Sonntag, 18. November 2012

Eugen Onegin in der Schaubühne


Eugen Onegin, der Mann ohne Eigenschaften, der "Ästhet des Nihilismus" *, einer, der die gefühlte, ihn überwältigende Leere der Welt verneinen will durch die vollständige Perfektionierung seiner äußeren Erscheinung und Lebensweise, einer der Nein sagt, bevor ihm etwas verweigert werden kann, an das er sowieso nicht glauben kann, einer der der Sinnlosigkeit des Daseins die vollständige und kunstvolle Durchorganisation der eigenen Nutzlosigkeit entgegenstellt. Sein Nein wird ihm zum Todesurteil, denn die Liebe erträgt kein Nein, auch oder gerade indem sie es anerkennt. 

 Eine wunderbare Geschichte der Verzweiflung, vorgestellt in der Schaubühne in einer Inszenierung von Alvis Hermanis.

„Der Dandy ist ein Mann, dessen Status, Arbeit und Existenz im Tragen von Kleidung besteht. Er widmet jedes Vermögen seiner Seele, seines Geistes, seiner Geldbörse und seiner Person heldenhaft der Kunst, seine Kleidung gut zu tragen: Während die anderen sich kleiden um zu leben, lebt er, um sich zu kleiden.“  Thomas Carlyle in Sartor Resartus, 1834


George Bryan ‘Beau’ Brummel, der "Erfinder" des Dandytums

Ich betrete den Theaterraum und bin froh. Die Bühne ist alt und neu. Alt, weil sie geradezu naturalistisch ist in ihrer Detailverliebtheit die Zeit des Stückes betreffend, also etwa um 1800. Und doch neu, weil sie mir all diese Kostbarkeiten flächig angeordnet, sozusagen direkt an die Rampe liefert. Auftritt von fünf Schauspielern in Alltagskleidung, die mir durch vielerlei historische Texte und Fakten einen Weg in die fremde Zeit bahnen. Waschen war verpönt, Zahnpflege bestand im Auftragen von schwarzer Schutzpaste und dem gelegentlichen Putzen der vorderen, sichtbaren Zähne. Das macht Spaß, überrascht und die projezierten historischen Photos vervollständigen das Erlebnis zur googleartigen Reise in einer Theater-Zeitmaschine. So weit, so gut.
Dann beginnen sich die Spieler in die zeitgemäße "Verkleidung" zu verkleiden und da fängt es an zu hapern.
Denn merkwürdigerweise nimmt die Inszenierung die eigenen Vorgaben nicht mehr ernst. Ein Korsett, beschrieben als atemberaubendes, körperzerstörendes Instrument der Folter zur Erreichung eines imaginierten Ideals, wird harmlosigst und hilfreich von Gardrobieren angelegt. Kein Schmerz, keine wirkliche Behinderung, nur Zeichen. Der Text wird illustriert und Mitgefühl oder Zorn stellt sich nicht ein. Dem Vergnügen der ersten 20 Minuten folgt lauwarmes Rezitieren der Puschkintexte. Eine grandiose Idee verflüchtigt sich in Bebilderung. Schade.

Albert Camus sagte:
Der Dandy erschafft sein Selbst mit Hilfe der Ästhetik. Aber es ist eine Ästhetik der Verneinung. "Zu leben und zu sterben vor einem Spiegel":, das ist Baudelaire zufolge, das Motto des Dandys. Es ist wahrhaftig ein schlüssiges Motto. Der Beruf des Dandys ist es in Opposition zu sein. Er kann nur durch Widerspruch existieren. Bisher leitete der Mensch seine Selbsverständnis vom Erschaffer her. Aber von dem Moment an, wo er sich seiner Abtrennung vom IHM widmete, fand er sich dem vergänglichen Moment ausgeliefert, den vergehenden Tagen und den vergeudeten Empfindsamkeiten. Darum muß er sich selbst in die Hand nehmen. Der Dandy versammelt seine Kräfte um sich unnd erschafft eine Einheit für sich durch die Gewalt seiner Verweigerung. Gesinnungslos, wie alle ohne Lebensinhalt, ist er nur stimmig als Schauspieler. Aber ein Schauspieler schließt ein Publikum ein; der Dandy kann seine Rolle nur spielen indem er sich in Opposition setzt. Er kann sich der eigenen Existenz nur versichern, indem er sie in den Gesichtern anderer Leute findet. Andere Menschen sind sein Spiegel. Ein Spiegel der schnell trüb wird, da die menschliche Aufmerksamkeitsspanne kurz ist. Sie muß ständig stimuliert werden, angestachelt durch Provokation. Der Dandy muß also ständig Erstaunen auslösen.Außergewöhnlichkeit ist seine Berufung, Exzess sein Weg zur Perfektion. Auf ewig unfertig zwingt er die anderen ihn zu erschaffen, gleichzeitig ihe Werte verneinend. Er spielt mit dem Leben, weil er es nicht leben kann.
Warum klingt das so heutig? Der TREND als Schutzraum vor der befürchteten Sinnlosigkeit des Daseins? Die individuelle Ästhetisierung der eigenen Erscheinung als Defensivwaffe gegen die verachtete Beliebigkeit. Die ganz wunderbaren Darsteller des heutigen Abends wurden nicht dazu verführt, diese Fragen gründlich zu untersuchen. Der Onegin Darsteller mußte seine Lebenskrise sogar dadurch bebildern, dass er "sein Korsett nicht loswurde"! Aber solche Fragen überhaupt zu stellen, ist schon ein freudiges Ereignis. Oder?



"Dem den ich liebe, wünsche ich es  frei zu sein -- sogar von mir."

" Him that I love, I wish to be free -- even from me." 
Ann Morrow Lindbergh 
* Jean Baudrillard

1 Kommentar:

  1. Die Zutaten verlocken. Außenrum stimmt es. Und in der Mitte ist ein Loch.
    Eine Inszenierung als eine Dandyvariante. Oder als Schokoladenfigur. So schade.

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