Sonntag, 21. Oktober 2018

DIE EDDA am Schauspiel Hannover


Die Edda neu erzählt von Thorleifur Örn Arnarsson und Mikael Torfason, schon die Namen klingen exotisch. (Warum wirkt "exotisch" irgendwie schief im Zusammenhang mit nordischen Dingen?) Also passender: schon die Namen klingen verheißungsvoll fremd.

Bis auf 20 Minuten im ersten Teil war das ein ungewöhnlich spannender, mitnehmender Abend, und die kurze Strecke in insgesamt vier Stunden Theater hat mir mein perfektionierter Theaterschlaf gut verkürzt.

Das Bühnenbild ist faszinierend, es wird beherrscht von einem Deckel von vieleicht 50 Zügen mit integrierten Neonlampen, der in immer wieder überraschender Weise bewegt wird. Die Fläche bewegt sich schlangenartig oder wie ein Vorhang oder als Wand senkrecht oder schräg, verkleinert die Bühne oder läßt sie nach oben wachsen, wird zum Tier, zur Waffe, zum Rahmen. Toll. In der Mitte, der Stamm der Weltesche, erst liegend, dann zwischen Ober- und Unterwelt schwebend, im zweiten Teil noch ein dreistöckiges Gerüst um den Baum dazu und alle Schichten der Mythen in wilder Requisitenseligkeit mittendrin, vom Jesus am Kreuz bis zu Thors tödlichem Hammer. Ich mochte, dass die mythologische Tiefe immer wieder auf den Boden seiner Realisierung im Theater geholt wurde.

Die Kostüme, Gottseidank, mal nicht trendbewußt karg, sondern erfreulich theatralisch, kenntlichmachend und vielerzählend, ohne je in Folklore oder Bühnenhistorizismus zu verfallen. Ganzkörperanzüge, gemalt, wie Menschen ohne Haut, als Grundkostüm, darüber, was jeweils nötig ist für die Figur. Zwerge müssen nicht klein sein, aber sie tragen halt Gazezipfelmützen, Riesen nicht groß, sind aber massig in dicken Wollfädenkostümen.

Gabriel Cazes ist ein begnadeter Bühnenmusiker, alles live und wichtiger Bestandteil der Erzählung. Die choralen Stellen, werden im Spiel von den Darstellern gesungen.

Worum geht es? Um etwas ganz existentielles und alltägliches: wie alle sterben, jetzt, morgen oder übermorgen.
Und da liegt der Hund begraben, nach der Pause, wenn der Untergang beginnt, Ragnarök, die Apokalypse, wird der Endkampf der Götter, mit dem Abschiedsbrief den Mikael Torfason an seinen verstorbenen Vater geschrieben hat,verschnitten. Mikael weint über den Tod seines Vaters, der am Leberzirrhose starb und Freya, die Gattin Odins trauert um ihren Sohn Baldur, der nur dann von der Totengöttin Hel freigelassen wird, wenn alle Lebenden um ihn weinen würden, aber einer, Loki, weint nicht. Er verweigert sich, er ist der Riß, das Dazwischen.

Georg Büchner läßt seinen Woyzeck den großen Satz sagen:
Wir haben schön Wetter. Sehn Sie, so ein schöner, fester, grauer Himmel; man könnte Lust bekommen, ein' Kloben hineinzuschlagen und sich daran zu hängen, nur wegen des Gedankenstriches zwischen Ja und wieder Ja – und Nein. hh, Ja und Nein? Ist das Nein am Ja oder das Ja am Nein schuld? Ich will darüber nachdenken.
Ich bin froh, dass ich diesen überbordenden, ernstgemeinten Abend erlebt habe. Freie Spieler und keine Ironie, haben mir gut getan und wiegen gelegentliche Schwächen wahrlich auf.

Sarah Franke ist eine herrlich kraftvolle und kluge Schauspielerin.



https://www.youtube.com/watch?v=q7PiHuR8fKQ  
Ganz nebenbei, mit dem Auto haben wir bei der Hinfahrt bei relativ freier Autobahn über 3 Stunden gebraucht, zurück bin ich mit einem auf die Minute pünktlichen ICE in 1 Stunde und 40 Minuten gefahren. Cool, was? Im Anschluß mußte ich glücklicherweise nur nach dem Hackeschen Markt, denn die S-Bahn hatte eine große Auswahl von Schienenersatzverkehr.

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