Er baut großartige Collagen, aber er ist kein kein Dichter. Er ist wunderbar, aber es mangelt ihm an Demut. Vielleicht aber habe ich auch zu viel davon. 


Eindrücke aus dem Theater

Für mich ist das wichtigste in einer Tragödie der sechste Aufzug:
die Auferstehung vom Schlachtfeld der Bühne,
das Zupfen an den Perücken, Gewändern,
das Entfernen des Dolchs aus der Brust,
das Lösen der Schlinge vom Hals,
der muntere Auftritt in einer Reihe
mit dem Gesicht zum Parkett.
Verbeugung, einzeln, gemeinsam:
die weiße Hand auf der Wunde des Herzens,
die Knickse der Selbstmörderin,
das Nicken geköpfter Häupter.

Verbeugungen paarweise:
die Wut Arm in Arm mit der Sanftmut,
das Opfer blickt selig ins Auge des Henkers,
Rebell und Tyrann gehen friedlich nebeneinander.

Der Tritt der Ewigkeit mit der Spitze des goldnen Pantoffels.
Das Fortfegen der Moral mit der Krempe des Hutes.
Die unverbesserliche Bereitschaft, alles zu wiederholen.

Der Einzug im Gänsemarsch der früher Verstorbenen,
im zweiten, im vierten Akt, auch zwischen den Akten.

Die wunderbare Rückkehr der spurlos Verschollnen.
Zu denken, daß sie geduldig hinter Kulissen warteten,
immer noch kostümiert,
ohne sich abzuschminken,
rührt mich stärker als alle Tiraden des Dramas.

Wahrhaft erhaben aber ist das Fallen des Vorhangs
und was man noch durch den unteren Spalt sieht:
da hebt eine Hand die Blume eilig vom Boden,
dort eine andere das liegengelassene Schwert.
Erst dann erfüllt sich die unsichtbare dritte
ihre Verpflichtung:
sie schnürt mir die Kehle.

Wislawa Szymborska

Milo Rau Photo: Thomas Muller

Sooft war ich noch nie in der Schaubühne. Alles außer Ostermeier, seine Arbeiten lösen bei mir Respekt aus und Kühlschrankkälte. Warum? Ich weiß nicht so recht. Die Seelenprobleme der bürgerlichen Mitte sind nicht mein Thema? Dabei bin ich selbst irgendwie ein Teil davon. Ibsen nee, Strindberg immer, Tschechow ja. Ich will die Volksbühne wiederhaben! Wiederholung. Unmöglich, aber ersehnt.

Donnerstag, 30. August 2018

Hamletmaschine im Maxim Gorki Theater

Berlin ist eine Hafenstadt in einem Meer aus Blut, das bis Damaskus reicht.
Ayham Majid Agha

Ich bin nicht Hamlet. Ich spiele keine Rolle mehr. Meine Worte haben mir nichts mehr zu sagen. Meine Gedanken saugen den Bildern das Blut aus. Mein Drama findet nicht mehr statt. Hinter mir wird die Dekoration aufgebaut. Von Leuten, die mein Drama nicht interessiert, für Leute, die es nichts angeht. Mich interessiert es auch nicht mehr. Ich spiele nicht mehr mit.  
H.M.

Der unerträgliche Abgrund zwischen diesem gedankenscharfen, verzweifelt um Worte ringenden Text und seiner vollständigen Nutzlosigkeit in den Kämpfen, die stattfinden, ist die Klammer, die den Abend zusammenhalten sollte. Der große Dichter denkt den Kämpfen voraus, doch schreibt er ihnen hinterher, und noch fünfzig Schritte später humpelt das Theater herbei, um seinen Senf dazuzugeben. Wissen und Niederlage in inniger Umarmung. 
 

1977 schrieb Heiner Müller mit Die Hamletmaschine eine Adaption, die die Maschine im Titel führt. Das Exil Ensemble ist seit der Spielzeit 2016/17 Teil des Gorki. Die sieben Schauspieler*innen spüren mit Sebastian Nübling diesem und anderen Texten nach und forschen in dem ergebnisoffen angelegten Projekt nach der eigenen Position. Sie folgen mit Hamletmaschine dem Dramatiker, der die Position des Intellektuellen in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, radikal in Frage stellt, sezieren Müller folgend Shakespeare und setzen die verbleibenden Fragmente wieder zusammen.
Text zum Stück auf der Website des Theaters (Auszug)

Die Spieler des Abends - das Exilensemble des MGT - Maryam Abu Khaled, Hussein Al Shateli, Tahers Hashemi, Karim Daoud, Mazen Aljubbeh, Kenda Hmeidan und Ayham Majid Agha, der auch eigene Texte zusteuert  - werfen ihre Biographien und eine Menge Energie in den Raum. Der Text wird in Deutsch, Englisch und Arabisch projeziert und ihn zu lesen, ist ein Vergnügen. 
Clownsmasken, oriental Hip Hop, Scherze, Atmosphäre, Tänze, Sprachen, Akzente, viel ist zu sehen, aber meistens habe ich gelesen.

Der Aufstand beginnt als Spaziergang. Gegen die Verkehrsordnung während der Arbeitszeit. Die Straße gehört den Fußgängern. Hier und da wird ein Auto umgeworfen.
Angsttraum eines Messerwerfers:
Langsame Fahrt durch eine Einbahnstraße auf einen unwiderruflichen Parkplatz zu, der von bewaffneten Fußgängern umstellt ist. Polizisten, wenn sie im Weg stehn, werden an den Straßenrand gespült. Wenn der Zug sich den Regierungsviertel nähert, kommt er an einem Polizeikordon zum Stehen. Gruppen bilden sich, aus denen Redner aufsteigen. Auf dem Balkon eines Regierungsgebäudes erscheint ein Mann mit schlecht sitzendem Frack und beginnt ebenfalls zu reden. Wenn ihn der erste Stein trifft, zieht auch er sich hinter die Flügeltür aus Panzerglas zurück. Aus dem Ruf nach mehr Freiheit wird der Schrei nach dem Sturz der Regierung. Man beginnt die Polizisten zu entwaffnen, stürmt zwei drei Gebäude, ein Gefängnis eine Polizeistation ein Büro der Geheimpolizei, hängt ein Dutzend Handlanger der Macht an den Füßen auf, die Regierung setzt Truppen ein, Panzer. Mein Platz, wenn mein Drama noch stattfinden würde, wäre auf beiden Seiten der Front, zwischen den Fronten, darüber. Ich stehe im Schweißgeruch der Menge und werfe Steine auf Polizisten Soldaten Panzer Panzerglas. Ich blicke durch die Flügeltür aus Panzerglas auf die andrängende Menge und rieche meinen Angstschweiß.
 

H.M.

 ©dpa

Oy vay zmir! - Ach weh ist mir!  
Fühlt ihr euch auch manchmal, als wäret ihr aus der euch bekannten Welt gefallen? Ich bin so unsicher wie der nächste Beste, aber ist der Hitlergruß wirklich wieder hoffähig? Gibt es genauso viele deutsche Idioten und gewaltbereite Dumpfbacken, wie es welche aus anderen Ländern gibt? Ein kubanisch-deutscher Mann wird getötet und ALLE Ausländer sind schuld? Was ist los mit uns? Schuldsuche allüberall. Warum wirken diese wütenden deutschen Männer auf mich wie die Ankündigung einer persönlichen Bedrohung? Warum sind sie so wütend? Auf wen oder was? Kennen sie, was sie hassen? Denken sie überhaupt? Und wenn, womit? Mit dem Hirn oder dem Schwanz? 

Soll Ich
Weils Brauch ist ein Stück Eisen Stecken in
Das nächste Fleisch oder ins übernächste
Mich dran zu halten weil die Welt sich dreht
Herr brich mir das Genick im Sturz von einer Bierbank

H.M.

Kurze Nachbemerkung: ENDLAND von Martin Schäuble, ein "Jugendbuch", vielleicht etwas zu gutgemeint, aber trotzdem wirkungsvoll. Stellt euch vor, Deutschland, so wie es jetzt ist. Die AfD gewinnt die Wahl und setzt ihr Wahlprogramm in die Tat um. Möglich wär's. Haben wir dieser Möglichkeit gar nichts entgegenzusetzen?
 

Sonntag, 26. August 2018

Null in der Schaubühne

Die Zahl Null ist die Anzahl der Elemente in einer leeren Ansammlung von Objekten, mathematisch gesprochen die Kardinalität der leeren Menge.
Wiki 

© Thomas Aurin

 Vielleicht war es das Nachbeben der Volksbühnenkatastrophe, vielleicht der so sehr andere Ort, die geosoziale Lage des Theaters, vielleicht waren es die teils neuen Spieler, vielleicht war er müde, oder hatte einen bösen Schnupfen. Wer weiß. 
"Null" war ok, nicht ärgerlich, nicht öde, aber auch nicht nur-mit-dem-halben-Hintern-den-Sitz-berührend mitreißend. Herr Fritsch hat mich übel verwöhnt, mich in Sicherheit gewiegt, dass ich kichern, prusten, lachen werde, mich vergnüge, in die Spieler verliebe, mitspielen möchte. Heute war es nicht so. Aber ich werde den Teufel tun, es ihm zu verübeln. Er hat ein Recht darauf mal nur ein Ok zu produzieren. Alle wirklichen Kunst-Könner, die ich bisher erleben durfte, erschöpfen gelegentlich. 
Charlie Chaplin hat gelegentlich üblen Kitsch verzapft, Brando hat im "Kleinen Teehaus" den unjapanischsten Japaner aller Zeiten gespielt, Brecht hat seinen pädagogischen Gelüsten im "Sezuan" keinerlei Fesseln angelegt, Shalkespeares "Zwei Herren aus Verona" haut mich nicht aus den Socken, Castorf kann mich manchmal so sehr gelangweilt, dass ich in gnädigen Tiefschlaf verfalle, und das ist mir auch bei Ljubimow und bei Strehler passiert. Ja, manchmal mißlingt's, und nur dadurch vergesse ich nicht, wie gut jemand eigentlich ist.
 
Du hast deinen Witz von beiden Seiten abgestutzt und nichts in der Mitte gelassen. 
… Nun bist du eine Null ohne Ziffern. 
Lear

Beim Lachen betreibt der Körper Hochleistungssport: Vom Gesicht bis zum Bauch sind beim Lachen fast 300 verschiedene Muskeln beteiligt. ... Die Atmung geht um ein Vielfaches schneller und die Lunge nimmt rund drei- bis viermal so viel Sauerstoff auf wie gewöhnlich. Dabei wird der Brustkorb teilweise schmerzhaft gezerrt und das Zwerchfell hüpft. Die schnellere Atmung regt dabei den Blutfluss an - das macht das Lachen so gesund. Mediziner haben zudem festgestellt, dass durch das Lachen mehr T-Zellen aktiviert werden und so das Immunsystem gestärkt wird. ... Nach herzzerreißendem Lachen kommt der Körper wieder zur Ruhe. Nach der großen Muskelanspannung und der inneren Massage durch das vibrierende Zwerchfell sind die Muskeln nun gut durchblutet und entspannt. Die Entspannung geht sogar über das Körperliche hinaus, denn so ein Lachanfall baut Stresshormone ab. ... Über einen Witz zu lachen, ist schon äußerst komplex: Der erzählte Witz gelangt zunächst über das Ohr ins Hörzentrum, von da geht es weiter in das Zentrum für Sprachverständnis, wo er analysiert wird. Jetzt wird er von der linken in die rechte Hirnhälfte geschleust, dabei wird abgeglichen, ob sich Emotion und Inhalt entsprechen. Stimmen Emotion und Inhalt nicht überein, findet das Gehirn den Witz witzig und es stimuliert den Körper zum Lachen. Für die vollbrachte Schwerstarbeit belohnt sich das Hirn schließlich selbst mit der Ausschüttung von Glückshormonen. Die können selbst Schmerzen dämpfen.

 ABER, aber der Einfall mit den in den sehr unkleidsamen Sicherheitsgurten in Reihe hängenden Spielern, die, in Marionetten verwandelt, versuchen ihr Nicht-Null-Sein zu verteidigen, sich bemühen individuell zu bleiben im Kampf gegen die übermächtige Kraft der Gravitation, ist wunderschön.
 
Lear:  Von welcher solln Wir sagen, sie liebt uns am meisten? ... was sagst du, ... Sprich."
Cordelia:   Nichts.
Oder im Original: Nothing. No thing.

Und nur weil es so schön ist:

Opus Null

1

Ich bin der große Derdiedas
das rigorose Regiment
der Ozonstengel prima Qua
der anonyme Einprozent.
Das P. P. Tit und auch die Po
Posaune ohne Mund und Loch
das große Herkulesgeschirr
der linke Fuß vom rechten Koch.
Ich bin der lange Lebenslang
der zwölfte Sinn im Eierstock
der insgesamte Augustin
im lichten Zelluloserock.

2

Er zieht aus seinem schwarzen Sarg
um Sarg um Sarg um Sarg hervor.
Er weint mit seinem Vorderteil
und wickelt sich in Trauerflor.
Halb Zauberer halb Dirigent
taktiert er ohne Alpenstock
sein grünes Ziffernblatt am Hut
und fällt von seinem Kutscherbock.
Dabei stößt er den Ghettofisch
von der möblierten Staffelei.
Sein langer Würfelstrumpf zerreißt
zweimal entzwei dreimal entdrei.

3

Er sitzt mit sich in einem Kreis.
Der Kreis sitzt mit dem eignen Leib.
Ein Sack mit einem Kamm der steht
dient ihm als Sofa und als Weib.
Der eigne Leib der eigne Sack.
Der Vonvon und die linke Haut.
Und tick und tack und tipp und topp
der eigne Leib fällt aus der Braut.
Er schwingt als Pfund aus seinem Stein
die eigne Braut im eignen Sack.
Der eigne Leib im eignen Kreis
fällt nackt als Sofa aus dem Frack.

4

Mit seiner Dampfmaschine treibt
er Hut um Hut aus seinem Hut
und stellt sie auf in Ringelreihn
wie man es mit Soldaten tut.
Dann grüßt er sie mit seinem Hut
der dreimal grüßt mit einem du.
Das traute sie vom Kakasie
ersetzt er durch das Kakadu.
Er sieht sie nicht und grüßt sie doch
er sie mit sich und läuft um sich.
Der Hüte inbegriffen sind
und deckt den Deckel ab vom Ich.

Hans Arp