Ayham Majid Agha
Ich bin nicht Hamlet. Ich spiele keine Rolle mehr. Meine Worte haben mir nichts mehr zu sagen. Meine Gedanken saugen den Bildern das Blut aus. Mein Drama findet nicht mehr statt. Hinter mir wird die Dekoration aufgebaut. Von Leuten, die mein Drama nicht interessiert, für Leute, die es nichts angeht. Mich interessiert es auch nicht mehr. Ich spiele nicht mehr mit.
H.M.
Der unerträgliche Abgrund zwischen diesem gedankenscharfen, verzweifelt um Worte ringenden Text und seiner vollständigen Nutzlosigkeit in den Kämpfen, die stattfinden, ist die Klammer, die den Abend zusammenhalten sollte. Der große Dichter denkt den Kämpfen voraus, doch schreibt er ihnen hinterher, und noch fünfzig Schritte später humpelt das Theater herbei, um seinen Senf dazuzugeben. Wissen und Niederlage in inniger Umarmung.
1977 schrieb Heiner Müller mit Die Hamletmaschine eine Adaption, die die Maschine im Titel führt. Das Exil Ensemble ist seit der Spielzeit 2016/17 Teil des Gorki. Die sieben Schauspieler*innen spüren mit Sebastian Nübling diesem und anderen Texten nach und forschen in dem ergebnisoffen angelegten Projekt nach der eigenen Position. Sie folgen mit Hamletmaschine dem Dramatiker, der die Position des Intellektuellen in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, radikal in Frage stellt, sezieren Müller folgend Shakespeare und setzen die verbleibenden Fragmente wieder zusammen.
Text zum Stück auf der Website des Theaters (Auszug)
Die Spieler des Abends - das Exilensemble des MGT - Maryam Abu Khaled, Hussein Al Shateli, Tahers Hashemi, Karim Daoud, Mazen Aljubbeh, Kenda Hmeidan und Ayham Majid Agha, der auch eigene Texte zusteuert - werfen ihre Biographien und eine Menge Energie in den Raum. Der Text wird in Deutsch, Englisch und Arabisch projeziert und ihn zu lesen, ist ein Vergnügen.
Clownsmasken, oriental Hip Hop, Scherze, Atmosphäre, Tänze, Sprachen, Akzente, viel ist zu sehen, aber meistens habe ich gelesen.
Der Aufstand beginnt als Spaziergang. Gegen die Verkehrsordnung während der Arbeitszeit. Die Straße gehört den Fußgängern. Hier und da wird ein Auto umgeworfen.
Angsttraum eines Messerwerfers:
Langsame Fahrt durch eine Einbahnstraße auf einen unwiderruflichen Parkplatz zu, der von bewaffneten Fußgängern umstellt ist. Polizisten, wenn sie im Weg stehn, werden an den Straßenrand gespült. Wenn der Zug sich den Regierungsviertel nähert, kommt er an einem Polizeikordon zum Stehen. Gruppen bilden sich, aus denen Redner aufsteigen. Auf dem Balkon eines Regierungsgebäudes erscheint ein Mann mit schlecht sitzendem Frack und beginnt ebenfalls zu reden. Wenn ihn der erste Stein trifft, zieht auch er sich hinter die Flügeltür aus Panzerglas zurück. Aus dem Ruf nach mehr Freiheit wird der Schrei nach dem Sturz der Regierung. Man beginnt die Polizisten zu entwaffnen, stürmt zwei drei Gebäude, ein Gefängnis eine Polizeistation ein Büro der Geheimpolizei, hängt ein Dutzend Handlanger der Macht an den Füßen auf, die Regierung setzt Truppen ein, Panzer. Mein Platz, wenn mein Drama noch stattfinden würde, wäre auf beiden Seiten der Front, zwischen den Fronten, darüber. Ich stehe im Schweißgeruch der Menge und werfe Steine auf Polizisten Soldaten Panzer Panzerglas. Ich blicke durch die Flügeltür aus Panzerglas auf die andrängende Menge und rieche meinen Angstschweiß.
H.M.
©dpa
Oy vay zmir! - Ach weh ist mir!
Fühlt ihr euch auch manchmal, als wäret ihr aus der euch bekannten Welt gefallen? Ich bin so unsicher wie der nächste Beste, aber ist der Hitlergruß wirklich wieder hoffähig? Gibt es genauso viele deutsche Idioten und gewaltbereite Dumpfbacken, wie es welche aus anderen Ländern gibt? Ein kubanisch-deutscher Mann wird getötet und ALLE Ausländer sind schuld? Was ist los mit uns? Schuldsuche allüberall. Warum wirken diese wütenden deutschen Männer auf mich wie die Ankündigung einer persönlichen Bedrohung? Warum sind sie so wütend? Auf wen oder was? Kennen sie, was sie hassen? Denken sie überhaupt? Und wenn, womit? Mit dem Hirn oder dem Schwanz?
Soll Ich
Weils Brauch ist ein Stück Eisen Stecken in
Das nächste Fleisch oder ins übernächste
Mich dran zu halten weil die Welt sich dreht
Herr brich mir das Genick im Sturz von einer Bierbank
H.M.
Kurze Nachbemerkung: ENDLAND von Martin Schäuble, ein "Jugendbuch", vielleicht etwas zu gutgemeint, aber trotzdem wirkungsvoll. Stellt euch vor, Deutschland, so wie es jetzt ist. Die AfD gewinnt die Wahl und setzt ihr Wahlprogramm in die Tat um. Möglich wär's. Haben wir dieser Möglichkeit gar nichts entgegenzusetzen?
Birgit Majewski schrieb: ... doch eine Szene fand ich gut: wo sich die Mädels gegen die von Heiner Müller vorgegebene Selbstzerstörung und Zerstörungswut von Ophelia ausgesprochen haben/positiver Feminismus
AntwortenLöschenUnd wenn am Ende Tahera Hashemi den Schlußtext denkt und ausspricht. "Wenn sie mit Fleischermessern durch eure Schlafzimmer geht, werdet ihr die Wahrheit wissen."
Löschen"Nach mir die Sintflut", sagte Madame Pompadour einmal. Und manchmal kriecht dieser Gedanke wie die traurige Karikatur einer Hoffnung in mir hoch.
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