Sonntag, 23. September 2018

Ungeduld des Herzens an der Schaubühne

“Es gibt eben zweierlei Mitleid. Das eine, das schwachmütige und sentimentale, das eigentlich nur Ungeduld des Herzens ist, sich möglichst schnell freizumachen von der peinlichen Ergriffenheit vor einem fremden Unglück, jenes Mitleid, das gar nicht Mit-leiden ist, sondern nur instinktive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele. Und das andere, das einzig zählt - das unsentimentale, aber schöpferische Mitleid, das weiß, was es will, und entschlossen ist, geduldig und mitduldend alles durchzustehen bis zum Letzten seiner Kraft und noch über dies Letzte hinaus.” 
Stefan Zweig "Ungeduld des Herzens"
 
Im Englischen heißt dder Roman " Beware of Pity" - " "Hüte dich vor Mitleid". 1939 wurde dieses Buch unter dem deutschen Titel "Ungeduld des Herzens" erstmals veröffentlicht. Sein vielgelesener und erfolgreicher Autor, der österreichische Jude Stefan Zweig, lebte zu dieser Zeit schon in England, von wo er dann nach Brasilien weiterzog, wo er sich 1939 das Leben nahm. Seine Frau folgte ihm nur wenige Stunden später nach. 

Ein Roman über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, geschrieben in der bleiernen Morgendämmerung des Zweiten.

Simon McBurney, der Mann mit den feinen Ohren und den schlauen Augen hat mit seinen Schauspielern diesen Roman durchstöbert, durchleuchtet, durchspielt. 
Die Bühne enthält Stühle, Tische mit Mikrophonen, einen rollenden Tisch, eine bewegbare Standvitrine, fahrbare Hängelampen, ein Klavier, wenige Requisiten, Videoprojektionen auf Wand & Vitrine, Musik, Geräusche, angedeutete Kostüme und sieben Darsteller. Szenen werden angespielt, in Figuren wird eingetaucht und dann mit scharfem Ruck wieder ausgestiegen, der Ablauf der Bewegungen aller Spieler und der Bühnenmöbel ist minutiös durchchoreographiert. Ein Konzert für alle Sinne. 
Irgendwas hat mich irritiert, aber ich komme noch nicht wirklich drauf, was. Ein bisschen viel die Stimmung verstärkende Musik gelegentlich, aber das ist es nicht. Vielleicht habe ich mir gewünscht, dass das enorme Tempo mal stockt, die perfekten Abläufe abrupt stolpern, die Komposition eine Leerstelle böte. Ningel, ningel, mecker, mecker.

ZWEIGS ABSCHIEDSBRIEF
 
Declaracão

Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben. Mit jedem Tage habe ich dies Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und [Streichung] meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet.
Aber nach dem sechzigsten Jahre bedürfte es besonderer Kräfte um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die [Streichung] langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschliessen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen.
Ich grüsse alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.
 

Stefan Zweig
Petropolis 22. II 1942


 
https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article162270682/Der-wahre-Grund-fuer-den-Selbstmord-von-Stefan-Zweig.html 

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