Montag, 30. Dezember 2013

Weihnachtsrauschtage



WEIHNACHTSKULTURRAUSCH

    Weihnachten, freie Zeit & Berlin, was kann es besseres geben?

    Zunächst die rituellen Handlungen einer normalen deutsch- 
    jüdischen Familie, die da wären: den Weihnachtsbaum schmücken, 
    die Geschenke verpacken, den Weihnachtsbraten verschmausen, die 
    bekannten und geliebten Bibelstellen vorlesen, damit man nicht vergißt was der 
    offizielle, sehr poetische, wenn auch unglaubwürdige Anlaß für die Feierei ist. 
    Dann die Stadt wiederentdecken, spazierend allein und mit Freunden. 
    Gibt es meine Lieblingskneipe noch? Ja. Mein Lieblingscafe? Ja. Neue Graffiti? 
    Nix tolles gefunden. Wo ist was neu eröffnet oder schon wieder geschlossen?
    In meinem Kiez jedenfalls will ich das wissen. Der Kiosk unten im Haus hat
    umgebaut, aber meine Zigarettensorte liegt trotzdem sofort auf dem Tisch.
    Mein Lieblingsmusikverkäufer bei Dussmann ist immer noch da und gibt die besten 
    Tipps!    

   Im Brandenburgischen gehe ich mit meiner Lieblingsnichte und ihrer Freundin 

   zum Wandern mit Huskies. Eine Stunde stürmen die beiden hinter rennenden
   Hunden her und lieben es. Sehr zu empfehlen für Kinder ab 10 Jahren.
   "Freizeit mit Huskies" (Dorfstraße 44, 16818 Frankendorf Tel. 033924-79946)
   scheint mir ein sehr liebevoll geführtes Unternehmen zu sein, respektvoll den
   Hunden gegenüber und zauberhaft mit den Kindern.
   Doktor Who am zweiten Feiertag, das ist gutes Fernsehen. Aber leider nur 
   bei der BBC. Die Geschichte ist irrwitzig und hochkompliziert, erstklassig 
   besetzt und unverschämt und geschickt gefilmt. Warum können die das und 
   wir nicht? Warum? 
                            Ein Abend im DT, "Gift" von der Holländerin Lot Vekemans,
   als Stück eine Petitesse, aber dafür kann ich zwei Zauberspielern (Dagmar 
   Manzel & Ullrich Matthes) bei der Feinstarbeit zuschauen. Bälle zuwerfen wäre
   eine viel zu grobe Umschreibung, Spitze klöppeln zu zweit träfe es eher, ohne 
   dass sie mir die Kunstfertigkeit je unter die Nase reiben, es passiert einfach,
   von wegen.
   Im Gropiusbau Photographien von Barbara Klemm, hingehen, unbedingt!
   Die Ausstellung läuft noch bis zum 9. März 2014. Nach vier proppevollen
   Sälen habe ich aufgeben müssen, zu viel, zu viele Details, wunderbar. Mir 
   ging es nicht, wie der Dame, die hinter mir enttäuscht zu ihrem Begleiter 
   sagte: "Schwarz-Weiss ist einfach nicht bunt genug." So viele Varianten von 
   Grau! Und wie ähnlich sich Kleinstädte in Ost und West schon in den 70er 
   Jahren sehen, wenn keine Werbung im Bild ist. Und wie lang diese Zeit 
   zurückzuliegen scheint und doch ist es meine Jugendzeit.
   Mode von vor einhundert Jahren wirkt fremd, interessant und cool, die Mode,
   die ich selbst vor dreissig Jahren getragen habe, wirkt nur peinlich. 
   Ein Porträt über Barbara Klemm in Der Zeit
   Apropos 2014, das kommt ja auch noch, ich gehe zu Nina Hagen ins BE, 
   zum interaktiven Brecht-Lieder-zur-Klampfe-Abend, naja, Risiko! Aber meine 
   Cousine Sanda Weigl wird dort auch singen und die höre ich immer gern. 
   
Stuttgart 1972
© Barbara Klemm 

Wenn das kein Zungenkuß ist...und alle applaudieren!
 1979
© Barbara Klemm

Wenn die Münder sich trennen, schmatzt es.


Willy will nicht küssen.
Bonn 1973
 © Barbara Klemm

Aus:

Fotografie als visuelle Geschichtsschreibung


Ein Gespräch mit Barbara Klemm

Wenn ich über die Bilder in zeitlicher Reihenfolge etwas sagen soll, dann 
würde ich mit dem Foto von Adorno mit dem Polizisten und den Studenten anfangen. Es entstand 1969 und wurde ein Schlüsselbild der Studentenrevolte. Ein anderes ganz wichtiges Bild, mit dem ich das erste Mal auch politisch 
etwas erreicht habe - was leider sehr selten geschieht -, war ein Foto aus dem Bundestagswahlkampf 1969, als die NPD mit Saalschutz aufgetreten ist. Bei einer Veranstaltung in Frankfurt gab es ganz fette Ordner, die ich fotografiert habe, wirklich miese Typen. Das Bild wurde zuerst natürlich in der „FAZ“ veröffentlicht, dann im „Spiegel“ und in der gesamten europäischen Presse nachgedruckt. Außenminister Walter Scheel hat damals gesagt, ich hätte mit dem Foto mehr als alle Parteien dazu beigetragen, dass die NPD an der Fünfprozenthürde scheiterte.  Das wiederum hat es mir ermöglicht, für das Treffen von Scheel und Breschnew 1973 eine Poolkarte zu bekommen (die 
man brauchte, um als Journalist überhaupt irgendwo eingelassen zu werden). Im Auswärtigen Amt hat mich jemand darauf aufmerksam gemacht, dass diese Poolkarte dieselbe Farbe hatte wie die für das Mittagessen mit Brandt und Breschnew. Da habe ich gedacht, ich probiere es - und es ist mir geglückt, zu dem Vorgespräch hineinzukommen, wo dann alle Termine umgelegt wurden. Außer mir gab es nur noch einen Vertreter vom Bundespresseamt (das 
überall dabei ist), einen dpa-Fotografen und zwei Russen, aber sonst kein Kamerateam. Ich habe mit zwei Kameras gearbeitet, auf der einen ein Tele-, 
auf der anderen ein Weitwinkelobjektiv. In solchen Situationen hat man immer Angst, dass man hinausgeworfen wird, dass es nur ein paar Minuten geht. 
In diesem Fall - es war mein erstes politisches Großereignis - habe ich Glück gehabt, und ein Ergebnis war das Bild von Brandt und Breschnew, das für die Ostverträge und die ganze politische Entwicklung steht.



1 Kommentar:

  1. während des Kulturrauschs ein vergangener mit Langzeitwirkung:

    Wir machen 'ne Rauchpause während der Klemm-Ausstellung vor dem Gropius-Bau. Enges Gewusel vieler Leute um uns rum. Johanna: „Warum lacht die Frau da mich an? Kenn ich die? Guck mal.“ Ich schiele rückwärts:“Nee, kenn ich auch nicht“. Bisschen später geht die Frau an uns vorbei, und wieder zu Johanna ein Lächeln. Johanna ganz direkt und fröhlich : „Kennen wir uns irgendwoher? Ich weiß grad nicht.“ Die Frau strahlt Johanna an: „ Nein, Frau Schall. Ich freu mich nur so, Sie zu sehen. Ich habe Sie als Schauspielerin immer so sehr bewundert.“ Johanna kann grad noch ein schüchternes „Oh, danke“ stammeln, da macht die Frau schon eine winzige Verneigung, weg ist sie. Johanna zu mir irritiert: „Das ist doch zwanzig Jahre her, dass ich gespielt habe“, und sie freut sich. Und ich freue mich außerdem, dass Schauspielen doch nicht so vergänglich ist, und dass Begegnungen so einfach und so schön sein können.

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