Sonntag, 13. Januar 2019

Macbeth am Berliner Ensemble

Ja. - Morgen und morgen und morgen. Das kriecht
Mit diesem kleinen Schritt von Tag zu Tag
Zur letzten Silbe. Der Rest ist aus der Zeit.
All unsere Gesten , von Blinden am Seil geführt
In staubiges Nichts. Weißt du was anderes, Seyton.
Aus, kurze Flamme. Leben ein Schatten der umgeht
Ein armer Spieler, der sich spreizt und sperrt
Auf seiner Bühne eine Stunde lang
Und nicht gehört wird nachdem. Ein Märchen, erzählt
Von einem Irren, voll mit Lärm und Wut
Bedeutend nichts.


Wenn Shakespeare und Müller aufeinandertreffen, entsteht wundervolle 
Sprachkunst, in deutscher Sprache. 

Und nun dieser Abend inszeniert von Michael Thalheimer in strenger Konsequenz. 
Der Bühnenraum ausschließlich über Licht definiert, großartige Lichtkompositionen, sparsam, genau und schlau die Farbfilter nutzend.
Etwas weniger "schottischer" Nebel hätte auch genügt. Die Kostüme klar und irgendwie wie immer. Schwarze Anzüge, edle Damenkleider, Nacktkörperanzüge.
Sehr viel Blut. 
Die Spieler sprechen, schreien, pressen, brüllen präzise und verständlich.  
Nur sechs Spieler übrigens, Nathan, Becker, Nest, Wehlisch, Hülsmann, Kohrt.
Einige ganz tolle Bilder.
Der tote Banquo, der auf dem Rücken des schwadronierenden Macbeth imaginäre 
Herrschaftsgesten in die Runde wirft, die kleine "Weg!"-Geste von Macbeth, wie
er entdeckt, was fünf leicht bewegte Finger bewirken können, wenn man König ist.

Aber. Aber was genau ist diese Macht, die hier durchexperimentiert wird. Sie bleibt
im Vagen, MACHT AN SICH. Aber. Über wen? Zu welchem Zweck? Macht es Spaß 
sie zu haben? Hier nicht. Was kann ich mit Macht tun, was ich sonst nicht tun könnte? 
Wann genau kommt mir mein Gewissen abhanden? Oder ist auch das Gewissen nur
ein zivilisatorisches Konstrukt? Macht ist konkret. Machtmißbrauch auch.

Flüchten wir uns in solch apokalyptischen Visionen, weil wir zu träge, zu ängstlich, zu 
selbstbezogen sind konkret zu denken? Niemand hat eine Lösung, aber wenn wir nur noch ganz allgemeine Fragen stellen, nein, nicht Fragen, mulmige Unterstellungen, dann wird
der Weltuntergang ein bisschen wie ein Disneyland für Zyniker. Unsere Todesangst wird als "Ausrede" für all das Schlechte in der Welt stilisiert.

Die Welt ist schlecht, der Mensch ist es auch, es ist ein ewiger Kreislauf. Ist das so?
Aber auch Herr Thalheimer ißt nach der Vorstellung ein Nachtmahl, küsst seine Frau, Freundin, oder küsst niemanden und guckt Fernsehen, liest ein Buch, er mag Regen oder Sonnenschein, das Laub im Herbst oder Sand unter den Füßen.

Und weil ich diesen Widerspruch fühle, lassen mich Abende wie dieser, merkwürdig kühl.
Ich liebe das Leben, will noch lang nicht sterben und erfahre immer wieder, dass der
Mensch halt nicht nur mies und böse ist. Nennt mich einen zynischen Optimisten.

Foto: Matthias Horn

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