Sonntag, 10. April 2011

Theater hat einen Vorhang


Erinnerung: Kurz vor Vorstellungsbeginn, aus dem Saal klingt es wie Meeresrauschen, hinterm Vorhang zehn Schauspieler in einer Mischung aus Auf- und Erregung, sie umarmen sich sehr innig, sie brauchen das, um sich nahe zu kommen, zu fühlen, zu riechen. Sie spielen das Stück schon acht Jahre, vielleicht zweimal im Monat, da ist es jedesmal ein wenig wie Premiere. Dann jeder auf seinen Platz, der Vorhang geht auf, er ist rot, die Bühne ist es auch, das Stück heisst "Dantons Tod".

Diese kurze Zeit 'bevor' ist von eigenartiger Erotik. Fast jeder Spieler hat dafür eigene Rituale, manchmal verschiedene für verschiedene Stücke; Textstellenrepetion, monotone Wandergänge durchs Theater, gnadenlos idiotische Witze, Kotzen, spezielle Unterwäsche, Atemübungen, die, wenn man sie auf Video aufnähme, einen weiteren Beweis für Darwins Theorie unserer Abstammung liefern könnten, und eben auch Anfassen, Küssen, Umarmen.
Der Vorhang trennt, versteckt, schützt. Für den Zuschauenden er ist wie Geschenkpapier, gleich, gleich wird ausgepackt.
Das Allerheiligste im Jerusalemer Tempel war hinter einem Vorhang verborgen. Als Jesus starb, „riss der Vorhang des Tempels entzwei“ (Matthäus 27,51), „von oben bis unten“, präzisiert Markus (15,38) und Lukas fügt hinzu: „...mitten durch…“ (23,45). Die Trennung zwischen Heiligem und dem Profanen war gefallen. Alles war nun sichtbar. Jedenfalls scheinbar.
Denn das ist so ein Ding mit dem Vorhang, er geht auf, aber das Publikum sieht trotzdem (meist) nicht die ganze Bühne. Da ist noch das Geheime hinter dem Öffentlichen. Der Zuschauer sieht immer nur einen Ausschnitt der (Theater-) Welt, sowohl im Sinne des Stückes, das nur eine Geschichte von vielen möglichen erzählt, als auch im Sinne dessen was er von der Vorstellung zu sehen bekommt. Mit dem Vorhangöffnen nehmen wir eine Maske ab, um andere zu zeigen.


Shakespeares Truppe hat lang im "Curtain Theater" gespielt, das hiess allerdings nur so, weil es in Curtain Close, Shoreditch in London stand. Das Elizabethanische Theater hatte nur ganz hinten einen kleinen durch einen Vorhang abgetrennten Raum, die Proszeniumsbühne mit Hauptvorhang kam erst nach der Restaurationsperiode in Mode.

Schön ist auch durch den Vorhang in den Zuschauerraum zu lugen. Heimlich. Ich liebe das. Außer bei einem Gastspiel in Frankreich, wo ich eine Minute vor Vorstellungsbeginn dabei feststellte, dass der Saal vollkommen leer war. Ich wusste noch nicht, dass Franzosen erst eine gute Viertelstunde später kommen.

In einer alten englischen Kritik stand: "Der Vorhang öffnete sich um 19 Uhr, das hätte er nicht tun sollen." Das war die gesamte Kritik. Mehr nicht.



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Aulaeum Das griechische Wort ἡ αὐλαία, von dem das lateinische aulaeum abzuleiten ist, bezeichnet den Vorhang oder Teppich, der einen Innenraum gegen das Freie zu abschliesst, indem er die Stelle einer festen Wand oder einer Thür vertritt.
Als sich in den Theatern die Notwendigkeit einstellte, die Bühne zeitweise den Augen der Zuschauer zu entziehen, schienen derartige Vorhänge geeignet, den Schauspielraum gegen den Zuschauerraum abzuschliessen. So bekommt alaeum in Rom die Bedeutung Theatervorhang.
(Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft)
http://de.wikisource.org/wiki/RE:Aulaeum

Das Theater von Saepinum: im Bodenschlitz  vor wurde vermutlich der Vorhang versenkt.                                                
Es gibt ganz verschiedene Theatervorhänge. 
Wikipedia nennt, den nach oben aufgezogenen "deutschen" Vorhang, den zu den Seiten aufziehbaren "griechischen" Vorhang, den"italienischen" Vorhang, der oben zusammenbleibt und der durch unten an den Kanten befestigte Seile diagonal geöffnet wird, den "französischen" Vorhang, der mit zwei kombinierten Zügen sowohl nach oben als auch diagonal aufgezogen wird, eine Variante davon ist der "Wagnervorhang". Der Wolkenvorhang, den Rollvorhang (Rolle oben), Wickelvorhang (Rolle unten) und die "Brechtgardine".


                                           Wagnervorhang im Schauspielhaus Graz

Früher waren Theatervorhänge meist in königlichem Rot und aus Samt. Die Brechtgardine natürlich aus naturbelassenem Nessel!

                                                Brechtgardine, vermutlich "Dreigroschenoper"
 
Und es gibt natürlich den EISERNEN Vorhang, aber erst seit einem verheerenden Theaterbrand im Wiener Ringtheater 188, bei dem fast 400 Zuschauer ums Leben kamen! Wahnsinns Geschichte, ein echtes Drama im Theater, bei dem das Publikum wahrhaftig Feuer fing und es danach kein Theater mehr gab.
http://www.suite101.de/content/der-brand-im-wiener-ringtheater-1881-a63073

Noch in meinen Anfängerjahren gab es am Deutschen Theater den "Vorhangzieher", einen Spezialisten, der nur den Vorhang zog, der an Hanfseilen wie auf einer Laute spielen konnte.

Und dann nennt man auch noch die Menge der durchapplaudierten Verbeugungen Vorhang, weil früher dafür immer der Vorhang geöffnet und wieder geschlossen wurde.

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