Donnerstag, 27. September 2018

Danton, Robbespierre und Consorten

Das Verrückteste am Älterwerden sind die Momente, in denen klar wird, wieviel Du schon erlebt, gelebt hast, wieviele tolle Menschen Du kennengelernt hast, wieviele davon schon tot sind und wie froh Du bist, dass noch so viele leben.

Heute Abend im Deutschen Theater haben Christian Grashof und Hans-Dieter Schütt ihr gemeinsames Projekt "Kam, sah und stolperte" vorgestellt. Eine erzähle Biographie. Schütt hat wieder geschafft, was er oft wirklich gut kann, zum Beispiel auch bei meinem Vater - er hat die mäandernden, ausschweifenden Gedanken seines Gesprächspartners gebündelt, konzentriert. 
Wenn mein Vater eine Geschichte zum Besten gab, waren es am Ende fünf plus allerlei interessanter Nebenfakten. Wenn Chris erzählt, überlagern sich hochinteressante Halbsätze, Anfänge, Kommentare, Einschränkungen, Ablenkungen und Weisheiten. 
Beide verlangen vom Zuhörenden Konzentration, Intelligenz und Abstraktion. Und Schütt weiß, den Kern der angebotenen Epen zu finden.

Ich glaube, es ist in diesem Fall ein gutes Buch geworden.


Zurück zu mir.
Als wir uns kennenlernten, war Grashof 38 und ich 23. "Die Insel" und "Philoktet" und der "Tasso", waren meine immer wieder beglückende abendliche Unterhaltung. 1981/82 war ich an jedem, wirklich jedem probenfreien Abend hingerissener Zuschauer in meinem Theater. Egal was lief, ich war da. Besser kann Lernen nicht erlebt werden.

Christian Grashof hat mir so ganz nebenbei zwei wichtige Stutzpunkte meines Lebens geschenkt. 
1985. Nach Jahren der Quälerei, nach Hungersucht und Herzbruch, fing ich an mich auf der Bühne heimisch zu fühlen, da kam Chris eines Abends nach einer Vorstellung von "Dantons Tod" zu mir und sagte: "Jetzt war es gut." 
Ja, dann war es besser.
Lange Zeit später, in der ersten Szene meiner zweiten Vorstellung von "Onkel Wanja", ich hatte für die schwangere Dagmar Manzel übernommen, stellte ich fest, dass ich mich ums Verrecken nicht erinnern konnte, wie der titelgebende Onkel Wanja hieß. Jelena, meine Figur, konnte ihn so ja nicht nennen, denn sie war mit ihm nicht verwandt. Ich spielte mich also unauffällig an Chris heran und fragte leise: "Wie heißt Du? Chris mit großen, waidwunden Augen antwortete ebenso leise: " Na, Christian Grashof, aber das weißt du doch."
Da habe ich begriffen, dass wir während wir spielen, auch weiterleben. Es gibt kein hier und dort.  

1 Kommentar:

  1. "Da habe ich begriffen, dass wir während wir spielen, auch weiterleben."
    Merleau-Ponty meinte, daß die Schauspielerin, wenn Paidra auf der Bühne erscheint, als Person in ihrer Figur verschwindet und mit ihr verschmilzt.
    Plessner meinte, daß immer ein Abstand zwischen der Schauspielerin und ihrer Figur bleibt. Nur so kann sie schauspielern. Ohne diese KLuft wäre der gespielte Zorn wirklicher Zorn, die gespielte Eifersucht wirkliche Eifersucht.
    Plessner ging davon aus, daß jede Identifikation von einer Kluft durchzogen ist. Das bedeutet allerdings auch, daß wir nie wirklich wissen, wer wir sind, ob wir selbst es sind, die weinen und lachen, oder jemand anders.
    Ich glaube, Plessner hat recht. Aber ich bin nur ein Laie. Ich bin Zuschauer. Ich fiebere mit mit dem, was da auf der Bühne geschieht, aber ich sitze im Zuschauerraum, und ich frage mich, wer es ist, der da zusieht.

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