Montag, 26. November 2012

Pünktchen trifft Anton im Grips und Was ihr Wollt im Berliner Ensemble


Gestern war Theaterüberdosis angesagt. Am Nachmittag waren meine Nichte und ich, beide zum ersten Mal, im Grips Theater. Ich bin ja mit dem Theater der Freundschaft, heute Theater an der Parkaue aufgewachsen - "Die drei ( oder waren es vier?) Pelzmützen" 1970 waren der wahrscheinlich erste nicht familienverbundene Theaterbesuch meines Lebens. Und er war lustig. Mit der S-Bahn bis Frankfurter Allee, für uns Mitte-Kinder ganz schön weit, und dann ab in die Welt des Kindertheaters. Vielleicht habe ich ja Wichtiges verdrängt, aber ich erinnere mich an unterhaltsame, verspielte Nachmittage, auch wenn das nur schwer vorstellbar ist, wenn ich mir Photographien von Ilse Rodenberg, der damaligen Intendantin, Abgeordnete der Volkskammer der DDR und Ehefrau von Hans Rodenberg, Kulturminister, anschaue.
Aber nun, 2013, "Pünktchen trifft Anton" im Grips. Die Kinder sind hin und weg. Ich bin zumindestens hin. Eine gute Geschichte, ein paar hochmotivierte und einfallsreiche Schauspieler und, vielleicht, ein bisschen zu viel Botschaft und eingängige Kinderpopsongs, aber möglicherweise schauen die Kinder morgen ihre merkwürdig deutschsprechenden Klassenkameraden ein wenig liebevoller, aufmerksamer an. Das wär doch schon was, oder?
Dann in Windeseile die vom Gesehenen begeisterte Nichte an die Eltern zurückgegeben und mit der S-Bahn ins BE zu "Was ihr wollt" gefahren.

Nicht Narr, nicht Clown, nicht Trottel, nicht Idiot. 

Ihr Zuschaukünstler habt für mich kein Wort. 
Ich komm aus England. Daher kommt der Tod. 
Ich bin der Sterbewitz. Ich bin der Mord-

Versuch, jaja, ich weiß. Auch der macht Spaß 

Weil er sich reimt und ist nicht so gemeint, 
denkt ihr. Ihr denkt? Sieh an, seit wann denkt Aas. 
Ich bin mein eignes Volk. Ihr seid vereint.

In dem Verein, der richtet und der henkt. 

Ich will, dass ihr euch hier zu Tode lacht, 
voll faulem Mitgefühl das Herz verrenkt, 
ersauft in Tränen mitten in der Nacht.

Ihr seid das Volk. Ich bins, der euch verhetzt.

Ich heiß: The Fool. Das wird nicht übersetzt.
 

Thomas Brasch zu Shakespeares Narr

Mir geht es schon vor Beginn ein bisschen schlecht, die letzten Besuche hier, haben ihre Spuren hinterlassen und die ersten 15 Minuten des heutigen Abends versprechen auch nichts Gutes, aber - ABER DANN wird es anders und ich bin froh.


Liebe ist ... Was ist Liebe? Nicht ok., nicht lieb, nicht gut erträglich. Liebe passt so gar nicht in unseren Abgesichertsein erstrebenden, zukunftsorientierten Sein-Wir-Nett-Zueinander-Alltag. Liebe ist irre, geil und allumfassend und unschick. Und: " Wenn Musik die Nahrung für die Liebe ist...", der Schlegel/Tieck will mir nicht aus dem Kopf -
"Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist,
Spielt weiter! Gebt mir volles Maß! daß so
Die übersatte Lust erkrank' und sterbe. –
Die Weise noch einmal..."
Und wenn denn Musik der Liebe Nahrung ist, dann müssen wir singen. Egal, ob wir es können oder nicht. Wir müssen das selbe Lied wieder und wieder hören, weil wr sonst sterben würden, weil eben die verflixte, lächerliche Liebe es verlangt. Und dieses hilflose, rücksichtslos machende, erbärmliche Ausgeliefertseins an die Liebe wird an diesem Abend zelebriert, was heisst, er wird feierlich, genussvoll begangen. Und das auf ganz unfeine Art mit den Liedern, die unsere sind und mit denen Shakespeares. Die werden geseufzt, gegrölt und manchmal ganz zart gesungen. Feierlich muß ja nicht dröge heißen, es kann auch eine wilde, überbordende Feier werden, das ist nicht jedermanns Sache, aber ...
Simone Kaempf schreibt in ihrer Kritik auf nachtkritik: ...Ihre (Thalbachs) Inszenierung ist nun gar nicht so witzig geraten, dunkel-melancholisch aber erst recht nicht....Alles ist bunt, illustrierend, laut geraten...
Nicht ihre Meinung stört mich, aber dass sie es nicht für notwendig erachtet, zu erwähnen, dass der Saal stehend und ungewöhnlich lang applaudiert hat, ärgert mich schon und hat mich dazu gebracht meinen ersten und hoffentlichen letzten Kommentar auf der Seite zu veröffentlichen: Ob man es mag oder nicht. Wenn ein ganzer Saal im Stehen applaudiert ist das einer Erwähnung wert. Claque gibts immer, füllt aber keinen Saal. Aushalten und untersuchen, wenn andren gefällt, was man selber hasst, ist die Arbeit, die ein Kritiker leisten sollte.


Sabin Tambrea - Sebastian/Cesario/Viola
© Stefan Falke


Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
 

Erich Fried 

1 Kommentar:

  1. Prall und sehnsüchtig, mit dem Risiko sich zu verrennen, ja das Verrennen ist gewollt und gesucht, Sucht, Lebenslust und Überdruss, der Abend ist eine Wucht. Und hat eine Wucht. Soviel Lust und Leidenschaft und Sex und Zauber und Witz und tieftraurig. Die Liebe sprengt Gewissheiten und Anstand und Verabredungen. Und macht Dich zum Idioten. Das hat die Inszenierung gefeiert. Und Kritiker, die das Publikum komplett ignorieren, wenn es steht und gar kurz davor ist, Love Love Love geschlossen und unverabredet und unanimiert mitzusingen, einfach weil man mitfeiern will, und das bei einer Premiere in Berlin, wo man ja sehr vorsichtig ist, was gucken zu lassen - sind bescheuert. Ich kann das wirklich nicht finden. Meinung ist Meinung. Klar. Aber da schreibt sie ja über eine Erwartungshaltung. Ohne Bereitschaft, sich mitnehmen zu lassen, erlebt man auch nix. Ich habe was erlebt und das war viel. Ich habe viele Menschen dämlich grinsend das Theater verlassend gesehn. Und wenn ich einen Spiegel geguckt hätte, wäre ich einer davon gewesen.

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